Die Delta-Variante von Covid-19 breitet sich explosionsartig in Großbritannien aus und wird sich bald auch auf den Rest Europas ausdehnen.
Die Gesundheitsbehörde Public Health England (PHE) veröffentlichte am Freitag Zahlen, die die Versuche der Regierung zunichtemachen, die Bedrohung zu verharmlosen.
Die PHE erklärte, mittlerweile mache die Delta-Variante 96 Prozent aller neuen Fälle in Großbritannien aus. Sie ist etwa 60 Prozent ansteckender als die bisher vorherrschende Alpha-Variante. Professor Neil Ferguson vom Centre for Global Infectious Disease Analysis am Londoner Imperial College bestätigte diese Zahlen: „Das steht fest. Wir halten 60 Prozent für die wahrscheinlichste Schätzung, sie könnte auch zwischen 40 und 80 Prozent liegen.“
In der letzten Woche stieg die Zahl der bestätigten Fälle dieser Variante um 240 Prozent von 12.431 auf 42.323, teilweise weil das Genom mittlerweile schneller sequenziert werden kann.
Die Analyse der PHE zeigt außerdem, dass die Delta-Variante doppelt so häufig zu Hospitalisierungen führt wie die Alpha-Variante.
Die leichtere Übertragbarkeit der Variante führt zu einem Anstieg der Infektionen im ganzen Land. Am Freitag wurden 8.125 neue Infektionen mit Covid-19 gemeldet – der höchste Wert seit dem 26. Februar. In den letzten sieben Tagen wurden mehr als 45.895 Fälle gemeldet, das entspricht einem Anstieg von 58,1 Prozent im Vergleich zur Vorwoche.
Laut der ZOE Covid Symptom Study App, die vom King’s College in London betrieben wird, gibt es in Wirklichkeit durchschnittlich 11.908 Fälle pro Tag, d.h. mehr als doppelt so viele, wie die Studie letzte Woche verzeichnete.
Laut einer Berechnung der Wissenschaftsberater der Regierung für Notfälle (SAGE) liegt der R-Wert in Großbritannien zwischen 1,2 und 1,4. Ferguson erklärte am Donnerstag, der R-Wert für Großbritannien liege in den unterschiedlichen Regionen zwischen 1,2 und 2,5, im Durchschnitt jedoch bei 1,5.
Laut PHE verdoppelt sich die Zahl der Neuinfektionen in den einzelnen Landesteilen innerhalb von 4,5 bis 11,5 Tagen. In allen Regionen Englands steigt die Zahl der Covid-19-Fälle an, am stärksten im Nordwesten, wo der Inzidenzwert von 89,4 auf 100.000 Einwohner in der letzten Woche auf 149,6 von 100.000 angestiegen ist. In der Region befinden sich fünf Gebiete mit dem größten wöchentlichen Anstieg in der Periode bis zum 6. Juni: Blackburn mit Darwen (von 438,9 auf 625,9), South Ribble (von 128,2 auf 305,1), Burnley (von 135 auf 306,6), Ribble Valley (von 149,5 auf 310,4) und Salford (von 131,4 auf 265,4).
In einem Zehntel aller Gebiete Großbritanniens liegt die Infektionsrate über 100 von 100.000.
Mit den Infektionsraten beginnt auch die Zahl der Hospitalisierungen zu steigen. Landesweit ist die Gesamtzahl in den letzten Wochen nur marginal auf knapp über 1.000 angestiegen, was jedoch den steilen Anstieg in den Regionen mit der höchsten Zahl an Neuinfektionen nicht berücksichtigt. Im Nordwesten ist die Zahl der Krankenhauspatienten mit Covid-19 vom Tiefststand von 149 am 16. Mai auf 271 am 11. Juni gestiegen. Die Zahl der Corona-Patienten auf Intensivstationen ist von ihrem Tiefststand von 12 auf 45 am 6. Juni angestiegen.
Die Impfung bietet zweifellos einen erheblichen Schutz, die Delta-Variante reduziert ihn jedoch. Laut der Analyse von PHE sind Impfstoffe nach der ersten Dosis 15 bis 20 Prozent weniger wirksam gegen eine symptomatische Infektion, und selbst nach zwei Dosen ist der Schutz noch leicht verringert.
Von den 383 Personen, die in England zwischen Februar und dem 7. Juni mit der Delta-Variante ins Krankenhaus kamen, waren 251 nicht geimpft, 86 hatten eine Dosis erhalten, 42 zwei Dosen. Von den 42 Todesopfern waren 23 nicht geimpft, sieben hatten eine Dosis erhalten, 12 waren vollständig geimpft.
Über das Risiko einer dritten Welle erklärte Ferguson, die Modelle „deuten auf die Gefahr einer beträchtlichen dritten Welle hin, (aber) wir können ihr Ausmaß nicht definitiv abschätzen – sie könnte deutlich geringer ausfallen als die zweite Welle oder das gleiche Ausmaß haben“.
Er betonte, es gebe noch „große Unsicherheit“ über die Frage, wie sich das Virus ausbreitet und wie sich dies auf die Hospitalisierungen auswirken wird. Die Zahl der Toten wäre angesichts der Impfungen „vermutlich niedriger“, aber „noch immer sehr beunruhigend“.
Das vorherrschende rechte, einschüchternde Klima gegen alle Ärzte und Wissenschaftler, die strengere öffentliche Gesundheitsmaßnamen vorschlagen, bedeutet jedoch, dass angesichts dieser gefährlichen Lage eine absurde Debatte darüber geführt wird, ob und wie lange der „Tag der Freiheit“, der für den 21. Juni geplant ist, hinausgezögert wird. Die Aufhebung der letzten Reste an Einschränkungen im Interesse der öffentlichen Gesundheit in weniger als einer Woche wäre zweifellos katastrophal. Doch die Fallzahlen steigen bereits unter dem derzeitigen Regime, in dem die Wirtschaft, Schulen, Hochschulen und Universitäten bereits größtenteils wieder geöffnet sind, exponentiell an.
Um den rasanten Anstieg unter Kontrolle zu bringen, ist es notwendig, die Schutzmaßnahmen zu verschärfen, damit das Impfprogramm sicher beendet werden und funktionierende Grenzkontrollen und Kontaktverfolgungsprotokolle etabliert werden können. Doch die Regierung interessiert sich nicht für steigende Infektionszahlen und ihre Folgen. Das Einzige, was sie interessiert, ist das Wachstum der britischen Wirtschaft um 2,3 Prozent im April durch die Wiederöffnung von Geschäften und Gastronomie. Dieses Wachstum war das schnellste seit letztem Juli, und das Anwachsen der Profite ist alles, was sie schützen wollen, egal wie viele Menschenleben es kostet.
Der gleiche Prozess entwickelt sich in Europa, wo die Regierungen den deutlichen Rückgang aufgrund der öffentlichen Gesundheitsmaßnahmen während der letzten Monate als Vorwand benutzen, diese Maßnahmen trotz der Delta-Variante zu beenden.
Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) lockern momentan 36 der 53 europäischen Staaten ihre Einschränkungen.
In Frankreich wurde diese Woche die Innengastronomie in Cafés und Restaurants erlaubt, Museen und Kinos durften mehr Besucher einlassen, Fitnessstudios durften öffnen, und die Ausgangssperre wurde von 21 Uhr auf 23 Uhr hinausgeschoben. Belgien und Italien haben ihre Ausgangssperren eingeschränkt und die Innenbewirtung in Bars und Restaurants wieder erlaubt. In Deutschland wurden die Schulen vollständig geöffnet, Maßnahmen zur Aufteilung von Klassen und Teilzeit-Unterricht aufgehoben und Einschränkungen des Reiseverkehrs gelockert.
Nur 35 Prozent der europäischen Bevölkerung sind geimpft und nur 20 Prozent vollständig. Deshalb wird sich die Delta-Variante in der Bevölkerung wie ein Lauffeuer ausbreiten und zahlreiche Hospitalisierungen und Todesopfer fordern. In Südwestfrankreich wurden bereits neue Infektionscluster gemeldet, und in Deutschland ist der neue Virenstamm offiziell für 2,5 Prozent aller Fälle verantwortlich.
Der Regionaldirektor der WHO für Europa, Hans Kluge, warnte letzte Woche, die Variante stehe kurz davor, sich in der Region festzusetzen, und erklärte, an diesem Punkt sei man schon einmal gewesen. Im Laufe des vergangenen Sommers seien die Fallzahlen allmählich in jüngeren und dann in älteren Altersgruppen wieder gestiegen. Die Folge sei ein verheerender Verlust an Menschenleben im Herbst und Winter 2020 gewesen. Man solle diesen Fehler kein zweites Mal machen. Er fügte hinzu, die Zahl der Impfungen sei noch lange nicht ausreichend, um die Region vor einem Wiederaufleben zu schützen... in der empfindlichen Bevölkerungsgruppe über 60 Jahren seien viele noch immer ungeschützt.
Die europäische herrschende Klasse interessieren diese Warnungen jedoch nicht im Geringsten. Stattdessen setzt sie die Bevölkerung unter Druck, um sie zu zwingen, „mit dem Virus leben zu lernen“.
In Amerika, wo die Delta-Variante laut den Centers for Disease Control and Prevention für sechs Prozent aller Fälle verantwortlich ist – d.h. sechsmal so viele wie vor einem Monat – ist die Gefahr noch akuter. In einigen Bundesstaaten im Westen des Landes ist die Delta-Variante für 18 Prozent aller Infektionen verantwortlich. Der Prozentsatz der vollständig Geimpften liegt etwa auf dem gleichen Niveau wie in Großbritannien, allerdings liegen die USA mit den Erstimpfungen um zehn Prozent hinter Großbritannien, und die Zahl der Neuimpfungen geht zurück.
Die einzige Perspektive, die zur Unterdrückung und Ausrottung von Covid-19 führen wird, ist ein globaler Kampf der Arbeiterklasse für den Sozialismus, durch den wirksame Einschränkungen zur Senkung der Infektionen und ein mit allen Ressourcen ausgestattetes öffentliches Gesundheitssystem durchgesetzt wird.