Laschet verlangt, „mit dem Virus zu leben“

Die hochansteckenden Delta-Variante breitet sich in Europa rasant aus, auch Deutschland droht eine vierte Corona-Welle. Trotzdem ist die herrschende Klasse entschlossen, ihre mörderische „Profite vor Leben“-Politik zu verschärfen. Dies machte der nordrhein-westfälische Ministerpräsident und Kanzlerkandidat der Union, Armin Laschet, am vergangenen Freitag im Landtag NRW deutlich.

In einer wütenden Rede erklärte er, es werde in Deutschland auch bei sehr hohen Inzidenzen keine neuen Lockdown-Maßnahmen mehr geben. „Dass im Herbst die Zahlen wieder steigen werden, ist doch klar,“ sagte er zynisch. „Aber die Frage ist, wie gehen wir dann damit um?“ Der Methode, „alles wieder zu schließen, werden wir nicht folgen. Wir werden alles tun, mit Viren zu leben.“

Dabei übte der mögliche nächste Bundeskanzler offen den Schulterschluss mit der rechtsextremen AfD, die seit langem das Ende aller Pandemie-Maßnahmen fordert. Er „stimme selten, eigentlich nie, der AfD zu“, beteuerte Laschet zunächst, um dann hinzuzufügen: „Sie haben heute einen wahren Satz gesagt: Immer wenn jemand ankommt und sagt, ,die Wissenschaft sagt‘, ist man klug beraten zu hinterfragen, was dieser gerade im Schilde führt...“ Denn in der Wissenschaft gebe es immer auch Minder- oder Einzelmeinungen.

Was Laschet als „Minder- oder Einzelmeinungen“ abtut, sind die Warnungen renommierter Virologen und Gesundheitsorganisationen vor einer massiven vierten Welle. Die Ausbreitung des Virus wird – wie im vergangenen Herbst – zu einem explosiven Ansteigen der Infektions- und Todeszahlen führen, wenn nicht die notwendigen Maßnahmen ergriffen werden. Die Lage in Europa ist bereits jetzt dramatisch, und es ist nur eine Frage der Zeit, bis auch in Deutschland die Zahlen wieder nach oben schnellen.

Ende letzter Woche wies der WHO-Regionaldirektor für Europa, Dr. Hans Henri Kluge, auf die gefährliche Situation in Europa hin. „Bis August wird in der Europäischen Region der WHO die Delta-Variante vorherrschend sein, doch wird unsere Region bis dahin noch nicht vollständig geimpft sein; und im August wird die Europäische Region immer noch weitgehend frei von Restriktionen sein, sodass die Bürger vermehrt reisen und sich in großen Gruppen versammeln werden.“

„Damit sind die drei Voraussetzungen für eine neue Welle mit vermehrten Krankenhauseinweisungen und Todesfällen erfüllt: neue Varianten, eine unzureichende Durchimpfung und verstärkte Sozialkontakte,“ warnte Kluge. Nach einem 10-wöchigen Rückgang der Fälle in ganz Europa sei die Zahl der Fälle in der letzten Woche um 10 Prozent gestiegen.

Am dramatischsten ist die Situation in Großbritannien. Am Sonntag lag der Sieben-Tage-Durchschnitt der täglichen Neuinfektionen bei 24.429, im Vergleich zu 14.623 eine Woche und knapp 4000 einen Monat zuvor. Nach Angaben der British Medical Association sind die COVID-19-Krankenhauseinweisungen in Großbritannien in der vergangenen Woche um 55 Prozent gestiegen.

Die Ausbreitung der Delta-Variante in Großbritannien ist eine Warnung für das, was der EU droht, die eine geringere Impfrate aufweist. Laut dem Europäischen Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) haben innerhalb der EU erst 40,1 Prozent der über 18-Jährigen zwei Dosen und damit den vollen Impfschutz erhalten. Im größeren europäischen Raum, einschließlich Russlands und anderer Nicht-EU-Staaten, sind laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sogar nur knapp ein Viertel aller Erwachsenen vollständig geimpft.

Dennoch beenden die europäischen Regierungen alle noch bestehenden Maßnahmen. Großbritannien plant trotz der Explosion der Infektionsraten am 19. Juli alle sozialen Distanzierungsmaßnahmen und sogar das Tragen von Masken zu beenden. Spanien und Frankreich – wo die Zahlen ebenfalls wieder ansteigen – verfolgen ähnliche Pläne. Alle nutzen dabei eine ähnliche Rhetorik wie Laschet. So erklärte der britische Gesundheitsminister Sajid Javid am Wochenende, die britische Bevölkerung müsse „lernen, mit dem Virus zu leben“.

Die britische medizinische Fachzeitschrift BMJ hat diese bewusste und anti-wissenschaftliche Politik der Durchseuchung als „sozialen Mord“ bezeichnet. Sie stellte die berechtigte Frage: „Wenn Politiker vorsätzlich wissenschaftliche Ratschläge, internationale und historische Erfahrungen und ihre eigenen alarmierenden Statistiken und Modellierungen ignorieren, weil diese ihrer politischen Strategie des Nichtstuns zuwiderlaufen – ist das rechtmäßig?“

Seit Ausbruch der Pandemie sind infolge der kriminellen Politik der herrschenden Klasse weltweit über vier Millionen Menschen gestorben. In Europa gab es offiziell über 1,1 Millionen Corona-Tote, davon mehr als 152.000 in Großbritannien, 127.000 in Italien, 111.000 in Frankreich und 91.000 in Deutschland. Der herrschenden Klasse sind diese schrecklichen Todeszahlen, die man sonst nur aus Kriegszeiten kennt, offenbar nicht genug.

Nach Laschets provokanten Äußerungen zeigten sich vor allem Vertreter von SPD, Linkspartei und Grünen, die in NRW in der Opposition sind, empört. Laschet habe einen „absoluten Tabubruch“ begangen und sich „zum Kronzeugen der AfD“ gemacht, erklärte etwa der SPD-Partei- und Fraktionschef Thomas Kutschaty.

„Das ist Wasser auf die Mühlen der AfD, das ist schlecht für unsere Demokratie, Herr Laschet“, so der SPD-Politiker weiter. Die AfD leugne in weiten Teil die Gefährlichkeit von Corona und sei „der parlamentarische Arm der Querdenker und Coronaleugner“.

Das ist pure Heuchelei. In Wirklichkeit verfolgen alle etablierten Parteien Laschets Corona-Kurs, der der Linie der AfD entspricht. So haben im vergangenen Jahr Vertreter aller Bundestagsparteien die rechtsextremen Corona-Demonstrationen unterstützt, die im Gegensatz zur großen Mehrheit der Bevölkerung das sofortige Ende aller Einschränkungen und sozialen Distanzierungsmaßnahmen verlangten.

Der SPD-Kanzlerkandidat und amtierende Finanzminister Olaf Scholz (SPD) warb bereits Ende April für das endgültige Ende aller Pandemiemaßnahmen. Er habe „keine Lust mehr auf diese Pandemie und ihre Einschränkungen“, erklärte er der Bild am Sonntag. Man müsse „als Regierung ... klare und mutige Öffnungsschritte für den Sommer festlegen“ und brauche „den Fahrplan zurück ins normale Leben, aber einen, der nicht nach ein paar Tagen widerrufen wird“.

Überall dort, wo Linkspartei und Grüne auf Landesebene (mit)regieren, verfolgen sie die gleiche Politik. In Baden-Württemberg treibt die Landesregierung des grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann in Zusammenarbeit mit Laschets CDU die Öffnungspolitik voran. Und in Thüringen regiert mit Bodo Ramelow eine „linker“ Ministerpräsident, der bereits im vergangenen Herbst das „schwedische Modell“ und damit die Strategie der Herdenimmunität gelobt hat.

Mit ihrer mörderischen Durchseuchungspolitik will die herrschende Klasse die gigantischen Summen, die im Zuge der sogenannten Corona-Notpakete vor allem an die großen Konzerne, Banken und Superreichen geflossen sind, wieder aus der Arbeiterklasse herauspressen.

Ein weiteres Ziel sind die geostrategischen und wirtschaftlichen Interessen des deutschen Imperialismus. Bezeichnenderweise haben sich die beiden Debatten der drei Kanzlerkandidaten Laschet, Scholz und Baerbock ausschließlich um die Frage der Außen- und Sicherheitspolitik gedreht. Die Rückkehr Deutschlands zu einer aggressiven Außen- und Großmachtpolitik erfordert auch im Innern eine Politik der Unterdrückung und Diktatur, die jeder humanen Politik diametral entgegensteht.

Angesichts dieser gefährlichen Entwicklung, die von der großen Mehrheit der Bevölkerung mit Sorge verfolgt wird, ist der Wahlkampf der Sozialistischen Gleichheitspartei von großer Bedeutung. Die SGP ist die einzige Partei, die der Politik der sozialen Angriffe, der inneren und äußeren Aufrüstung und des „sozialen Mords“ in der Pandemie entgegentritt und den wachsenden Widerstand der Arbeiterklasse auf der Grundlage eines internationalen sozialistischen Programms mobilisiert.

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