Der Direktor des Center for Infectious Disease Research and Policy (CIDRAP), Dr. Michael Osterholm, hat sich am Sonntag angesichts der steigenden Infektionszahlen in den USA ernüchternd über den Stand der Pandemie geäußert.
In einem Interview mit der NBC-Sendung „Meet the Press“ wurde Osterholm von Moderator Chuck Todd über die Richtlinien der Centers for Disease Control and Prevention (CDC) für Kinder unter 12 Jahren in Anbetracht der rapide steigenden Zahl von Infizierten und Krankenhauseinweisungen in dieser Altersgruppe befragt. Osterholm antwortete darauf: „Ich glaube, wir müssen das überdenken [...] Die Daten, auf denen unsere Empfehlungen zur Öffnung der Schulen basieren, stammen noch aus der Zeit vor der Alpha-Variante. [Die Delta-Variante] ist ein anderes Virus, das viel infektiöser ist.“
Osterholm wies darauf hin, dass zwar 50 Prozent der Bevölkerung vollständig geimpft sind, dass jedoch noch 90 Millionen, die geimpft werden könnten, noch nicht geimpft sind. Das bedeutet, dass eine große Anzahl Menschen weiterhin durch die umfassenden Folgen des Virus gefährdet ist. Wenn man zusätzlich berücksichtigt, dass die Impfstoffe für 48 Millionen Kinder unter 12 Jahren nicht geeignet sind, kann sich das Virus ungehindert in einem großen Teil der Bevölkerung ausbreiten und hat ausreichend Gelegenheit, zu mutieren.
Er erklärte, dass sich viele Menschen, im Unterschied zu früheren Varianten, bei Aktivitäten im Freien mit der Delta-Variante infiziert haben: „Ich möchte [...] auf etwas anderes hinweisen, was Ihnen dabei helfen wird, die Infektiosität dieses Virus zu verstehen – die Tatsache, dass wir immer mehr Infektionen über die Luft im Freien verzeichnen. Sie wissen ja, in den letzten Monaten hieß es, man wäre im Freien ziemlich sicher. Es gab einige Fälle, wo sich Menschen infiziert haben, wenn sie in großen Gruppen zusammen im Freien waren.
Und wenn das jetzt schon im Freien passiert, stellen Sie sich vor, was mit unseren Kindern passieren wird, wenn sie in Schulen eng zusammen sitzen [...] Wir müssen jetzt alles in unserer Macht Stehende tun, um dieses Virus unter Kontrolle zu bringen.“
Im Verlauf des Wochenendes bestätigten die Behörden in Lancaster County (South Carolina) den Tod eines 16-Jährigen durch Covid-19. Vor dieser Tragödie hatte der größte Schulbezirk im Bundesstaat nur neun Tage nach Beginn des Schuljahres den Präsenzunterricht aussetzen müssen, weil mehrere Beschäftigte und ein Schüler wegen Covid-19 ins Krankenhaus mussten. Aktuell wurden 142 Schüler des Bezirks positiv auf das Coronavirus getestet; der bisherige Höhepunkt waren 85 positiv Getestete im Januar 2021.
Die Schulbehörde von Ware County (Georgia) erklärte gegenüber der Presse, dass elf Schulen wegen schwerer Ausbrüche von Covid-19 für mindestens zwei Wochen geschlossen werden mussten. Insgesamt 76 Schüler wurden positiv getestet, 679 mussten wegen möglicher Kontakte in Quarantäne. Dazu wurden mindestens 67 Beschäftigte positiv getestet, weitere 150 mussten in Quarantäne. Die Infizierten und in Quarantäne Befindlichen machen 13 Prozent der Schülerschaft und 23 Prozent der Lehrerschaft aus. Die Schulen mussten weniger als zwei Wochen nach ihrer Öffnung am 4. August wieder schließen.
Dr. Osterholm wies darauf hin, dass die Qualität der benutzten Masken eine wichtige Frage ist. Abgesehen von der fehlenden Durchsetzung der Maskenpflicht ist auch der Einsatz relativ wirkungsloser Stoffmasken sehr problematisch, wenn es um die Bekämpfung eines Virus geht, das durch die Luft übertragen wird: „Wir haben wirklich nicht genug darauf geachtet, der Bevölkerung klarzumachen, dass sie viel effektivere Masken braucht, beispielsweise N95-Masken oder KN-95-Masken für Kinder.“
Trotzdem wehren sich viele Vertreter der Bundesstaatsregierungen selbst gegen den beschränkten Schutz durch diese Maßnahmen. Die Lage in Texas ist wohl besonders beispielhaft für diese Gefahren. Der republikanische Gouverneur Greg Abbott und sein Justizminister Ken Paxton führen einen Krieg gegen die Gerichte, die sich gegen ihre Bemühungen wehren, die Masken zu verbieten. Unterdessen hat der Bezirksrichter von Dallas, Clay Jenkins, am Wochenende die drastische Warnung ausgesprochen, es seien „keine Intensivpflegebetten für Kinder mehr vorhanden.“
Er erklärte: „Das bedeutet: Wenn Ihr Kind in einen Autounfall verwickelt wird, einen angeborenen Herzfehler oder sonst was hat und ein Intensivpflegebett braucht, oder wenn es wegen Covid ein Intensivpflegebett braucht – was wahrscheinlicher ist –, dann haben wir keins. Ihr Kind wird warten müssen, bis ein anderes Kind stirbt. Ihr Kind wird nicht ans Beatmungsgerät angeschlossen, Ihr Kind wird nach Temple oder Oklahoma City oder wohin auch immer gebracht werden, wo wir ein freies Bett finden. Aber hier bekommen sie keins, wenn nicht eins frei wird.“
Osterholm gab in seinen einleitenden Bemerkungen wichtige Einblicke zum beunruhigenden Stand der Pandemie, der die Gefahren bei der Wiederöffnung der Schulen noch weiter verstärkt. Er erklärte: „Wenn man sich diese Welle anschaut, ist es eigentlich eine Serie von verschiedenen gleichzeitigen Ereignissen. Zuerst haben wir Bundesstaaten im südlichen Sun Belt, wo sich – wie wir alle wissen – die Fallzahlen wirklich dramatisch erhöhen. Wenn man sich jetzt den Bundesstaat Louisiana anschaut, hat er zusammen mit dem Land Georgien die höchste Infektionsrate weltweit.“
Weiter erklärte er: „Jetzt erleben wir jedoch, dass es in diesen Staaten zwar etwas abflacht, dass es aber dafür im Südosten – in Georgia, South Carolina, North Carolina, Kentucky, Tennessee und im südlichen Illinois – schlimmer wird. Wir erleben es in den nordwestlichen Bundesstaaten wie Oregon und Washington. Sogar im mittleren Westen steigen die Fallzahlen.“
Er verwies auf den dramatischen landesweiten Anstieg der Corona-Hospitalisierungen auf 83.000 am Montag, der hauptsächlich auf die südlichen Sun-Belt-Staaten zurückgeht. Im Vergleich dazu waren es vor einem Monat nur etwa 25.000. „Das gibt einem einen Eindruck davon, was im letzten Monat passiert ist. Und wenn es in diesen anderen Staaten losgeht, kann die Welle noch vier oder sechs Wochen andauern.“
Die CDC berichteten vor Kurzem, dass die Delta-Variante mittlerweile für mehr als 97 Prozent aller Infektionen im Land verantwortlich ist. Dass die Alpha- und Gamma-Varianten so gut wie verschwunden sind, verdeutlicht die aggressive Natur dieser neuen Variante: Sie hat alle anderen Varianten in nur drei Monaten verdrängt.
Laut dem Covid-Tracker der New York Times ist die Zahl der täglichen Neuinfektionen auf fast 130.000 angestiegen, d.h. 65 Prozent mehr als vor zwei Wochen. Die Zahl der Todesfälle durch Covid-19, die hinter den Infektionen zurückbleibt, hat einen Durchschnitt von 655 pro Tag (4.500 pro Woche) erreicht, d.h. 113 Prozent mehr als vor zwei Wochen.
Im ganzen Land werden mehr Kinder ins Krankenhaus eingewiesen als je zuvor und mit noch schwereren Erkrankungen. Linda Young, die seit 37 Jahren als Atemtherapeutin arbeitet, erklärte gegenüber der Washington Post: „So etwas habe ich noch nie erlebt!“ Sogar junge, gesunde Kinder ohne Vorerkrankungen werden krank. Die Hospitalisierungsraten von Kindern schießen in die Höhe, sie haben den Höhepunkt im Winter um mehr als 20 Prozent überschritten und steigen weiter an.
Der amerikanische Kinderärzteverband (American Academy of Pediatrics), der durchgehend wichtige Aktualisierungen veröffentlicht, wies darauf hin, dass es in der ersten Juli-Woche landesweit etwa 12.000 Fälle von Covid-19 bei Jugendlichen unter 17 Jahren gab. Diese Zahl stieg in der ersten Augustwoche um das Achtfache auf 96.000 an. Diese Zahl repräsentiert 15 Prozent aller Neuinfektionen, d.h. Kinder machen einen größeren Anteil an den Covid-19-Fällen aus als zu irgendeinem früheren Zeitpunkt der Pandemie.
Am Samstag stieg die Zahl der Kinder, die wegen Covid-19 ins Krankenhaus eingewiesen wurden, mit landesweit über 1.900 auf eine neue Höchstzahl. Zusätzlich wurden in der ersten Augustwoche 310 Kinder ins Krankenhaus eingewiesen, d.h. 44 pro Tag. Jetzt, wo sich viele Schulen auf den Präsenzunterricht vorbereiten, wird das Leben von Kindern, ihren Familien und Gemeinden dramatisch und tragisch beeinträchtigt werden. Dazu gehört auch das Gesundheitswesen, das wieder mit einem Anstieg der Fallzahlen konfrontiert ist; die Zahl der belegten Betten wird wieder an die Kapazitätsgrenze stoßen.
Angesichts der Tatsache, dass ein Bundesstaat nach dem anderen ohne Rücksicht auf steigende Infektionszahlen die Wiederaufnahme des Präsenzunterrichts vorbereitet, hat Osterholms Einschätzung beträchtliche Implikationen. Während der Pandemie haben Politiker und Vertreter der Bundesstaatsregierungen und Kommunen immer versucht, die Rolle von Kindern bei der Ausbreitung der Pandemie und die Auswirkungen einer Infektion bei Kindern zu verharmlosen. Diese Behauptungen sind nicht mehr haltbar. Das hat aber den rücksichtslosen und kriminellen Kurs auf die Wiederöffnung der Schulen nicht aufgehalten.
Dr. Osterholm schlug diesmal, im Gegensatz zu seinen Empfehlungen während der Welle im Winter, keine Lockdowns von Arbeitsplätzen und Schulen vor. Dennoch zeichnen seine Warnungen ein düsteres Bild der kommenden Monate, wenn diese Maßnahmen nicht schnell beschlossen und umgesetzt werden. Seine Einschätzung ist eine klare, aber nachdrückliche Mahnung, was getan werden muss, um die drohende Katastrophe zu verhindern.
Unter diesen Bedingungen ist das Beharren der Lehrergewerkschaften auf der Öffnung der Schulen nichts anderes als kriminell. Die Präsidentinnen der American Federation of Teachers, Randi Weingarten, und der National Education Association, Becky Pringle, haben in den letzten Tagen ihre Forderung bekräftigt, Lehrkräfte, Schulpersonal und Schüler zur Rückkehr in unsichere Schulen zu zwingen, damit ihre Eltern an unsicheren Arbeitsplätzen weiter Profite für die Wirtschaftselite erarbeiten können.
Nicht einmal das Leben von wehrlosen Kindern wird verschont, wenn es darum geht, die Aktienkurse und die Vermögen der herrschenden Klasse weiter in die Höhe zu treiben. Und die so genannten Gewerkschaften machen sich zu Gehilfen bei dieser Politik des sozialen Mords.
Diese Politik des Massensterbens muss beendet werden! Die Socialist Equality Party fordert Lehrkräfte, Eltern und alle anderen Arbeiter auf, Aktionskomitees zu gründen, um einen nationalen und internationalen Kampf gegen die Wiederöffnung der Schulen zu führen, volles Einkommen und Unterstützung für alle betroffenen Arbeiter zu organisieren und die vollständige Finanzierung des Distanzunterrichts zu fordern, bis die Pandemie eingedämmt ist.