Neue Waldbrände in Attika

In Griechenland wächst die Wut über die Verwüstungen durch die Feuer

Seit zwei Tagen kämpfen griechische und polnische Feuerwehrleute gemeinsam gegen neue Waldbrände in der Region Attika, nahe der Hauptstadt Athen. Ein großes Feuer brach in Vilia aus, griff auf den Berg Patera über und wütet dort in dem dichten Pinienwald. Bis Dienstagabend mussten fünf Siedlungen und ein Pflegeheim evakuiert werden. Ein weiteres Feuer war zuvor im Süden Attikas im Ort Keratea ausgebrochen und bedroht einen Nationalpark in der Region Lavreotiki.

In den vergangenen Wochen wurden in Griechenland mehr als 500 Waldbrände registriert. Ein Bericht des Europäischen Waldbrandinformationssystems (EFFIS) macht das ganze Ausmaß der Zerstörung deutlich. Demnach wurden zwischen dem 29. Juli und dem 12. August mehr als 100.000 Hektar Wald- und Ackerland dem Erdboden gleichgemacht. Das sind 90 Prozent der gesamten Fläche, die seit Jahresbeginn durch Brände zerstört wurde, und übertrifft um ein Vielfaches die 2.750 Hektar, die durchschnittlich im gleichen Zeitraum in den Jahren 2008 bis 2020 abbrannten.

Die Hauptlast der Zerstörung traf den nördlichen Teil der Insel Euböa vor der Nordostküste Attikas. Nach einer Auswertung von Satellitenbildern durch Copernicus, dem Erdbeobachtungsprogramm der Europäischen Union, sind dort seit Anfang August mindestens 50.000 Hektar verbrannt. Das Feuer in Euböa wurde als das größte in der modernen griechischen Geschichte bezeichnet.

Ein Mann kämpft gegen ein Feuer im Dorf Kirinthos auf der Insel Euböa, 6. August 2021 (AP Photo/Thodoris Nikolaou)

Dass die Brände so heftig wüten konnten, hing auch mit der schlimmsten Hitzewelle in den letzten 30 Jahren mit Rekordtemperaturen von über 40 Grad Celsius zusammen.

In seiner Ansprache an die Nation letzte Woche versuchte Premierminister Kyriakos Mitsotakis von der rechten Nea Dimokratia (ND), seine Regierung von jeglicher Verantwortung für die Katastrophe freizusprechen. Er heuchelte Mitgefühl mit den Tausenden Menschen, die ihre Häuser und ihr Eigentum verloren haben, und sagte, das Land sei „mit einer Naturkatastrophe von noch nie dagewesenem Ausmaß“ konfrontiert. Die Feuerwehrleute kämpften mit „übernatürlichen Mächten, die oft ihre Kräfte übersteigen“, so Mitsotakis.

Es besteht kein Zweifel, dass der Klimawandel die Hauptursache für die Brände ist. Aber die Ereignisse haben sich nicht in einem Vakuum entwickelt. Sowohl der Klimawandel als auch die Unfähigkeit der Regierung, auf seine tödlichen Auswirkungen zu reagieren, sind die Folge der anarchischen kapitalistischen Produktionsweise. Die Zerstörung der Umwelt wird einfach als Geschäftskosten abgebucht.

Es waren nicht „übernatürliche Kräfte“, die den Einsatz der Feuerwehr behinderten, sondern jahrzehntelange Sparmaßnahmen, die die Feuerwehr dezimiert haben. Zwischen 2010 und 2020 haben griechische Regierungen auf Geheiß der Europäischen Union und des Internationalen Währungsfonds im Rahmen der Sparpakete insgesamt 1,1 Milliarden Euro für den Forstschutz und die Waldbrandbekämpfung gestrichen. Dieser Trend setzt sich fort, nachdem die Forstschutzbehörden für dieses Jahr nur 1,7 Millionen Euro erhalten haben, obwohl sie 17 Millionen Euro beantragt hatten.

Die Folgen sind verheerend. Die Försterstationen in Griechenland sind hoffnungslos unterbesetzt. Viele haben keinen einzigen hauptamtlichen Förster vor Ort – wie Försterstation die auf dem Berg Parnitha in der Nähe von Athen, wo diesen Monat ein Feuer ausbrach. Der Feuerwehr fehlen Berichten zufolge 4.000 Leute. Zudem verlässt man sich zu sehr auf Saisonarbeiter und freiwillige Feuerwehrleute, während das Durchschnittsalter der hauptamtlichen Mitarbeiter bei 45 Jahren liegt.

Viele Anwohner haben live im Fernsehen den Personalmangel bei der Feuerwehr angeprangert. Als die Feuer vorrückten, mussten viele Menschen evakuiert werden oder waren im Kampf gegen die Flammen auf sich allein gestellt. Der stellvertretende Bürgermeister des Dorfes Afidnes, 27 Kilometer nördlich von Athen, wo in der ersten Augustwoche ein Feuer ausbrach, erklärte wütend gegenüber Open TV: „Seit drei Stunden ist kein einziges Löschfahrzeug hier. Seit drei Stunden bitten wir um Hilfe! Das Feuer ist außer Kontrolle, und wir haben nicht die Mittel, um es zu kontrollieren. Die einzigen, die das Feuer bekämpfen, sind [freiwillige Feuerwehreinheiten]. Uns wurden 1.000 Polizisten geschickt, die nichts tun! Ich möchte, dass die Feuerwehr das Dorf rettet, was auch immer gerettet werden kann, denn das Feuer hat das Dorf erreicht.“

Ein weiteres Indiz für die chronische Unterfinanzierung sind veraltete Feuerwehrfahrzeuge, von denen nur 15 Prozent zehn Jahre oder jünger sind. Ein besonders gravierendes Beispiel sind auch die 18 Canadair-Löschflugzeuge in der griechischen Flotte, von denen die meisten aus dem Jahr 1979 stammen. Seit 2000 wurden keine neuen Modelle mehr gekauft. Wegen der häufigen Pannen und Reparaturen sind zahlreiche Flugzeuge ständig außer Dienst. Ein ehemaliger Canadair-Pilot sagte der Online-Nachrichtenseite news247.gr: „Die Canadair-Maschinen können theoretisch von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang fliegen, aber nicht die, die wir in Griechenland haben, weil sie sehr alt sind. Stellen Sie sich mal vor, dass es schon Probleme mit den Maschinen gab, als ich sie in den 1990er Jahren flog, und seither sind 30 Jahre vergangen.“

Ein weiteres Problem, das die Effektivität der älteren Canadair-Flugzeuge einschränkt: Ihre Triebwerke sind nicht für Temperaturen über 38 Grad ausgelegt, was ihren Einsatz während der Hitzewelle, als die Brände wüteten, beeinträchtigte.

Da die Wut unter den Arbeitern brodelt, hat sich die pseudolinke Oppositionspartei Syriza eingeschaltet, um den Widerstand einzudämmen. Letzte Woche erklärte der Syriza-Vorsitzende Alexis Tsipras auf einer Pressekonferenz, dass die Regierung eine „kriminelle Verantwortung“ für die Katastrophe trage. Tsipras weigerte sich jedoch, die Absetzung der Regierung zu fordern, und erklärte, er werde nicht dem „ausgetretenen Pfad“ der Rücktrittsforderungen folgen.

Er rief stattdessen zur Einigkeit und zur Ausarbeitung eines parteiübergreifenden nationalen Plans zur Bekämpfung des Klimawandels auf. Außerdem warb er dafür, Syrizas Vorschläge zur Überholung, Modernisierung und besseren Koordinierung des nationalen Katastrophenschutzes umzusetzen. Solche Phrasen kosten Tsipras nichts und stehen in krassem Gegensatz zu seiner eigenen Bilanz in der Regierung.

Nachdem die Regierung Tsipras im Sommer 2015 ihre Versprechen zur Beendigung des Sparkurses aufgegeben hatte, unterzeichnete sie ein drittes Rettungspaket der Troika aus EU, IWF und Europäischer Zentralbank, das mit drastischen Sparmaßnahmen verknüpft war.

Tsipras und Syriza, die sich seit langem als Umweltpartei präsentiert, tragen selbst die „kriminelle Verantwortung“ für den Waldbrand im Sommer 2018 in Mati, einem kleinen Küstenort wenige Kilometer außerhalb von Athen, bei dem über 100 Menschen ums Leben kamen. Danach haben sie als einzige Maßnahme eine unabhängige Untersuchung der Katastrophe angeordnet, deren Ergebnisse Anfang 2019 veröffentlicht wurden – wenige Monate vor den Wahlen, bei denen Tsipras wusste, dass er verlieren würde.

Zweifellos wird auch die ND-Regierung die bewährte Verzögerungstaktik einer Untersuchung ins Auge fassen. Mitsotakis hat bislang vage erklärt, dass „jegliche Versäumnisse [bei der Reaktion der Regierung] festgestellt werden“. Auch seine Zusage, dass alle verbrannten Waldflächen wieder aufgeforstet werden sollen, ist unglaubwürdig. Ein Großteil der griechischen Waldflächen sind nicht offiziell als solche definiert, sodass ihr Status im Laufe der Jahre umstritten war. Am 6. August, einen Tag nachdem Mitsotakis sein Vorhaben für die Wiederaufforstung verkündete, wurde der Status eines Waldes, der 2012 in der Nähe der Stadt Kastri auf der Insel Kreta abgebrannt worden war, widerrufen und damit eine Zusage der örtlichen Behörde zur Wiederaufforstung des Gebiets aufgehoben.

Um von der Rolle der Regierung abzulenken, haben mehrere Kommunalpolitiker wie der Präfekt von Attika, Giorgos Patoulis (ND), die Möglichkeit einer gezielten Brandstiftung ins Spiel gebracht. In einem Leitartikel der rechtskonservativen Estia, der ältesten Tageszeitung Griechenlands, wurden sogar Verschwörungstheorien verbreitet, wonach der türkische Geheimdienst hinter den Bränden stecken könnte.

Die Regierung hat sich verpflichtet, Brandstiftung als Straftatbestand einzuführen, und der Staatsanwalt des Obersten Gerichtshofs, Vassilis Pliotas, hat eine Untersuchung wegen möglicher Brandstiftung angeordnet.

Die Presse begleitet diese Kampagne mit Berichten über Personen, die wegen des Verdachts auf Brandstiftung verhaftet wurden. Viele mussten aber aus Mangel an Beweisen wieder freigelassen werden. Zahlreiche Berichte konzentrierten sich auf den Fall einer afghanischen Flüchtlingsfrau, die am 6. August versucht haben soll, Bäume im Hain um den Pedion-Areos-Park im Zentrum Athens anzuzünden. Es wird behauptet, dass sie Teil einer kriminellen Verschwörung sei, dabei leidet sie unter psychischen Problemen. Das Feuer wurde schnell gelöscht und war im Vergleich zu den Infernos, die im ganzen Land wüteten, ein unbedeutendes Ereignis.

Der Versuch der Regierung, Brandstiftung für die Brände verantwortlich zu machen, sollte als Warnung verstanden werden. In einem Leitartikel von Estia hieß es, das Land habe „unbekanntes Terrain betreten, das zu sozialen Unruhen führen kann“. Estia enthüllte, dass einige Regierungsbeamte dem Premierminister geraten hatten, sich auf Artikel 48 der Verfassung zu berufen, um offiziell den „Belagerungszustand“ auszurufen, die Verfassung teilweise außer Kraft zu setzen und per Dekret zu regieren, was Estia als „demokratische Diktatur“ bezeichnete.

Der Sprecher der ND, Tassos Gaitanis, wies solche Behauptungen zwar als „Farce“ zurück, doch stehen sie im Einklang mit dem autoritären Kurs der Regierung, wie das drakonische neue Gesetz gegen Demonstrationen zeigt, das die Regierung letztes Jahr verabschiedet hat.

Ein aktueller Bericht von Amnesty International dokumentiert die zunehmende Polizeibrutalität im Zuge der neuen Gesetzgebung und unter dem Deckmantel des zweiten Corona-Lockdowns. In dem Bericht heißt es: „Im November und Dezember 2020 verhängten die griechischen Behörden Strafen gegen friedliche Demonstranten oder Personen, die zur Teilnahme an friedlichen Protesten aufriefen. Menschenrechtsanwälte, Frauenrechtlerinnen, Gewerkschafter und Mitglieder politischer Parteien wurden willkürlich verhaftet und kriminalisiert, weil sie angeblich gegen die öffentlichen Gesundheitsvorschriften verstoßen hatten, und erhielten ungerechtfertigte Bußgelder.“

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