Mindestens 72 Tote durch Bombenanschläge und Schießereien in Kabul

Am Donnerstag verübten mehrere Terroristen einen – in den Worten des US-Militärs – „komplexen Anschlag“ auf einen Kontrollpunkt an einem Gate des Kabuler Flughafens und auf ein nahegelegenes Hotel. Dabei kam es zu zahlreichen Toten und schweren Zerstörungen.

Rauch einer verheerenden Explosion außerhalb des Flughafens von Kabul am 26. August 2021 (AP Photo/Wali Sabawoon)

Laut anonymen Mitarbeitern örtlicher Gesundheitsbehörden wurden mindestens 60 Afghanen getötet und weitere 140 verwundet. Das Pentagon erklärte, dass 12 US-Marines starben und weitere 15 verwundet wurden. Da sich viele der Verwundeten in kritischem Zustand befinden, könnte die Zahl der Toten noch deutlich steigen.

Vermutlich haben mindestens zwei Selbstmordattentäter Sprengstoffgürtel gezündet, während sie am Abbey Gate des Flughafens von US-Marines überprüft wurden. Ein weiterer Anschlag, der von einem Selbstmordattentäter oder mit einer Autobombe verübt wurde, ereignete sich etwa 90 Meter weit entfernt vor dem Baron Hotel. Gleichzeitig wurde auf die Menschenmenge geschossen, die vor dem Gate darauf wartete, Zugang zum Flughafen und den Evakuierungsflügen zu erhalten.

Nachdem die Bomben explodiert waren, eröffneten US-Soldaten das Feuer, um das Gebiet zu räumen. Ob ein Teil der Todesopfer auf diese Schüsse zurückgeht, ist noch nicht klar.

Eine Gruppe, die sich Islamischer Staat-Chorasan (IS-K) nennt, übernahm später die Verantwortung für den Anschlag. Die Gruppe gilt als regionaler Ableger des IS; Chorasan ist der antike Name der zentralasiatischen Region, zu der Afghanistan gehört.

Die Taliban, die die Biden-Regierung als „erbitterten Feind“ des Islamischen Staats bezeichnet, verurteilten den Anschlag. Taliban-Sprecher Suhail Shaheen erklärte auf Twitter: „Das Islamische Emirat verurteilt aufs Schärfste den Bombenanschlag auf Zivilisten in einem Teil des Flughafens von Kabul, in dem US-Truppen für die Sicherheit zuständig sind.“

Ein Vertreter der Taliban erklärte gegenüber der Washington Post, die Gruppe habe „eine Untersuchung eingeleitet, um die Herkunft und Ursache der Explosionen zu ermitteln“.

Einen Tag vor dem Anschlag veröffentlichte die amerikanische Botschaft in Kabul, die auf den Flughafen verlegt wurde, eine offizielle Warnung an Amerikaner, sich vom Flughafen fernzuhalten, wenn sie nicht einen geplanten Flug antreten müssten. Sie forderte außerdem alle US-Staatsbürger auf, die Gates zum Flughafen „sofort zu verlassen“, und nannte als Grund die unmittelbare Gefahr eines Terroranschlags.

Die 12 Marines waren die ersten Todesopfer unter US-Soldaten, seit die Trump-Regierung im Februar 2020 ein Friedensabkommen mit den Taliban unterzeichnet hatte. Darin versprach die islamische Gruppe, Anschläge auf US-Truppen einzustellen, wenn diese bis zum 1. Mai 2021 zurückgezogen werden.

Präsident Biden hat mehrfach erklärt, dieses Abkommen zwinge ihn, den Abzug zu Ende zu bringen – was Ende Juli geschah – oder das Abkommen aufzukündigen und den uneingeschränkten Krieg in Afghanistan wiederaufzunehmen.

Das Blutbad am Flughafen löste im Washingtoner Staatsapparat politische Schockwellen aus. Nur 15 Minuten bevor sich Biden mit dem neuen israelischen Ministerpräsidenten Naftali Bennett treffen sollte, kündigte das Weiße Haus die Verschiebung des Treffens auf Freitag an. Auch weitere Treffen wurden abgesagt, da die obersten Vertreter des nationalen Sicherheitsapparats auf die Krise reagieren mussten.

Um 17 Uhr Washingtoner Ortszeit trat Biden endlich vor die Fernsehkameras. Er verurteilte den Anschlag und erklärte, die Evakuierungsflüge würden unbeirrt fortgesetzt. Er erklärte, seit Beginn der Flüge am 14. August hätten knapp über 100.000 Menschen Afghanistan verlassen, weitere 7.000 seien am Donnerstag vom Flughafen ausgeflogen worden.

Die Forderungen republikanischer Kongressabgeordneter, die Frist für den Abzug der US-Truppen am 31. August aufzugeben, lehnte er ebenso ab wie die Forderungen, weitere Soldaten auf den Flughafen zu schicken und ihre Operationen auf Kabul auszuweiten oder den Luftwaffenstützpunkt Bagram zurückzuerobern. Dieser riesige Komplex nördlich der Hauptstadt beherbergte lange Zeit das Hauptquartier des US-Militärs in Afghanistan.

Biden verteidigte den Kurs, die Taliban-Kräfte für die Sicherheit um das US-Gebiet auf dem Flughafen sorgen zu lassen, und erklärte, es gebe keine Alternative. Weiter erklärte er, zwischen den Taliban und dem IS gäbe es seit langer Zeit Konflikte. Er drohte mit Militärschlägen gegen den IS und drohte: „Wir werden zu gegebener Zeit mit Gewalt und Präzision reagieren, wann und wo wir es beschließen.“

Bei einer früheren Pressekonferenz hatte General Frank McKenzie, der Befehlshaber des US Central Command und Leiter der Operationen am Kabuler Flughafen, erklärt, man habe in den letzten vier Tagen vor dem Abzug der US-Truppen am 31. August mit Terroranschlägen gerechnet.

Er ging auf das faktische Bündnis zwischen dem US-Militär und den Taliban ein und erklärte, US-Kommandanten würden regelmäßig mit der islamischen Gruppe verhandeln, die „tatsächlich für die äußere Sicherheit des Flughafens zuständig ist... und wir werden uns weiter mit ihnen abstimmen, während sie vorrücken“.

Er erklärte, die Leibesvisitationen an den drei Gates des Flughafens seien von entscheidender Bedeutung für die Sicherheit am Flughafen und vor allem für die Flugzeuge, die die Evakuierungsflüge durchführen: „Es soll ja keiner mit einer Bombe an Bord kommen. Ein Anschlag auf ein Flugzeug könnte zu einer enormen Zahl von Toten führen.“

Er erklärte, eine weitere Gefahr auf dem Flughafen gehe von Raketenangriffen aus, und stellte fest, die US-Truppen hätten „dagegen ziemlich guten Schutz. Wir haben Raketenabwehrsysteme, die nachweislich effektiv sind. Wir glauben, wir wären gut auf einen solchen Angriff vorbereitet.“

Auf die direkte Frage eines Reporters des Wall Street Journal, ob die Taliban den Attentäter durch den amerikanischen Kontrollpunkt gelassen haben, erklärte McKenzie kategorisch: „Ich glaube nicht, dass mich irgendetwas davon überzeigen könnte, dass sie das zugelassen haben.“

Er deutete auch an, dass die Evakuierungsflüge zunehmend auch US-Soldaten und amerikanische und afghanische Zivilisten aufnehmen werden, damit die Frist für den Abzug bis zum 31. August erfüllt werden kann. Die Planungen des Militärs seien komplex, weil sie „darauf ausgelegt sind, die Zahl der Evakuierten zu maximieren, während wir gleichzeitig beginnen, die Bodenstreitkräfte abzuziehen. Wir wissen, dass es notwendig ist, eine Balance zwischen beidem zu finden.“

Ein weiterer Kommentar McKenzies verdeutlichte den gefährlichen Charakter des US-Einsatzes auf dem Flughafen. Er erklärte, der US-Militärgeheimdienst konzentriere sich auf „jedes Zeichen möglicher Bedrohungen für Flugzeuge“, weil diese „für uns der einzige Weg sind, dort wegzukommen“.

Während die amerikanischen Medien unkritisch die offizielle Behauptung nachplappern, der Anschlag sei vom IS-K verübt wurden, sind die tatsächlichen Umstände äußerst undurchsichtig. Der IS-K hat sich in den letzten Jahren in Afghanistan angeblich zu einem erklärten Gegner der Taliban entwickelt und Anschläge verübt, die in Wirklichkeit der US-Marionettenregierung genützt haben.

Der IS selbst, eine Abspaltung von al-Qaida, wurde von Saudi-Arabien und Katar, Verbündeten der USA, im Kampf gegen die syrische Regierung von Baschar al-Assad unterstützt. Später geriet er in Konflikt mit dem US-Militär, nachdem er die irakisch-syrische Grenze überschritten hatte und das US-Marionettenregime in Bagdad bedrohte.

Alle islamischen fundamentalistischen Terror- und Milizorganisationen haben ihren Ursprung im Guerillakrieg in Afghanistan von 1979 bis 1987, den die USA gegen die von der Sowjetunion gestützte Regierung in Kabul unterstützte. Dort gründete Osama bin Laden al-Qaida, und nach dem Abzug der sowjetischen Truppen entstanden daraus die Taliban, die vom US-Verbündeten Pakistan unterstützt wurden.

Aufgrund dieser langen Beziehungen und wechselnden Bündnisse lässt sich unmöglich bestimmen, wer die wirklichen Verantwortlichen für den Bombenanschlag vom Donnerstag und wer ihre Geldgeber und Hintermänner sind. Doch der Anschlag ist ein weiterer Beitrag zu dem Blutvergießen und Leiden, das der amerikanische Imperialismus in einem Land verursacht, das seit mehr als 40 Jahren von Krieg und ausländischen Interventionen zerrissen wird.

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