Perspektive

US-Lehrergewerkschaften betreiben Öffnung von Schulen trotz Corona

Die American Federation of Teachers (AFT) und die National Educators Association (NEA) setzen sich vehement für einen uneingeschränkten Präsenzunterricht in den USA ein. Diese Politik ist ein sicheres Mittel dafür, dass die Infektionen, Erkrankungen und Todesfälle unter Lehrern, Kindern und der Bevölkerung insgesamt wieder stark zunehmen.

Schüler auf dem Weg zum Coronatest, White School in Holyoke, Massachusetts, 4. August 2021 (AP Photo/Charles Krupa)

Die Ausbreitung der hochansteckenden Delta-Variante hat in den USA zu einem Anstieg der Todesfälle auf mittlerweile um die Tausend pro Tag geführt. Die Gesamtzahl der Krankenhauseinweisungen wegen Covid-19 hat sich im letzten Monat verdreifacht. Im gleichen Zeitraum stieg die Zahl der Kinder, die ins Krankenhaus eingeliefert wurden, auf fast 2.200 – eine Zunahme um mehr als 50 Prozent seit Anfang August. Täglich werden durchschnittlich 313 Kinder ins Krankenhaus eingeliefert, und in der vergangenen Woche starben mindestens 24.

Kinder unter diesen Bedingungen zurück in die Schulen zu schicken, ist schlicht kriminell. Etwa 28 Millionen Schulkinder im Alter von 5 bis 11 Jahren können derzeit noch nicht geimpft werden, und nur ein Drittel der 12- bis 15-Jährigen hat bislang eine Impfung erhalten.

Kinderärzte und Wissenschaftler schlagen Alarm. „Es ist beängstigend, dass die Zahl und der Schweregrad der Covid-19-Fälle bei Kindern mit der Delta-Variante steigt und so viele Kinder noch immer ungeschützt sind“, erklärte Dr. Nusheen Ameenuddin, Kinderärztin an der Mayo Clinic, gegenüber CNBC. „Die Pandemie hat nie aufgehört, und leider genügt ein einziges Streichholz, um das Inferno neu zu entfachen.“

„In den ersten neun Schultagen gab es in den öffentlichen Schulen von Duval County 503 nachgewiesene Infektionen mit dem Coronavirus“, berichtete Dr. Mobeen Rathore vom Wolfson Children's Hospital in Jacksonville, Florida, gegenüber CNN. „Wir bereiten uns nicht nur auf akut erkrankte Kinder vor, sondern auch auf MIS-C“, sagte er mit Bezug auf das Entzündungssyndrom bei Kindern, das durch Covid-19 verursacht wird. Nach Angaben der US-Gesundheitsbehörden sind bereits 4404 Kinder an MIS-C erkrankt und mindestens 37 daran gestorben.

Die Gewerkschaften AFT und NEA, die fälschlicherweise behaupten, fast 5 Millionen Lehrkräfte und andere Schulangestellte zu vertreten, sind weit davon entfernt, sich dieser wahnwitzigen Politik des Todes zu widersetzen. Sie setzen sich sogar energisch dafür ein.

Die Vorsitzende der AFT, Randi Weingarten, reist derzeit auf einer „Back to School for All“-Tour durch 20 US-Bundesstaaten, um für Präsenzunterricht zu werben. Die AFT hat ihren Ortsverbänden für diese Kampagne 5 Millionen Dollar zur Verfügung gestellt. Lokale Gewerkschaftsverbände in New York und anderen Bundesstaaten produzieren Werbevideos, um besorgte Eltern davon zu überzeugen, dass sie ihre Kinder unbesorgt zur Schule schicken können.

„Unsere Mitglieder gehen von Tür zu Tür und reden mit den Eltern, um sie wieder in die Schule zu bringen“, brüstete sich Weingarten gegenüber der New York Times.

Letzte Woche besuchte die Gewerkschaftsvorsitzende zusammen mit dem Bildungsminister der Biden-Regierung, Miguel Cardona, eine Grundschule in der Bronx. Sie warb für den Plan des New Yorker Bürgermeisters Bill de Blasio, den größten Schulbezirk der Nation am 13. September wieder zu öffnen. Fernunterricht soll es für die 1,1 Millionen Schüler der Stadt nicht geben.

Der Bürgermeister der Demokratischen Partei versprach, dass er in diesem Jahr keine „störenden“ Schulschließungen zulassen werde. Wenn jemand positiv getestet wird, müssen nur ungeimpfte enge Kontaktpersonen für zehn Tage in Quarantäne. Und dies, obwohl die Delta-Variante von geimpften Erwachsenen ebenso verbreitet werden kann wie von nicht geimpften.

Um diese verbrecherische Politik zu rechtfertigen, heuchelt Weingarten Sorge über die emotionalen und pädagogischen Auswirkungen des Fernunterrichts auf Schüler aus einkommensschwachen Familien. „Kinder brauchen das soziale und emotionale Umfeld, das das Lernen in der Schule mit sich bringt“, erklärte sie in Cincinnati (Ohio).

Aus dem Mund der Multimillionärin Weingarten sind solche Warnungen ebenso heuchlerisch wie in den Reden der Politiker von Demokraten und Republikanern und natürlich der Berichterstattung der Leitmedien.

Die Gewerkschaften AFT und die NEA haben keine einzige Kampagne gegen Haushaltskürzungen, Schulschließungen und die Ausweitung von Privatschulen geführt, die die Bildungschancen für Millionen Schüler aus Arbeiterfamilien drastisch verschlechtert haben. Während der Welle von Lehrerstreiks 2018–2019 zogen Weingarten und ihre NEA-Kollegen landauf landab, um die Kämpfe zu isolieren und abzuwürgen. Sie fürchteten diese aufkeimende Rebellion, die sich sowohl gegen die Gewerkschaften richtete als auch gegen die Sparmaßnahmen, die sie seit Jahrzehnten unterstützen.

Als seien Gesundheit und Leben keine grundlegenden Voraussetzungen für das Wohlergehen der Kinder! Und was sind die emotionalen Folgen für Kinder, die erleben müssen, wie ihre Mitschüler, Lehrer, Eltern und Großeltern an Covid-19 sterben? Weltweit haben bereits 1,5 Millionen Kinder Eltern, Großeltern oder andere Bezugspersonen durch das Virus verloren, so eine neue Studie, die am Dienstag in The Lancet veröffentlicht wurde. Fast 114.000 dieser Kinder leben in den USA.

Allein in Florida starben im August 26 Erzieher und fünf Kinder, bzw. ein Erzieher pro Tag und ein Kind pro Woche. Darunter auch die 41-jährige Lehrerin Kelly Peterson aus Florida, die Komplikationen aufgrund von Covid-19 erlag. Wegen einer laufenden Leukämie-Behandlung konnte die beliebte Lehrerin nicht geimpft werden.

In Wirklichkeit unterstützt die Gewerkschaft AFT die Bemühungen des politischen Establishments, die Schulen wieder zu öffnen, damit die Eltern wieder zur Arbeit gehen und Gewinne für die Unternehmen erwirtschaften können. In einer öffentlichen Rede im vergangenen Mai erklärte Weingarten unverblümt: „Eltern brauchen die Schulen nicht nur, damit ihre Kinder etwas lernen, sondern auch, damit sie selbst arbeiten können – wie die drei Millionen Mütter, die während der Pandemie aus dem Berufsleben ausgeschieden sind.

Weingarten und die NEA-Vorsitzende Becky Pringle behaupten wider besseres Wissen, dass Schulen sicher geöffnet werden könnten, wenn Maskenpflicht, physische Distanzierung und andere „Mitigationsmaßnahmen“ eingeführt werden.

Aber selbst wenn diese Maßnahmen ergriffen würden – was angesichts der chronischen Überbelegung, der Unterfinanzierung und der schlechten Belüftung in den meisten öffentlichen Schulen zweifelhaft ist –, hätten sie kaum Auswirkungen auf die Verbreitung von Infektionen und Todesfällen. Nachdem der Schulbezirk Los Angeles am 16. August für eine halbe Million Schüler mit Maskenpflicht geöffnet hatte, dauerte es nur eine Woche, bis 6.500 Schüler und 1.000 Angestellte positiv getestet oder unter Quarantäne gestellt wurden.

Die von der Regierung Biden und den Gewerkschaften geförderte „Mitigation“ ist ein kosmetisches Trostpflaster für die mörderische Herdenimmunitätspolitik von faschistischen Republikanern wie Trump und Ron DeSantis, dem Gouverneur von Florida.

Die Arbeiterklasse muss für eine Politik der Beseitigung und Ausrottung des Virus kämpfen. Dazu müssen alle nicht lebensnotwendigen Betriebe und die Schulen geschlossen werden. Notwendig sind außerdem flächendeckende Tests, die Nachverfolgung von Kontakten und die Isolierung von Infizierten. Alle von solchen Schließungen betroffen Arbeiter und Kleinunternehmer müssen einen vollen Einkommensausgleich erhalten. Außerdem müssen die Mittel für einen hochwertigen Fernunterricht für alle Kinder stark aufgestockt werden.

Führende Wissenschaftler haben deutlich gemacht, dass diese Politik durchführbar ist und die Pandemie mithilfe hochwirksamer Impfstoffe innerhalb weniger Monate gestoppt werden kann.

„Solange wir eine Übertragung von Mensch zu Mensch haben, ist es nicht sicher, die Schulen wieder zu öffnen, Punkt“, erklärte Dr. Malgorzata Gasperowicz von der Universität Calgary auf der WSWS-Online-Veranstaltung „Für eine globale Strategie, um die Pandemie zu stoppen und Leben zu retten!“ am vergangenen Wochenende. „Wenn wir Impfstoffe und öffentliche Gesundheitsmaßnahmen kombinieren, können wir die Krankheit ausrotten.“

Wäre eine solche Politik zu Beginn der Pandemie umgesetzt worden, hätten Millionen von Menschenleben gerettet werden können. Heute ist sie umso dringlicher, denn das Virus ist in den USA und weltweit wieder außer Kontrolle geraten.

Um für diese Politik zu kämpfen, muss die Arbeiterklasse unabhängig von den kapitalistischen Parteien und ihren Unterstützern in den Gewerkschaften aktiv werden. Bürokraten der oberen Mittelschicht wie Weingarten stehen den Interessen der Lehrer und aller Arbeiter feindlich gegenüber.

Die World Socialist Web Site ruft Pädagogen und Eltern dazu auf, an jedem Arbeitsplatz und in jedem Wohnviertel Aktionskomitees zu bilden, um die sofortige Einstellung des Präsenzunterrichts zu fordern. Dies muss Teil einer global integrierten Bewegung der gesamten Arbeiterklasse sein die durch den Aufbau der Internationalen Arbeiterallianz der Aktionskomitees vorangetrieben wird.

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