Perspektive

Die Enteignung der Miethaie erfordert eine sozialistische Perspektive

Folgende Erklärung werden Mitglieder und Unterstützer der SGP auf der Mietendemo am 11. September in Berlin verteilen.

Die Sozialistische Gleichheitspartei ruft dazu auf, am 26. September beim Volksentscheid über die Vergesellschaftung der Wohnungsbestände großer Immobilienkonzerne in Berlin mit Ja zu stimmen. Man kann den Mietenwahnsinn nicht stoppen, ohne die Miethaie zu enteignen. Doch eine wirkliche Enteignung kann nur im Kampf gegen den rot-rot-grünen Senat und auf der Grundlage eines sozialistischen Programms durchgesetzt werden, das die Bedürfnisse der Menschen vor die Kapitalinteressen stellt.

Die Mieten in der Hauptstadt haben sich in den letzten zehn Jahren verdoppelt, der Preis für unbebaute Grundstücke hat sich verachtfacht. Die Spekulation mit Wohnungen ist zu einem der wichtigsten Hebel zur Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums von unten nach oben geworden. Während Deutsche Wohnen, Vonovia & Co. und ihre Aktionäre ohne einen Finger zu rühren phantastische Renditen einstreichen, wird die Bevölkerung geschröpft.

Steigende Mieten, überhöhte Nebenkosten und Luxussanierungen führen dazu, dass hart arbeitende Menschen über die Hälfte ihres Einkommens für die Miete aufwenden müssen oder sich überhaupt keine Wohnung mehr leisten können. Das im UN-Sozialpakt verankerte Menschenrecht auf Wohnen wird dem Profithunger der Miethaie geopfert.

Daran wird eine Annahme des Volksentscheids nichts ändern. Der Senat – eine Koalition von SPD, Linkspartei und Grünen – hat der Berliner Bevölkerung bereits den Stinkefinger gezeigt und unmissverständlich klargestellt, dass er sich einem positiven Ergebnis nicht fügen wird.

In der „amtlichen Mitteilung zum Volksentscheid“ stellt er die „Argumente des Senats“ den „Argumenten der Trägerin (‚Initiative Deutsche Wohnen & Co. enteignen‘)“ entgegen. „Das Volksbegehren hat keinen konkreten Gesetzentwurf zum Gegenstand,“ heißt es dort. „Es ist daher im Erfolgsfalle für den Senat rechtlich unverbindlich und die Entscheidung über den Erlass eines Vergesellschaftungsgesetzes obläge dem Abgeordnetenhaus.“

Mit anderen Worten: Weil nicht über einen konkreten Gesetzentwurf abgestimmt wird, sondern über einen Auftrag an den Senat, einen Gesetzentwurf mit klar definierten Vorgaben zu erarbeiten, erklärt der Senat das Ergebnis für „rechtlich unverbindlich“ und beruft sich dabei auf die Souveränität des Abgeordnetenhauses.

Dass das Abgeordnetenhaus und die Senatsparteien mit den Miethaien unter einer Decke stecken, weiß man seit zwanzig Jahren. Damals verscherbelten die SPD und die Linkspartei (die zu dieser Zeit noch PDS hieß) fast 200.000 öffentliche Wohnungen für ein Taschengeld an private Immobilienkonzerne. An dieser Kumpanei zwischen Senat und Miethaien hat sich bis heute nichts geändert. Der Senat ermuntert letztere geradezu, den Preis in die Höhe zu treiben.

Während der Text des Volksentscheids eine – rechtlich mögliche – „Entschädigung deutlich unter Verkehrswert“ verlangt und die Initiatoren dafür eine Summe von 7,3 bis 13,7 Milliarden Euro für 200.000 Wohnungen veranschlagen, hat der Senat eine zwei bis dreimal so hohe Summe veröffentlicht. Für 243.000 Wohnungen können die Immobilienkonzerne nach seiner Berechnung 28,2 bis 36 Milliarden Euro kassieren.

In der Praxis schaufelt der Senat ihnen aber noch weit höhere Summen zu. Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD) ist dabei, mit Vonovia und Deutsche Wohnen noch vor der Abstimmung über den Volksentscheid den Verkauf von knapp 15.000 Wohnungen an städtische Wohnbaugesellschaften zu vereinbaren – zu einem Preis von 2,4 Milliarden Euro. Die beiden Wohnungsgiganten fusionieren derzeit und stoßen dabei einige Wohnungen ab, werden danach aber immer noch 10 Prozent aller Mietwohnungen in Berlin kontrollieren.

Um die Zahlen ins Verhältnis zu setzen: 2004 verkaufte der rot-rote Senat 65.000 Wohnungen der städtischen GEW zu einem Durchschnittspreis von 6150 Euro an die Deutsche Wohnen; die Initiatoren des Volksentscheids setzen für die Entschädigung einen durchschnittlichen Wohnungspreis von 37.000 bis 69.000 Euro an; der Senat kalkuliert mit 116.000 bis 148.000 Euro pro Wohnung; und Kollartz kauft den Konzernen Wohnungen zu einem Durchschnittspreis von 163.000 Euro ab!

Diese Zahlen lassen erahnen, welche Goldgrube SPD, Linkspartei und Grüne für die Miethaie aufgetan haben. Zu den Wertsteigerungen kommen die hohen Miteinnahmen hinzu. Die Deutsche Wohnen hat allein im Jahr 2019 über 350 Millionen Euro an die Aktionäre ausgeschüttet; das sind 2100 Euro pro Wohnung, die direkt aus den Taschen der Mieter auf die Konten der Aktionäre geflossen sind.

SPD, Linkspartei und Grüne stehen – trotz ihrer Krokodilstränen über die hohen Mieten im Wahlkampf – mit beiden Beinen im Lager des Kapitals. Das gilt nicht nur in der Wohnungsfrage, sondern auch für das Gesundheitswesen – wo die Beschäftigten von Charité und Vivantes zurzeit gegen die unerträglichen Folgen jahrelanger Spar- und Privatisierungsmaßnahmen streiken – und den öffentlichen Dienst und den Nahverkehr, wo sie zehntausende Arbeitsplätze vernichtet und die Löhne gesenkt haben.

Der Volksentscheid selbst ist – auch wenn er eins zu eins umgesetzt würde – völlig unzureichend, um die brennende Wohnungsnot zu lösen. Er verlangt lediglich die Vergesellschaftung der Bestände aller privatwirtschaftlichen Wohnungsunternehmen mit über 3000 Wohnungen. Sie sollen in eine nicht profitorientierte Anstalt des öffentlichen Rechts überführt werden, in der die Mieter ein demokratisches Mitspracherecht haben. Betroffen wären etwa 200.000 bis 250.000 Wohnungen, die den Mangel an bezahlbarem Wohnraum für Niedrigverdiener etwas mildern sollen. Die akute Wohnungsnot in der Hauptstadt und die Spekulation mit Wohnraum von mittleren Unternehmen und Privatanlegern würde dadurch nicht gestoppt.

Die bescheidenen Ziele des Volksbegehrens kommen nicht nur daher, dass sich die Initiatoren strikt an den vorgegebenen gesetzlichen Rahmen halten, der das kapitalistische Eigentum schützt. Sie selbst stammen größtenteils aus den Reihen oder dem Umfeld der Senatsparteien, insbesondere der Linken. Ihre ganze Strategie ist darauf ausgerichtet, den Senat zu einem Kurswechsel zu bewegen, obwohl dies – wie alle historischen und internationalen Erfahrungen beweisen – unmöglich ist.

Die Linke setzt alles daran, in die nächste Bundesregierung aufgenommen zu werden – unter einem rechten sozialdemokratischen Kanzler Olaf Scholz und im Bündnis mit den Grünen, die zu Vorreitern des deutschen Militarismus geworden sind. Sie tut deshalb alles, um den Herrschenden ihre „Verlässlichkeit“ in der Innen- und Außenpolitik zu beweisen.

Die SGP verfolgt eine völlig andere Strategie als die Initiatoren des Volksentscheids. Wir setzen nicht auf die etablierten Parteien und Gewerkschaften, sondern auf die unabhängige Bewegung der Arbeiterklasse, die sich weltweit mit großer Dynamik entwickelt.

Weltweit häufen sich die Proteste und Streiks gegen niedrige Löhne, unerträgliche Arbeitsbedingungen und Sozialabbau. Und fast überall entwickeln sich diese Kämpfe in einer offenen Rebellion gegen die alten Arbeiterparteien und Gewerkschaften, die alle im Lager der herrschenden Klasse stehen. Hier in Berlin haben in den vergangenen Tagen Siemens-Arbeiter gegen Entlassungen und Lokführer gegen Lohnsenkungen gekämpft. Die Beschäftigten er landeseigenen Charité- und Vivantes-Kliniken befinden sich in einem unbefristeten Streik.

Der bisherige Erfolg des Volksbegehrens ist ein Ausdruck dieser explosiven Stimmung. 2019 unterzeichneten in nur drei Monaten 77.000 den Antrag auf seine Einleitung – fast viermal so viele wie erforderlich. In diesem Jahr unterstützten dann in nur vier Monaten 350.000 das Volksbegehren mit ihrer Unterschrift, obwohl nur 175.000 nötig gewesen wären.

Die herrschende Klasse und ihre Parteien reagieren auf die internationale Offensive der Arbeiterklasse, indem sie faschistische Kräfte stärken, den Staatsapparat aufrüsten und den Militarismus schüren. Am deutlichsten äußert sich diese Reaktion in ihrer menschenverachtenden Corona-Politik, die alle Menschenleben den Profitinteressen der Konzerne opfert und eine wissenschaftlich fundierte Politik zur Ausrottung des Virus ablehnt.

Ziel der SGP ist es, der Opposition und den Kämpfen der Arbeiterklasse eine sozialistische Orientierung zu geben, sie international zu vereinen und – gemeinsam mit ihren Schwesterparteien in der Vierten Internationale – eine sozialistische Massenpartei aufzubauen.

Wer die Miethaie wirklich enteignen will, muss am 26. September bei der Berliner Abgeordnetenhauswahl und der Bundestagswahl die Liste der SGP wählen. Wir treten für die entschädigungslose Enteignung aller Wohnbaukonzerne ein. In unserem Wahlprogramm heißt es dazu:

„Kein gesellschaftliches Problem kann gelöst werden, ohne die Banken und Konzerne zu enteignen und unter die demokratische Kontrolle der Arbeiterklasse zu stellen. Ihre Gewinne und Vermögen müssen beschlagnahmt und die Billionen, die ihnen im letzten Jahr zur Verfügung gestellt wurden, zurückgeholt werden. Die Weltwirtschaft muss auf der Grundlage eines wissenschaftlichen und rationalen Plans neu organisiert werden.“

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