Perspektive

Stoppt die Deportation der Flüchtlinge von Haiti!

Szenen von berittenen Grenzschutzbeamten, die an der Südgrenze der USA auf wehrlose Flüchtlinge losgehen und sie mit Peitschen zusammentreiben, haben in ganz Amerika und weltweit Entsetzen und Abscheu hervorgerufen.

Selbst das Weiße Haus sah sich gezwungen, moralische Bedenken vorzutäuschen. Bidens Pressesprecherin Jen Psaki bezeichnete am Montag Videos dieser unverhüllten Grausamkeiten als „schrecklich“ und „verheerend“. Mit anderen Worten: Die Bilder von bewaffneten Reitern, die Migranten an ihren Hemdkragen packen, in den Fluss stoßen und damit die Erinnerung an den Ku-Klux-Klan oder russische Kosaken heraufbeschwören, hätten besser nie veröffentlicht werden sollen.

Beamte der US-Zoll- und Grenzschutzbehörde versuchen Migranten davon abzuhalten, zwischen Ciudad Acuña (Mexiko) und Del Rio (Texas) den Rio Grande zu überqueren. Sonntag, 19. September 2021 (AP Photo/Felix Marquez)

Doch die berittenen Grenzschutz-Kosaken wurden aus einem ganz bestimmten Grund zur Furt von Del Rio entsandt. Es gibt keine „humane“ Methode, um fast 15.000 Migranten – die meisten von ihnen Haitianer – in brennender Hitze und ohne Zugang zu Obdach, Nahrung, Wasser oder Toiletten in einem behelfsmäßigen Konzentrationslager unter einer Brücke einzusperren. Die Migranten, die dem Überfall der US-Beamten ausgesetzt wurden, trugen für ihre Familien Wasser und Lebensmittel mit sich, die sie nur erlangen konnten, indem sie eine gefahrvolle Reise über den Fluss nach Mexiko und zurück auf sich nahmen.

Es gibt auch keine „barmherzige“ Methode, dieselben Migranten in Flugzeuge zu verfrachten und in Haiti abzuladen – einem Land, aus dem die meisten von ihnen vor über einem Jahrzehnt nach dem katastrophalen Erdbeben von 2010 geflohen sind, um in Brasilien, Chile und anderen Ländern, die seitdem von der Covid-19-Pandemie und der Wirtschaftskrise verwüstet wurden, Arbeit und ein neues Leben zu finden. Die Krise in Haiti hat sich in der Zwischenzeit nur noch weiter verschärft.

Diejenigen, die diese Politik vor Ort in Texas durchsetzen, sahen keinen Grund, den Tonfall moralischer Beunruhigung zu übernehmen, den die Pressesprecherin des Weißen Hauses anschlug. Bidens designierter Grenzschutz-Chef Raul Ortiz erklärte gegenüber Reportern, die ganze Episode sei lediglich eine Demonstration der Herausforderungen, die sich bei „berittenen Operationen in maritimer Umgebung“ ergeben.

Ob die faschistoiden Grenzbeamten auf ihren Pferden nun Spaß daran haben, Haitianer wie Tiere auszupeitschen oder nicht: Letztlich „befolgen sie nur Befehle“. Ihre Brutalität – wie auch das unsägliche Elend, in dem die Migranten unter der Brücke zwischen den USA und Mexiko festgehalten werden – dient dazu, jeden zu terrorisieren und einzuschüchtern, der daran denkt, in den USA Asyl zu beantragen, obwohl dies ein Grundrecht ist, das sowohl von internationalem als auch von US-Recht garantiert wird.

Noch während sich die brutalen Szenen an der Südgrenze der USA abspielten, sprach US-Präsident Joe Biden bei den Vereinten Nationen vor der Eröffnungssitzung der Generalversammlung: „... Die Vereinigten Staaten werden sich für die demokratischen Werte einsetzen, die uns als Nation und als Volk ausmachen: Freiheit, Gleichheit, Selbstverwirklichung und der Glaube an die universellen Menschenrechte.“

Was für eine Heuchelei! Die „Werte“ des US-Imperialismus und seiner herrschenden Oligarchie wurden im texanischen Del Rio vollumfänglich zur Schau gestellt. Dort wurden diejenigen, die Freiheit, Gleichheit und Selbstverwirklichung suchten, unter Pferdehufen zertrampelt. Was den „Glauben an die universellen Menschenrechte“ betrifft, so ist dies ein Mythos, der nur für den Export bestimmt ist. Hätten sich ähnliche Szenen in einem beliebigen anderen Land abgespielt, das Washington als Hindernis für seine geostrategischen Interessen betrachtet, so hätte dies heftige Verurteilungen, wenn nicht gar Forderungen nach einer „humanitären Intervention“ nach sich gezogen.

Die Biden-Regierung nutzt genau denselben rechtlichen Vorwand für Massenabschiebungen, den Trump eingeführt hat: „Title 42“, eine aus dem Zweiten Weltkrieg stammende Gesundheitsverordnung, die es erlaubt, Einwanderung aus Ländern, in denen die Ausbreitung übertragbarer Krankheiten eine Gefahr für die öffentliche Gesundheit darstellt, vorübergehend zu unterbinden. Diese Bestimmung ist zu einem universellen Mittel geworden, um alle Einwanderer und Flüchtlinge abzuweisen, beschleunigte Abschiebungen einzuführen und das Recht auf Asyl zu verweigern.

Gesundheitsexperten haben erklärt, dass die Anwendung dieser Bestimmung im Kampf gegen die Ausbreitung von Covid-19 keinen Nutzen für die öffentliche Gesundheit bringt, zumal die USA das Epizentrum der Pandemie sind. Die Abschiebung tausender potenziell mit dem Virus infizierter Menschen kann sich jedoch als katastrophal für Haiti erweisen. Das Land ist das ärmste der westlichen Hemisphäre und verfügt nur über 126 Intensivbetten, 68 Beatmungsgeräte und 25 Ärzte pro 100.000 Einwohner – ein Zehntel der US-amerikanischen Zahlen.

Am 16. September entschied ein Bundesrichter, dass die Regierung Title 42 nicht mehr für die Ausweisung von Familien, wohl aber für die Abschiebung einzelner Erwachsener anwenden kann. Die Anordnung des Richters, gegen die die Biden-Regierung Berufung einlegt, tritt jedoch erst zwei Wochen nach dem 16. September in Kraft, so dass ein Zeitfenster existiert, um eine Massenabschiebung der tausenden in Del Rio festsitzenden Flüchtlinge zu vollstrecken.

Die Einwanderungsbehörden haben versprochen, täglich bis zu sieben Abschiebeflüge nach Haiti durchzuführen, vier in die Hauptstadt Port-au-Prince und drei nach Cap-Haïtien, der größten Stadt im Norden des Landes.

Täglich etwa 1.000 Einwanderer in Haiti abzuladen, von denen die meisten nichts haben als die Kleider, die sie am Leib tragen, und die seit mehr als einem Jahrzehnt keinen Fuß mehr in das Land gesetzt haben, ist ein Akt abgrundtiefer Kriminalität. Auf dem ersten dieser Flüge, der am Montag in Haiti ankam, befanden sich 45 Kinder, von denen keines in Haiti geboren wurde und die daher nicht einmal Bürger des Landes sind. Unter den Deportierten befanden sich auch Frauen, die Babys auf dem Arm trugen.

Diese barbarischen Abschiebungen stehen in einer Reihe mit früheren, unter Biden durchgeführten Deportationen mittelamerikanischer Migranten nach Südmexiko. In beiden Fällen versuchten diejenigen, die in den USA Asyl suchten, den unmenschlichen Bedingungen zu entkommen, die durch ein Jahrhundert imperialistischer Unterdrückung, Invasionen und US-gestützte Diktaturen geschaffen wurden.

Nirgendwo trifft dies mehr zu als in Haiti, das ab 1915 einer 20-jährigen Besatzung und einem brutalen Krieg zur Aufstandsbekämpfung durch die US-Marines unterworfen wurde. Es folgten die Herrschaft einer von den USA organisierten Armee und anschließend, ab 1957, die drei Jahrzehnte andauernde Duvalier-Diktatur, die von Washington als Bollwerk gegen den Kommunismus unterstützt wurde und unter der zehntausende Haitianer vom Militär und der gefürchteten Geheimpolizei Tontons Macoute ermordet und gefoltert wurden.

Seit dem Sturz der Diktatur der Duvaliers hat der US-Imperialismus vergeblich versucht, in Port-au-Prince ein stabiles Marionettenregime zu errichten, das in der Lage ist, seine Interessen zu verteidigen. Zu diesem Zweck unterstützten die USA zwei blutige Putsche und entsandten im Laufe von zwei Jahrzehnten zwei weitere Male US-Truppen nach Haiti.

Biden hat diese Politik fortgesetzt, indem er das korrupte und diktatorische Regime von Präsident Jovenel Moïse – der im Juli ermordet wurde – und nun das von Präsident Ariel Henry gegen den Aufstand der haitianischen Massen unterstützt hat.

Es ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit, tausende Flüchtlinge nach Haiti zurückzuschicken, wo es weder Arbeitsplätze noch grundlegende Ressourcen gibt, wo bewaffnete Banden die Straßen kontrollieren, ein kriminelles Regime sich gerade noch an der Macht hält und die Massen von Hunger und Covid-19 geplagt werden.

Bidens bösartige Verfolgung der Haitianer an der Grenze zwischen den USA und Mexiko unterstreicht die Tatsache, dass es innerhalb der amerikanischen herrschenden Klasse und ihren beiden großen Parteien keine Fraktion gibt, die bereit ist, auch nur die elementarsten demokratischen und gesetzlichen Rechte von Migranten und Flüchtlingen – oder sonst jemandem – zu achten.

Der Angriff auf Migranten ist eine globale Frage. Seit der Flüchtlingsbewegung nach Europa im Jahr 2015 haben die europäischen imperialistischen Mächte ihre Grenzen im Rahmen einer Politik der „Festung Europa“ mit Stacheldraht abgeriegelt, während sie Migranten jedes Jahr zu Tausenden im Mittelmeer in den Tod treiben. Viele tausende weitere werden in Lagern interniert, wo sie misshandelt und von faschistischen Attacken bedroht werden.

Überall versucht die herrschende Kapitalistenklasse, Einwanderer zum Sündenbock für die unlösbare Krise des kapitalistischen Systems zu machen, die durch immer größere soziale Ungleichheit und seit Beginn der Covid-19-Pandemie durch die Normalisierung eines Massensterbens gekennzeichnet ist.

Die mutigen Migranten aus Haiti, Mittelamerika und anderen Ländern, die sich trotz aller Widrigkeiten bis zur Südgrenze der USA durchgeschlagen haben, sind Teil einer wachsenden Bewegung der internationalen Arbeiterklasse, die sich weigert, die vom Profitsystem auferlegten unzumutbaren Bedingungen zu akzeptieren.

Diese Einwanderer verdienen nicht nur die Sympathie, sondern die aktive Unterstützung jedes klassenbewussten Arbeiters. Die brutalen Methoden, die gegen sie angewandt werden, werden in zunehmendem Maße gegen die Arbeiterklasse als Ganzes angewandt werden, sobald sie in Massenkämpfe eintritt.

Die Socialist Equality Party fordert ein sofortiges Ende der Abschiebungen und die Freilassung der inhaftierten Flüchtlinge und Einwanderer. Die Behörden, die diese Repression durchführen – Immigration and Customs Enforcement (ICE) und Customs and Border Protection (CBP) – müssen aufgelöst werden, und alle Arbeiter auf der ganzen Welt müssen das unveräußerliche Recht haben, in dem Land ihrer Wahl zu leben und zu arbeiten.

Die Verteidigung der Flüchtlinge muss mit einem Multi-Billionen-Dollar-Programm einhergehen, mit dem Haiti, Mittelamerika und andere vom US-Imperialismus verwüstete Länder wiederaufgebaut werden müssen. Dieses Programm muss durch die Enteignung des Reichtums der US-amerikanischen Milliardäre finanziert werden.

Diese Forderungen können nur verwirklicht werden, indem ein unerbittlicher Kampf gegen jeden Versuch geführt wird, Arbeiter in „Inländer“ und „Ausländer“ zu spalten, und indem die internationale Arbeiterklasse über nationale Grenzen hinweg in einem gemeinsamen Kampf vereint wird, um den Kapitalismus und das überholte Nationalstaatensystem abzuschaffen.

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