#WirWerdenLaut: Schüler streiken gegen Durchseuchung

Am Freitag setzten rund 150 Schülerinnen und Schüler in Frankfurt am Main ein deutliches Zeichen gegen die „Profite-vor-Leben“-Politik der Bundes- und Landesregierungen in der Corona-Pandemie. Mehrere Ortsgruppen der Jugendorganisation „Fridays For Future“ hatten unter dem Schlagwort #WirWerdenLaut zu einem Demonstrationszug aufgerufen, der von der Alten Oper durch die Innenstadt bis vor das Rathaus verlief. An dem Streik beteiligten sich Schüler aus der ganzen Region.

#WirWerdenLaut: Schüler streiken gegen Durchseuchung

Auf Twitter erklärten die Organisatoren: „Wir fordern, die Durchseuchung an den Schulen zu stoppen! Die Corona-Politik an den Schulen kann nicht mehr so weiter gehen!“

Reporter der World Socialist Web Site sprachen mit Demo-Teilnehmern über eine Erklärung der International Youth and Students for Social Equality (IYSSE). Das Statement unterstützt die Proteste und Schulstreiks für sichere Bildung und ruft dazu auf, unabhängige Aktionskomitees zu gründen, um den Kampf in die eigene Hand zu nehmen und die nötigen Sicherheitsmaßnahmen sofort durchzusetzen. Dazu zählt ein sofortiges Ende des „Durchseuchungsplans“ der Regierung, kombiniert mit umfassenden Schutzmaßnahmen und Bildungsinvestitionen zugunsten der Schüler.

Schüler demonstrieren in Frankfurt gegen Durchseuchung

Elli, eine Schülerin des Frankfurter Gymnasiums Musterschule, begrüßt den Aufruf sehr und erklärt:

„Die Maßnahmen an den Schulen reichen nicht aus, um die Pandemie zu bekämpfen. Am besten sollte man alle für ein paar Wochen nach Hause schicken, bis sich die Lage beruhigt hat. Ich selbst habe mich vor gut zwei Wochen mit Covid-19 infiziert – und zwar in der Schule, obwohl ich alle Maßnahmen streng eingehalten und auf Abstand geachtet habe.“

Obwohl kürzlich 40 Schülerinnen und Schüler und drei Lehrkräfte gleichzeitig krank oder in Quarantäne waren, überlasse die Schule das Testen der Eigeninitiative der Schülerinnen und Schüler: „Es gibt keine Testpflicht, und nicht einmal die Hälfte lässt sich regelmäßig testen. So kann man Infektionen und Ausbrüche in der Schule nicht verhindern. Abstandsregeln gibt es nicht. Im Prinzip sagen sie uns: Wenn ihr alle 15 Minuten das Fenster aufmacht, geht die Pandemie bald vorbei. Aber so funktioniert es eben nicht.“

Zur Forderung der IYSSE nach flächendeckenden Schulschließungen sagt Elli: „Ich finde das sehr vernünftig, auf jeden Fall. Wenn es schon Präsenzunterricht geben soll, dann muss es mindestens kleinere Gruppen und eine Testpflicht für alle geben.“ Am Vorabend hatte die Kultusministerkonferenz (KMK) die schwindelerregende Zahl von 275.000 Schülerinnen und Schülern bekannt gegeben, die derzeit an Corona erkrankt sind, fast 50.000 mehr als in der Vorwoche. Hinzu kommen praktisch genauso viele, die sich in Quarantäne befinden.

Rike, FridaysForFuture-Aktivist, Frankfurt

„Wir gehen auf die Straße, weil die Schulen in der Pandemie einfach nicht sicher sind“, sagt Rike, der sich bei „Fridays-for-Future“ engagiert und die Demonstration mitorganisiert hat:

„Die Zahlen sind so hoch wie nie. In der Altersgruppe der 5-14-Jährigen liegen die Inzidenzen zwischen 5000 und 6000 – aber sie machen einfach weiter. Sitznachbarn von Corona-positiven Schülern werden trotz verminderter Zuverlässigkeit der Schnelltests nicht mehr nach Hause geschickt. Wie die Klimakrise ist auch die Pandemie ein internationales Problem – sie wird aber von den Regierungen nicht so behandelt. Es ist notwendig, den fossilen Kapitalismus abzuschaffen und die Impfstoffpatente freizugeben, damit die ganze Welt Impfstoffe herstellen kann.“

Niklas und Dennis sind aus einem Nachbarort nach Frankfurt gekommen und besuchen dasselbe Gymnasium. „Die Situation an den Schulen ist nicht mehr kontrollierbar“, sagt Niklas. „An unserer Schule gibt es nur drei Luftfilter für 250 Räume! Von diesen Luftfiltern sehen wir wenig oder nichts. Wir fühlen uns von der Regierung ignoriert. Was mit uns Schülern und Studenten passiert – niemanden juckt es. Wir werden von der Politik allein gelassen.“

Niklas (links), Nele und Dennis aus Maintal-Bischofsheim

„Im letzten Schuljahr hat man viele Themen gar nicht richtig mitbekommen“, berichtet Dennis. „Lange Zeit war Online-Unterricht, und das ergibt einen klaren Nachteil für das Abitur. Gerade diejenigen, die sehr oft online zugeschaltet werden mussten, haben viel verpasst.“ In einer Situation, in der „wir manchmal jeden zweiten Tag in die Quarantäne müssen“, sei eine Abiturvorbereitung erst recht kaum möglich, sagt Niklas:

„Das ist auch ein Grund, warum wir heute hier sind. [Bundesgesundheitsminister] Lauterbach sagt uns: Bald können wir lockern – davon kann aber keine Rede sein. Wir haben in Maintal-Bischofsheim jetzt eine Inzidenz von 2.100. In den Schulen muss man ständig testen, Masken auswechseln – und viele halten sich nicht einmal daran. So können wir nicht weitermachen.“ Wie Rike sieht auch Niklas die Ursache der Corona-Katastrophe im Kapitalismus:

„Die Wirtschaft muss laufen – deshalb werden die Schüler in den Schulen gehalten, damit die Arbeiterklasse arbeiten kann. Ich denke, man muss die Arbeiter informieren! Lernen und Wissen ist ein Privileg, welches sich hauptsächlich die Oberen leisten können. Wer sich kein Handy leisten kann, hat keinen Zugang zum Internet. Auf die Arbeiterklasse wird gerade so vieles abgewälzt. Und wozu werden wir ausgebildet? Auch zu Arbeitern. Aber wenn wir jetzt schon mit solchen Situationen konfrontiert werden, weiß ich nicht, ob viele dazu überhaupt noch bereit sein werden.“

Ein Ausschnitt der Demonstration in Frankfurt

Die Proteste wurden von der Gefahr eines dritten Weltkriegs überschattet, die US-Präsident Joe Biden in diesen Stunden offen ausgesprochen hatte. „Es ist schrecklich“, sagt ein Schüler. „Warum kann man sich nicht darauf einigen, dass die Ukraine ein neutraler Ort bleiben soll? Das Thema Krieg macht mir schlaflose Nächte. Die Zukunftsängste sind sehr groß – wegen der Kriegsgefahr und auch wegen der Klimakrise.“

Zeitgleich zu den Protesten in Frankfurt haben in Berlin die Schülervertreter Tobias Westphal und Anjo Genow aus Berlin die #WirWerdenLaut-Petition zusammen mit 133.979 Unterschriften an Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) überreicht. Die Ministerin war vor ihrer Amtsübernahme Vorstandsmitglied der Friedrich-Naumann-Stiftung, die dafür berüchtigt ist, mit Klimawandelleugnern zusammenzuarbeiten und rechtsextreme Kräfte in Südamerika zu unterstützen.

Stark-Watzinger hat ebenso wie ihre Landeskollegen deutlich gemacht, dass sie auch die letzten Quarantäne- und Schutzmaßnahmen beseitigen will, um den Normalbetrieb der Schulen und Betriebe zu erreichen. Entsprechend reagieren Politiker und Teile der Medien auf den wachsenden Widerstand unter Schülerinnen und Schülern mit einer üblen Hetzkampagne.

Im Springer-Blatt Welt bezeichnet der „unabhängige Philosoph“ und Software-Unternehmer Jörg Friedrich die Initiative der Schüler als „Panik-Kampagne“, die auf einer „Propaganda der Angst“ beruhe. Der von den Schülerinnen und Schülern erhobene Ruf nach „FFP2-Masken und der Aufhebung der Präsenzpflicht“ sei ein „irrationaler Appell“, der zeige, dass junge Menschen „inzwischen selbst von einer irrationalen unbegründeten Angst erfasst“ seien.

Im Duktus rechtsradikaler Verschwörungstheoretiker raunt der Autor, es sei „vielsagend“ zu untersuchen, „wer hinter der medienwirksamen Aktion steht“: Wissenschaftler wie Michael Meyer-Herrmann, Dirk Brockmann, Jana Schröder und Melanie Brinkmann, die „mit Lockdown-Forderungen, NoCovid- und ZeroCovid-Strategien in der Öffentlichkeit bekannt geworden sind“. Die Wissenschaftler zählen seit Beginn der Pandemie zu Feindbildern der extremen Rechten und haben vielfach Mord- und Gewaltdrohungen erhalten.

„Dass die Kinder und Jugendlichen dann in den Familien oder anderswo außerhalb der Schulen ältere Menschen infizieren könnten, für die das Virus dann lebensbedrohlich werden könnte“, sei „ein schwaches Argument“, so Friedrich wörtlich. Die Politik müsse die Schüler „auf den Weg zurückbegleiten, der sie in ein gutes Leben führt“, in eine „normale Schule ohne tägliche anlasslose Tests, ohne Masken und erst recht ohne die andauernde Gefahr des Distanzunterrichts“.

Mit Blick auf „die Long-Covid-Problematik“ und die „Wahrscheinlichkeit einer ernsten Gesundheitsgefahr“ droht der Welt-Autor: „Niemand kann einen Schulbetrieb wollen, der die Schüler vor all diesen Gefahren schützen würde.“ Vor dem Hintergrund der 17 Jugendlichen, die den konservativen Zahlen des RKI zufolge allein im letzten Monat an Covid-19 gestorben sind, kommen diese Worte einem mörderischen Appell gleich, mehr Tote und Versehrte in Kauf zu nehmen.

Am Abend zuvor hatten KMK-Präsidentin Karin Prien (CDU) und STIKO-Mitglied Eva Hummers in der ZDF-Talkshow „Markus Lanz“ die Gefahren der Durchseuchung geleugnet. Während Prien faktenwidrig behauptete, Omikron gehe „nicht in die Lunge“, suggerierte Hummer, dass es „Long Covid bei Kindern nicht gibt“. Unterstützt von Moderator Lanz behaupteten beide, regelmäßige Tests würden unter den Schülern „Angst züchten“ und „nur einen ganz geringen Nutzen“ bringen. Die Forderungen der Petition, die Schülervertreterin Johanna Börgermann vorbrachte, wurden arrogant beiseitegeschoben.

Im Gegensatz zu der überheblichen und nervösen Feindschaft, die den Jugendlichen vonseiten des politischen Establishments entgegenschlägt, herrscht unter Eltern, Pädagogen und anderen Arbeitern überwältigende Unterstützung für die Anliegen der Schüler. Tanja R. aus Burtscheid in Nordrhein-Westfalen sagt im Gespräch mit der WSWS:

„Was in den Schulen passiert, ist in meinen Augen ein Verbrechen an den Kindern. Ich ertrage es kaum, dass die Schulen mit aller Gewalt offengehalten werden, damit die Wirtschaft weiterlaufen kann. Anfangs dachte ich noch, man könne die Politik mit Argumenten erreichen. Als ich feststellte, dass wir denen da oben völlig egal sind, habe ich ein Stück weit resigniert. Natürlich sehe ich da einen Zusammenhang zum Kapitalismus. Der einzelne Bürger hat scheinbar keinen Wert, außer dem, als Arbeiter zu funktionieren. Die Schulen offenzuhalten, dient in meinen Augen nur dazu, eine Betreuungsmöglichkeit für Berufstätige zu haben. Ich könnte meine Tochter locker zu Hause betreuen, aber ich darf es nicht.“

Tatjana, eine Krankenpflegerin aus Nordhessen, sandte der WSWS folgende Solidaritätsbotschaft:

„Ich bin für sofortige Schulschließungen, weil ich miterlebt habe, was die Durchseuchungspolitik mit den Menschen macht. Wegen eines Omikron-Ausbruchs habe ich meinen Kuraufenthalt in der zweiten Woche abbrechen müssen, nachdem 37 Familien einen positiven Schnelltest hatten und fast kein Personal mehr da war. Wir hatten Glück, gesund nach Hause zu kommen.

Meine Kleine geht im Moment nicht in die Kita, weil dort seit Montag die absolute Durchseuchung läuft. Für die Kleinsten gibt es bis heute keinen zugelassen Impfstoff. Es gab Milliarden Euro, um die Lufthansa zu retten, aber kaum Geld, um Schulen und Kitas sicher zu machen. Den Kindern wurde jede Chance auf sichere Bildung genommen. Es ist erschreckend, dass sie bereits über einen ‚D-Day‘ Ende März nachdenken – und das nur für die Wirtschaft, ohne Rücksicht auf Verluste. Man gaukelt uns vor, dass das Virus nicht mehr so gefährlich sei. No-Covid wäre am sinnvollsten, ist aber auch schwierig umzusetzen. Die ganze Welt müsste mitziehen, um das Virus auszurotten. Es hat für mich sehr viel mit Kapitalismus zu tun. Ich hoffe, die Schülerinnen und Schüler machen weiter.“

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