Artilleriebeschuss im Donbass bringt Europa an den Rand des Kriegs

Am Donnerstag und Freitag wurde aus der ostukrainischen Region Donbass schwerer Artilleriebeschuss gemeldet, bei dem auch Wohngebiete in Mitleidenschaft gezogen wurden. Dabei handelt es sich um die schwerste Eskalation des Konflikts zwischen den US-finanzierten ukrainischen Streitkräften und den prorussischen Separatisten seit dem letzten Frühling. Von dem Beschuss wurde nur wenige Stunden nach dem Zeitpunkt berichtet, an dem ein russischer „Einmarsch“ in der Ukraine vorhergesagt worden war. Laut den USA sollte er am 16. Februar beginnen, war aber ausgeblieben. Der Kreml hat immer bestritten, einen Einmarsch zu planen.

Mitglieder der ukrainischen Territorialen Verteidigungskräfte, freiwillige Militäreinheiten der Streitkräfte, trainieren in einem Stadtpark in Kiew, 22. Januar 2022 (AP Photo/Efrem Lukatsky, File)

Kreml-Sprecher Dmitri Peskow erklärte, die Lage im Donbass könne „jeden Moment zu einem neuen Krieg in der unmittelbaren Nähe unserer Grenzen eskalieren“.

In einem Dorf im Gebiet der Volksrepublik Lugansk wurden ein Kindergarten und eine Schule getroffen. Die Separatisten machten das ukrainische Militär dafür verantwortlich, Kiew beschuldigte die Separatisten.

Aus den beiden großen Städten Donezk und Luhansk wurden derweil Bürger nach Russland evakuiert. Die prorussischen Separatisten kündigten an, dies betreffe etwa 700.000 Menschen. Sie würden in Russland aufgenommen und mit Essen und medizinischer Betreuung versorgt.

Der britische Premierminister Boris Johnson erklärte, ohne irgendwelche Beweise dafür vorzulegen, es handele sich bei dem Artilleriebeschuss um eine „False-Flag-Operation“, welche die Ukrainer „diskreditieren“ soll. Die amerikanischen und britischen Medien und Geheimdienste verbreiten seit Wochen haltlose Unterstellungen, Russland plane eine „False-Flag-Operation“. Die Vorwürfe waren so absurd, dass vor kurzem sogar ein Reporter von Associated Press einem Sprecher des US-Außenministeriums deshalb widersprochen hatte.

Unterdessen hat am Freitag die Münchener Sicherheitskonferenz begonnen. US-Außenminister Blinken wiederholte in diesem Rahmen seine Drohungen gegen Russland, die er am Donnerstag bereits vor dem UNO-Sicherheitsrat vorgebracht hatte.

US-Präsident Biden erklärte am Freitag, er sei „überzeugt“ davon, dass Präsident Putin den Entschluss gefasst habe, in der kommenden Woche die Ukraine inklusive der Hauptstadt Kiew angreifen zu wollen. Bereits in der vergangenen Woche hatte Biden erklärt, Russland plane einen militärischen Überfall, und sogar das Datum dafür genannt - den letzten Mittwoch, 16. Februar. Russland, das solche Angriffspläne kategorisch verneint, hatte zu diesem Zeitpunkt bereits Teile seiner Truppen nach der geplanten Beendigung von Militärmanövern wieder abgezogen.

Die derzeitige Eskalation im Donbass kann nur vor dem Hintergrund der Bestrebungen der USA verstanden werden, einen Krieg mit Russland zu provozieren. Nachdem US-Präsident Joe Biden am Dienstag eine besonders kriegerische Rede gehalten hatte, betonten Vertreter der USA und der Nato, dass die Gefahr eines russischen Einmarsches weiterhin akut bleibt, obwohl Russland Berichten zufolge mit dem Abzug eines Teils seiner Truppen begonnen hat.

US-Außenminister Antony Blinken unterstellte am Donnerstag, dass die russischen Truppen nicht abgezogen wurden und „sich darauf vorbereiten, in den kommenden Tagen einen Angriff auf die Ukraine zu beginnen“. Die Washingtoner Zeitschrift Politico hat ein weiteres mutmaßliches Datum für einen russischen Einmarsch festgelegt: den 20. Februar.

Blinken kündigte an, er werde gemeinsam mit Vizepräsidentin Kamala Harris an der Münchener Sicherheitskonferenz teilnehmen. Gleichzeitig erklärte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg, das Bündnis bereite sich auf einen weiteren Ausbau seiner Streitkräfte entlang der russischen Grenze vor. Weiter erklärte er, diese Art von Kriegsmobilisierung gegen eine angebliche russische Bedrohung müsse als „die neue Normalität in Europa“ akzeptiert werden.

Kurz nachdem am Donnerstag die Meldungen über den Artilleriebeschuss aufkamen, veröffentlichte Moskau seine Reaktion auf Washingtons Ablehnung der Forderungen nach Sicherheitsgarantien vom letzten Dezember. Der Kreml bekräftigte seine Forderung nach einer Garantie, dass die Ukraine nicht in die Nato aufgenommen wird, nach der Rückkehr der Nato zu den Grenzen von 1997, nach dem Verzicht auf die Stationierung von weiteren Atomraketen nahe der russischen Grenze und dem Abzug der bereits stationierten Raketen. Er betonte erneut, er bereite keinen Einmarsch in die Ukraine vor. Weiter wies er darauf hin, dass die USA keine ihrer sicherheitspolitischen Forderungen berücksichtigt haben, und erklärte, er werde nicht nachgeben und sei möglicherweise „zu einer Reaktion gezwungen einschließlich der Umsetzung von Maßnahmen militärisch-technischer Natur“.

Aus noch nicht genannten Gründen wurde am Donnerstag außerdem der stellvertretende US-Botschafter aus Moskau ausgewiesen.

In der Ukraine schwankt Präsident Wolodimir Selenskyj zwischen militaristischem Säbelrasseln und Aufrufen zur Ruhe. Nachdem der Beschuss im Donbass diese Woche eskalierte, reiste er an die Front, um die ukrainischen Truppen zu loben. In einem Interview mit RBC Ukraina erklärte er faktisch, seine Regierung akzeptiere das Minsker Abkommen von 2015 nicht mehr. Er erklärte, Kiew werde weiterhin gemeinsam mit Deutschland, Frankreich und Russland im Normandie-Format verhandeln, forderte aber die Unterzeichnung eines neuen internationalen Abkommens.

Da der Prozess der Aufnahme in die Nato ins Stocken geraten ist, forderte Selenskyj, dass dieses Abkommen „Sicherheitsgarantien“ für die Ukraine beinhalten müsse, die denjenigen der Nato-Mitglieder gleichkommen. Gleichzeitig kritisierte er erneut die Kriegshysterie der westlichen Medien.

Dawid Arachmia, der Vorsitzende der ukrainischen Partei Diener des Volkes, erklärte vor kurzem: „Diese Hysterie kostet das Land jeden Monat zwei bis drei Milliarden Dollar.“ Er bezeichnete die „Falschinformationen“, die von CNN, Bloomberg und dem Wall Street Journal verbreitet werden, als eine Form von „hybrider Kriegsführung“, die „schlimmer“ sei als diejenige von führenden staatlichen Propagandisten aus Russland. Abgesehen von den wirtschaftlichen Erwägungen, die diese Äußerungen motivieren, fürchten Teile der ukrainischen Oligarchie zweifellos, dass ihr Land in eine weitere „Afghanistan-Falle“ für Russland verwandelt werden wird, wie es Vertreter der USA mehrfach angedroht haben. In einer solchen Situation könnten sie selbst großen finanziellen Schaden nehmen.

Der Kriegskurs gegen Russland destabilisiert die Ukraine zunehmend, und es ist alles andere als klar, ob Selenskyj die Lage im Land unter Kontrolle hat. In den letzten Wochen haben sich die Anzeichen dafür gemehrt, dass die USA planen, seine Regierung zu stürzen und durch einen gefügigeren Präsidenten zu ersetzen.

Ein weiteres Element der enormen Instabilität der Lage ist die Tatsache, dass die ukrainischen Faschisten durch die Eskalation des Konflikts mit Russland und die schamlose Kampagne der westlichen Medien, die sie als Kämpfer für „Demokratie“ und „Freiheit“ darstellen, ermutigt wurden. Diese Kräfte sind schwer bewaffnet und faktisch in den Staats- und Militärapparat intergiert. Dmitri Jarosch, der während des Putsches von 2014 den faschistischen Rechten Sektor anführte und weiterhin seine eigene rechtsextreme paramilitärische Einheit leitet, ist seit November Berater des ukrainischen Generalstabschefs Waleri Saluschny.

Seit Anfang 2021 ist die „Wiedereroberung“ der Krim und des Donbass – eine schon seit langem von der extremen Rechten erhobene Forderung – offiziell Teil der ukrainischen Militärstrategie. Oleg Tjagnybok, ein Abgeordneter des ukrainischen Parlaments und Führer der Neonazi-Partei Swoboda, erklärte Anfang Februar, Russland müsse „zerteilt“ und in „20 Nationalstaaten“ aufgeteilt werden, damit die Krim wieder an die Ukraine „zurückgegeben“ werden kann. Zweifellos hat er damit nur ausgesprochen, was hinter verschlossenen Türen diskutiert wird. Der russische Präsident Putin hat genau dieses Szenario – d.h. eine Wiederholung der Aufteilung Jugoslawiens in viel größerem Maßstab – immer wieder als seine größte Befürchtung bezeichnet.

Beträchtliche Teile der russischen herrschenden Klasse betrachten einen Krieg als unvermeidlich, nachdem sie seit drei Jahrzehnten von den imperialistischen Mächten eingekreist wurden – wofür sie und ihre stalinistischen Vorgänger direkt verantwortlich sind.

Sergei Karaganow, Ehrenvorsitzender des russischen Rats für Außen- und Verteidigungspolitik, erklärte vor kurzem in einem Interview: „Unser Dilemma ist recht einfach. Wenn wir im derzeitigen System bleiben (d.h. der Ausdehnung der Nato in die Ukraine tatenlos zusehen), ist ein Krieg unvermeidlich. ... In diesem Sinn ist es unser Anliegen, einen Weg zu finden, um ein stabiles und tragfähiges Sicherheitssystem in Europa zu erreichen und einen militärischen Konflikt zu verhindern. Wir wollen das System ohne einen großen Krieg ändern. Dennoch schließe ich nicht aus, dass es zu einem kleineren Krieg oder einer Serie von lokalen Kriegen kommen könnte. Es besteht einfach eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass unsere westlichen ,Partner‘ aufgrund von Vergesslichkeit gegenüber unserer Geschichte oder aus bösartiger Dummheit – die sie haben, wie die letzten Jahrzehnte leider zeigen – versuchen werden, das ,weiche‘ Szenario zu verhindern und uns zu provozieren.

Die Lage ist also wirklich zugespitzt. Und weil sie so zugespitzt ist, müssen wir das durchziehen, andernfalls wird das System trotzdem zusammenbrechen. Und dann wird ein großer Krieg unvermeidlich sein, und er könnte unter Bedingungen beginnen, die jenseits unserer Kontrolle liegen. Die Entscheidung ist deshalb eindeutig.“

Karaganow erklärte, warum der Kreml im Dezember seine Forderungen nach Sicherheitsgarantien vorgebracht hatte, und sagte weiter, Russland habe jetzt bessere „Trumpfkarten“ für Verhandlungen mit den USA als je zuvor. Er nannte zwar keine Details, doch der Kreml hat versucht, die Spannungen zwischen den imperialistischen Mächten zu benutzen, vor allem zwischen Deutschland und den USA, und will außerdem die Angst vor einem russisch-chinesischen Bündnis ausnutzen, da sich der US-Imperialismus zunehmend auf die Vorbereitungen eines Kriegs gegen China konzentriert.

Doch unabhängig von den geo- und innenpolitischen Kalkulationen der USA oder Russlands wird die Dynamik, die die Krise des Kapitalismus und das militärische Wüten des US-Imperialismus in den letzten Jahrzehnten ausgelöst hat, unweigerlich zu einem katastrophalen Krieg führen. Die einzige Alternative ist die unabhängige Intervention der internationalen Arbeiterklasse.

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