Verdi beendet Streik an Universitätskliniken in NRW

Der bisher längste Arbeitskampf im Gesundheitswesen in Nordrhein-Westfalen ist nach fast zwölf Wochen von der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi beendet worden. Der vereinbarte Entlastungstarifvertrag schafft keine wirklichen Verbesserungen für die Pflegekräfte des bevölkerungsreichsten Bundeslandes, er dient vielmehr dazu, die untragbaren Arbeitsbedingungen in den Kliniken zu zementieren.

Bis Mittwoch hatten die Pflegekräfte an 77 Streiktagen gegen schlechte Löhne, untragbare Arbeitsbedingungen, Personalmangel und die damit verbundenen Mängel in der Patientenversorgung protestiert. Weit mehr als 10.000 Operationen mussten an sechs Kliniken seit Anfang Mai verschoben werden.

Streikende Pfleger sprechen über katastrophale Bedingungen an den Kliniken

Der Arbeitskampf genoss riesige Unterstützung in der Bevölkerung, obwohl die meisten Medien kaum darüber berichteten. Der Druck auf die Pflegekräfte hat sich mit Beginn der Coronapandemie vor zweieinhalb Jahren noch einmal enorm verschärft. Nur dem Einsatzwillen von Pflegekräften, Ärzten und anderem Personal in den Kliniken ist es zu verdanken, dass die Versorgung nicht längst zusammengebrochen ist.

Derzeit spitzt sich die Lage in den Krankenhäusern als Folge der brutalen Durchseuchungspolitik von Bundes- und Landesregierungen wieder zu. Steigende Infektionszahlen führen zu einer wachsenden Anzahl von Klinikeinweisungen und Intensivbehandlungen. Gleichzeitig verschärft sich der Personalmangel durch die hohe Zahl von Pflegekräften, die selbst an Corona erkranken. Nicht selten befinden sich 20 bis 25 Prozent der Beschäftigten von Kliniken im Krankenstand beziehungsweise in Quarantäne.

Verdi feierte die Einigung auf den Tarifvertrag als „großen Etappensieg“. Es sei vollbracht, erklärte Katharina Wesenick, Verdi-Landesfachbereichsleiterin für Gesundheit, Soziales, Bildung und Wissenschaft, der erste Flächentarifvertrag für Entlastung an Krankenhäusern sei durchgesetzt.

Auch die Arbeitgeberseite war sichtlich zufrieden mit dem Abschluss. Als erste Reaktion hieß es, ab Mittwoch könnten schrittweise wieder deutlich mehr Patientinnen und Patienten an den Unikliniken versorgt werden.

Der nordrhein-westfälische Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann sagte, er sei froh, dass die Sozialpartner eine Lösung im Tarifkonflikt gefunden hätten. Es liege nun ein gutes Ergebnis auf dem Tisch, das zu besseren Arbeitsbedingungen führe und nachhaltig entlaste.

Während Arbeitgeber, Politik und Gewerkschaft das Ende des Streiks bejubeln, gibt es für die Beschäftigen nichts zu feiern. Für sie ist der Abschluss eine Ohrfeige.

Als Vorbild für den Abschluss in NRW diente die Vereinbarung an den Berliner Kliniken von Charité und Vivantes. Auch hier würgte Verdi den Streik für bessere Arbeitsbedingungen nach 50 Tagen ab und vereinbarte mit den Kliniken und dem rot-rot-grünen Senat einen Entlastungstarifvertrag TV-E, der für die Beschäftigten keine Verbesserungen bringt und sie lediglich zum Stillhalten zwingt.

An der Charité sollen laut der Vereinbarung in den nächsten drei Jahren 700 zusätzliche Beschäftigte eingestellt werden. Die ursprüngliche, bereits viel zu gering angesetzte Forderung von 1200 zusätzlichen Mitarbeitenden wurde damit fast halbiert. Ob diese neuen Kräfte tatsächlich eingestellt werden, steht aber in den Sternen.

Es wurde ein ausgeklügeltes System von Belastungspunkten vereinbart, das in Wirklichkeit die Überlastung nicht verringert, sondern legitimiert. Für fünf Schichten in Unterbesetzung gibt es einen Punkt, der als Belastungsausgleich in acht Stunden Freizeit umgewandelt werden kann. Wenn also eine Pflegekraft acht Stunden lang für zwei gearbeitet hat, soll sie nicht einmal zwei Stunden davon als Freizeit ausgeglichen bekommen.

Maximal soll es aber nur fünf freie Tage pro Jahr geben, es werden also nicht mehr als 40 Schichten pro Jahr in Unterbesetzung ausgeglichen. Für die Kliniken ist es damit weiterhin äußerst rentabel, in Unterbesetzung zu arbeiten.

Die Vereinbarungen, die jetzt für die Universitätskliniken in NRW getroffen wurde, ist für die Beschäftigten noch um Einiges schlechter. Zentrale Punkte sind hier ein vorgeblich besserer Personalschlüssel sowie zusätzliche Entlastungstage oder ein finanzieller Ausgleich bei dessen Unterschreiten.

Erst ab Anfang 2023 soll der Tarifvertrag überhaupt in Kraft treten. Obwohl in den kommenden Monaten mit einer maximalen Belastung der Kliniken zu rechnen ist, wird in dieser Zeit nichts unternommen. Bis das System der Entlastungspunkte in Kraft tritt, vergehen weitere anderthalb Jahre. Für den Übergang gibt es lediglich eine geringe, pauschale Anzahl an zusätzlichen freien Tagen.

Für die verschiedenen Klinikbereiche wurden Modelle vereinbart, mit denen die angebliche Entlastung definiert wird. So werden beispielsweise auf Normal- und Intensivstationen Personal-Patienten-Schlüssel festgelegt, die bindend sind. Werden diese unterschritten, erhält der Mitarbeiter einen Punkt.

Erst nach sage und schreibe sieben Punkten erhält er dann einen Entlastungstag. Im ersten Jahr ist die Anzahl der möglichen Entlastungstage darüber hinaus auf elf begrenzt. Sind diese erreicht, erhält er trotz Belastungssituation keinen Ausgleich mehr.

Darüber hinaus ist der Personalschlüssel bisher noch gar nicht definiert, und es ist unwahrscheinlich, dass er angemessen sein wird.

In anderen Bereichen gibt es noch weniger. Für die Servicebereiche einigte man sich auf 10 Prozent mehr Personal im Vergleich zum jetzigen Personalsoll. Der Zeitraum, in dem dies geschehen soll, ist noch nicht bekannt, aber angesichts der massiven Unterbesetzung in diesem Bereich in den letzten Jahren wird es nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein sein.

Für den Bereich Case- und Patientenmanagement gibt es nur pauschal drei zusätzliche freie Tage. Da hier keine zusätzlichen Vereinbarungen getroffen wurden, ist schon jetzt klar, dass eine gleichbleibende Anzahl von Beschäftigten dieselbe Arbeit in weniger Zeit verrichten muss.

Für Auszubildende und Beschäftigte anderer Bereiche gibt es rein kosmetische Änderungen, die an der enormen Belastung nichts grundlegend ändern.

Wichtig war für Gewerkschaften, Klinikmanagement und Landesregierung die extrem lange Laufzeit von fünf Jahren. Damit soll sichergestellt werden, dass in den nächsten Jahren Friedenspflicht herrscht und ein Streik so unterbunden wird.

Nun wird der genaue Text formuliert, dann folgt die Urabstimmung. Bis zum 5. August sind die betroffenen Verdi-Mitglieder dann aufgerufen, über die Annahme des Tarifvertrags abzustimmen.

Bereits jetzt werden Stimmen laut, die eine Übernahme dieses Modells in anderen Bundesländern fordern, um dort den Unmut und die Wut über die katastrophalen Bedingungen zu unterdrücken.

Der Abschluss macht einmal mehr deutlich, dass die Gewerkschaften direkt gegen die Beschäftigten agieren. Er muss abgelehnt werden. Der Kampf für eine echte Verbesserung kann nur gewonnen werden, wenn Verdi das Verhandlungsmandat entzogen wird. Es müssen unabhängige Aktionskomitees organisiert werden, die die Kämpfe über die Branchen- und Ländergrenzen hinweg vereinen.

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