Proteststreik am Uniklinikum Gießen und Marburg: „Die Privatisierung war ein großer Fehler!“

Ein 24-stündiger Warnstreik in beiden Häusern des Uniklinikums Gießen und Marburg (UKGM) hat am Dienstag einmal mehr die verheerenden Zustände in der Pflege offengelegt. Nicht zum ersten Mal: In den letzten Wochen haben Pflegekräfte und Klinikmitarbeiter schon viermal den Betrieb im UKGM bestreikt und einen großen Teil der Operationen und Behandlungen ausfallen lassen.

In dem ersten privatisierten Uniklinikum Deutschlands kämpfen die über 9.000 Beschäftigten nicht nur gegen Personalmangel, Überlastung und schlechte Bezahlung. Ihnen drohen auch die Ausgliederung ganzer Abteilungen in Tochter- und Subunternehmen und die Nicht-Übernahme der Auszubildenden.

Pflegekräfte aus Marburg bei der Wiesbadener Kundgebung, 21. September 2022

Der Asklepios-Konzern, der die Rhön-Klinikum AG, Besitzerin des UKGM, vor zwei Jahren übernommen hat, ist für die rüde Durchsetzung von Outsourcing und Lohndumping in seinen Kliniken bekannt. Gründer und Hauptaktionär von Asklepios ist der Multimilliardär Bernard große Broermann, der neben weiteren Kliniken, Rehazentren etc. auch eine Luxushotelgruppe und andere Immobilien besitzt.

Rhön/Asklepios kann sich auf die Zusammenarbeit mit der hessischen Landesregierung verlassen. Im Jahr 2006 hatte die Regierung die Justus-Liebig-Uniklinik Gießen mit der Philipps-Uniklinik Marburg zusammengelegt und danach an den Rhön-Konzern verkauft. Seit der Übernahme durch Asklepios hat sie sich verpflichtet, sich in den nächsten zehn Jahren an Investitionen in Höhe von bis zu einer halben Milliarde Euro in das UKGM zu beteiligen.

Im Mai hatte der Konzern jedoch einen entsprechenden „Letter of Intent“ überraschend aufgekündigt, als abzusehen war, dass der Ukrainekrieg die Kosten für Energie und Neubauten stark in die Höhe treiben würde. Sofort versicherte die Landesregierung, auch diese finanziellen Zusatzlasten mitzutragen. Man werde sie „ernst nehmen“ und „gemeinsam Lösungen dafür finden“, versprach die Wissenschaftsministerin Angela Dorn (Die Grünen).

Dennoch weigert sich Asklepios/Rhön seither, noch irgendwelche verlässlichen Zusagen für Arbeitsplätze, Löhne und Übernahme der Azubis zu geben. Der Beschäftigungstarifvertrag von 2017, der ein grundsätzliches Ausgliederungsverbot und Kündigungsschutz enthält, läuft zum Ende des Jahres aus.

Dies in einer Situation, in der die Ampel-Koalition in Berlin ihre hochriskante Kriegspolitik vorantreibt. Die Bundesregierung liefert der Ukraine im Kampf gegen Russland immer verheerendere Waffen und hat – nicht etwa für die Pflege, sondern für die Bundeswehr – einen 100-Milliarden-Sonderfonds aufgelegt. Und die arbeitende Bevölkerung, die schon mit der Inflation ringt, muss die Kosten dafür tragen.

Die Klinikbeschäftigten sind also zu Recht beunruhigt und alarmiert. Sie haben am Dienstag erneut gezeigt, über welches Kampfpotential die Pflegekräfte gemeinsam verfügen und auf welche Unterstützung in der Bevölkerung sie bauen können. So hat eine Petition für die Wieder-Verstaatlichung der zwei Unikliniken über 18.000 Unterschriften erhalten.

Aber der Warnstreik hat auch gezeigt, dass dieser Kampf nicht länger der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi überlassen werden darf. Sie ist – zusammen mit der SPD und der Partei Die Linke – das größte Hindernis, um in Zukunft Arbeitssicherheit, Schutz vor Krieg und Pandemie und eine gute Gesundheitsversorgung zu erreichen.

Notwendig sind unabhängige Aktionskomitees, wie es sie schon unter Lehrern und Autoarbeitern in den USA, Sri Lanka und auch unter Autoarbeitern und Pflegern in Deutschland gibt. Sie haben die Aufgabe, den Kampf der Pflegekräfte in die eigenen Hände nehmen und mit dem Kampf anderer Pflegekräfte und Arbeiter zu verbinden. Sie stellen nicht die Profite der Konzerne, sondern die Zukunft, Gesundheit und Sicherheit der Arbeiter ins Zentrum.

Verdi isoliert den Kampf am UKGM systematisch von anderen Arbeitskämpfen im Pflegebereich. Innerhalb des letzten Jahres haben die Beschäftigten an mehreren anderen Unikliniken wochenlang gestreikt: Nach der Berliner Charité und Vivantes wurden die Unikliniken in NRW zwölf Wochen lang bestreikt, ehe Verdi sie durch einen Ausverkauf abwürgte. Auch am Uniklinikum Frankfurt sind die Beschäftigten streikbereit, weil es keinerlei Entlastung gibt. Überall herrscht derselbe Pflegenotstand.

Dabei droht bereits die nächste Corona-Welle. Die Pandemie hat die Missstände, die schon zuvor existierten, zugespitzt und weit sichtbar gemacht. „Nicht der Streik, sondern der Normalzustand gefährdet die Patienten“, brachte es eine Krankenschwester im Ruhrgebiet auf den Punkt. In Gießen wurden im Herbst und Winter 2020–2021, auf dem Höhepunkt der Infektionswelle, bis zu 110 Covid-Erkrankte gleichzeitig stationär behandelt, davon etwa 45 auf den Intensivstationen, meistens mit künstlicher Beatmung. Ähnlich war es auch in Marburg.

Seither arbeiten die Beschäftigten seit fast drei Jahren fast immer am Limit, und viele haben den Dienst quittiert. Manche sind selbst schwer erkrankt und einige auch gestorben. Im Herbst droht eine neue Pandemiewelle mit verheerenden Konsequenzen, während sich weltweit Affenpocken ausbreiten und auch Polio zurückkehrt.

In dieser Situation inszeniert Verdi nur immer neue, nutzlose Trillerpfeifenproteste und 24-Stunden-Streiks. Im Verein mit der Linkspartei führt die Gewerkschaft die Beschäftigten an der Nase herum. Am Dienstag hat Verdi eine Kundgebung in Wiesbaden vor dem Landtag organisiert, um den Politikern eine Plattform für ihre Lügen und Ausflüchte zu bieten.

Angela Dorn (Die Grünen), hessische Ministerin für Wissenschaft und Kunst

Maximal 120 Beschäftigte der beiden Kliniken nahmen daran teil. Zusammen mit Journalisten, hauptamtlichen Gewerkschaftern und Politikern umstanden sie die Bühne, auf der nacheinander die Gesundheitsexperten der Grünen, der CDU, der SPD und der Linken sprachen. Unter Buhrufen behauptete die Ministerin für Wissenschaft und Kunst, Angela Dorn (Die Grünen), auch sie sei „immer gegen Privatisierung gewesen“.

Der Sprecher der hessischen Linken ließ erkennen, mit welchen Zielen die Linkspartei ihre Kampagne „Rückführung des Klinikums in öffentliches Eigentum!“ führt. Er sagte: „Wer diese Möglichkeit nicht auch ernsthaft in Betracht zieht, der steht dem Konzern auch ein Stück weit hilflos gegenüber. Wir fordern, dass es öffentliches Geld, Landesmittel, nur gegen öffentlichen Einfluss geben darf.“

Das heißt übersetzt: Die Forderung soll als Druckmittel für die Verhandlungen der Regierung mit Rhön/Asklepios dienen. Es macht deutlich, dass Linkspartei und Verdi die „Forderung“ nach Rückführung in öffentliches Eigentum – die sie ergebenst an die CDU-Grüne Landesregierung richten – selbst in keiner Weise für realistisch halten.

Verdi-Kundgebung in Wiesbaden am Dienstag, 20. September 2022

Im Gespräch mit der WSWS machten mehrere Teilnehmer aus den Unikliniken deutlich, dass die Arbeiter mit dieser Protest- und Hinhaltetaktik der Verdi-Führer, die ja selbst in allen Aufsichtsräten sitzen, langsam die Geduld verlieren.

Zwei OP-Pflegerinnen aus Marburg, die seit über 20 Jahren dabei sind, bestätigten: „Wir sind jetzt an dem Punkt angekommen, wo die Arbeitsbedingungen so schlecht sind wie noch nie (…) Nach der Privatisierung verloren wir schon unser Weihnachtsgeld. Aber was man uns heute zumutet, das geht noch weit darüber hinaus, vor allem weil die personelle Situation dermaßen angespannt ist.“

Eine Kollegin, die selbst junge Pflegekräfte ausbildet, sagte: „Wir bilden viel aus, und auch mit Herzblut – denn wir werden dafür nicht extra freigestellt. Aber der Markt ist leergefegt, und wenn die Bedingungen so schlecht sind, bleiben die jungen Leute nicht bei uns.“ Sie fügte hinzu: „Was ich nicht verstehe: Warum streiken wir eigentlich nicht zusammen mit dem Uniklinikum Frankfurt?“

Frido, der seit über elf Jahren im Transportdienst in Marburg arbeitet, sagte: „Diese Warnstreiks haben bisher überhaupt nichts gebracht. Ich habe den Eindruck. Die Politiker haben gar kein Interesse, mit uns zu reden. Die Privatisierung war ein großer Fehler, aber die Regierung ist nicht bereit, diesen Fehler zu korrigieren.“

Sein Kollege ergänzte: „Wir sind ganz unten, das unterste Glied in der Kette. Der Transportdienst ist seit langem permanent unterbesetzt. Manche Kollegen arbeiten inzwischen für zwei, manchmal auch für drei Leute. Aber dafür werden wir nicht entschädigt. Unter uns sprechen wir schon von Kilometergeld, denn manche Kollegen haben gesundheitliche Schäden, weil sie dauernd laufen und viel zu viel auf den Beinen sind. Das hat sich deutlich verschlimmert.“

Auf den Vorschlag, gemeinsam mit Pflegekräften in Frankfurt, dem Ruhrgebiet und Berlin zu kämpfen, sagte Frido: „Das wäre besser: Nur gemeinsam kann man was erreichen. Wenn wir isoliert bleiben, nehmen sie uns überhaupt nicht ernst. Warum sind wir hierhergekommen?“

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