Verfassungsschutz betreibt hunderte rechtsextreme Social Media Profile

Der Verfassungsschutz beschäftigt mindestens einhundert Agenten, die mit jeweils bis zu fünf oder sechs Identitäten rechtsextreme Hetze im Netz betreiben und „szenetypische Straftaten“ wie Volksverhetzung begehen. Das geht aus einem Interview der Süddeutschen Zeitung mit einer Agentin des deutschen Inlandsgeheimdienstes hervor, das in der vergangenen Woche veröffentlicht wurde.

Der amtierende Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang (edited version of original by Christliches Medienmagazin pro, CC BY 2.0 , via Wikimedia Commons

Die Aufgabe der Agenten bestehe nicht nur darin, „mitzuschwimmen“, sondern auch selbst rechtsradikale Positionen zu verbreiten und Straftaten zu begehen, so die Agentin. „Natürlich, ich bestärke Menschen in ihrem Weltbild“, erklärt sie. „Ich verbreite im Prinzip eine Ideologie, die andere daraufhin auch besser finden.“ Zu diesem Zweck würden auch Straftaten begangen. „Die vielen Menschen, die als Opfer von rechter Online-Hetze betroffen sind, würden wahrscheinlich staunen, wenn sie wüssten, was da im staatlichen Auftrag inzwischen so alles gepostet und gelikt wird“, kommentiert die Süddeutsche.

Angesichts von 500 rechtsradikalen Identitäten und zusätzlich noch vielen weiteren im Bereich der Reichsbürger und Corona-Leugner, die neuerdings vom Geheimdienst nicht mehr als Rechtsextremisten bezeichnet werden, muss man davon ausgehen, dass ein erheblicher Teil des braunen Sumpfes im Netz und der rechtsterroristischen Szene staatlich organisiert ist.

Dass hier das Begehen von Straftaten im Zentrum steht und nicht ihre Aufdeckung, machen die Beispiele deutlich, die die SZ als Ermittlungserfolge der Agenten anführt. Als das ZDF-Magazin Frontal etwa eine rechtsterroristische Gruppe namens „Dresden Offlinevernetzung“ aufdeckte, die die Ermordung des sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer plante, machten die Behörden erst im Anschluss daran öffentlich, dass sie selbst in der Gruppe vertreten waren.

Die Polizei „musste das Material nicht erst beim ZDF beschlagnahmen“, sagte ein hochrangiger Verfassungsschutz-Agent laut SZ stolz. Man habe beweissichere Screenshots, mit Zeitstempel. Es stellt sich unweigerlich die Frage, weshalb dann nicht schon vor der Veröffentlichung durch die ZDF-Reporter Ermittlungsverfahren eingeleitet worden waren. Offenbar sollte die Gruppe geschützt werden.

Ähnlich liegt der Fall bei der rechtsterroristischen Chatgruppe „Vereinte Patrioten“, die die Entführung von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) plante. Hier leiteten die Behörden zwar vor der Veröffentlichung Ermittlungen ein, das ARD-Magazin Report Mainz hatte die Gruppe zuvor aber gestützt auf die Arbeit eines antifaschistischen Aktivisten schon lange Zeit beobachtet. Der Verfassungsschutz könnte einer Veröffentlichung einfach zuvor gekommen sein.

Unabhängig davon, ob den Mitarbeitern des Verfassungsschutzes in den anhängigen Verfahren nachgewiesen werden kann, dass sie selbst den Anstoß zu den geplanten Terroranschlägen gaben, ergibt sich das Bild einer vom Staat organisierten und gesteuerten rechtsextremen Szene.

Zahlreiche Studien haben gezeigt, dass etwa die rechtsextreme AfD was Reichweite und Weiterverbreitung betrifft in den sozialen Medien gegenüber den anderen Parteien weit überrepräsentiert ist. Obwohl sie bei Bundestagswahlen nur etwa zehn Prozent erhält, werden ihre Beiträge mehr als doppelt so oft weitergereicht wie bei jeder anderen Partei. Die Aktivitäten des Verfassungsschutzes könnten daran einen erheblichen Anteil haben.

Die zentrale Rolle des deutschen Inlandsgeheimdienstes beim Aufbau des braunen Sumpfes ist hinlänglich dokumentiert. Schon im Jahr 2003 hatten Richter des Bundesverfassungsgerichtes das Verbot der NPD abgelehnt als bekannt wurde, dass mindestens jeder siebte Funktionär der faschistischen Partei auf den Gehaltslisten des Verfassungsschutzes stand. Die Richter erklärten, dass bei der NPD „der Sache nach von einer Veranstaltung des Staates gesprochen“ werden müsse.

Auch am Aufbau der bisher größten rechtsterroristischen Vereinigung, dem Nationalsozialistischen Untergrund (NSU), war der Verfassungsschutz an zentraler Stelle beteiligt. In Thüringen baute der Rechtsextremist Helmut Roewer in den 1990er Jahren das Landesamt für Verfassungsschutz auf und beschäftigte unter anderem den Chef des „Thüringer Heimatschutzes“, Tino Brandt, als verdeckten Ermittler.

Brandt erhielt insgesamt 200.000 Euro an Steuergeldern um seine neofaschistische Organisation aufzubauen, zu der unter anderem die drei späteren NSU-Attentäter gehörten. Als diese untertauchten, um ihre Mordanschläge zu planen, hielt Brandt mit ihnen Kontakt. Der Verfassungsschutz versorgte das NSU-Trio sogar mit 2.000 Euro, damit sie sich neue Pässe besorgen konnten. Ein Mitarbeiter des Verfassungsschutzes, Andreas Temme, war sogar bei einem der NSU-Morde anwesend. Von ihm führen auch Spuren zum Mord am CDU-Politiker Walter Lübcke.

Man könnte die Liste endlos fortführen: von der Produktion und dem Versand menschenverachtender, faschistischer CDs in Brandenburg, die vom Geheimdienst organisiert wurde, bis zur Gründung des deutschen Ablegers des Ku-Klux-Klan durch einen Mitarbeiter des Verfassungsschutzes.

Diese Politik wurde in den letzten Jahren systematisch vorangetrieben. Nachdem die engen Verbindungen des Verfassungsschutzes mit dem NSU bekannt wurden, setzte die damalige Bundesregierung den offenen Rechtsextremisten Hans-Georg Maaßen an die Spitze der Behörde. Dieser vertuschte nicht nur die NSU-Affäre, sondern weitete auch die Unterstützung der rechtsextremen Szene aus. So traf er sich regelmäßig mit Vertretern der AfD und diskutierte mit ihnen den Verfassungsschutzbericht.

Der Haushalt allein des Bundesamts für Verfassungsschutzes wurde in den letzten fünf Jahren von 253 Millionen Euro auf 423 Millionen Euro fast verdoppelt. Ähnliche Zuwächse gab es bei den 16 Landesämtern. Die Bundesregierung baut den Geheimdienst bewusst zu einer Schaltzentrale der rechtsextremen Bewegung aus.

Mit der braunen Behörde und ihren rechtsextremen Netzwerken geht die Regierung gegen jeden vor, der sich ihrer Kriegspolitik, der sozialen Verwüstung und der sagenhaften Bereicherung der Reichen entgegenstellt. Im Jahr 2018 nahm der Verfassungsschutz unter Maaßen die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP) erstmals als „linksextremsitische Vereinigung“ in den Verfassungsschutzbericht auf und bereitete damit das Verbot der Partei vor. Das Vorgehen des Geheimdienstes ging mit Angriffen der rechten Szene auf Veranstaltungen der SGP einher, etwa an der Humboldt-Universität oder an der Universität Dresden.

Nachdem die SGP Klage gegen ihre Nennung im VS-Bericht eingereicht hatte, stellte sich die Bundesregierung hinter das Vorgehen der Behörde und erklärte, dass schon das „Streiten für eine egalitäre, demokratische und sozialistische Gesellschaft“ verfassungsfeindlich sei. Insbesondere warf sie der SGP vor, „gegen Imperialismus und vermeintlichen Nationalismus“ zu agitieren. Dieser haarsträubende Angriff auf demokratische Rechte wurde seither von zwei Gerichten in skandalöser Weise gestützt.

Während der Verfassungsschutz terroristische Strukturen deckt und die rechtsextreme Szene aufbaut, geht er gegen jeden vor, der den Kapitalismus kritisiert und sich gegen Krieg wendet. Das hat sich mit dem Stellvertreterkrieg, den die Nato gegen Russland auf dem Rücken der ukrainischen Bevölkerung führt, weiter verschärft. Die größte Aufrüstung seit Hitler, die horrende Inflation und die Massenentlassungen in der Industrie treffen auf wachsenden Widerstand in der Arbeiterklasse. Unter diesen Bedingungen mobilisiert die Regierung die rechtsextremen Seilschaften und den Staatsapparat, um diese Opposition zu unterdrücken.

Anfang des Jahres wurde das Urteil gegen die SGP teilweise im gleichen Wortlaut auch gegen die linke Tageszeitung junge Welt angewandt, die ihrerseits gegen die Beobachtung durch den Verfassungsschutz geklagt hatte. Im August kündigte Innenministerin Nancy Faeser (SPD) an, angebliche „Linksextremisten“ in der Klimabewegung „mit aller Kraft zu bekämpfen“.

Vor zwei Wochen griff der Hamburger Verfassungsschutz dann die Initiative für einen Volksentscheid zur Enteignung der großen Wohnkonzerne an. Linksextremisten seien dabei „ein bestimmender Faktor“. Sie träten für einen „demokratischen, dezentralen Kommunismus“ ein, der mit der „freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht vereinbar“ sei.

Die SGP hat diesen rechten Seilschaften den Kampf angesagt und gegen ihre Nennung im VS-Bericht sowie die skandalösen Urteile dazu Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingelegt. Wir rufen alle Leser auf, diese Klage zu unterstützen. Unterzeichnet unsere Petition auf Change.org und registriert Euch noch heute als aktive Unterstützer.

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