Frankfurter Buchmesse im Dienst der Kriegspropaganda

Noch bis zum Sonntag findet die 74. Frankfurter Buchmesse statt, an der sich Autoren und Verleger aus 95 Ländern und tausende Besucher beteiligen. Wer jedoch erwartet, inmitten der drohenden Atomkriegsgefahr hier ein Forum für kulturellen Austausch und das Bemühen um Frieden vorzufinden, wird bitter enttäuscht. Die Frankfurter Buchmesse hat Russland von der Teilnahme ausgeschlossen und sich selbst bewusst und gründlich in den Dienst antirussischer Kriegspropaganda gestellt.

Schon Anfang März 2022, kurz nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine, entschied die Leitung der Buchmesse, den russischen Nationalstand auszuschließen. Ein ukrainischer Nationalstand darf dagegen eine zentral gelegene Fläche nutzen; die Kosten dafür bestreitet das Auswärtige Amt. Prominentester Sprecher der Messe ist der ukrainische Regierungschef Wolodimir Selenskyj. Drei von vier Buchpreisen gehen an ukrainische Autoren, und der weltweit geachtete Friedenspreis wird einem glühenden Nationalisten verliehen.

Frankfurter Buchmesse 2018 [Photo by MFG Baden-Württemberg / CC BY-SA 2.0]

Die Buchmesse reiht sich damit in eine antirussische Kampagne ein, die darauf abzielt, alle Brücken einzureißen und den Krieg in der Ukraine weiter zu eskalieren. Der Krieg des Putin-Regimes ist reaktionär, aber er ist von den Nato-Mächten systematisch provoziert worden. Nun nutzen sie die ukrainische Bevölkerung als Kanonenfutter, um einen Stellvertreterkrieg gegen die Atommacht zu führen, der in der Vernichtung der gesamten Menschheit zu münden droht. Die rassistische Kampgne gegen Russen dient der Legitimation dieses Kriegs und der Einschüchterung jeder Opposition dagegen.

Den Tenor für die antirussische Kampagne auf der Buchmesse gab Selenskyj vor. Auf dem Empfang des europäischen Verlegerverbands online zugeschaltet, forderte der ukrainische Regierungschef, man müsse mit dem Versuch, Russland zu verstehen, endlich Schluss machen. „Wir müssen es offen sagen“, so Selenskyj. „Es gibt in Europa immer noch viele Personen, die sich dafür einsetzen, Russland ‚zu verstehen‘.“ Damit brachte er die absurde Kriegspropaganda auf den Punkt: Die Öffentlichkeit muss endlich aufhören, „verstehen“ zu wollen, und den Kampf gegen Russland bedenkenlos und bis zum Sieg unterstützen.

Das ist auch die groteske Quintessenz eines Kommentars, den die Zeit zur Verleihung des Friedenspreises publizierte. Dieser wird am Sonntag in der Paulskirche an Serhij Zhadan, einen Autor und Musiker aus Charkiw, verliehen. Zhadan (58) ist ursprünglich russischsprachig, hat sich jedoch in den letzten Jahren und vor allem seit Kriegsbeginn zu einem glühenden Nationalisten entwickelt. Er schreibt ukrainisch, unterstützt die ukrainischen Streitkräfte und trägt stolz einen „Kosakenschnitt“.

Volker Weidermann, Feuilleton-Chef der Zeit, bezeichnet die Preisverleihung zunächst als „Skandal“: „Der Friedenspreis ist einer der wichtigsten europäischen Kulturpreise unserer Zeit. Die ausgezeichnete Persönlichkeit muss, so steht es im Statut, in hervorragendem Maße ‚zur Verwirklichung des Friedensgedankens‘ beigetragen haben.“ Zhadan jedoch hat die Russen in seinem letzten Buch („Himmel über Charkiw“) als „Horde“, als „Verbrecher“ und „Unrat“ bezeichnet. Über die „russischen Tiere“ heißt es auf S. 45: „Brennt in der Hölle, ihr Schweine“.

Weidermann kommentiert: „Selbst wenn es hier nicht um unseren wichtigsten Preis im Namen des Friedens ginge, wäre das ungeheuerlich. Ist Literatur nicht für das Gegenteil dieser einseitigen, hasserfüllten Parteinahme geradezu erfunden worden? Ist das nicht die große Kunst, das Nicht-zu-Verstehende verstehen? Den entmenschlichten Gegner als Menschen erkennen und beschreiben? Ist es nicht einfach nur fatal, in diesen grauenvollen, hasserfüllten Zeiten den Hass mit literarischen Mitteln noch zu verstärken?“

Es ist so erschreckend wie bemerkenswert, dass Weidermann diese aufklärerischen Gedanken selbst rundheraus ablehnt. Am Schluss seines Kommentars beantwortet er seine eigene Frage: „Darf man den Friedenspreis an einen Autoren verleihen, der die Russen hasst?“ mit einem ausdrücklichen: „Ja“. Er schreibt: „Es ist der richtige Ort, diesen Preisträger zu ehren. Es ist auch der richtige Preis. Der Skandal ist nicht der Dichter und nicht sein Buch. Der Skandal ist der russische Überfall auf die Ukraine und das tägliche Töten.“

Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier begrüßte die Vergabe des Friedenspreises an Zhadan in seiner Auftaktrede zur Buchmesse. Er danke dem Schriftsteller, der „auf bewundernswerte Weise soziales und kulturelles Engagement in der Ostukraine vorgelebt“ habe, so Steinmeier.

Kein Verständnis also, um keinen Preis. Jedes Forschen nach den Ursachen soll unterbunden, im Keim erstickt werden. Dieses kriegsbedingte Denkverbot wird umso hysterischer vertreten, als die Gesellschaft es keineswegs unterstützt. Kunst, Kultur und Literatur müssen frei sein, weil sie uns helfen, das Neue, Unbekannte und „Andere“ zu verstehen. Diese Auffassung ist auch unter Autoren und Lesern auf der Frankfurter Buchmesse weit verbreitet.

Den Kriegstreibern geht die antirussische Kampagne der Buchmesse hingegen noch nicht weit genug. Sie haben rigoros den Ausschluss alles Russischen von der Buchmesse und weltweit gefordert.

Zusammen mit dem PEN Ukraine, dem Lviv International BookForum und dem Book Arsenal in Kiew hat das Ukrainische Buchinstitut einen Appell an die Literatur- und Verlagswelt für ein Totalverbot russischer Literatur und Kultur publiziert, das vier Punkte beinhaltet: 1.) soll jede Verbreitung von Büchern russischer Autoren und Verlage gestoppt werden, „online wie offline“. 2.) sollen keine Rechte von russischen Verlagen oder an diese erworben oder verkauft werden. 3.) sollen außer Russland selbst auch „alle Verlagshäuser, Kulturzentren und Autor:innen von der Teilnahme an allen internationalen Buchmessen und Literaturfestivals“ ausgeschlossen werden, und 4.) sollen alle Stipendien für Übersetzungen zeitgenössischer russischer Autoren in andere Sprachen beendet werden.

Dieser Aufruf zum Totalboykott, der an die Bücherverbrennungen der Nationalsozialisten erinnert, ist noch nicht alles. Im Sommer hat die ukrainische Regierung ein gesetzliches Verbot des Imports aller russischen Bücher und Aufführungen russischer Musik angekündigt. Das Ukrainische Buchinstitut, heute offizieller Partner der Buchmesse, hat im Mai angekündigt, aus den Schul- und öffentlichen Bibliotheken und anderen ukrainischen Einrichtungen bis zu 100 Millionen russische Werke zu entfernen. Darunter fallen auch Leo Tolstoi, Alexander Puschkin, Fjodor Dostojewski, etc. Oleksandr Tkatschenko, ukrainischer Kulturminister (und ehemalige Vorstandschef eines Medienunternehmens), schlug damals vor: „Russische Propagandawerke, die in ukrainischen Bibliotheken konfisziert wurden, könnten als Altpapier benutzt werden.“ Die Buchmesse hat Tkatschenko ausdrücklich eingeladen.

Die Frankfurter Buchmesse hat dem diktatorischen Ansinnen, alles Russische auszumerzen, zwar nicht stattgegeben. Doch sie räumt ein, dass es für russische Autoren sehr schwer sein könnte, in Frankfurt präsent zu sein. Zum Boykott Russlands schreibt sie: „Die Maßnahme wendet sich nicht gegen russische Autorinnen und Autoren (…) Einzelstände von russischen Verlagen wird die Frankfurter Buchmesse weiterhin zulassen, auch wenn diese Zulassung angesichts der verhängten Sanktionsmaßnahmen eher eine theoretische Möglichkeit sein wird“.

In den nächsten Tagen werden noch weitere hochrangige Regierungsvertreter wie Innenministerin Nancy Faeser, Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) und Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) auf der Buchmesse sprechen und die Kriegspropaganda weiter zuspitzen.

Mit ihrer dumpfen Hetze und ihrem antirussischen Rassismus knüpfen die herrschenden Eliten an ihre dunkelsten Traditionen an. Der Krieg gegen Russland und die horrende Aufrüstung bringen auch den braunen Schmutz wieder hoch.

Der Mehring-Verlag hat vor drei Jahren auf der Buchmesse das Buch „Warum sind sie wieder da?“ präsentiert, in dem Christoph Vandreier eindringlich vor der Rückkehr des Faschismus warnt. Vor zwei Jahren stellte der Verlag David North‘ „30 Jahre Krieg“ vor, das die historische Kriegseskalation seit der Auflösung der Sowjetunion nachzeichnet und von einem marxistischen Standpunkt analyisert. Das Buch nennt einen dritten, diesmal mit Atomwaffen ausgefochten, Weltkrieg eine konkrete Gefahr und zeigt auf, dass nur die internationale Mobilisierung der Arbeiterklasse auf der Grundlage eines sozialistischen Programms den Kriegswahnsinn stoppen kann. Jedem Besucher der Buchmesse, der von der Kriegspropaganda abgestoßen ist, sei diese Lektüre ausdrücklich empfohlen.

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