Fast drei Jahre Corona-Pandemie und eine aktuelle Inflationsrate von über zehn Prozent haben viele Kliniken und deren Beschäftige an ihr Limit gebracht. Für dieses Jahr können Kliniken Preissteigerungen in Höhe von rund 2,3 Prozent geltend machen, was etwa ein Fünftel der tatsächlichen Teuerung abdeckt. Es verwundert daher nicht, dass 40 Prozent der Kliniken eine Insolvenz für möglich halten.
Eine Studie der Unternehmensberatung Roland Berger ergab, dass knapp 70 Prozent der Kliniken in diesem Jahr ein Defizit erwarten. Unter den Häusern in öffentlich-rechtlicher Trägerschaft sind es 90 Prozent. 96 Prozent rechnen damit, dass sich die wirtschaftliche Lage in den nächsten fünf Jahren verschlechtert.
Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und die Ampel-Koalition haben eine Krankenhausreform angekündigt. Doch statt in Not geratene Kliniken zu unterstützen und das marode Gesundheitswesen zu entlasten, ist sie der erste Schritt zur Umsetzung lang gehegter Pläne für flächendeckende Klinikschließungen und radikale Kürzungen in der öffentlichen Gesundheitsversorgung.
Die Situation ist dramatisch. Nach einer aktuellen Umfrage des Deutschen Krankenhausinstituts können 96 Prozent der Krankenhäuser die Kosten nicht mehr aus den laufenden Einnahmen bezahlen. So wird ein Krankenhaus mittlerer Größe im nächsten Jahr über 6 Millionen Euro mehr für Strom und Gas bezahlen als im vergangenen Jahr. Auf alle Kliniken hochgerechnet ergibt sich ein Fehlbetrag von 4 Milliarden Euro alleine für Energiekosten.
Hinzu kommen die Belastungen durch die Pandemie. Im Sommer sind die so genannten Corona-Hilfen für Krankenhäuser ausgelaufen. Gleichzeitig hat die skrupellose Durchseuchungspolitik der Regierung dazu geführt, dass die Kliniken schon vor dem Höhepunkt der Herbst-/Winterwelle hoffnungslos überlastet sind. In den nächsten Wochen wird sich die Situation weiter verschärfen.
Schon vor der Pandemie war die Personalsituation in Kliniken katastrophal. In den letzten zweieinhalb Jahren haben hunderte Pflegekräfte gekündigt oder die Arbeitszeit reduziert, weil die Arbeitsbelastung unerträglich ist. Nun kommen enorme Personalausfälle durch Corona-Infektionen hinzu. Knapp 80 Prozent der Kliniken gehen davon aus, dass im Herbst wegen Personalmangel geplante Operationen und Behandlungen verschoben oder abgesagt werden müssen.
Nach den Plänen der Regierung soll es für die Bereiche Kinderheilkunde und Geburtshilfe geringfügige finanzielle Hilfen geben. Kinderkliniken sollen zusätzlich zu den Fallpauschalen noch nicht näher festgelegte zusätzliche Finanzmittel erhalten, um mögliche Mindereinnahmen auszugleichen. Diese werden allerdings an Anforderungen gekoppelt. So muss das Erlösvolumen von 2019 zu mindestens 80 Prozent erfüllt werden, sonst drohen Abschläge.
Dazu soll jede Klinik, die eine Pädiatrie und ein Perinatalzentrum vorhält, 1,5 Millionen Euro erhalten. Diese Summe ist nicht mehr als der sprichwörtliche Tropfen auf den heißen Stein, da diese Bereiche seit der Einführung der Fallpauschalen (DRGs) systematisch kaputtgespart wurden. Gerade die Kindermedizin wurde zugunsten anderer Bereiche, die höhere Gewinne versprechen, zurückgefahren. Heute besteht in einigen Regionen Deutschlands eine regelrechte Unterversorgung in diesen Bereichen.
Im Zentrum von Lauterbachs Plänen steht jedoch die Reduzierung von stationären Behandlungen. Dazu sollen möglichst viele als Tagesbehandlungen durchgeführt und so abgerechnet werden können. Lauterbach argumentiert, dass dadurch Pflegekräfte entlastet werden, weil viele Nachtdienste nicht besetzt werden müssen. „Wir machen sehr viel stationär, was eigentlich ambulant gemacht werden könnte oder ohne Übernachtung der Patienten. Diese Struktur ist eine uralte Struktur, die wollen wir jetzt überwinden“, sagte er dem ZDF.
Lauterbach hat sich noch nie für bessere Arbeitsbedingungen in den Kliniken eingesetzt, weder als langjähriges Aufsichtsratsmitglied der privaten Rhön-Kliniken, noch als Gesundheitspolitiker. Angesichts von rund 30.000 unbesetzten Stellen in der Krankenpflege, würde der Wegfall einiger Nachtdienste nicht ins Gewicht fallen.
Vielmehr zielt die Überwindung der „uralten Struktur“ darauf ab, flächendeckend Kliniken zu schließen und in den verbleibenden die Leistungen und damit auch das Personal zu kürzen. Damit setzt Lauterbach die Politik fort, die er 2003/2004 mit der Einführung der Fallpauschalen (DRGs, Diagnosis Related Groups) selbst maßgeblich mitgestaltet hatte.
Seither stehen die Krankenhäuser unter enormem wirtschaftlichem Druck. Mit den DRGs bekommen die Kliniken, unabhängig vom tatsächlichen Aufwand, die durchschnittlichen Behandlungskosten erstattet. Um profitabel oder kostenneutral zu sein, müssen sie mit möglichst wenig Personal möglichst viele Patienten behandeln.
Nur wenn ein Patient möglichst früh wieder aus der Klinik entlassen wird, macht diese Gewinn. Muss der Patient aber länger im Krankenhaus bleiben, als die Fallpauschale abdeckt, weil die Behandlung aufwendiger ist, wird dies in der Regel nicht von den Krankenkassen erstattet, und die Klinik bleibt auf den Kosten sitzen.
Als Folge der Fallpauschalen kommt es zu so genannten „blutigen Entlassungen“. Um vorgegebene Liegezeiten zu erfüllen, werden Patienten, die eigentlich noch nicht dazu bereit sind, nachhause geschickt.
Mit der nun geplanten Reform soll dieses System noch verschärft werden. Behandlungen, die eigentlich stationär durchgeführt werden müssten, sollen vermehrt ambulant erfolgen. Darüber hinaus sind so genannte Hybrid-DRGs in Planung. Damit können ambulante Therapien auch von niedergelassenen Ärzten vorgenommen werden. Vor allem kleine Krankenhäuser und Kliniken der Grundversorgung mit einer Gesamt- und Notfallversorgung, aber ohne spezielle Schwerpunkte, würden Einnahmen wegbrechen. Die angestrebten Schließungen werden so forciert.
Boris Augurzky vom Essener Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung (RWI), der auch im Expertengremium des Gesundheitsministeriums sitzt, begrüßte die Pläne. Er gehe davon aus, dass 20 Prozent der heutigen Krankenhausfälle ambulant behandelt werden könnten. Dies lässt erahnen, welchen Umfang die Pläne haben.
Augurzky hatte bereits inmitten der ersten Pandemiewelle im Frühjahr 2020 die flächendeckende Schließung von Kliniken verlangt. Angesichts der völligen Überlastung der Intensivstationen bemerkte er kaltschnäuzig, es sei schade, dass nicht mehr Kliniken geschlossen würden. Später verlangte er von der Bundesregierung, die Klinikkosten weiter zu senken. Es werde eine „Phase der Sparsamkeit“ auf uns zukommen, so Augurzky.
Augurzky und Lauterbach fordern seit Jahren die Umsetzung der Vorschläge der Bertelsmann-Stiftung, die bereits 2019 forderte, mehr als die Hälfte der Kliniken in Deutschland zu schließen. Anfang September veröffentlichte der Thinktank Stiftung Münch, dessen Vorstandsvorsitzender Augurzky ist, eine Studie, die für eine umfassende „Umwandlung“ von Allgemeinkrankenhäusern in ambulante Einrichtungen wirbt.
Die Folgen einer solchen „Umwandlung“ liegen auf der Hand. Wirtschaftlicher Druck und Profitmaximierung bestimmen die Behandlung noch stärker als bisher auf Kosten der Patientenversorgung. Der stationäre Aufenthalt mit umfassender ärztlicher und pflegerischer Betreuung würde für die Mehrheit der Bevölkerung zum Ausnahmefall.
Lauterbach und die Ampel-Regierung wollen die dramatische Situation, die sie durch ihre Profite-vor-Leben-Politik selbst verursacht haben, mit ihren geplanten „Reformen“ nutzen, um die öffentliche Gesundheitsversorgung weiter zusammenzustreichen.