Der ehemalige Ministerpräsident und Führer der Likud-Partei, Benjamin Netanjahu, ist auf dem besten Weg, mit Hilfe seiner rechtsextremen, faschistischen Verbündeten die neue israelische Regierung zu bilden. Bei den fünften Wahlen in weniger als vier Jahren sind inzwischen 95 Prozent aller Stimmen ausgezählt.
Netanjahus Likud-Partei wird voraussichtlich 32 Sitze gewinnen, was einem Zuwachs von zwei Sitzen gegenüber der letzten Wahl entspricht. Sein politischer Verbündeter, die faschistische Partei „Religiöser Zionismus“, der von Bezalel Smotrich im Bündnis mit der Partei „Jüdische Stärke“ von Itamar Ben-Gvir geführt wird, wird voraussichtlich vierzehn Sitze gewinnen. Das entspricht einem Zuwachs von acht Sitzen und macht ihn zur drittgrößten Partei. Zusammen mit den Sitzen der anderen religiösen Parteien, Vereinigtes Thora-Judentum (VTJ) und Schas, würde ihm dies eine Mehrheit von vier bis fünf Sitzen in der 120 Sitze umfassenden Knesset verschaffen. Entscheidend ist, dass der Likud als Minderheitspartner den religiösen Parteien gegenüber verpflichtet ist, je nachdem, wie das Ergebnis ausfällt.
Netanjahu ist in drei verschiedenen Gerichtsverfahren wegen Korruption, Betrugs und Untreue verwickelt und sieht eine Rückkehr an die Macht nicht zuletzt als Mittel zur Einführung von Gesetzen an, die seinen Prozess beenden. Der skandalumwitterte langjährige Premierminister sagte vor Anhängern in der Wahlzentrale seiner Partei: „Wir stehen kurz vor einem sehr großen Sieg. Das Volk will Stärke, nicht Schwäche.“
Yair Lapid, geschäftsführender Ministerpräsident und Vorsitzender von Jesch Atid, der zweitgrößten Partei, und Chef des Oppositionsblocks, wird voraussichtlich 24 Sitze erhalten, sieben mehr als bei der Wahl im letzten Jahr. Selbst mit der Unterstützung der Ra'am-Partei von Mansour Abbas, die keineswegs gesichert ist, bleiben ihm nur 50 Sitze. Denn seine Partner, die rechte Yamina-Partei von Ayelet Shaked und die liberale Meretz von Nitzan Horowitz, sind unter der 3,25-Prozent-Hürde geblieben.
Israels linke Kräfte sind derart stark geschwächt, dass die Bewegung, die den Staat Israel gegründet hat – die Arbeitspartei – nur vier Sitze gewonnen hat, während die Religiösen Zionisten auf vierzehn Sitze kamen.
Trotz eines glanzlosen Wahlkampfs lag die Wahlbeteiligung bei über 71 Prozent, dem höchsten Wert seit 2015, also seit sechs Wahlen. Die Wahlbeteiligung der arabischen Israelis war höher als erwartet und lag bei über 50 Prozent. Am Mittwoch, also noch vor der Bekanntgabe des Endergebnisses Ende dieser Woche, bat Lapid sein Büro, die Übergabe der Amtsgeschäfte vorzubereiten, und sagte seine Reise zur Cop27-Klimakonferenz in Ägypten nächste Woche ab.
Die Wahlen am Dienstag wurden im Juni letzten Jahres angesetzt, ein Jahr nach der Bildung einer fragilen Koalition im Juni 2021. Damals war Netanjahu trotz des Gewinns der meisten Sitze durch seine Likud-Partei nicht in der Lage gewesen, eine Koalition zusammenzuschustern. Die anschließend gebildete Koalition bestand dann aus acht verschiedenen Parteien, die sich nur in ihrer Opposition zu Netanjahu einig waren. Dazu zählten auch die Parteien, die sich vorgeblich zum Oslo-Abkommen (1993-95) und einem palästinensischen Ministaat bekannten – Meretz, Arbeitspartei, Yesh Atid und Kachol Lavan – und umfasste zum ersten Mal eine der arabischen Parteien Israels, Ra'am.
Um sich die Unterstützung einiger säkularer rechter Parteien zu sichern, die Netanjahu den Rücken gekehrt hatten, überließ Yair Lapid das Amt des Premierministers dem ehemaligen Siedlerführer Naftali Bennett. Während Lapids Partei die zweitmeisten Sitze errungen hatte, kam Bennetts Partei nur auf sechs Sitze. Dennoch erklärte sich Lapid bereit, für die Dauer des Bündnisses nicht mit den Palästinensern über die Frage eines eigenen Staates zu verhandeln.
Die so genannte „Regierung des Wandels“ von Bennett und Lapid setzte Netanjahus wirtschaftsfreundliche Agenda fort, einschließlich der Aufhebung aller Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie.
Die „Regierung des Wandels“ war außerdem für mehr Morde an Palästinensern in den besetzten Gebieten verantwortlich als jede andere Regierung seit 2005. Dazu zählt auch die gezielte Ermordung der US-amerikanischen Al-Jazeera-Journalistin Shireen Abu-Ahkle. Die kurzlebige Regierung trug für mehr Inhaftierungen und mehr zerstörte Häuser Verantwortung als die Regierung Netanjahus in den vorherigen Jahren. Sie trieb die ethnische Säuberung von Masafer Yatta voran, führte fast täglich Razzien und Massenverhaftungen sowie kollektive Bestrafungen durch und bezeichnete sechs führende palästinensische NGOs als „Terroristen“. Sie eskalierte Israels verdeckte Kriege gegen den Iran und seine Verbündeten, Syrien und die libanesische Hisbollah, im Iran, am Persischen Golf, in Syrien und im östlichen Mittelmeer.
Doch all dies reichte Bennetts rechten Ministern nicht aus. Daraufhin leitete Netanjahu ein parlamentarisches Manöver ein, um die Regierung zu stürzen und seine Rückkehr an die Macht zu sichern. Nach dem Scheitern der Koalition im Juni dieses Jahres und in Übereinstimmung mit der Koalitionsvereinbarung löste Lapid Bennett als geschäftsführender Ministerpräsident ab. Er wird als geschäftsführender Ministerpräsident im Amt bleiben, bis das Ergebnis der Wahlen vom Dienstag feststeht. Bennett hat sich derweil aus der Politik zurückgezogen.
Der Grund für das Scheitern der „Jeder-außer-Netanjahu“-Koalition, eine echte Alternative zur sozialen Ungleichheit in Israel vorzuschlagen, liegt in ihrer Klassenposition. Sie vertrat die israelischen Oligarchen gegenüber der Arbeiterklasse, sowohl der jüdischen als auch der palästinensischen, innerhalb der international anerkannten Grenzen Israels und der besetzten Gebiete.
Die Nutznießer sind die rechtsextremen, faschistischen Kräfte von Ben Gvir und Smotrich, unterstützt von Netanjahu, der ihr Bündnis vermittelt und ihren Einzug in die Knesset eingefädelt hat, um seinen Block vor den Wahlen 2021 zu stärken.
Diese Rassisten, die ideologischen Nachfolger der verbotenen Kahane-Bewegung, die in den USA als Terrororganisation eingestuft wurde, bilden Bürgerwehren im israelischen Negev und in Bat Yam, einem verarmten Vorort von Tel Aviv. Sie stacheln zu pogromartiger Gewalt gegen die Palästinenser im besetzten Westjordanland und in Ostjerusalem sowie in den gemischt bevölkerten Städten Israels an. Ihre Agenda zur jüdischen Vorherrschaft umfasst die israelische Herrschaft über das Westjordanland, die Vertreibung der, wie sie es nennen, „illoyalen“ palästinensischen Bürger Israels, die 20 Prozent der Bevölkerung des Landes ausmachen, die Zerstörung der Al-Aqsa-Moschee und den Bau eines jüdischen Tempels, die Durchsetzung religiöser Gesetze und die Zerstörung des Justizsystems.
Beide Politiker unterstützen die Einführung eines Gesetzes, das strafrechtliche Ermittlungen gegen einen amtierenden Premierminister ausschließt. Dies dürfte ihnen Schlüsselpositionen in einer von Netanjahu geführten Regierung garantieren. Sie haben bereits die Kontrolle über das Justiz-, Verteidigungs-, Finanz- und das Ministerium für öffentliche Sicherheit gefordert. Eine solche Regierung würde alle verbleibenden Hemmnisse für die Durchsetzung einer direkten Militärherrschaft über die Palästinenser beseitigen.
Ben-Gvir feierte den Erfolg seiner Partei und erklärte seinen Anhängern in Jerusalem, es sei „an der Zeit, wieder Eigentümer dieses Landes zu sein“, und dass er „immer noch nicht Premierminister“ sei. Er sagte, dass die Menschen, die für den Religiösen Zionismus gestimmt haben, „sicher auf den Straßen verkehren wollen und nicht wollen, dass unsere Soldaten und Polizisten zurückgehalten werden, [und] versuchen, diejenigen vollständig voneinander zu trennen, die dem Staat Israel gegenüber loyal sind, und diejenigen, die seine Existenz untergraben.“ Einige Zeugen berichteten, dass die Menge „Tod den Arabern“ skandierte, neben dem häufigeren Ruf „Tod den Terroristen.“
Netanjahu könnte zwar vermeiden, diesen faschistischen Kräften verpflichtet zu sein, indem er versuchen könnte, eine Koalition mit einigen der Parteien des Oppositionsblocks zu bilden, die zuvor unter ihm gedient haben. Doch dies gilt als unwahrscheinlich.
Die US-Regierung unter Präsident Joe Biden hat sich trotz ihrer bekannten Abneigung gegen Netanjahu und ihrer angeblichen Unterstützung für das Oslo-Abkommen zurückgehalten, die mögliche Einbeziehung Ben-Gvirs in eine Regierungskoalition zu kritisieren. Der Sprecher des Außenministeriums, Ned Price, sagte am Montag: „Unabhängig von der Form der israelischen Koalition und Regierung werden unsere Beziehungen stark und dauerhaft sein.“
Nach der Wahl sagte ein Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates der USA: „Wir freuen uns über die hohe Wahlbeteiligung bei den Knesset-Wahlen. Es ist noch zu früh, um über die genaue Zusammensetzung der nächsten Regierungskoalition zu spekulieren, solange nicht alle Stimmen ausgezählt sind. Wir freuen uns auf die weitere Zusammenarbeit mit der israelischen Regierung im Hinblick auf unsere gemeinsamen Interessen und Werte.“