Am heutigen Montag steht in Österreich aufgrund eines landesweiten Streiks der öffentliche Bahnverkehr still. Die Verhandlungen über einen neuen Tarifvertrag der Eisenbahner wurden am Sonntag ohne Ergebnis unterbrochen. Die Verkehrs- und Dienstleistungsgewerkschaft Vida hat daher für Montag von 00.00 bis 24.00 Uhr einen Warnstreik ausgerufen.
Der Streik betrifft den Fern- und Regionalverkehr, ebenso die S-Bahnen, und auch der grenzüberschreitende Zugverkehr nach Deutschland ist bereits seit Sonntagnacht ausgesetzt.
Auch die private Westbahn, bei der nicht gestreikt wird, ist betroffen, da die Bahnhöfe Wien, Linz und Salzburg aufgrund des Streiks nicht bedient werden können. Das Unternehmen, das zu 49,9 Prozent der Haselsteiner Familien-Privatstiftung, zu 32,7 Prozent der schweizerischen August Holding AG und zu 17,40 Prozent den französischen Staatsbahnen SNCF gehört, zeigte sich „erschüttert, dass der Streik nicht vermieden wurde“.
Bei den Innsbrucker Verkehrsbetrieben (IVB) kommt es heute zu einer Betriebsversammlung, bei der über einen möglichen Solidaritätsstreik entschieden wird. Selbst wenn dies nicht der Fall sein sollte, rechnet die IVB-Führung mit weitgehenden Einschränkungen auf mehreren Buslinien der Tiroler Landeshauptstadt.
Vida vertritt rund 50.000 Bahnbeschäftigte und fordert eine pauschale monatliche Lohnerhöhung von 400 Euro, was laut Gewerkschaft ein durchschnittliches Plus von etwa 12 Prozent ausmachen würde. Dies entspricht der Inflation im Monat Oktober in Österreich.
Die Arbeitgeber hatten zunächst ein Angebot von 200 Euro und einer Einmalzahlung von 1000 Euro angeboten. Nachdem die Bahnbeschäftigten diese magere Erhöhung ablehnten, lehnte die Gewerkschaft das Angebot ab. Daraufhin erhöhten es die Arbeitgeber nach Gewerkschaftsangaben um lächerliche 8 Euro.
Vida bekräftigte jedoch auch nach dem provokativen Angebot der Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) und dem Abbruch der Verhandlungen am Sonntag weiter ihre Gesprächsbereitschaft und signalisierte, auf die Bahn zugehen zu wollen. Vom Standpunkt der Gewerkschaft dient der auf einen Tag begrenzte Streik dazu, die explosive Wut unter den Beschäftigten zu kontrollieren. Die gleiche Rolle spielt die Gewerkschaft beim Streik der Beschäftigten in den Wiener Kliniken.
Streiks an Wiener Kliniken
In der Hauptstadt trat am vergangenen Mittwoch das Personal von sechs Ordensspitälern in einen Warnstreik. Für die gemeinnützigen Kliniken, die zum Teil aus Mitteln der Länder finanziert werden, wird ein neuer Tarifvertrag verhandelt. Obwohl die Verhandlungen alle Bundesländer betreffen und bereits zwei Verhandlungsrunden ergebnislos verliefen, rief Vida nur zu einem halbtägigen Protest in Wien auf.
In den letzten Jahren kam es immer wieder zu Streiks und Protesten von Ärzten und anderem Klinikpersonal. Vor zehn Jahren trat das ärztliche Personal in Oberösterreich in den Ausstand, ein Jahr später die Kollegen in den Kärntner Landeskliniken. 2015 und 2016 konnten Streiks in Wien gerade noch verhindert werden. Seither schwelte der Konflikt, und die ungeheuren Belastungen infolge der Coronapandemie haben das Fass nun zum Überlaufen gebracht.
Angesichts der horrenden Inflation kämpft das Personal für mehr Lohn. Dabei sind die Forderungen von Vida weit davon entfernt, die Teuerung auszugleichen, geschweige denn die miserablen Abschlüsse der letzten Verhandlungen. Der Forderung nach 500 Euro brutto mehr monatlich bzw. einem Mindestlohn von 2000 Euro stellten die Arbeitgeber ein Angebot entgegen, dass nur als Provokation bezeichnet werden kann. Sie boten eine Einmalzahlung von maximal 1000 Euro und das Vorziehen der nächsten Verhandlungen um zwei Monate an.
Seit Beginn der Pandemie wurde die ohnehin angespannte Situation in den Kliniken immer prekärer. Seit Langem ist bekannt, dass mit deutlich zu wenig Personal gearbeitet wird. Gerade die öffentlichen Kliniken wurden zu Vorreitern bei Einsparungen.
„Spitäler sind eine eher personalintensive Struktur, wobei gerade Ordensspitäler traditionell eine hohe Effizienz aufweisen,“ zitiert die Wiener Zeitung die Ökonomin Maria Hofmarcher. Diese ergänzte: „Die Kehrseite davon: hohe Arbeitsintensität für die Belegschaft und geringere Gehälter.“
Dass der Personalmangel sowohl zu Lasten der Beschäftigten wie auch der Patienten geht, macht eine Umfrage unter den Spitalsärzten deutlich.
84 Prozent der Wiener Spitalsärzte erklärten, dass „die aktuellen Rahmenbedingungen im Spital zu einem anhaltenden und nachhaltigen Qualitätsverlust in der medizinischen Betreuung der Patientinnen und Patienten führen“ werde. 64 Prozent stimmen dieser Aussage „sehr zu“, weitere 20 Prozent „eher zu“. Lediglich zwei Prozent stimmen der Aussage „gar nicht zu“. 78 Prozent stimmen der Aussage zu, dass es große Engpässe bei der Versorgung der Patientinnen und Patienten an den Wiener Spitälern gebe.
82 Prozent gaben an, dass die aktuellen Rahmenbedingungen zu einem anhaltenden und nachhaltigen Qualitätsverlust in der medizinischen Ausbildung führen.
Dabei sind sich die ärztlichen Beschäftigten im Klaren darüber, dass die Wiener Landesregierung keine Maßnahmen ergreift, um die Situation zu verbessern. 72 Prozent geben an, dass die Wiener Stadtpolitik „nichts gegen die Probleme in Wiener Spitälern“ tue. Und 68 Prozent stimmen zu, dass Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) die Gefährdungsanzeigen aus Wiener Spitäler „nicht ernst genug“ nehme.
Seit Langem gibt es Kritik daran, dass sowohl die Landesregierung von SPÖ und Neos als auch die rot-grüne Vorgängerregierung die Situation an den Kliniken, die für Patienten potenziell lebensbedrohlich ist, völlig ignoriert.
Auch das Pflegepersonal kritisiert den gravierenden Qualitätsverlust infolge der schlechten Arbeitsbedingungen. Laut Arbeiterkammer-Präsidentin Renate Anderl gaben rund 85 Prozent der Pflegekräfte an, dass in ihrem Team in den letzten zwei Wochen mindestens eine Pflegetätigkeit oft weggelassen oder mit Verzögerung durchgeführt wurde. Das zeigt auch die aktuelle MissCare-Austria Studie der Karl Landsteiner Privatuniversität, die am 23. November vorgestellt wurde.
Als Folge der fehlenden Leistungen werden gefährliche Erkrankungen seltener erkannt und viele Patienten schlecht informiert aus dem Krankenhaus entlassen. Das wiederum führt zu einer vermeidbaren Wiederaufnahme ins Krankenhaus. Pflegevertreter fordern bisher vergebens eine signifikante Erhöhung der Personalschlüssel, um eine sichere Versorgung zu gewährleisten.
Nach jetzigen Schätzungen fehlen bis zum Jahr 2030 in Österreich rund 80.000 Pflegekräfte. Hinzu kommt fehlendes Personal im ärztlichen Bereich.
Bundesgesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) schiebt die Verantwortung auf die Länder, wohl wissend, dass gerade die Corona-Politik der schwarz-grünen Bundesregierung zu einer erheblichen Verschärfung der Situation in den Kliniken geführt hat. Rauch, der bereits der dritte grüne Gesundheitsminister seit Pandemiebeginn ist, gilt als strikter Gegner von Corona-Schutzmaßnahmen. Trotz offiziell noch immer rund 5000 Neuinfektionen täglich – die Dunkelziffer dürfte um ein Vielfaches höher liegen – wiederholte er jüngst, man sei in einer „stabilen Lage“.
Tarifrunde im Handel und der Metallindustrie
Weitere Streiks könnten in den nächsten Tagen und Wochen auch im Handel folgen. Hier fordert die Gewerkschaft GPA eine Lohnerhöhung von 10 Prozent und droht gegebenenfalls mit Streik, während die Arbeitgeber gerade einmal 4 Prozent angeboten haben.
Mit den Streiks versuchen die Gewerkschaften Dampf abzulassen, wohl wissend, dass es in den Belegschaften brodelt. Doch es ist völlig offensichtlich, dass die Gewerkschaften die wichtigste Stütze von Unternehmen und Regierung sind und das Abwälzen der steigenden Kosten auf die Beschäftigten unterstützen.
Deutlich wurde dies in der jüngsten Tarifeinigung in der Metallindustrie. Hier vereinbarten die Gewerkschaften eine empfindliche Reallohnsenkung für die rund 130.000 Beschäftigten. So steigen die Löhne bei einer offiziellen Inflationsrate von fast 12 Prozent gerade einmal um 7,4 Prozent. Einen ähnlichen Ausverkauf versuchen Unternehmen und Gewerkschaften nun auch bei den Bahn-, Handels- und Klinikbeschäftigten durchzusetzen.
Weltweit sind Arbeiter mit den gleichen Fragen konfrontiert. Überall arbeiten die Gewerkschaften Hand in Hand mit den Unternehmen und der Regierung, um heftige Angriffe auf Arbeitsbedingungen und Löhne durchzusetzen. In Deutschland vereinbarte die IG Metall jüngst die dritte Reallohnsenkung in Folge. In den USA versuchen die Gewerkschaften im engen Bündnis mit der Biden-Regierung verzweifelt einen nationalen Bahnarbeiterstreik zu unterdrücken – aber die Opposition dagegen wächst.
Damit Arbeiter weltweit ihre Kämpfe erfolgreich führen können, müssen sie sich unabhängig organisieren und betriebsübergreifend und international vernetzen. Das Internationale Komitee der Vierten Internationale hat die Internationale Arbeiterallianz der Aktionskomitees (IWA-RFC) gegründet, um diesen Kämpfen eine Orientierung zu geben und sie international zu koordinieren.