EU beschließt massive Verschärfung ihrer Flüchtlingspolitik

Am 9. Februar trafen sich die 27 Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union (EU) in Brüssel, um eine massive Verschärfung der gemeinsamen Asyl- und Migrationspolitik zu beschließen. Ein weiteres zentrales Thema war die Eskalation des Ukrainekriegs gegen Russland.

Kein Thema war dagegen die verheerende Erdbebenkatastrophe, die nur zwei Tage zuvor das Grenzgebiet Türkei–Syrien verwüstet hatte. Die EU, vorgeblich gegründet auf Freiheit, Demokratie, Gleichstellung, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte und der Würde des Menschen, hat auf die Verwüstung an ihrer Peripherie, von der etwa 23 Millionen Menschen betroffen sind, keine Antwort. Hunderttausende haben in der türkisch-syrischen Grenzregion ihre Angehörigen, ihre Häuser und alles verloren. Aber die europäischen Regierungen halten stur an ihrer mörderischen Abschiebungsroutine fest.

Flüchtlinge an der griechisch-nordmazedonischen Grenze (2016) [Photo by Tim Lüddemann / flickr / CC BY-NC-SA 2.0]

Folgende Punkte wurden auf dem EU-Flüchtlingsgipfel beschlossen:

  • eine weitere Aufrüstung der EU-Grenzagentur Frontex, um die „Festung Europa“ noch stärker abzuschotten,
  • die massenhafte Abschiebungen von Geflüchteten ohne dauerhaftes Bleiberecht,
  • eine enge Zusammenarbeit mit den autoritären Regimen in den Herkunftsländern.

Auf der Pressekonferenz nach dem Sondergipfel verdeutlichte Kommissionpräsidentin Ursula von der Leyen die Pläne für die Asyl- und Migrationspolitik der EU. Sie erklärte, ein „Grenzmanagement“ müsse die Außengrenzen der EU stärken und dazu beitragen, dass irreguläre Migration verhindert werde. Dafür soll ein „integriertes Paket mobiler und stationärer Infrastrukturen“ bereitgestellt werden. Sein Inhalt, der „von Fahrzeugen bis hin zu Kameras, von Wachtürmen bis hin zur elektronischen Überwachung“ reichen soll, würde jedem faschistischen Machthaber imponieren.

Die Schlussfolgerungen des EU-Gipfels zur Migrationspolitik

In den Schlussfolgerungen des Gipfels zur Migration heißt es, die EU werde ihre Maßnahmen verstärken, „um irreguläre Ausreisen und den Verlust von Menschenleben zu verhindern, den Druck auf die EU-Grenzen und auf die Aufnahmekapazitäten zu verringern, Schleuser zu bekämpfen und für mehr Rückkehr zu sorgen“. Mit den Herkunfts- und Transitländern will die EU für beide Seiten „vorteilhafte Partnerschaften“ verstärken.

Hinter dem Orwell‘schen Neusprech der EU stecken schmutzige Deals mit autoritären Regimen und Schleuserbanden, damit Menschen an der Ausreise aus ihrem Heimatland gehindert werden (und nicht erst in europäischen Gewässern ums Leben kommen). Um ein Betreten des Schengen-Raums zu verhindern, sollen die Kontrollen durch Frontex verschärft und die illegalen Pushbacks ausgeweitet werden. Außerdem will die EU die Massenabschiebungen aus ihren Ländern ausweiten und noch brutaler durchführen.

„Angemessene Ressourcen“ sollen „alle Migrationsrouten“ abdecken und damit jeden Fluchtweg vor Hunger, Krieg und Leid versperren. Dafür wurden die finanziellen Mittel bereits 2021 durch das EU-Instrument für Nachbarschaft, Entwicklungszusammenarbeit und internationale Zusammenarbeit (NDICI – Global Europe) gebündelt. Insgesamt stehen bis 2027 über das NDICI 79,5 Milliarden Euro zur Verfügung.

Um die „Verbesserung“ der Massenabschiebungen aus der EU in Drittländer zu gewährleisten, betont der Europäische Rat den Einsatz von „Diplomatie, Entwicklung, Handel und Visa“. Dahinter verbergen sich Maßnahmen, um die Herrschenden in den Herkunftsländern politisch unter Druck zu setzen und wirtschaftlich zu erpressen, damit sie sich dem Diktat der EU gefügig zeigen. Leidtragende sind die Arbeiter und Armen ihres jeweiligen Landes.

Auch das Konzept der sogenannten sicheren Herkunftsstaaten soll stärker genutzt werden, um noch mehr Asylanträge „legal“ ablehnen und abschieben zu können.

Die Staats- und Regierungschefs der EU wollen ihre Land- und Seeaußengrenzen noch umfassender kontrollieren. Dafür planen sie eine „uneingeschränkte Unterstützung für die Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache (Frontex)“. Diese soll von den Mitgliedsstaaten massiv mit finanziellen Mitteln unterstützt werden, um den „Ausbau von Grenzschutzkapazitäten und -infrastruktur, Mittel für die Überwachung, einschließlich der Luftüberwachung, und Ausrüstung“ zu gewährleisten. Mit anderen Worten: Frontex soll bis an die Zähne bewaffnet werden, um die Festung Europa abzuschotten.

Darüber hinaus ist offenbar geplant, der Grenzschutzagentur Mandate zu erteilen, die über die EU und ihre Außengrenzen hinausreichen. In den Schlussfolgerungen werden Verhandlungen über „neue und überarbeitete Statusvereinbarungen zwischen der Europäischen Union und Drittländern über den Einsatz von Frontex“ angekündigt.

In den Schlussfolgerungen ist außerdem die Rede von den „Besonderheiten der Seegrenzen“ im „Hinblick auf den Schutz von Menschenleben“, womit die EU indirekt bestätigt, dass vor ihren Grenzen bereits unzählige Menschen auf ihrer Flucht in eine vermeintliche bessere Zukunft elendig ertrunken sind. Die Internationale Organisation für Migration (IMO) erklärte, dass seit 2014 mehr als 25.000 Flüchtlinge im Mittelmeer ertrunken oder verschollen sind – die Dunkelziffer dürfte noch weit höher liegen.

Ein Rückblick auf die Flüchtlingszahlen von 2022 in der EU

Ein Vorwand für den Sondergipfel war die gestiegene Anzahl von Asylbewerbern im Jahr 2022 in der EU um angeblich dramatische 46 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Insgesamt hätten, so die Zahlen, die von der Leyen auf dem Gipfel präsentierte, 924.000 Menschen Asyl beantragt. Mit der Bevölkerung der Europäischen Union (447 Millionen) verglichen, sind das gerade mal 0,2 Prozent. Nicht inbegriffen sind die mehr als vier Millionen ukrainischen Kriegsflüchtlinge, die seit dem Ukrainekrieg hinzugekommen sind.

Die EU nutzt die Zahlen für eine gezielte Stimmungsmache. Laut dem Mediendienst Integration, einer Informations-Plattform des Rates für Migration e.V., ist die Zahl der Geflüchteten in Europa im Jahr 2022 im Vergleich zum Vorjahr zwar angestiegen. Dabei handelt es sich allerdings überwiegend um Menschen, die vor dem Krieg in der Ukraine geflohen sind. Seit Februar 2022 wurden rund 8,05 Millionen ukrainische Flüchtlinge registriert (Stand Februar 2023).

4,8 Millionen Ukrainer erhielten temporären Schutz auf Basis der sogenannten Massenzustrom-Richtlinie der EU. Durch die Richtlinie werden die ukrainischen Kriegsflüchtlinge weitgehend nicht in die offiziellen EU-Statistiken einbezogen. Ukrainische Staatsangehörige erhalten außerdem in den EU-Mitgliedsländern automatisch einen humanitären Aufenthaltstitel und damit Zugang zu Bildung, Arbeit, Sozialleistungen und medizinischer Versorgung.

Gleichzeitig kamen im Zeitraum von Februar bis Oktober 2022 laut dem Mediendienst Integration rund 111.000 Flüchtlinge über die wichtigsten Fluchtrouten im Mittelmeer nach Europa. Weiter heißt es, im ersten Halbjahr 2022 hätten insgesamt etwas mehr als 400.000 Menschen einen Asylantrag in der EU gestellt (ohne Flüchtlinge aus der Ukraine). Das sind etwa 63 Prozent mehr als im selben Zeitraum für das Jahr 2021.

Grund dafür ist die Tatsache, dass infolge der Corona-Pandemie und der damit einhergehenden Reisebeschränkungen die Anzahl der Asylanträge in den Vorjahren 2020 und 2021 stark zurückgegangen war. Besonders im Vergleich mit den Zahlen für 2015, als zahlreiche Flüchtlinge aus kriegszerstörten Ländern nach Europa strömten, sind die absoluten Zahlen immer noch vergleichsweise niedrig.

In die EU eingereiste Mittelmeer-Flüchtlinge (Quelle: UNHCR, Mediterranean Situation) [Photo by Mediendienst Integration / CC BY 3.0]

Die Propaganda-Maschine der europäischen herrschenden Klasse läuft dabei auf Hochtouren: Angeblich soll die Zahl der irregulären Grenzübertritte einen Höchstwert seit 2016 erreicht haben. Frontex berichtet, dass es allein in den ersten neun Monaten im Jahr 2022 zu rund 230.000 solcher Grenzübertritte gekommen sei. Allerdings weist Frontex im Kleingedruckten drauf hin, dass alle „versuchten Grenzübertritte“ gezählt werden und es somit zu Mehrfachzählungen kommt.

Die gnadenlosen Maßnahmen gegen Geflüchtete, die die Staats- und Regierungschefs mit dem Sondergipfel in Brüssel vorantreiben wollen, ist Ausdruck einer scharfen Rechtswende der europäischen Regierungen.

Bis Juni 2023 hat Schweden den Vorsitz des Europäischen Rates inne. Das Land wird von einer Koalition aus drei rechten Parteien dominiert: den Moderaten, den Christdemokraten und den Liberalen. Die Schwedendemokraten, eine rechtsextreme Partei mit neofaschistischen Wurzeln, sind derzeit die zweitgrößte Fraktion im schwedischen Parlament, nur mit ihrer Hilfe wurde Ministerpräsident Ulf Kristersson (Moderate) im September 2022 ins Amt gewählt. Die Politik der schwedischen Regierung ist seither von scharfen Angriffen auf Geflüchtete geprägt. Gefordert werden beispielsweise „Asyl-Transitzonen“, also Auffanglager für Asylsuchende.

Die italienische Premierministerin Giorgia Meloni (Fratelli d’Italia) ist offen rechtsextrem und regiert in Rom gemeinsam mit den ebenfalls rechten Parteien Lega und Forza Italia. Eine der ersten Entscheidungen der Regierung Meloni bestand darin, die Seenotrettung im Mittelmeer zu erschweren. Dazu werden beispielsweise Schiffe von Nicht-Regierungs-Organisationen mit Geflüchteten an Bord gezwungen, in Häfen im Norden wie Ancona oder Ravenna auszuweichen, wobei Ravenna näher an Deutschland als an Sizilien liegt. Im Vorfeld des Sondergipfels forderte Meloni, die EU müsse „bereits bei der Verteidigung der Außengrenzen eingreifen“.

In Österreich forderte Kanzler Karl Nehammer von der konservativen Österreichischen Volkspartei (ÖVP) kurz vor dem Sondergipfel eine „Zurückweisungsrichtlinie“ für die EU. Menschen ohne Aussicht auf Asyl sollen noch an der Grenze abgeschoben werden können. Nach der Vorstellung Nehammers geht es also darum, illegale Pushbacks zu legitimieren. Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) in Wien erklärte, die Forderung stelle eine „eklatante Verletzung des Flüchtlingsrechts“ dar.

Nehammer sprach sich außerdem für den Ausbau von Grenzzäunen aus und forderte zusätzlich Grenzschützer, da jeder Zaun nur so gut sei, „wie er auch überwacht wird“. Für Grenzzäune, die aus europäischen Mitteln finanziert werden, sprachen sich außerdem Ungarn, Polen und Griechenland aus. Inzwischen wurden 2000 Kilometer Grenzzäune an den Außengrenzen der EU gebaut. Vor zehn Jahren waren es noch 300 Kilometer.

Auch in den anderen EU-Mitgliedstaaten wird zunehmend eine Politik der extremen Rechten umgesetzt. Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) rollte der Faschistin Meloni Anfang Februar den roten Teppich aus und setzt in der Ampelkoalition die Flüchtlingspolitik der AfD um. In seiner Rede auf dem EU-Gipfel erklärte Scholz, einerseits sei Zuwanderung nötig, um den Fachkräftemangel zu bekämpfen, und andererseits sei es nötig, dass Menschen ohne Bleiberecht auch wirklich abgeschoben würden. Daran arbeite die Regierung.

Der Gipfel des Europäischen Rates wurde zwar mit der EU-typischen „Einigkeit über die Uneinigkeit“ über die Umsetzung der beschlossenen Maßnahmen beendet. Doch zumindest in einem Punkt sind sich die 27 Staats- und Regierungschefs einig: Sie werden die Maßnahmen gegen Flüchtlinge drastisch verschärfen – egal ob im Verbund oder auf nationaler Ebene. Sie machen nur dann eine Ausnahme, wenn sie die Opfer von Hunger, Leid und Krieg für die eigene Wirtschafts- und Kriegspolitik instrumentalisieren können.

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