Die International Youth and Students for Social Equality (IYSSE) fordern, dass ihre Veranstaltung „Wie der Ukrainekrieg gestoppt werden kann“, wie angekündigt an der Frankfurter Johann-Wolfgang-Goethe-Universität durchgeführt werden kann. Die Evangelische Studierendengemeinde (ESG) versucht, ihnen den dafür angemieteten Saal auf dem Campus Westend rechtswidrig zu kündigen und rechtfertigt das mit den antimilitaristischen Standpunkten der Jugendorganisation.
Die IYSSE-Versammlung ist Teil einer internationalen Veranstaltungsreihe, die schon an renommierten Universitäten auf der ganzen Welt abgehalten wurde, darunter 13 Universitäten in den USA, vier in Australien und Neuseeland, zwei in Sri Lanka, zwei in Kanada und einer in Brasilien. An mehreren Versammlungen haben sich Sprecher aus Russland und der Ukraine beteiligt, um gemeinsam gegen den Krieg Russlands und dessen Eskalation durch die Nato aufzutreten und die Perspektive des internationalen Sozialismus zu diskutieren. Auch in Deutschland haben die IYSSE bereits erfolgreiche Versammlungen an der Humboldt-Universität Berlin und in München durchgeführt.
Vergangenen Donnerstag, wenige Tage vor der für den 12. Mai geplanten Veranstaltung, teilte die Evangelische Studierendengemeinde (ESG) mit, sie lasse die Veranstaltung trotz gültigen Vertrags und gezahlter Miete in ihren Räumen nicht zu. Die IYSSE werden auch rechtlich gegen diesen Akt der Zensur von Kriegsgegnern vorgehen und die Veranstaltung wie geplant abhalten, aber es ist entscheidend, jetzt politisch dagegen vorzugehen. Es darf nicht zugelassen werden, dass kritische Studierende zensiert werden, während die Uni zunehmend in den Dienst des Militarismus gestellt wird.
Die Gründe, die die ESG anführt, um einen gültigen Vertrag für nichtig zu erklären, zeigen, dass es sich um eine plumpe Form der Zensur handelt. Die kirchliche Einrichtung will verhindern, dass die akute Gefahr eines nuklearen Weltkriegs und die tieferen Ursachen des Ukraine-Kriegs an der Universität kritisch diskutiert werden. Das richtet sich nicht nur gegen die IYSSE, sondern gegen alle kritischen Studierenden und Kriegsgegner.
In ihrer Begründung zitiert die ESG aus dem IYSSE-Grundsatzprogramm: „Die Universitäten dürfen nicht zu militaristischen Denkfabriken gemacht werden, sondern müssen Ort der wissenschaftlichen Arbeit und der politischen Auseinandersetzung bleiben.“ Aus diesem Satz, so die ESG, spreche „wenig Zutrauen in die Diskursfähigkeit der Universität“ und er stehe im Gegensatz zur ESG, die sich zur „Freiheit von Lehre und Forschung“ bekenne.
Es gehört schon eine unfassbare Geschichtsvergessenheit dazu, die Verteidigung des wissenschaftlichen Diskurses gegen die Militarisierung der Hochschulen als Angriff auf die „Freiheit von Forschung und Lehre“ zu verdrehen. Die deutschen Universitäten waren willige Bündnispartner der Nazis und hatten schon vor dem Ersten Weltkrieg eine zentrale Rolle dabei gespielt, den Waffengang ideologisch vorzubereiten. Kritische Stimmen wurden mundtot gemacht. Wenn die ESG Studierenden verbieten will, vor einer solchen Entwicklung zu warnen, stellt sie sich selbst in diese dunkle Tradition.
Als zweiten Grund für die Aufkündigung der Räumlichkeiten führt die ESG an, dass die IYSSE „eine materialistische Geschichtsauffassung“ vertrete, „in deren Zentrum ein wissenschaftliches Verständnis von Politik und Geschichte und die Arbeiterklasse als einzige revolutionäre Kraft in der Gesellschaft stehen“. Dies widerspreche den Auffassungen der ESG „von Pluralität und der Gottebenbildlichkeit eines jeden Menschen“.
Inwiefern ein wissenschaftliches Verständnis der Politik der Pluralität widersprechen soll, führt die Kirche nicht aus. Die marxistische Orientierung der IYSSE und ihre Grundsatzerklärung waren ihr vor Vertragsabschluss bekannt, und die IYSSE hatten schon früher Veranstaltungen in ihren Räumlichkeiten durchgeführt. Ihre jetzigen Sorgen mit einer materialistischen Geschichtsauffassung rühren ganz offensichtlich aus ihrem Willen, Anti-Kriegs-Positionen vom Campus zu verbannen.
Dr. Anke Spory, die das Schreiben an die IYSSE unterzeichnet hat, ist geschäftsführende Pfarrerin der ESG Frankfurt und Pröbstin von Oberhessen. Gegenüber der IYSSE erklärte sie, dass die Absage nach Diskussionen in der Landeskirche erfolgt sei. Doch der Zusammenhang mit der Militarisierung der Hochschule ist offensichtlich.
Die Frankfurter Johann-Wolfgang-Goethe-Universität wird seit Jahren systematisch in den Dienst des Militarismus gestellt. Das einflussreiche Forschungszentrum „Normativ Orders“ überschreibt seine Homepage mit einem Aufruf „#StandWithUkraine“ und löst den reaktionären Überfall Russlands auf die Ukraine vollständig von seinen historischen und politischen Wurzeln.
Mit Politikprofessor Gunther Hellmann war die Goethe-Universität schon 2013 bei dem Projekt „Neue Macht – Neue Verantwortung“ vertreten. Dieses Projekt hatte die außen- und sicherheitspolitische Wende der Bundesregierung und die Rückkehr Deutschlands zur Großmachtpolitik eingeleitet. Hellmann ist Herausgeber der Dokumentation der Sicherheitskonferenz 2015, „Früher, entschiedener, substantieller. Die neue Debatte über Deutschlands Außenpolitik“, sowie auch eines Bandes zum „Weißbuch 2016“ der Bundeswehr.
Ende April machte die Frankfurter Professorin Susanne Schröter bundesweite Schlagzeilen, als sie den Rassisten Boris Palmer auf eine angeblich wissenschaftliche Tagung ihres Forschungszentrums Globaler Islam (FZGI) einlud und ihm eine Bühne für seine rassistischen Tiraden gab.
Während diese militaristischen und rassistischen Positionen mit Unsummen finanziert werden, soll den Studierenden verboten werden, sie zu kritisieren. Und das wird dann auch noch als „Freiheit der Lehre und Forschung“ verkauft.
Dieser Angriff auf demokratische Rechte ist mit der Militarisierung der ganzen Gesellschaft verbunden. Die Bundesregierung nutzt den reaktionären Überfall Putins auf die Ukraine, um die größte Aufrüstung seit Hitler ins Werk zu setzen. Sie eskaliert den Krieg bewusst, um der Atommacht Russland auf dem Rücken der ukrainischen Bevölkerung eine Niederlage beizubringen und sich die Rohstoffe des Landes einzuverleiben. Dabei nimmt sie auch eine nukleare Konfrontation in Kauf.
Während diese Rückkehr des deutschen Militarismus auf allen Kanälen propagiert wird, lehnt ihn die Mehrheit der Bevölkerung ab. Zu tief sitzen die Schrecken zweier Weltkriege, des Faschismus und des Holocaust. Deshalb stehen demokratische Rechte unter Beschuss und werden kritische Stimmen gegen Krieg und Aufrüstung unterdrückt.
In Frankreich geht die Regierung Macron mit äußerster Brutalität gegen Massenproteste vor. In Berlin wurden erst jüngst mehrere palästinensischer Demonstrationen verboten, und in Frankfurt selbst sollte ein Konzert des Kriegsgegners Roger Waters unter dem falschen Vorwand des Antisemitismus verboten werden, was dieser erst in einem Rechtsstreit verhindern konnte.
Der Verteidigung des Rechts der Studierenden, den vorherrschenden Militarismus und die Kriegspolitik in Veranstaltungen zu kritisieren, kommt unter diesen Bedingungen größte Bedeutung zu. Setzt sich die ESG durch, könnten Studierende rechte und militaristische Positionen ihrer Professoren nicht mehr in Veranstaltungen kritisieren und nicht mehr gegen den Wahnsinn eines dritten Weltkriegs auftreten.
Wir rufen deshalb alle Leserinnen und Leser auf, gegen den Akt der politischen Zensur zu protestieren. Schreibt Protestmails an die ESG (mail@esg-frankfurt.de) und schickt eine Kopie an iysse@gleichheit.de, damit wir sie auf unserer Website veröffentlichen können. Kommt zur Veranstaltung am 12. Mai um 18:30, die wir wie geplant im ESG-Saal auf dem Campus Westend, Siolistr. 7 (Haus 3), 60323 Frankfurt durchführen wollen.