Es ist nur noch eine knappe Woche bis zum 1. Juni, dem „Tag X“, an dem die USA mutmaßlich ihre Schulden nicht mehr bedienen können. Die Medien beschwören eine „Katastrophe“ – es sei denn, Demokraten und Republikaner kommen zu einer Einigung, bei der die Schuldenobergrenze angehoben wird und im Gegenzug Sozialprogramme, von denen zig Millionen arbeitende Menschen abhängen, brutal zusammengestrichen werden.
Hinter den gegenseitigen Schuldzuweisungen und wohlinszenierten Krisenverhandlungen zwischen den beiden kapitalistischen Parteien verbirgt sich eine grundlegende Übereinstimmung: Alle sozialen Errungenschaften, die die Arbeiterklasse in mehr als hundert Jahren erkämpft hat, sollen abgeschafft werden. Nur so kann die herrschende Klasse ihre Pläne finanzieren, Russland und China als Hindernisse für die weltweite Vorherrschaft der USA mit Waffengewalt aus dem Weg zu räumen, und sei es um den Preis eines Atomkriegs.
Die Sozialkürzungen, die voraussichtlich in einer Vereinbarung über die Schuldenobergrenze und den Haushalt beschlossen werden, sind der Auftakt zu einem Angriff auf die wichtigsten Sozialprogramme, die der herrschenden Klasse in den Klassenkämpfen der 1930er und 1960er Jahre abgetrotzt wurden: Medicare/Medicaid (die Krankenversicherung für Ältere, Menschen mit Behinderungen und Geringverdiener) und Social Security (die öffentliche Rentenversicherung).
Am Mittwoch, als die Gespräche zwischen Präsident Joe Biden und dem Sprecher des Repräsentantenhauses, Kevin McCarthy, ins Stocken gerieten und die Finanzmärkte nervös wurden, veröffentlichte die Washington Post einen Leitartikel, in dem sie Bidens Vorschlag für einen zweijährigen Ausgabenstopp und Kürzungen in Höhe von 1 Billion Dollar in den nächsten zehn Jahren unterstützte. Gleichzeitig bekräftigte die Zeitung (die dem milliardenschweren Amazon-Eigentümer Jeff Bezos gehört) ihre Forderung, dass sich beide Parteien mit dem befassen, was sie für das eigentliche Problem hält: den Kosten für die Pflichtversicherungen, die nicht vom Gesetzgeber im Rahmen der jährlichen Haushaltsplanung festgelegt, sondern durch den Bedarf obligatorisch vorgegeben werden. Zu diesen Pflichtprogrammen gehören die öffentliche Rentenversicherung (Social Security) und die Krankenversicherung für Ältere und Bedürftige (Medicare/Medicaid).
„Mr. McCarthy behauptet andauernd, die Nation habe ein ,Ausgabenproblem‘“, schrieb die Post . „Er verschweigt, dass das Ausgabenproblem größtenteils darauf zurückzuführen ist, dass die Kosten für Renten und Gesundheitsfürsorge in die Höhe schießen. Doch die Republikaner im Repräsentantenhaus und Mr. Biden wollen Social Security und Medicare nicht antasten.“
In immer mehr Medienkommentaren wird die Unausweichlichkeit einer „Reform“ oder Privatisierung dieser zentralen Sozialprogramme beschworen. Am Sonntag war in der CNN-Sendung „State of the Union“ der republikanische Senator Bill Cassidy aus Louisiana zu Gast. Als „Gemäßigter“ plädiert er dafür, die Rentenversicherung an den Aktienmarkt zu koppeln und im Grunde zu privatisieren.
In der Sendung „Face the Nation“ wurden die beiden Kongressabgeordneten Brian Fitzpatrick (Republikaner) und Josh Gottheimer (Demokrat) interviewt, die der „gemäßigten“ Arbeitsgruppe „Problem Solvers Caucus“ im Repräsentantenhaus angehören. Fitzpatrick erklärte:
Für Medicare wird 2028 kein Geld mehr da sein. Social Security wird 2034 das Geld ausgehen ... Solange wir nicht an die Pflichtausgaben herangehen und für eine langfristige Nachhaltigkeit unserer Schulden und unseres Defizits sorgen, kratzen wir nur an der Oberfläche.
Der Sprecher des Repräsentantenhauses McCarthy äußerte sich vor seinem Treffen mit Biden am Montag in ähnlicher Weise, ohne jedoch ausdrücklich Social Security und Medicaid zu nennen. „Ich möchte Sie nicht glauben machen, dass der Gesetzesentwurf, den wir vorlegen, am Ende des Tages all diese Probleme lösen wird“, sagte er vor Reportern. „Aber es wird ein Schritt sein, unser Problem endlich anzuerkennen und einen Schritt in die richtige Richtung zu tun. Und am nächsten Tag werden wir wiederkommen und den nächsten Schritt machen.“
Biden hat die neuen Sparmaßnahmen bereits auf den Weg gebracht, indem er den nationalen Covid-19-Notstand aufhob. Damit hat er nicht nur das pandemiebedingte Infektions- und Sterberisiko erhöht, sondern auch die Regierungen der Bundesstaaten ermächtigt, ihre Medicaid-Leistungen zu überprüfen und zusammenzustreichen. Die Kaiser Family Foundation schätzt, dass 5,3 bis 14,2 Millionen Menschen allein dadurch ihre Medicaid-Ansprüche verlieren werden.
Der Anstieg der Staatsverschuldung ist keineswegs auf höhere Sozialausgaben zurückzuführen, sondern liegt inflationsbereinigt und unter Berücksichtigung des Bevölkerungswachstums deutlich unter dem Niveau, das vor dem Haushaltskontrollgesetz von 2011 bestand. Dieses Gesetz war als Reaktion auf den Kollaps der Finanzmärkte von 2008 verabschiedet worden. Vorausgegangen waren die milliardenschwere Rettungsaktion für die Wall Street und die von der Obama-Regierung angestoßene Umstrukturierung der Autoindustrie, mit der Löhne und Zulagen gekürzt und gespaltene Lohntarife eingeführt wurden. Bei der Verabschiedung des Haushaltskontrollgesetzes 2011 wurde die Schuldenobergrenze, die zuvor stets selbstverständlich angehoben worden war, zum ersten Mal als Instrument für brutale Angriffe auf die Arbeiterklasse benutzt.
Nirgends erklären die Medien, was die wirklichen Gründe für die steigende Staatsverschuldung sind und warum es die Arbeiterklasse ist, die dafür bezahlen soll.
Was sind die wahren Ursachen für den Anstieg der Staatsverschuldung auf derzeit 31,4 Billionen Dollar?
Militär- und Kriegsausgaben: Laut einer Harvard-Analyse haben die Vereinigten Staaten in den 20 Jahren des Krieges im Irak und in Afghanistan 4 bis 6 Billionen Dollar ausgegeben.
Im letzten Jahr hat die Biden-Regierung Waffen im Wert von 113 Milliarden Dollar für die Ukraine bereitgestellt und in diesem Jahr einen Rekordhaushalt von 1 Billion Dollar für das Pentagon vorgeschlagen. Letzte Woche kündigte Biden auf dem G7-Gipfel in Hiroshima zusätzliche Waffenlieferungen in Höhe von 375 Milliarden Dollar für das rechte Marionettenregime in Kiew an.
Steuersenkungen für Unternehmen und Reiche: Die Regierung von George W. Bush führte zwei Runden von Steuersenkungen durch, die überwiegend den Wohlhabenden zugute kamen. Die Obama-Regierung hat diese Steuersenkungen 2012 festgeschrieben. Dies hat nach Angaben der US-Haushaltsbehörde über 10 Jahre hinweg 4 Billionen Dollar gekostet.
Die von Trump veranlasste Steuersenkung vom Dezember 2017 bescherte der Unternehmenselite über 2 Billionen Dollar. Der Körperschaftssteuersatz wurde auf 21 Prozent gesenkt. Wie Biden auf seiner Pressekonferenz am vergangenen Sonntag in Hiroshima feststellte, zahlten 55 US-Unternehmen, die im vergangenen Jahr 400 Milliarden Dollar erwirtschafteten, überhaupt keine Steuern, und US-Milliardäre zahlen einen durchschnittlichen Steuersatz von 8 Prozent.
Laut offiziellen behördlichen Statistiken stiegen die Unternehmensgewinne von 2014 bis 2020 um 20 Prozent, während die von Unternehmen entrichteten Steuern um mehr als 60 Prozent sanken.
Laut der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) waren 2018 die Körperschaftssteuereinnahmen im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt in den USA mit 1,1 Prozent niedriger als in allen anderen OECD-Mitgliedstaaten außer Lettland.
Rettung von Banken und Unternehmen: Die Regierungen Bush und Obama haben nach der verheerenden Krise am US-Immobilienmarkt im Jahr 2008 und der darauf folgenden Großen Rezession Notmaßnahmen in Höhe von 2 Billionen Dollar beschlossen. Darüber hinaus hat die Zentralbank durch ihr Programm der „quantitativen Lockerung“ weitere Billionen in die Wall Street gepumpt. Unterdessen haben Millionen von Arbeitern durch die kriminellen Machenschaften der Banker ihre Häuser und Ersparnisse verloren.
Die Trump-Administration hat mit Unterstützung der Demokraten im Kongress durch das CARES-Gesetz vom März 2020 3,4 Billionen Dollar bereitgestellt, um den Markt für Staatsanleihen wieder anzukurbeln und Banken und Unternehmen vor den Auswirkungen der Coronapandemie zu retten. Die Zentralbank hat durch die Ausweitung der „quantitativen Lockerung“ weitere Billionen hinzugefügt.
Was die Staatsverschuldung in die Höhe getrieben hat, ist die Kriegstreiberei, Gier und Kriminalität, die die Politik der schmarotzenden Führungselite bestimmt.