Neue Beweise für Lügen der griechischen Küstenwache über den Untergang eines Flüchtlingsbootes mit über 500 Toten

Von den Flüchtlingen an Bord des Fischerbootes, das letzte Woche vor Griechenland gesunken ist, sind nur zwei weitere Leichen gefunden worden, womit die offizielle Zahl der Todesopfer auf 80 ansteigt. Berichten zufolge handelt es sich um Männer, die am Montag aus dem Meer vor der Halbinsel Peloponnes geborgen wurden.

Das Boot, das an Deck und im Frachtraum bis auf den letzten Zentimeter mit Flüchtlingen beladen war, sank am Mittwoch, den 14. Juni, in den frühen Morgenstunden.

Gruppe von Männern, die am Drehkreuz des Flüchtlingslagers Malakasa, nördlich von Athen, mit pakistanischen Überlebenden des tödlichen Bootsunglücks sprechen; 19. Juni 2023 [AP Photo/Petros Giannakouris]

Berichten zufolge waren 750 Menschen an Bord, darunter viele Frauen und Kinder, und nur 104 von ihnen haben nachweislich überlebt. Mit vermutlich über 500 Toten ist es das schlimmste einzelne Unglück im Mittelmeer seit April 2015, als beim Untergang eines Boots bis zu 1.100 Flüchtlinge ums Leben kamen.

Viele der Todesopfer stammten aus Pakistan. Der Vorsitzende des pakistanischen Senats, Muhammad Sadiq Sanjrani, erklärte am Sonntag, auf dem Boot hätten sich etwa 300 Pakistaner befunden. Er rief für Montag einen Staatstrauertag aus. Der Guardian berichtete letzte Woche, laut Zeugen hätten sich die Pakistaner im Laderaum befunden, und nur zwölf von ihnen waren unter den Überlebenden.

Die Regierungen der südeuropäischen Staaten, die im Auftrag der EU die Politik der „Festung Europa“ umsetzen, sind für das Ertrinken von zehntausenden Menschen innerhalb der letzten zehn Jahre verantwortlich. Griechenland spielt dabei eine wichtige Rolle, da mehrere aufeinanderfolgende Regierungen die Grenzen abgeriegelt haben. Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis erklärte letzten Monat stolz: „Wir haben die Grenzen unseres Landes sowohl an Land als auch auf See abgeriegelt und die Zahl der irregulären Einreisen um 90 Prozent verringert. Wir haben bewiesen, dass das Meer Grenzen hat und dass diese Grenzen geschützt werden können und müssen.“ Flüchtlinge, die es bis ans griechische Festland schaffen, werden sofort in Internierungslager gesperrt und warten dort auf die Abschiebung.

Die Überlebenden der Tragödie vom letzten Mittwoch wurden zunächst in eine verdreckte Lagerhalle in Kalamata gesperrt, in der nicht einmal die grundlegendsten Lebensbedingungen gewährleistet waren. Jetzt werden sie in einem umzäunten Internierungslager in der Nähe von Athen festgehalten.

Die konservative Nea-Dimokratia-Regierung versucht, jede Verantwortung von sich zu weisen. Gleichzeitig mehren sich die Beweise, dass sie keine Rettungsaktion eingeleitet hat, obwohl die griechische Küstenwache das gefährlich überfüllte und seeuntüchtige Boot stundenlang begleitete, ehe es unterging.

In einem Seitenhieb auf NGOs wie Alarm Probe, die in den Stunden vor dem Untergang in Kontakt mit dem Boot standen und dokumentierten, dass die griechischen Behörden keinen Rettungsversuch unternahmen, erklärte Mitsotakis am Sonntag in Sparta: „Es ist sehr unfair, dass einige der so genannten [mit Flüchtlingen und Migranten] ,soldarischen Menschen‘ unterstellen, [die Küstenwache] habe ihre Arbeit nicht gemacht ... Diese Leute kämpfen da draußen [rund um die Uhr] gegen die Wellen, um Menschenleben zu retten und unsere Grenzen zu schützen.“

Nahezu die gesamte Berichterstattung der griechischen Medien konzentriert sich auf die Verhaftung und den bevorstehenden Prozess gegen zehn Personen, die beschuldigt werden, die Flüchtlinge mit dem Boot illegal eingeschleust zu haben.

Die BBC veröffentlichte am Montag Beweise, die das Narrativ der griechischen Behörden widerlegen, die Flüchtlinge hätten die Hilfsangebote der Küstenwache ausgeschlagen und seien mit gleichmäßiger Geschwindigkeit westwärts in Richtung Italien gefahren. Die Beweise, die die BBC erhalten hat, basieren „auf einer Analyse der Bewegungen der anderen Schiffe in dem Gebiet, [und] deuten darauf hin, dass sich das überfüllte Fischerboot mindestens sieben Stunden lang nicht bewegte, ehe es kenterte“.

Die Daten liegen in Form einer Computeranimation der Trackingdaten vor, die von MarineTraffic, einer maritimen Analyseplattform, zur Verfügung gestellt wurden.

Zudem erklärte die BBC, sie habe „Video- und Fotomaterial, dessen Authentizität von BBC Verify bestätigt wurde, sowie Gerichtsunterlagen und Schiffsprotokolle, um die Bewegung von Schiffen in dem Gebiet in den darauf folgenden Stunden [nach der ersten Sichtung] zu analysieren. ... Das Fischerboot hatte keinen Peilsender und erscheint deshalb nicht auf der Karte. Ebenso wenig erscheinen die Küstenwache und Militärschiffe darauf, die ihre Position nicht mitteilen müssen ... Aber die Bewegung von Schiffen in dem Gebiet, in dem das Boot unterging, deutet darauf hin, dass es sich Stunden vor dem Untergang nicht bewegte.“ Eins dieser Schiffe war ein Frachter, der den Insassen Nahrungsmittel brachte.

Die Animation zeigt, dass die „gesamte Schiffsaktivität der letzten sieben Stunden auf einen bestimmten Punkt konzentriert war, was darauf hindeutet, dass sich das Fischerboot kaum bewegte. Der Maßstab der animierten Karte deutet darauf hin, dass es weniger als ein paar Seemeilen zurücklegte, was man von einem angeschlagenen Boot erwarten würde, das im tiefsten Teil des Mittelmeers von Wind und Wellen hin- und hergeworfen wird.“

Die Londoner Sunday Times veröffentlichte ein ausführliches Interview mit fünf der Überlebenden und schrieb dazu: „Sie schildern Vernachlässigung, Grausamkeit und Gefühllosigkeit der griechischen Behörden, was im direkten Widerspruch zur offiziellen Version der Ereignisse steht.

Ayad und die anderen Überlebenden behaupten nicht nur, die Küstenwache habe tatenlos zugesehen, wie die Menschen ertranken, sondern gaben ihr auch die Schuld am Kentern. Sie erklärten, die Küstenwache habe ein Seil an der Bugspitze befestigt und sei vorwärts geprescht, wodurch das Boot destabilisiert wurde.“

Die Times berichtete: „Nicht nur die von der Sunday Times interviewten Überlebenden haben das behauptet. Ein Überlebender, dessen Bericht in der italienischen La Repubblica veröffentlicht wurde, und ein griechischer Politiker, der mit der Zeitung Kathimerini über eine Unterhaltung mit einem weiteren Überlebenden berichtete, schilderten Ähnliches.“

Die Zeitung beschrieb die entsetzlichen Bedingungen auf dem Flüchtlingsschiff: „Ayad traf mit dem letzten kleinen Boot ein. Als sie an Bord kletterten, hörte er, wie die Schmuggler auf Arabisch zählten. Einer sagte: ,Das sind 750. Das reicht.‘ ... Ayad sah, wie Männer Nahrung und Trinkwasser über Bord warfen, um Platz für mehr Passagiere zu bekommen. Er erklärte: ,Es waren so viele Menschen, dass man sich nicht bewegen konnte‘.“

Die Times berichtete, die von ihr interviewten Überlebenden hätten erklärt, dass „die griechische Küstenwache ein Seil an der Bugspitze des Fischerbootes befestigt und versucht habe, es abzuschleppen. Als das Seil riss, befestigten sie ein neues, nahmen Fahrt auf und drehten dann abrupt nach links und rechts ab. Diese Bewegung habe das Boot dreimal stark ins Schwanken gebracht, bevor es kenterte.“ Andere Schilderungen von Überlebenden bestätigen diese Darstellung.

Die Küstenwache bleibt bei ihrer Geschichte, das Flüchtlingsschiff habe, „seitdem es entdeckt wurde, in den Morgen-, Mittags- und Nachmittagsstunden des 13. Juni insgesamt 24 Seemeilen zurückgelegt“.

Angesichts des zweiten Wahlgangs der griechischen Parlamentswahlen am Sonntag, den 25. Juni, versucht die scharf nach rechts rückende pseudolinke Oppositionspartei Syriza (die Koalition der radikalen Linken), aus der großen Wut über die tödliche Katastrophe Profit zu schlagen. Ihr Versuch, mit den 57 vermeidbaren Todesfällen beim Zugunglück im Tempi-Tal im Februar das Gleiche zu tun, ist bereits gescheitert. Bei den Protesten wurde auf die Rolle der Partei bei der Zerstörung der öffentlichen Infrastruktur in Griechenland hingewiesen, als sie während ihrer Regierungszeit Sparmaßnahmen durchsetzte.

Syriza-Parteichef Alexis Tsipras sprach letzten Donnerstag in Kalamata mit Ärzten und Überlebenden der Katastrophe. Vor Ort erklärte er: „Die Politik, die Europa verfolgt, trägt vor allem die Schuld ... Sie hat das Mittelmeer in ein Wassergrab verwandelt.“

Das ist eine atemberaubende Heuchelei. Syriza hatte in ihrer Zeit an der Regierung von 2015 bis 2019 die führende Rolle dabei gespielt, Flüchtlinge und Asylsuchende, die aus ihren von Krieg und Armut gezeichneten Heimatländern geflohen waren, im Rahmen der brutalen Pushback-Politik, welche die EU mit der Türkei ausgehandelt hatte, an der Einreise nach Griechenland zu hindern. Zudem regierte sie in einem Bündnis mit ihrem fremdenfeindlichen Koalitionspartner, den Unabhängigen Griechen.

Im vierten Jahr ihrer Amtszeit rühmte sich Syriza-Immigrationsminister Thodoris Vitsas, unter der vorherigen Nea Dimokratia/PASOK-Regierung habe es „keine organisierten Lager oder große Aufnahmezentren gegeben“. Eins der Lager, die Syriza offen hielt und ausbaute, war das Lager Moria, die Hölle auf Erden und das größte Flüchtlingslager Europas, das im September 2020 niederbrannte. Im Jahr 2018 bezeichnete ein Feldkoordinator der Organisation Ärzte ohne Grenzen Moria als „das schlimmste Flüchtlingslager der Welt“. Ein Jahr später, als Syriza noch im Amt war, wurde Moria von Jean Ziegler, Berater des UN-Menschenrechtsrat, als „Konzentrationslager auf europäischem Boden“ bezeichnet.

Syrizas flüchtlingsfeindliche Politik war so brutal, dass Mitsotakis, der nur die Drecksarbeit von Syriza fortsetzt, diese Woche zu Tsipras‘ Krokodilstränen erklären konnte: „Diejenigen, die heute als ,authentische Menschenfreunde‘ auftreten, sind diejenigen, die auch die Existenz von Internierungslagern wie Moria zugelassen haben. Das sind dieselben, die erst vor wenigen Tagen vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte für die elenden Bedingungen in Moria verurteilt worden sind.“

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