Tausende streiken erneut gegen Bildungs- und Sozialkahlschlag

Am Mittwoch streikten in Berlin erneut rund 10.000 öffentlich Beschäftigte für bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne. Darunter waren Lehrkräfte und Erzieher aus Kitas und Schulen, sowie Angestellte der Senats- und Bezirksverwaltungen, Feuerwehrleute und Hochschulbeschäftigte.

Zur Streikdemonstration vor dem Brandenburger Tor hatten die Gewerkschaften Verdi, GEW, IG Bau und GdP (Polizei) aufgerufen. An einer Kundgebung in Hamburg nahmen am selben Tag weitere 6.000 Menschen aus allen Bereichen des öffentlichen Dienstes der Länder teil. Auch nach zwei Verhandlungsrunden gibt es nach wie vor kein Angebot der Arbeitgeberseite.

Streikdemonstration vom 22.11.2023 in Berlin

Die Gewerkschaften fordern 10,5 Prozent Lohnzuwachs (mindestens 500 Euro im Monat) bei einer Laufzeit von zwölf Monaten, sowie eine „Stadtstaatenzulage“ von 300 Euro für Beschäftigte in Berlin, Hamburg und Bremen, um den besonders hohen Mieten und Lebenshaltungskosten entgegenzuwirken.

Tatsächlich dienen die Streiks aus Sicht der Gewerkschaftsbürokratie jedoch vor allem dazu, die massenhafte Opposition unter Kontrolle zu halten, die sich gegen den jahrelangen Sozialkahlschlag und die Kürzungen bei öffentlichen Einrichtungen entwickelt. Während die Gewerkschafsfunktionäre den Beschäftigten Reallohnsenkungen verordnen – wie kürzlich bei der Bahn, der Post und den Kommunen – werden für die Konzerne und das Militär dutzende Milliarden Euro zusätzlich bereitgestellt.

Diese Zusammenarbeit gegen die Beschäftigten findet ihren deutlichsten Ausdruck in der „Konzertierten Aktion“, in deren Rahmen Gewerkschaftsspitzen, Regierung und Arbeitgeberverbände gemeinsam hinter verschlossenen Türen Kürzungen und Sozialangriffe vereinbaren, die anschließend mithilfe der Gewerkschaftsbürokratie durchgesetzt werden.

Streikdemonstration vom 22.11.2023 in Berlin

Um diese Politik zu durchbrechen, tritt die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP) für den Aufbau unabhängiger Aktionskomitees ein, die sich international zusammenschließen und einen wirklichen Kampf führen. Dass unzählige Beschäftigte nicht mehr bereit sind, die unablässigen Angriffe hinzunehmen, wurde auch auf der Demonstration in Berlin deutlich.

Maria ist seit viereinhalb Jahren Lehrerin an einem Berliner Förderzentrum. Sie sagt: „Selbst wenn wir 500 Euro mehr bekommen, gleicht das die Arbeitsbedingungen nicht aus. Wir stehen mit zu vielen Schülerinnen und Schülern in einer Klasse und haben immer mehr Arbeitsbelastungen. Es kommen immer weniger neue Kollegen nach und immer mehr, die nicht ausgebildet sind, was wir dann durch Mentoring und andere Maßnahmen abpuffern. Das ist der Hauptgrund, warum wir streiken. Es bewegt sich nichts.

Wir werden auf 16 Schüler aufgestockt. Das sind bei uns Schüler, die entweder ein hohes Gewaltpotenzial haben, die geflüchtet sind, traumatisiert sind, die große private Schwierigkeiten mitbringen und deren Eltern oft die Sprache nicht sprechen. Wir haben keine eigenen Dolmetscher, was natürlich zu Problemen in der Kommunikation führt. Die Schüler haben keine Betreuungsangebote mehr. In den Berliner Ganztagsschulen sollen Schüler Sport und Musik ausprobieren dürfen, aber das geschieht nicht. Sie werden nur noch verwahrt, und noch dazu schlecht.

Zum Personalmangel und der Arbeitsbelastung kommt der Krankenstand, auch aufgrund der Corona-Pandemie. Die Aufsichtspflicht kann nicht mehr gewährleistet werden. Dadurch kommt es immer wieder auch zu Gewaltvorfällen. Wir haben ständig die Polizei bei uns. Dem Erziehungs- und Bildungsauftrag werden wir unter diesen Bedingungen nicht mehr gerecht.“

Plakat auf der Streikdemonstration vom 22.11.2023 in Berlin

Wir sehen, dass Schülerinnen und Schüler ohne lesen zu können von der Schule gehen und dadurch nur wenige Zukunftsperspektiven haben. Dass dieses Land nicht in die Zukunft von Kindern investiert, sondern lieber noch mehr Geld für Panzer ausgibt, ist einfach armselig und traurig.“

Maria unterstützt die Forderung, das Bundeswehr-Sondervermögen in Bildung und Sozialarbeit zu investieren.

„Was unsere Schülerinnen und Schüler erlebt haben und erzählen, sind Dinge, die man sich kaum vorstellen kann. Viele kommen aus Syrien, aus Afghanistan, der Türkei und anderen Ländern der Region. Manche haben in der siebten oder achten Klasse schon fünf Schulen besucht. Manche Kinder sind seit sieben Jahren im Heim – seit sie hier sind – und haben keine Aussicht auf eine Wohnung. Sie haben kein Selbstwirksamkeitsgefühl und sind nicht therapeutisch versorgt.

Diese Dinge decken wir auch mit ab, weil es sonst keiner macht und sich niemand verantwortlich fühlt. Für Inklusion und Integration wird kein Geld in die Hand genommen. Stattdessen geht es immer nur darum, die Geflüchteten früher arbeiten zu lassen.“

Zum Massaker in Gaza sagt Maria: „Es geht nicht nur um zwei Nationen. Amerika stellt gerade das größte Schiff ins Mittelmeer und Deutschland stellt auch Truppen ins Mittelmeer. Man fragt sich, was hier gerade gemacht wird. Man möchte gerne ein Zeichen setzen, aber fühlt sich eingeschüchtert. Aber weltweit suchen Menschen nach Vernetzung.“

Teilnehmer der Streikdemonstration vom 22.11.2023 in Berlin

„Wir brauchen sehr viel mehr Geld, und vor allem mehr Personal“, sagt Paula, die eine Kita leitet und mit ihren Mitarbeiterinnen Samira und Laura zur Demonstration erschienen ist. „Die Berechnung der Krankheitstage ist völlig unrealistisch. Wir sind nie so besetzt, wie es der Schlüssel vorsieht. Eigentlich ist immer Not am Mann.

Das Personal ist teilweise schon am Rande des Nervenzusammenbruchs. Die Pädagogen sind ständig unterbesetzt, aber tun alles, was in ihren Möglichkeiten steht, um irgendwie alles zu retten. Die Menschen sind die Leidtragenden der Situation. Die Ausbeutung steigt.“

An der Demonstration beteiligten sich auch viele Studierende und Hochschulbeschäftigte. Eine studentisch Beschäftigte sagt: „Die Löhne müssen um deutlich mehr als 10,5 Prozent erhöht werden. In den Lehrstühlen werden Abhängigkeitsverhältnisse geschaffen, die es uns unmöglich machen, Kritik zu üben. Viele von uns machen Überstunden, die nicht entlohnt werden. Diese Machtstrukturen müssen abgebaut werden.“

Sie fährt fort: „Überall auf der Welt müssen sich die Mieten und die Lebensmittelpreise ändern. Das Gesundheitssystem muss gestärkt werden. Die Bundeswehr sollte nicht so viel Geld kriegen. Es ist ein sozialer Kampf, das hängt alles miteinander zusammen.“

Sarah und Felix auf der Streikkundgebung: „Care- und Bildungsmaschinen: Stop“ und „Von der Uni bis zur Kita: Wir legen unsere Arbeit nieder“

Felix bestätigt dies: „Verwaltung und Lehre können nicht unabhängig voneinander gedacht werden. Wir brauchen mehr Lohn und eine besser ausgestattete Verwaltung an Hochschulen. Die freien Stellen, die es gibt, werden nicht besetzt, weil es wegen der niedrigen Gehaltsstufe derzeit keine Bewerbungen gibt. Teilhabe am akademischen Betrieb wird damit zum Luxus.“

„Wir brauchen mehr Geld, bessere Fachberatung und mehr Anerkennung. Der Zustand der Bildung steht sinnbildlich dafür, dass reproduktive Arbeit im Kapitalismus nichts gilt“, sagt Sarah. „Wir müssen alle diese Kämpfe zusammendenken. Wir müssen die Maschinen anhalten, streiken und die Arbeit niederlegen.“

Regina: „Geld für Kinder und Sozialarbeit statt 100 Milliarden, um kriegstüchtig zu werden!“

Regina, die seit 2017 in Tempelhof-Schöneberg in der Erziehungs- und Familienberatung arbeitet, stellt fest: „Die Arbeitgeber sagen, die Kassen seien leer, aber das stimmt so nicht. Man ist einerseits dagegen, Millionäre zu besteuern und andererseits werden hunderte Milliarden Euro für Rüstung ausgegeben. Wir sollen jetzt wieder ‚kriegstüchtig‘ werden, sagen die Politiker! Wir brauchen Geld für Soziales und für Arbeit und nicht für Waffen und Krieg.

Dann behaupten sie, dass zu viel Geld für die geflüchteten Menschen ausgegeben wird. Das ist eine Schande und eine Frechheit. Damit spalten sie und schaffen Sündenböcke – und das spielt der AfD in die Hände. Geld ist genug da, es muss nur anders verteilt werden. Wir dürfen uns nicht spalten lassen. Gemeinsam sind wir mehr und stark.

Meine alleinerziehende Kollegin hat jetzt einen weiteren Job angenommen, weil ihr Gehalt nicht ausreicht, um ihre zwei Kinder durchzubringen. Es kann doch nicht angehen, dass man Vollzeit arbeitet und dann auch noch armutsgefährdet ist. Die Politiker sagen: Wenn ihr zu wenig verdient, beantragt doch Wohngeld. Es ist menschenverachtend. Wir haben schon viel zu viel geschluckt und das Ende vom Lied ist, dass einige wenige die Folgen für sich genutzt haben und Riesengewinne einstreichen.

Meine Freundin arbeitet in England, da gibt es zurzeit auch eine breite Streikbewegung in den Krankenhäusern, weil dort auch Kürzungen stattfinden. Davon können wir lernen, die Arbeit niederlegen und deutlich machen, dass ohne uns nichts läuft. Das ist die Tradition der Arbeiterbewegung. Auch die Kollegen in der Industrie haben kein Interesse daran, dass Geld ausgegeben wird für Waffen.“

Die Aufrüstungs- und Kriegspolitik der Bundesregierung kritisiert Regina scharf: „Die ‚Zeitenwende‘ ist eine absolute Katastrophe. Jahrzehntelang haben wir gegen Aufrüstung und Militarisierung gekämpft. Jetzt werden über Nacht 100 Milliarden Euro für Waffen genehmigt und die Völker sollen wieder umgedreht werden. Deutschland soll von der Regierung wieder fit gemacht werden, um wirtschaftliche Interessen weltweit durchzusetzen.

Meine Solidarität gilt der palästinensischen Bevölkerung. Was in Gaza gerade stattfindet, ist eine Katastrophe. Die Auseinandersetzung hat nicht erst am 7. Oktober stattgefunden, sondern schon viele Jahrzehnte vorher gab es Verhaftungen, Zerstörungen, Vertreibungen der palästinensischen Bevölkerung. Der illegale Siedlungsbau muss sofort aufhören und die besetzten Gebiete müssen geräumt werden. Das ist ganz wichtig.“

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