Perspektive

Klage beim Internationalen Gerichtshof belegt Israels Völkermord in Gaza

Opfer der israelischen Luftangriffe, die auf dem Gelände des Al-Shifa-Krankenhauses in Gaza-Stadt begraben wurden, 31. Dezember 2023 [AP Photo/Mohammed Hajjar]

Am Donnerstag und Freitag, 11. und 12. Januar, wird vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) in einem außerordentlichen Verfahren die Klage gegen den Staat Israel gemäß der UN-Völkermordkonvention von 1948 verhandelt.

Südafrika hatte die Klage am 29. Dezember eingereicht, die den „genozidalen Charakter“ des anhaltenden Angriffs der israelischen Streitkräfte auf die Zivilbevölkerung im Gazastreifen darlegt. Israel verletze demnach die Völkermordkonvention, weil die Angriffe mit der „konkreten Absicht“ durchgeführt werden, eine nationale, ethnische oder religiöse Gruppe „ganz oder teilweise zu vernichten“.

Der Schriftsatz mit 84 engbeschriebenen Seiten und 574 Fußnoten, die fast alle auf ausführlichere Berichte oder Dokumente verweisen, ist eine verheerende und überwältigende Anklage.

Südafrika dokumentiert nach dem Stand vom 29. Dezember den Tod von „mehr als 21.110 namentlich genannten Palästinensern, darunter über 7.729 Kinder; mehr als 7.780 weitere werden vermisst und sind vermutlich unter den Trümmern gestorben.“ Mindestens 55.243 Palästinenser seien verwundet, darunter viele, die Amputationen und dauerhafte Entstellungen erlitten haben.

In der Klage heißt es weiter: „Israel hat auch weite Teile des Gazastreifens verwüstet, darunter ganze Stadtviertel, und mehr als 355.000 palästinensische Häuser beschädigt oder zerstört.“ Aufgrund der Bombardements mussten 1,9 Millionen Menschen oder 85 Prozent der Gaza-Bevölkerung aus ihren Häusern fliehen. Das israelische Militär dränge diese Vertriebenen „in immer kleinere Gebiete, ohne angemessenen Schutz, wo sie weiterhin angegriffen, getötet und verletzt werden“.

Die Luftangriffe sind nicht einfach willkürlich. In einem Abschnitt mit der Überschrift „Zerstörung palästinensischen Lebens in Gaza“ dokumentiert die Klage die gezielte und systematische Zerstörung von Gerichten, Bibliotheken, Universitäten, Museen, historischen Gebäuden, religiösen Stätten, Schulen, Archivgebäuden und sogar Friedhöfen.

Die Klage beschreibt auch, wie Israel mit der Belagerung und Blockade der palästinensischen Bevölkerung den Zugang zu „lebenswichtigen Nahrungsmitteln, Wasser, Medikamenten, Treibstoff, Unterkünften und anderer humanitärer Hilfe“ verwehrt. Die Verfasser zitieren Warnungen von Experten, dass „der stille, langsame Tod durch Hunger und Durst die gewaltsamen Tötungen durch israelische Bomben und Raketen übertreffen könnte“.

„Der Großteil der palästinensischen Bevölkerung in Gaza hungert“, heißt es in der Klage. Die Zahl der Hungernden steige täglich. Laut Beweisen der Weltgesundheitsorganisation seien ganze 93 Prozent der Bevölkerung im Gazastreifen von der Hungerkrise betroffen, mit weit verbreitetem Nahrungsmangel und Unterernährung.

Ungefähr 70 Prozent der Opfer der israelischen Militäroperation sind Frauen und Kinder: „Schätzungen zufolge werden jede Stunde zwei Mütter in Gaza getötet.“ In der Klage wird Israel auch vorgeworfen, durch die Blockade der medizinischen Versorgung absichtlich zu versuchen, „Geburten von Palästinensern zu verhindern“.

Die Klage untermauert diesen detaillierten Tatsachenbericht über Israels Krieg gegen den Gazastreifen mit den Äußerungen führender israelischer Politiker, die ihre völkermörderischen Absichten offen und direkt kundtun. So erklärte Premierminister Benjamin Netanjahu am 28. Oktober: „Ihr müsst euch daran erinnern, was Amalek euch angetan hat.“ Er berief sich dabei auf die Bibelstelle über das Nomadenvolk Amalek, in der es heißt: „Nun zieh hin und schlage Amalek... verschone sie nicht, sondern töte Mann und Frau, Kinder und Säuglinge.“

Am 7. Oktober schrieb Nissim Vaturi, stellvertretender Sprecher der Knesset und Mitglied des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten und Sicherheit: „Jetzt haben wir alle ein gemeinsames Ziel – den Gazastreifen von der Erde zu tilgen. Wer dazu nicht in der Lage ist, wird ersetzt.“

Am 9. Oktober erklärte Verteidigungsminister Yoav Gallant, Israel stelle Gaza unter „vollständige Belagerung. Kein Strom, keine Lebensmittel, kein Wasser, kein Treibstoff.“ Am 11. November sagte der israelische Landwirtschaftsminister: „Wir führen jetzt die Nakba von Gaza aus“, womit er sich auf die „Katastrophe“ von 1948 bezog, bei der über 80 Prozent der palästinensischen Bevölkerung aus ihren Häusern vertrieben wurden.

Am 6. November schrieb Giora Eiland, ein ehemaliger israelischer Generalmajor, dass Israel „eine humanitäre Krise in Gaza auslösen muss. . . Der Gazastreifen wird zu einem Ort werden, an dem kein Mensch mehr leben kann.“ Weiter erklärte er, dass „schwere Epidemien im Süden des Gazastreifens den Sieg näher bringen“ werden.

Mitglieder der Knesset haben wiederholt dazu aufgerufen, Gaza „auszulöschen“, „platt zu machen“, „auszuradieren“ und „alle Bewohner niederzuwalzen“. Wie es in der Anklage heißt, werden „völkermörderische Botschaften routinemäßig – ohne Zensur oder Sanktionen – in israelischen Medien verbreitet“. Dazu gehören: „Gaza sollte zerstört werden“ und „dort sind 2,5 Millionen Terroristen“, womit die gesamte palästinensische Bevölkerung gemeint ist.

In Erwartung, dass sich israelische Politiker auf die Ereignisse des 7. Oktobers berufen werden, um ihr Verhalten zu rechtfertigen, weisen die Verfasser der Anklage darauf hin, dass seit Beginn des 21. Jahrhundert bis zum 7. Oktober 2023 „ungefähr 7.569 Palästinenser, darunter 1.699 Kinder“ in „vier asymmetrischen Kriegen“ getötet wurden.

Südafrikas Klage wurde bisher von mindestens 60 Ländern unterstützt, darunter die gesamte Organisation der islamischen Länder, zu der neben Saudi-Arabien, Pakistan und Iran auch Malaysia, die Türkei, Jordanien und Bolivien gehören.

Die Klage wird jedoch keine Auswirkungen auf Israels Fortsetzung des Völkermords oder die Unterstützung der imperialistischen Mächte haben. Das Netanjahu-Regime bezeichnete die Klage als „lächerlich“ und eine „absurde Verleumdung“.

Der Sprecher für nationale Sicherheit der Biden-Regierung, John Kirby, erklärte, die Klage sei „wertlos, kontraproduktiv und ohne jegliche Grundlage“. Laut Matt Miller, einem Sprecher des Außenministeriums, sehe die amerikanische Regierung „keine Handlungen, die einen Völkermord darstellen“.

Diese verlogenen Ausflüchte werden von den großen US-Zeitungen und Fernsehsendern unterstützt, die über den tatsächlichen Inhalt der Anklage nicht berichten.

Der IGH, auch Weltgericht genannt, ist das höchste Rechtsprechungsorgan der Vereinten Nationen. Es kann Jahre dauern, bis die von Südafrika eingereichte Klage das IGH-Verfahren durchläuft, bei dem Beweise und Argumente vorgelegt werden. Die Anhörungen in dieser Woche werden sich auf die in der Klage beantragten „vorläufigen Maßnahmen“ konzentrieren. Südafrika fordert, dass Israel angewiesen wird, „die Tötung und die Verursachung von schweren psychischen und körperlichen Schäden an der palästinensischen Bevölkerung in Gaza“ unverzüglich einzustellen.

Die Klage liefert auf jeden Fall genügend Beweise, um nicht nur einen sofortigen Stopp der israelischen Operationen in Gaza zu rechtfertigen, sondern auch die umgehende Verhaftung der gesamten israelischen Regierung, zusammen mit ihren Komplizen und Mitverschwörern in Washington und den anderen imperialistischen Hauptstädten. Jeder Tag, der vergeht, während diese Kriegsverbrecher auf freiem Fuß bleiben, ist ein Skandal und eine Anklage gegen die gesamte kapitalistische Gesellschaftsordnung und alle ihre Institutionen weltweit.

Die IGH-Klage ist auch ein vernichtender Schlag gegen die Versuche in vielen Ländern, jegliche Kritik an der israelischen Regierung als „Antisemitismus“ zu delegitimieren und zu kriminalisieren.

Die überwältigenden Beweise für Israels Genozid haben auch Auswirkungen auf die Gesetzeslage vieler Länder, einschließlich der USA, die eine finanzielle oder sonstige Unterstützung von Völkermördern nominell verbietet. Deshalb hat das Center for Constitutional Rights im November bei einem US-Bundesgericht eine detaillierte Klage eingereicht, in der Israel beschuldigt wird, gegen die Völkermordkonvention zu verstoßen.

Die IGH-Klage unterstreicht zudem die völkerrechtliche Pflicht israelischer Soldaten – ebenso wie amerikanischer Militärangehöriger – Befehle zu verweigern, wenn diese sie zu Komplizen in Kriegsverbrechen machen würden. Wie in den Nürnberger Prozessen gegen die NS-Verbrecher festgestellt wurde, kann man sich in der Verteidigung nicht auf das „Befolgen von Befehlen“ berufen, wenn es um Völkermord geht.

Doch niemand, der die Geschichte der UN und ihre Verstrickung in zahllose blutige imperialistische Angriffskriege in den letzten 75 Jahren kennt, wird darauf vertrauen, dass sie Israels Genozid in Gaza beenden, geschweige denn die Kriegsverbrecher in Washington und Tel Aviv zu Rechenschaft ziehen wird. Lenins Beschreibung des Völkerbunds als „Diebesküche“ trifft heute genauso auf dessen Nachfolgeorganisation UN zu.

Zwischen 2015 und 2022 hat die UN-Generalversammlung nicht weniger als 140 Resolutionen verabschiedet, die Israel verurteilen – bei insgesamt 68 Resolutionen gegen alle anderen Länder zusammen. Aber die Vereinten Nationen haben keine nennenswerten Schritte unternommen, um die Resolutionen durchzusetzen; Israel hat sie einfach ignoriert. Im Dezember stimmten 153 von 193 UN-Mitgliedsländern für eine Resolution, die einen Waffenstillstand im Gazastreifen forderte, nur 10 Länder waren dagegen. Doch dieser Beschluss hat weder die völkermörderische Operation in Gaza noch die massiven US-Waffenlieferungen nach Israel verlangsamt.

Der IGH, der sich aus 15 von der Generalversammlung gewählten Richtern zusammensetzt, verfügt seinerseits über keinen Mechanismus zur direkten Durchsetzung seiner Entscheidungen.

Unabhängig vom Ausgang dieses Verfahrens und von den Motiven der südafrikanischen Regierung und der anderen kapitalistischen Regierungen, die es aus ihren eigenen zynischen politischen Erwägungen heraus unterstützen, ist die Klage vor dem IGH bedeutsam. Gründlich, objektiv und für die ganze Welt in einem Dokument lesbar liefert sie eine verheerende Entlarvung des Völkermords, den die israelische Regierung zusammen mit ihren imperialistischen Hintermännern, vor allem den Vereinigten Staaten, verüben.

Nach der Auflösung der Sowjetunion erhoben sich die USA zum „Weltpolizisten“ und mischten sich im Namen des Schutzes der „Menschenrechte“ auf der ganzen Welt ein – sie bombardierten Länder, marschierten ein, erließen Sanktionen. Jetzt steht die Welt vor dem Schauspiel einer amerikanischen Regierung, die am helllichten Tage die Täter eines Völkermords verteidigt und weiterhin die Waffen liefert, mit denen dieser ausgeführt wird.

Der Betrug des „Menschenrechtsimperialismus“, der in der Völkermord-Klage vor dem IGH entlarvt wird, ist selbst ein Spiegelbild der Krise des Weltkapitalismus. Da dieses Gesellschaftssystem nicht in der Lage ist, seine inneren Widersprüche im kapitalistischen Rahmen zu überwinden, taumelt es zurück zu den schrecklichsten Formen der Barbarei des letzten Jahrhunderts. In diesem Sinne ist der Völkermord im Gazastreifen, so verbrecherisch er auch ist, nur ein Vorgeschmack auf die Schrecken, die noch kommen werden, wenn diese Widersprüche nicht gelöst werden.

Deshalb sind die überwältigenden Beweise dafür, dass in Gaza tatsächlich ein Völkermord verübt wird, ein dringlicher Aufruf zum Handeln. Es muss eine unabhängige Bewegung der internationalen Arbeiterklasse in Opposition zu allen kapitalistischen Regierungen, Parteien und Institutionen aufgebaut werden, die auf der Grundlage eines historisch fundierten, sozialistischen Programms vereint ist.

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