75. Berlinale - Teil 9

Bong Joon-hos „Mickey 17“: Der perfekte Arbeiter im Kapitalismus – entbehrlich und recycelbar: „Mein ganzes Leben ist eine ... Strafe“

Mickey 17, inszeniert vom oscarprämierten südkoreanischen Regisseur Bong Joon-ho (Memories of Murder, Parasite), ist eine schwarze Science-Fiction-Komödie, die auf Edward Ashtons Roman Mickey 7 (2022) basiert. Der Film, produziert mit einem Budget von 118 Millionen Dollar, feierte seine Premiere am 15. Februar 2025 auf der Berlinale und kam am 28. Februar in Südkorea in die Kinos. In Deutschland lief er am 6. März an.

Robert Pattinson

In der Eröffnungsszene erwacht Mickey 17 (Robert Pattinson) - genauer gesagt, der einstige und zukünftige Mickey Barnes, Hauptfigur des Films - in einer verschneiten Höhle, nachdem er durch eine Gletscherspalte gestürzt ist. Er ist überglücklich, als ein Pilot namens Timo (Steven Yeun), der gerade die Gegend erkundet, auf ihn stößt. „Du bist ja immer noch nicht tot?“, ruft der Pilot überrascht. Timo schnappt sich die wertvolle Ausrüstung, die Mickey beim Sturz verloren hat, und überlässt ihn dann seinem Schicksal. „Morgen drucken sie dich sowieso wieder neu aus!“ Bevor er verschwindet, fragt Timo beiläufig: „Hey Mickey! … Wie fühlt es sich eigentlich an zu sterben?“

Diese Szene gibt den Ton für die erste Hälfte des Films an, der im Jahr 2054 spielt. Das Drucken von Menschen und die Raumfahrt sind inzwischen entwickelt worden, die Erde wird von Sandstürmen geplagt, die Städte erinnern an Blade Runner, und es gibt noch Überreste einer parlamentarischen Demokratie.

Mit Pattinsons schriller, cartoonartiger Erzählstimme erfahren wir von der absurden Existenz von Mickey 17, eines sogenannten „Expendable“ („Verbrauchsmaterial“). Mickey gehört zur Besatzung eines Raumschiffs, das die Erde verlassen hat, um den eisigen Planeten Niflheim zu kolonisieren. Er meldete sich für diese Rolle, nachdem ein gescheitertes Geschäftsvorhaben mit seinem Freund Timo (dem Piloten) ihn in Schulden gestürzt hatte und er beinahe von sadistischen Kredithaien getötet wurde.

Mickeys Aufgabe besteht darin, endlose, zermürbende Tests zu durchlaufen und gefährliche Missionen zu übernehmen, die stets in einem qualvollen Tod enden. Anschließend wird sein Körper kurzerhand im schiffseigenen „Recycler“ verbrannt. Wenn Mickey stirbt, werden seine Persönlichkeit und Erinnerungen in einen neuen Körper übertragen, der mithilfe eines riesigen, einem MRT-Gerät ähnelnden 3D-Drucker produziert wird. Daraufhin erhält er eine neue Nummer sowie einen neuen Auftrag. Zu Beginn des Films sind bereits sechzehn „verbrauchbare“ Mickeys auf diese grausame Weise während der Weltraumreise gekommen und gegangen.

Mickey und die meisten anderen Arbeiter auf dem Schiff leben in engen, grauen Quartieren, die nur mit dem Nötigsten ausgestattet sind und farblich zu ihren grauen Uniformen passen. Sie essen buchstäblichen Fraß, der ihnen in einer Kantine basierend auf ihrem Körpergewicht und der täglich verrichteten Arbeit zugeteilt wird. Sexuelle Kontakte sind verboten, da sie Kalorien verbrennen und als Verschwendung der Missionsressourcen gelten.

An Bord scheint es weder Kultur, Unterhaltung noch ein echtes Sozialleben zu geben. Mickey kann seine Arbeitskollegen nicht ausstehen, weil sie ihn Tag für Tag nach seinen Erfahrungen mit dem Tod fragen. Der einzige positive Aspekt in seinem Leben ist die Beziehung zu Nasha (Naomi Ackie), einer resoluten Sicherheitsoffizierin.

Die Kolonialisierungsmission wird von dem Politiker und Kirchenführer Kenneth Marshall (Mark Ruffalo) geleitet, der nach einer verlorenen Wiederwahl die Erde verließ, um auf Niflheim sein Projekt einer rassisch reinen Gesellschaft umzusetzen. Marshalls Anhänger, die bereits in einer frühen Szene zu sehen sind, tragen rote Baseballcaps mit seinem Slogan darauf. Ruffalos satirische Darstellung Marshalls übernimmt zweifellos einige von Donald Trumps Eigenarten, kommt aber stärker einer allgemeinen Karikatur im Stil eines Dr. Evil gleich. Marshalls Weltraumkolonisationsplan wiederum erinnert an Elon Musks großspurige Projekte mit seiner Firma SpaceX sowie dessen pronatalistische und eugenische Ansichten. Marshalls Ehefrau Ylfa (Toni Collette) trägt grellbunte Kleidung, flüstert ihrem Mann ständig Ratschläge ins Ohr und ist von der Herstellung verschiedener Saucen besessen.

Mark Ruffalo und Toni Collette

Der Film behandelt eine Vielzahl wichtiger Themen, und das oft auf amüsante Weise. Bong beweist ein sicheres Gespür. Pattison und die anderen spielen gut.

Die „Expendables“ stehen eindeutig stellvertretend für die Arbeiterklasse (wenn auch in unvollkommener Weise, worauf wir später eingehen werden). Die Szenen, in denen Mickey experimentellen Tests unterzogen, in einem Leichensack verschlossen und immer wieder in den Verbrennungsofen geworfen wird, sind verstörend, weil sie an andere Ereignisse erinnern – Massengräber während der COVID-Pandemie, Kinderleichen in Gaza, die auf der Straße liegen, der Stromschlag eines Arbeiters in einer Tesla-Fabrik in Austin und zuletzt der Tod eines Obdachlosen in Berlin, der in einem Müllcontainer Zuflucht gesucht hatte. Am nächsten Tag wurde der Mann zu Tode gequetscht, als der Container in einen mobilen Verdichter entleert wurde.

Die Dummheit, Arroganz und völlige Missachtung menschlichen Lebens durch die herrschende Klasse wird durch die Marshalls verkörpert, die in luxuriösen Unterkünften leben und ihrer bizarren, menschenfeindlichen Weltsicht frönen. In einer Szene, die stark an die Pandemie erinnert, erhält Mickey von den Bordwissenschaftlern die Aufgabe, als erster das Schiff auf Niflheim zu verlassen und die dortige Luft einzuatmen. Es stellt sich heraus, dass Niflheims Atmosphäre mit einem tödlichen, durch die Luft übertragenen Erreger kontaminiert ist, und Mickey als Versuchskaninchen für einen Impfstoff dient. Auch das Abtreibungsverbot in den USA klingt an, wenn Kai, die Marshall als ideale Gebärerin für die Kolonie ausgewählt hat, protestiert: „Bin ich für Sie nur eine Gebärmutter?“

Leider neigen Bongs Filme dazu, unnötig komplizierte Handlungsstränge zu entwickeln und sich darin etwas zu verlieren, und dies trifft auch auf Mickey 17 zu. Zwei konkurrierende Erzählstränge lenken gegen Ende des Films von dem Thema ab, von dem der Regisseur behauptet, „besessen“ zu sein: der Klassenunterschied an Bord des Schiffs nach Niflheim.

In der Höhlenszene zu Beginn wird Mickey von den einheimischen, intelligenten, käferartigen Kreaturen Niflheims, den sogenannten „Creepern“, gerettet. Als er zum Schiff zurückkehrt, stellt er fest, dass er—da man mit seinem Tod in der Eishöhle gerechnet hatte—bereits (schlampig) neu gedruckt wurde und nun ein psychisch labiler, aggressiver Mickey 18 seine Quartiere bewohnt. Solche „Multiplen“ sind gesetzlich verboten und werden durch endgültige Tötung beseitigt.

Nasha überzeugt beide Mickeys davon, so zu tun, als gäbe es nur einen von ihnen, und sowohl die Arbeit als auch die Beziehung mit ihr zu teilen. Während Mickey 17 sanftmütig, einfältig und konfliktscheu ist, zeigt sich Mickey 18 dominant, gerissen und rachsüchtig. Chaos ist vorprogrammiert. Am Ende lernen der gute und der böse Mickey, einander zu ergänzen, und verhindern mit Hilfe ihrer heldenhaften Freundin Nasha Marshalls geplante Ausrottung der Creeper. Letzterer hatte den Befehl „Vergast sie alle!“ gegeben, nachdem die Kreaturen das Schiff umzingelten, um ihr gestohlenes Creeper-Baby zurückzuholen.

Bong Joon-ho wurde nach dem Erfolg seines bissigen Parasite, der 2020 vier Oscars gewann, mit einem riesigen Budget belohnt. Er hat sich erneut für eine Gesellschaftskritik entschieden. Edward Ashton, Autor der literarischen Vorlage, kommentierte dazu: „Vor einigen Jahren habe ich eine Kurzgeschichte geschrieben, die sich mit einer Art mieser Unsterblichkeit beschäftigte. Mir gefiel diese Idee, und ich wollte herausfinden, wie man sie weiterentwickeln könnte, wenn man sie mit einer ausbeuterischen Gesellschaftsstruktur verbindet.“

Was auch immer sich die Studios erhofft hatten—vielleicht eine neue Superhelden-Franchise—Bong entschied sich dafür, den modernen Kapitalismus zu thematisieren, und zwar in einem Film, der zwar optimistisch, jedoch etwas unglaubwürdig endet. Seine jüngsten ausweichenden Kommentare, in denen er behauptet, dass die Figur des Marshall nicht auf Trump basiert, sind fadenscheinig, aber seine Entscheidung, sich erneut auf die Arbeiterklasse und eine Reihe aktueller Themen zu konzentrieren, ist lobenswert.

Bongs Darstellung der Arbeiterklasse als naiv und letztlich machtlos, wie sie bereits in seinen früheren Werken zu finden war, schwächt seine Kritik ab. Für Mickey 17 gibt es weder eine Rettung noch einen Ausweg, und obwohl wir mit ihm mitfühlen, zeigt er selbst kaum Interesse an anderen Menschen—abgesehen von seiner Freundin.

In einem kürzlich erschienenen Interview mit der New York Times äußerte Bong seine Sympathie für eine, wie er es nennt, neue Stimmung unter den jungen Menschen in Südkorea: Das „sehr populäre Konzept“ von sohwakhaeng, also „kleines, greifbares Glück“.

Es gibt junge Menschen, die sagen: ‚Ich lehne das ab, ich hasse das alles, ich mache bei diesem Wettbewerbswahn nicht mit.‘ Ihr Lebensstil ist anders. Sie sind keine Hippies, aber sie gestalten ihr Leben ruhig und in kleinem Rahmen. Meine Generation und die ältere Generation hatten das nie. Doch die jüngere Generation hat dieses Konzept erfunden. Sie brauchen nicht viel Geld, haben keine großen Ambitionen, interessieren sich relativ wenig für Politik und versuchen einfach, ihr eigenes kleines Universum zu bewahren.

Dies ist letztlich auch Mickeys Wunsch am Ende des Films - „ein ruhiges und kleines Leben“ -, was natürlich jeden wirklichen Widerstand gegen den Status quo ausschließt. Aus dieser Perspektive nimmt das optimistische Ende von Mickey 17 den Charakter eines deus ex machina in einem ohnehin absurden Drama an. Mickeys Freundin wird am Ende zur gewählten Anführerin der Kolonie und ordnet die Zerstörung des Menschen-Druckers an. Wie dieser demokratische Prozess plötzlich möglich wurde, wird nicht erklärt. Dennoch ist die Stoßrichtung durchaus eine gesunde.

Der Tod des Tyrannen Marshall (offenbar als Lösung aller Probleme gedacht, die Mickeys Unglück verursacht haben) erfolgt durch das Eingreifen der freundlichen und weisen Tiere, der „Creeper“.

Dieses Motiv, bei dem Tiere die Lage retten, ähnelt Bongs anderem ökologisch-kapitalismuskritischer Film Okja. Bong ist außerdem erklärter Anhänger von Hayao Miyazaki, dessen Filme ebenfalls Tiere als Lehrer der „Menschheit als Ganzes“ zeigen, die ihre Umwelt zerstören. Bong, der „daran interessiert ist, wie Menschen aus der Perspektive von Tieren wirken“, hat angekündigt, dass sein nächster Film ein Animationsprojekt sein wird, das von Tiefseekreaturen handelt.