Die gegenwärtige Auseinandersetzung an der Humboldt-Universität (HU) hat eine grundlegende politische Bedeutung. Die Universitätsleitung hat versucht, eine Veranstaltung der Hochschulgruppe der International Youth and Students for Social Equality (IYSSE) mit dem Titel „Warum wollen die deutschen Eliten wieder Krieg?“ politisch zu zensieren. Sie behauptete, die Kritik der Studierenden an rechten Professoren, die offen für Krieg und Militarismus eintreten, sei eine „Beschimpfung“ oder „Schmähung“ und verstoße gegen den akademischen Diskurs.
In einem Brief vom 7. Oktober hat die Universitätsleitung die Veranstaltung an die Bedingung geknüpft, „dass im Vorfeld, während und nach der Veranstaltung nicht erneut Mitglieder der Universität geschmäht bzw. auf Flyern, Plakaten, im Internet oder sonst irgendwie als Militaristen und Kriegstreiber beschimpft werden, wie es Mitte Juli bei einer IYSSE-Veranstaltung der Fall war“. Solche Formen der Auseinandersetzung widersprächen „den akademischen Grundregeln einer Universität, die Kontroversen ausschließlich wissenschaftlich austrägt“. Sie drohte: „Verstöße gegen diesen Grundsatz wird die Universitätsleitung nicht dulden.“
Damit stellt sich die Universitätsleitung hinter die rechten Professoren. Sie versucht, die politische Kritik von Studierenden als Verleumdung darzustellen und unter dem Deckmantel des wissenschaftlichen Diskurses zu unterdrücken. Gleichzeitig will sie eine öffentliche Diskussion über die neue deutsche Kriegspolitik verhindern, die von Professoren der HU aktiv unterstützt wird.
Genau darum ging es auf der von der Universitätsleitung kritisierten IYSSE-Veranstaltung im Juli. Die IYSSE haben dort aufgezeigt und verurteilt, dass Humboldt-Professoren eine zentrale Rolle bei der außenpolitischen Wende spielen, die Bundespräsident Gauck am 3. Oktober 2013 verkündet hatte und die seit Anfang des Jahres von der Regierung mit den Interventionen in der Ukraine und im Nahen und Mittleren Osten aggressiv umgesetzt wird.
Auf ihrem Veranstaltungsflyer erklärten die IYSSE: „Die Wiederkehr des deutschen Militarismus geht mit einer umfassenden ideologischen Offensive einher. Die herrschende Klasse, die zwei Weltkriege losgetreten und abscheuliche Verbrechen begangen hat, soll historisch reingewaschen werden. Prof. Herfried Münkler und Prof. Jörg Baberowski von der HU spielen dabei Schlüsselrollen. Während jener die imperialistischen Ambitionen Deutschlands im Ersten Weltkrieg leugnet, relativiert dieser die Nazi-Verbrechen.“
Das war keine „Beschimpfung“ oder „Schmähung“, sondern eine recht nüchterne und objektive Analyse dessen, was die Humboldt-Professoren Münkler und Baberowski in Talkshows, Radiointerviews, Zeitungsartikeln und auf öffentlichen Podiumsdiskussionen vertreten.
Prof. Jörg Baberowski, der Leiter des Lehrstuhls Geschichte Osteuropas an der HU, hatte im Februar im Spiegel erklärt: „Hitler war kein Psychopath, er war nicht grausam. Er wollte nicht, dass an seinem Tisch über die Judenvernichtung geredet wird.“ Im selben Spiegel-Artikel verteidigte er den NS-freundlichen Historiker Ernst Nolte, der systematisch an der Rehabilitierung Hitlers arbeitet: „Nolte wurde Unrecht getan. Er hatte historisch recht“, erklärte Baberowski.
Prof. Herfried Münkler, der an der HU politische Theorie lehrt, argumentiert dafür, die Verantwortung Deutschlands im Ersten Weltkrieg zu revidieren, um zu einer aggressiven imperialistischen Außenpolitik zurückzukehren. Im Januar erklärte er in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung: „Es lässt sich kaum eine verantwortliche Politik in Europa betreiben, wenn man die Vorstellung hat: Wir sind an allem Schuld gewesen. Bezogen auf 1914 ist das eine Legende.“
Ende Mai veröffentlichte Münkler einen Aufsatz auf der Website Review 2014, einer offiziellen Publikation des Außenministeriums, die für mehr „deutsche Führung“ in Europa und der Welt wirbt. Unter dem Titel „Die Gefährliche Kluft zwischen Schein und Tun – Auf die Interessen kommt es an!“ plädierte er dafür, dass Deutschland „als Handelsstaat bzw. Exportnation“ sich weniger „an seinen Werten als an den Interessen Deutschlands orientiert“.
Seit der Veranstaltung im Juli haben Münkler und Baberowski wiederholt öffentlich ihre rechten Standpunkte klar gemacht. So verteidigte Münkler den Bundespräsidenten, als dieser am 1. September ausgerechnet eine Gedenkveranstaltung zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs für eine kaum verhohlene Kriegsdrohung gegen Russland nutzte. Während Gaucks Rede selbst einigen bürgerlichen Politikern zu weit ging, erklärte Münkler im Deutschlandfunk: „Wenn man nicht sagen darf, was man gelernt hat, oder das Gelernte nur für die Deutschen, sonst aber niemanden gilt, dann hat man tatsächlich nichts gelernt.“
Baberowski plädierte am 1. Oktober auf einer Podiumsdiskussion im Deutschen Historischen Museum zum Thema „Interventionsmacht Deutschland?“ für eine größere militärische Rolle Deutschlands. „Ja natürlich, Deutschland soll eine Funktion übernehmen und es ist wichtig, dass Deutschland Verantwortung übernimmt, vor allem in solchen Konflikten, die es selbst betreffen. Aber man sollte sich schon überlegen, für welchen Krieg man a) gerüstet ist, und ob man ihn b) gewinnen kann.“
Wörtlich sagte er: „Und wenn man nicht bereit ist, Geiseln zu nehmen, Dörfer niederzubrennen und Menschen aufzuhängen und Furcht und Schrecken zu verbreiten, wie es die Terroristen tun, wenn man dazu nicht bereit ist, wird man eine solche Auseinandersetzung nicht gewinnen, dann soll man die Finger davon lassen.“
Baberowski sprach nicht als jemand, der vor den schrecklichen Methoden imperialistischer Eroberungskriege warnt, sondern wie ein skrupelloser Realpolitiker. Er forderte, dass Deutschland nur dann militärisch eingreift, wenn es bereit ist, brutaler als der Gegner vorzugehen und massiv militärisch zu intervenieren.
Man müsse „sich darüber im Klaren sein, dass das viel Geld kosten wird und dass man Soldaten und Waffen in ein Machtvakuum hinein schicken muss“, sagte Baberowski. Dafür brauche man „den politischen Willen und die politische Strategie, und vor allem muss man dann auch sagen, damit das klappt, müssen wir da auch reingehen. Und das muss es uns wert sein. Das kostet Geld. Wir müssen da Truppen rein schicken. Diese Länder wie der Irak, Syrien und Libyen sind nicht mehr im Stande, dieses Problem selbst zu lösen.“
Baberowskis Vorschläge rufen die dunkelsten Erinnerungen an die schrecklichen Methoden der deutschen Kriegsführung in beiden Weltkriegen wach. Der Erste Weltkrieg begann mit der Besetzung von Belgien und abscheulichen Kriegsverbrechen gegen die belgische Zivilbevölkerung. Hitlers Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg stellte diese Verbrechen noch weit in den Schatten und kostete 27 Millionen Menschen das Leben.
Es stellt sich die Frage: Warum sind für die Universitätsleitung Baberowskis und Münklers bellizistische und geschichtsvergessene Standpunkte akzeptabel und ein legitimer Bestandteil des wissenschaftlichen Diskurses, während die politische Kritik der IYSSE angeblich im Widerspruch „zu den akademischen Grundregeln einer Universität“ steht?
Die Frage stellen, heißt sie beantworten. Die HU ist als eine der renommiertesten Universitäten Deutschlands auf höchster Ebene in die Rückkehr des deutschen Militarismus eingebunden. Sie war direkt an der Ausarbeitung des Strategiepapiers „Neue Macht – Neue Verantwortung. Elemente einer deutschen Außen- und Sicherheitspolitik für eine Welt im Umbruch“ beteiligt, das gewissermaßen die Blaupause für Deutschlands Rückkehr zu Militarismus und Weltmachtpolitik liefert.
Das Papier, das im letzten Herbst veröffentlicht wurde und die Grundlage für Gaucks Rede bildete, fordert, dass Deutschland „künftig öfter und entschiedener führen“ müsse, um als „Handels- und Exportnation“ seine geostrategischen und wirtschaftlichen Interessen „global“ zu verfolgen. „Aufwendige und längerfristige militärische Einsätze“ müssten Teil „einer pragmatischen deutschen Sicherheitspolitik“ sein.
Das Dokument wurde über ein Jahr lang von mehr als 50 führenden Politikern, Journalisten, Militärs, Wirtschaftsvertretern und Akademikern im Rahmen eines Projekts der regierungsnahen Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) und des Washingtoner Thinktanks German Marshall Fund (GMF) ausgearbeitet. Für die HU war ausgerechnet der Sohn von Ernst Nolte, Prof. Georg Nolte, der an der HU den Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Völker- und Europarecht inne hat, an der Ausarbeitung des SWP-Papiers beteiligt.
Über die Rolle der Universitäten bei der Rückkehr des deutschen Militarismus heißt es darin: „In einem komplexeren Umfeld mit stark verkürzten Reaktionszeiten werden auch bessere kognitive Fähigkeiten verlangt. Wissen, Wahrnehmung, Verständnis, Urteilsvermögen und strategische Vorausschau: Das alles kann gelehrt und trainiert werden. Aber es erfordert Investitionen – auf der Seite des Staates, aber auch bei den Universitäten, Forschungseinrichtungen, Stiftungen und außenpolitischen Institutionen. Ziel muss eine ‚Denklandschaft’ sein, die nicht nur politische Kreativität ermöglicht und pflegt, sondern auch imstande ist, politische Optionen schnell und in operationalisierbarer Form zu entwickeln.“
Wie vor dem Ersten und Zweiten Weltkrieg sollen die deutschen Universitäten unter dem Deckmantel der Wissenschaft wieder in ideologische Kaderschmieden des Militarismus verwandelt werden. Hinter Begriffen wie „Denklandschaft“, „politische Kreativität“, „strategische Vorausschau“ und „schnell und operationalisierbare politische Optionen“ steht die Forderung, wieder zu „militaristischem Denken“ und zu einer „politisch kreativen“ Kriegspolitik zurückzukehren.
Der Blick in das aktuelle Vorlesungsverzeichnis unterstreicht, das dieses Projekt an der HU aktiv verfolgt wird. Ein von Münkler angebotenes Projektseminar trägt den Titel „Theorien des Krieges. Neue Kriege, humanitäre Interventionen, Drohnenkrieg.“
Am Lehrstuhl von Baberowski findet eine Übung zum Thema „Wege aus der Krise, Wege in die Diktatur? Ansätze einer vergleichenden Diktaturforschung“ statt. In der genaueren Inhaltsbeschreibung heißt es: „Allzu leicht gerät [...] aus dem Blick, dass Diktaturen in vielen Regionen und zu den unterschiedlichsten Zeiten als legitime Antwort auf vorausgehende Krisen erachtet wurden. Inmitten chaotischer und konfliktreicher Phasen versprachen sie Stabilität und Ordnung – und wurden von vielen Zeitgenossen als Lösung, nicht als Bedrohung empfunden.“
Es darf nicht zugelassen werden, dass ausgerechnet die HU, die als Friedrich-Wilhelms-Universität bereits eine zentrale Rolle bei der Vorbereitung des Ersten und des Zweiten Weltkriegs gespielt hat, wieder in ein Zentrum für Militarismus und Diktatur verwandelt wird. Nur so können die akademischen Prinzipien einer Universität und der Grundsatz der Unabhängigkeit von Forschung und Lehre verteidigt werden. Die Veranstaltung der IYSSE am 23. Oktober ist dazu ein wichtiger Schritt. Wir rufen alle Studierenden und ernsthaften Wissenschaftler dazu auf, zur Veranstaltung zu kommen und den Kampf der IYSSE gegen die beunruhigenden Entwicklungen an der HU zu unterstützen.