Große Koalition beschließt Seehofers Abschiebegesetz

Abgelehnte Asylbewerber werden gnadenlos schikaniert, verfolgt, eingesperrt und abgeschoben. Das ist, kurz zusammengefasst, der Inhalt des „Geordnete-Rückkehr-Gesetzes“, das das Bundeskabinett am Mittwoch verabschiedet hat. Es muss nun noch den Bundestag und den Bundesrat passieren, wo ihm – bei einigen kosmetischen Veränderungen – eine Mehrheit sicher ist.

Das Gesetzespaket aus dem Innenministerium von Horst Seehofer (CSU) und dem Arbeitsministerium von Hubertus Heil (SPD) liegt seit mehreren Wochen vor und hat heftigen Widerspruch und Proteste ausgelöst. Es setzt elementare demokratische Rechte außer Kraft und widerspricht teilweise europäischem Recht. Trotzdem haben ihm auch die SPD-Minister zugestimmt, einschließlich Justizministern Katarina Barley, die Spitzenkandidatin der SPD in der Europawahl.

Die Große Koalition setzt mit dem Gesetzespaket die Politik der AfD in die Praxis um. Obwohl die rechtsextreme Partei bei der Bundestagswahl lediglich 12,6 Prozent der Stimmen erhalten hat, gibt sie in der Flüchtlingspolitik die Linie der Regierung vor.

Das „Geordnete-Rückkehr-Gesetzes“ sieht unter anderem folgende Verschärfungen der bisherigen Gesetzeslage vor:

  • Flüchtlinge, die ausreisepflichtig sind, können wesentlich leichter als bisher in „Sicherungshaft“ genommen werden. Zu diesem Zweck werden die Voraussetzungen für eine angenommene Fluchtgefahr gesenkt.
  • Um die nötigen Haftplätze bereitzustellen, wird das europäische Trennungsgebot, nach dem Abschiebehaft und normaler Strafvollzug strikt getrennt werden müssen, drei Jahre lang aufgehoben. Flüchtlinge, die sich keiner Straftat schuldig gemacht haben, können so in normalen Gefängnissen eingesperrt werden.
  • Für Migranten, die sich nach Ansicht der Behörden nicht ausreichend um die Beschaffung fehlender Papiere bemühen, wird eine neue Kategorie eingeführt: „Duldung mit ungeklärter Identität“. Sie stellt sie schlechter als regulär Geduldete. Fehlende Pässe und verpasste Termine werden zum Abschiebegrund. Wer einen Botschaftstermin nicht wahrnimmt, muss 14 Tage in „Mitwirkungshaft“ – eine Strafe, die es bisher nicht gab. Zusammengefasst: Wer nicht freiwillig an der eigenen Abschiebung mitwirkt, muss in den Knast und wird zur Strafe abgeschoben.
  • Termin und Ablauf von Abschiebungen werden zu Dienstgeheimnissen erklärt. Behördenmitarbeiter, die vor einer Abschiebung warnen, machen sich damit strafbar. Die ursprünglich vorgesehen Bestrafung von Flüchtlingshelfern und Journalisten, die über Abschiebungen informieren, ist zwar offiziell aus dem Gesetz gestrichen, durch die Hintertür aber wieder eingeführt worden. Die Beihilfe oder Anstiftung zur Weitergabe von Dienstgeheinissen ist nämlich ebenfalls strafbar.
  • Asylbewerber, für die nach den Dublin-Regeln andere EU-Ländern zuständig sind, erhalten praktisch keine Unterstützung mehr. Sie werden durch Aushungern zur Auseise gezwungen. Sind sie hilfsbedürftig, erhalten sie maximal zwei Wochen eingeschränkte Unterstützung, um die Zeit bis zur Ausreise zu überbrücken – und das höchstens einmal innerhalb von zwei Jahren.
  • Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) hat statt bisher drei fünf Jahre Zeit, Schutzgründe zu überprüfen. Das bedeutet, dass Flüchtlinge, die anerkannt worden sind, fünf Jahre lang zittern müssen, weil ihnen die Anerkennung jederzeit wieder entzogen werden kann.
  • Straftäter können bereits ausgewiesen werden, wenn sie zu sechs – und nicht wie bisher zwölf – Monaten Haft verurteilt worden sind.

Vordergründig dient das „Geordnete-Rückkehr-Gesetz“ dazu, die 240.000 ausreisepflichtigen Menschen, die derzeit in Deutschland leben – und insbesondere die 56.000 unter ihnen, die über keine Duldung verfügen – so rasch wie möglich loszuwerden. Allein in das Bürgerkriegsland Afghanistan will Seehofer 18.000 Menschen zurückschicken.

Doch das Gesetz geht weiter. Es ist nicht nur flüchtlingsfeindlich und undemokratisch, sondern inhuman und barbarisch. Es erinnert an die dunkelsten Zeiten der deutschen Geschichte.

Um die industriele Vernichtung von sechs Millionen Juden durchzuführen, reichten die Himmlers, Heydrichs und sonstigen Mörder in SS-Uniform nicht aus. Notwendig war auch ein Heer von Beamten in sämtlichen Ministerien, die die Juden in kaltblütiger bürokratischer Routine identifizierten, sammelten und in die Todeslager transportierten. Hannah Arendt prägte dafür den Begriff der „Banalität des Bösen“.

Eine solche Schicht skrupelloser Apparatschiks, die im Namen von Recht und Ordnung jede Anwandlung von Empathie verdrängen und ihre Opfer mit unmenschlichen Gesetzen, unerfüllbaren Vorschriften und Gefängnis schikanieren, wird heute wieder herangezüchtet.

Schon der höhnische Name des Gesetzes, „Geordnete-Rückkehr-Gesetz“, bringt das zum Ausdruck. Auf den Punkt bringt es ein Kommentar von Reinhard Müller in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Er jubelt „Warum nicht längst so?“ und schlägt vor, das Gesetz „Rückkehr-zum-Recht-Gesetz“ zu nennen.

Das „Recht“ von Seehofer und der FAZ, das allen demokratischen Grundsätzen Hohn spricht, richtet sich nicht nur gegen Flüchtlinge, sondern gegen die gesamte Arbeiterklasse. Es zielt auf jeden, den die Herrschenden als Fremdkörper oder Gefahr betrachten, weil er gegen die wachsende Ausbeutung, Armut und soziale Ungleichheit kämpft oder weil er die Flüchtlingshetze, die Staatsaufrüstung und den Militarismus ablehnt.

Das neue Abschiebegesetz geht mit einer systematischen Aufrüstung des staatlichen Polizei- und Überwachungsapparats einher. Im Hause Seehofer haben allein in diesem Monat neben dem Abschiebegesetz auch ein Geheimdienste-Ermächtigungsgesetz und ein IT-Sicherheitsgesetz das Licht der Welt erblickt, die die Grundlagen für eine totale Überwachung schaffen.

Von den anderen Parteien gibt es dagegen keinen Widerstand. Die SPD trägt als Koalitionspartner von CDU und CSU direkte Mitverantwortung für das Gesetz. Justizministerin Barley, die vor einigen Wochen noch großspurig Einwände gegen die Aufhebung des Trennungsgebots von Flüchtlingen und Strafgefangenen angekündigt hatte, stimmte ihm zu. Parteichefin Andrea Nahles hat kein kritisches Wort darüber geäußert.

Auch die Grünen und die Linkspartei stimmen im Grundsatz überein und erheben höchstens verbale Einwände. In den beiden Bundesländern mit einem grünen und einem Linkspartei-Ministerpräsidenten, Baden-Württemberg und Thüringen, wird ebenso eifrig abgeschoben wie anderswo. Der einzige Einwand der Grünen, vorgetragen vom Hamburger Justizsenator Till Steffen, lautet, die Gefängnisse seien jetzt schon überfüllt und könnten deshalb nicht auch noch Flüchtlinge aufnehmen.

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