Regierung bereitet massiven Einsatz der Bundeswehr im Innern vor

Die Bundesregierung bereitet einen massiven Einsatz der Bundeswehr im Inneren vor. Das berichtete gestern Der Spiegel gestützt auf ein internes Papier des Verteidigungsministeriums. „In den kommenden Tagen“ werde die Bundeswehr „zur Bewältigung der Coronakrise 15.000 Soldaten mobilisieren“, schreibt das Nachrichtenmagazin. Es gehe um Männer und Frauen, „die nicht in Auslandseinsätzen oder Nato-Verpflichtungen gebunden sind“. Spätestens bis zum 3. April solle „die ‚Fully Operational Capability‘ hergestellt werden, also die volle Einsatzbereitschaft.“

Der Plan sei „militärisch knapp gehalten“ und „vertraulich“. Auf insgesamt drei Seiten würden die Themen „Raumordnung und Kräfteansatz“, „Führungsstruktur“ und „Kräftekategorien und mögliche Aufgaben“ abgehandelt. Es sei „ein Einsatzplan, den es so in der Geschichte der Republik noch nicht gegeben hat“.

Es werde „präzise aufgelistet“, welche Truppenstärken für welche Aufgaben mobilisiert werden. 5500 Soldaten für „Absicherung/Schutz“, 6000 für die „Unterstützung der Bevölkerung“, 600 Militärpolizisten der Feldjäger für „Ordnungs-/Verkehrsdienst“, 250 Soldaten der ABC-Abwehr für Desinfektionsaufgaben und 2500 Logistiksoldaten mit 500 LKW für „Lagerung, Transport, Umschlag“.

Zu den Aufgaben zählten „Massenunterbringung (z.B.: Container)/Quarantäneunterbringungen“, regionale Hilfeleistungen, Bereitstellung von Versorgungsflächen und militärischen Flugplätzen, Desinfektion von Material, Flächen und Räumen und auch Raum- und Objektschutz, Schutz kritischer Infrastrukturen, Unterstützung von Ordnungsdiensten und Verkehrsdienste, schreiben die Spiegel-Autoren.

Vier regionale Führungsstäbe unter dem Kommando von Martin Schelleis, Generalleutnant der Luftwaffe und Inspekteur der Streitkräftebasis, würden den Einsatz leiten. Für Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein und Hamburg sei das Marinekommando in Rostock zuständig, für Berlin und Brandenburg das Luftwaffen-Kommando in Berlin, für Bremen, Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Nordrhein-Westfalen die 1. Panzerdivision in Oldenburg und für den Rest des Landes die 10. Panzerdivision im bayerischen Veitshöchheim.

Der flächendeckende Einsatz der Bundeswehr im Innern wirft ein Schlaglicht auf den maroden Zustand der zivilen medizinischen Strukturen. Nach Jahrzehnten von Privatisierungs- und Kürzungsorgien sind sie nicht annähernd auf eine Katastrophe wie die Covid-19-Pandemie vorbereitet. Bis Freitagmorgen seien wegen der Überforderung der zivilen Behörden bereits 200 Amtshilfeanträge bei der Bundeswehr eingegangen, berichtet der Spiegel. Es gehe um personelle und materielle Unterstützung, oft die Bereitstellung von Schutzmaterialien, Desinfektionsmitteln und Betten aus den Beständen der Bundeswehr.

Unabhängig davon, wie viel medizinische Hilfe die Bundeswehr am Ende leistet, muss deren Einsatz als Warnung verstanden werden. Der Spiegel berichtet, es gebe bereits „heikle Nachfragen“ aus den Bundesländern nach Soldaten, „die am Ende bewaffnet aushelfen sollen“. So überlege etwa die grün-schwarze Landesregierung in Baden-Württemberg, „wegen des katastrophalen Personalstands bei der Polizei ganz offiziell den Notstand zu erklären und die Bundeswehr anzufordern“. Innenminister Thomas Strobl habe dazu bereits die Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (beide CDU) kontaktiert.

Mit dem Einsatz der Bundeswehr im Innern setzt die herrschende Klasse lang geplante Aufrüstungs- und Militarisierungspläne ins Werk. Bereits im „Weißbuch 2016 zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr”, der offiziellen sicherheitspolitischen Doktrin Deutschlands, heißt es im Abschnitt „Einsatz und Leistungen der Bundeswehr im Innern“, dass „die Streitkräfte zur Unterstützung der Polizeikräfte bei der wirksamen Bekämpfung des Unglücksfalls unter engen Voraussetzungen auch hoheitliche Aufgaben unter Inanspruchnahme von Eingriffs- und Zwangsbefugnissen wahrnehmen können“.

Die „Inanspruchnahme von Eingriffs- und Zwangsbefugnissen“ und die Wahrnehmung „hoheitlicher Aufgaben“ hat nichts mit medizinischer oder logistischer Katastrophenhilfe zu tun. Die Armee wird damit wieder zum Unterdrückungsinstrument im Innern, was in Deutschland eine lange und blutige Tradition hat. Bereits im Kaiserreich, der Weimarer Republik und unter den Nazis wurden das deutsche Militär und paramilitärische Kampfverbände zur Niederschlagung sozialer und politischer Proteste und revolutionärer Aufstände der Arbeiterklasse eingesetzt.

Darauf bereiten sich die Herrschenden auch heute wieder vor. So sieht etwa ein Dokument des Instituts für Sicherheitsstudien der Europäischen Union mit dem Titel „Perspektiven für die Europäische Verteidigung 2020“ die Aufgabe künftiger Militäreinsätze unter anderem im „Schutz der Reichen dieser Welt vor den Spannungen und Problemen der Armen“.

„Da der Anteil der armen, frustrierten Weltbevölkerung weiterhin sehr hoch sein wird, werden sich die Spannungen zwischen dieser Welt und der Welt der Reichen weiter verschärfen – mit entsprechenden Konsequenzen“, heißt es dort weiter. Durch die Technologie schrumpfe „die Welt zu einem globalen Dorf, das sich allerdings am Rande einer Revolution befindet. Während wir es mit einer immer stärker integrierten Oberschicht zu tun haben, sind wir gleichzeitig mit wachsenden explosiven Spannungen in den ärmsten Unterschichten konfrontiert.“

Seitdem das Papier im Jahr 2011 mit einem Vorwort der damaligen Hohen Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, Catherine Ashton, veröffentlicht wurde, ist die soziale Ungleichheit in Deutschland und Europa regelrecht explodiert. Während die Austeritätspolitik Millionen in den sozialen Abgrund gestürzt hat – allein in Deutschland gelten mittlerweile etwa 13 Millionen Menschen als arm – und die Sozial- und Gesundheitssysteme auf dem ganzen Kontinent kaputt gespart wurden, hat sich eine kleine Schicht an der Spitze der Gesellschaft obszön bereichert. In Deutschland verfügen die reichsten 1000 Individuen und Großfamilien über ein Vermögen von fast 1,2 Billionen Euro, was mehr als dem Dreifachen des gesamten Bundeshaushalts für ein Jahr entspricht.

Die Corona-Pandemie hat nun den moralischen und politischen Bankrott des gesamten kapitalistischen Systems offengelegt. Wie schon die Finanzkrise 2008/09 betrachtet sie die herrschende Klasse vor allem als Chance, Billionen in die Taschen der Großunternehmen und Finanzoligarchen zu transferieren. Dabei ist sie bereit, nicht nur die Gesundheit, sondern auch das Leben von Millionen Arbeitern zu opfern. Obwohl sich die Pandemie weiter ausbreitet – gestern gab es allein in Deutschland über 6933 neue Erkrankungen und 84 Tote – werden die Rufe immer lauter, Millionen von Menschen möglichst schnell zurück an die Arbeit zu schicken.

In unserer Perspektive zur Forderung der herrschenden Klasse nach Arbeitszwang, schreiben wir: „Die Coronavirus-Pandemie hat die tiefen Klassengegensätze […] ans Tageslicht gebracht. ‚Den Krieg gegen die Pandemie zu gewinnen‘ bedeutet für […] die herrschende Klasse vor allem die Herstellung von Bedingungen, die es erlauben, die Arbeiterklasse noch stärker auszubeuten. Für die Arbeiterklasse misst sich der Erfolg zur Eindämmung des Virus hingegen an den geretteten Menschenleben, nicht an Profiten.“

Und weiter: „Es ist ein Konflikt, der keine Versöhnung zulässt. Die herrschende Elite ist entschlossen, die Pandemie unter Kontrolle zu bringen, ohne das kapitalistische Profitsystem zu untergraben. Das führt zwangsläufig zu Diktatur und Krieg. Die Bemühungen der Arbeiterklasse, das Virus einzudämmen, führen dagegen in Richtung einer sozialistischen Gesellschaft.“

Der geplante Einsatz der Bundeswehr im Innern muss in diesem Zusammenhang gesehen werden.

Siehe auch:

Profite vor Leben: Bundestag verabschiedet Notpaket für Großkonzerne und Reiche [26.März 2020]

Finanzinvestor Dibelius: Wirtschaft hat Vorrang vor Gesundheit [25. März 2020]

Keine Rettungsaktionen für Banken und Konzerne! Direkte finanzielle Mittel an die Arbeiter, nicht an die kapitalistische Elite! [24.März 2020]

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