Rechte Terrornetzwerke im Staatsapparat bundesweit vernetzt

Seit Jahren bereiten sich rechtsextreme Netzwerke im deutschen Staatsapparat auf einen faschistischen Umsturz an einem „Tag X“ vor. Obwohl zahlreiche Details darüber bekannt sind, befinden sich alle führenden Köpfe dieser „Schattenarmee“ nach wie vor auf freiem Fuß.

Die Reportage „Angriff von innen“, die das Zweite Deutsche Fernsehen (ZDF) am 16. April ausstrahlte (online verfügbar bis 10. Mai), zeigt auf, dass die Umsturzpläne dieser Netzwerke weiter fortgeschritten sind als bisher bekannt, dass sie über Verbindungen zu Behörden in ganz Deutschland verfügen und dass sie von einflussreichen Kreisen in Politik, Militär und Geheimdiensten abgedeckt werden.

Der Autor der Reportage, Dirk Laabs, kennt sich im rechtsextremen Milieu aus. Er hat gemeinsam mit Stefan Aust das gründlich recherchierte 800-Seiten-Buch „Heimatschutz – Der Staat und die Mordserie des NSU“ verfasst.

Die neuen Indizien legen nahe, dass die Kommandosoldaten, Elitepolizisten und Staatsbeamten im Netzwerk um André S. (alias Hannibal), einem Elitesoldaten des Kommandos Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr, Zugang zu Ressourcen der Streitkräfte und der Sicherheitsbehörden hatten und konkret planten, diese einzusetzen, um politische Gegner zu eliminieren und die „Ordnung“ wiederherzustellen. Die Rede ist von Bundeswehr-Truppentransportern, 50.000 teils großkalibrigen Patronen und Eurofighter-Kampfjets.

Wie die World Socialist Website berichtet hat, waren Mitglieder der Hannibal-Gruppe „Nordkreuz“ im vergangenen Jahr aufgeflogen, nachdem umfangreiche Feindeslisten sowie Pläne zur Beschaffung von Ätzkalk und Leichensäcken bekannt geworden waren. Auf dem Grundstück von Nordkreuz-Führer Marco G. wurden 12.000 Schuss Munition gefunden.

Die ZDF-Reportage belegt nun, dass dieser illegale Munitionsvorrat von Polizeispezialeinheiten aus ganz Deutschland stammt. 1200 Schuss kamen aus Nordrheinwestfalen. Mitglieder der Spezialeinsatzkommandos in Köln, Düsseldorf und Dortmund, so das ZDF, standen in Kontakt mit dem Umfeld von Marco G.. Das zuständige Waffenamt in Duisburg verweigerte den ZDF-Journalisten ein Interview, bestätigte aber die Herkunft der Bestände.

Marco G., ein Scharfschützenausbilder und AfD-Mitglied, war im Juni 2019 gemeinsam mit drei Beamten des Spezialeinsatzkommandos von Mecklenburg-Vorpommern verhaftet, dann aber auf Bewährung wieder freigelassen worden, obwohl ihn ein Gericht nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz schuldig gesprochen hatte.

100 Schuss Kriegswaffenmunition, um die es dabei ging, stammten vom bayrischen Unterstützungskommando (USK). Mehr als ein Dutzend Beamte der Einheit waren um dieselbe Zeit suspendiert worden, weil sie in Chatgruppen verkehrten, in denen gewalttätige, antisemitische und „volksverhetzende“ Inhalte diskutiert wurden, so die Staatsanwaltschaft. Marco G. und seine Komplizen konnten offenbar auf Nachsicht im bayrischen Innenministerium zählen. Dieses erklärte auf eine Anfrage der Opposition im Landtag, die Sachlage sei „nicht nachvollziehbar“ und Munition sei „nie abhandengekommen“ – obwohl nachweislich das Gegenteil der Fall war.

Der Bericht des ZDF wirft außerdem ein Schlaglicht auf die Rolle des Innenministers von Mecklenburg-Vorpommern, Lorenz Caffier (CDU). Er war wiederholt Schirmherr eines Spezialkräfte-Wettkampfs, den das ZDF als Umschlagspunkt für die Munitionstransfers ausmacht. Ausbilder von GSG 9, USK, SEK und unzähligen weiteren europäischen Sonderkommandos kamen demnach in diesem Rahmen jährlich auf einem privaten Schützengelände in Güstrow zusammen. Fotos von der Siegerehrung zeigen Innenminister Caffier in Gesellschaft der Elitekämpfer.

Der Betreiber des privaten Schießstands, Frank T., wurde von Caffiers Innenministerium unter Vertrag genommen und ist offenbar Mitglied der Nordkreuz-Gruppe. Wie das ZDF berichtet, besteht ein „enger Kontakt“ zwischen dem Schießplatzbetreiber und dem mutmaßlichen Kopf der Nordkreuz-Gruppe, Marco G.. Die Reportage zitiert eine „Handlungsanweisung für Nordkreuz“, die Frank T. an Marco G. sandte. Darin heißt es: „Desto besser die Kommunikation, umso einfacher das Sammeln untereinander am Tag X. Doch bis dahin gilt für jeden von uns, so wenig wie möglich aufzufallen.“

Auf Presseanfragen reagierte das Innenministerium von Schwerin mit Schweigen und einem Hausverweis.

Die Informationen des ZDF bestätigen, dass unter den Verschwörern die Absicht herrscht, am „Tag X“ auf Fahrzeuge der Streitkräfte zuzugreifen und ein Netz von Stützpunkten – darunter die Kaserne der Bundeswehr-Spezialkräfte (KSK) in Calw – für weitere Operationen zu nutzen. Ein Mitglied, das von Marco G. persönlich rekrutiert wurde, hat demnach den Plan entwickelt, „Linke, FDP-Politiker und Flüchtlingshelfer“ zu entführen, sie „auf einen Militärlaster [zu] laden, um sie an Straßensperren vorbeizubringen“, und sie anschließend an zuvor festgelegten Orten zu ermorden.

Armin P. und Jörg S., zwei weitere Unterstützer von Marco G., die seinem Gerichtsprozess beiwohnten, verfügen über Zugang zu Eurofighter-Kampfjets der Bundeswehr. Armin P., der gegenwärtig das Eurofighter-Geschwader in Rostock-Laage ausbildet, war bei G.s Verurteilung zugegen und gab sich als dessen Unterstützer zu erkennen.

Jörg S. – Versicherungsmakler, ehemaliger NVA-Soldat und Oberfeldwebel der Reserve – war ebenfalls lange in Rostock-Laage stationiert und ist zugleich zuständig für einen nördlichen „Sammelplatz“ der Bewegung. Fotos zeigen ihn mit dem ehemaligen Befehlshaber des Eurofighter-Geschwaders. Obwohl S. den Behörden seit 2019 als Rechtsextremist geläufig ist, lud der Kommodore ihn zu seiner Verabschiedung ein.

Sowohl das Geschwader-Kommando als auch das Verteidigungsministerium und der Militärische Abschirmdienst (MAD) verweigerten dem ZDF eine Stellungnahme.

Aus der Korrespondenz zwischen Marco G. und Jörg S., die dem Schweriner Gericht vorliegt, geht hervor, dass das Netzwerk „in den letzten Monaten knapp 2000 Gleichgesinnte gefunden“ und „ein weites Netz über Europa“ aufgespannt habe.

Dies belegen auch Aussagen eines süddeutschen Waffenhändlers, der unter anderem die enge Bekanntschaft zwischen Marco G., André S. (alias Hannibal) und dem rechtsextremen Bundeswehroffizier Franco A. bestätigen. Letzterer soll wegen der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Straftat angeklagt werden.

Hannibal wiederum stand zuletzt wegen illegaler Beschaffung von Patronen, Nebel- und Signalgranaten der Bundeswehr vor Gericht, kam jedoch mit einer Geldstrafe von 1800 Euro nahezu ungeschoren davon. Im Dezember veröffentlichte das ARD-Magazin Monitor ein Drohnenvideo von 2018, das militärische Einsatztrainings und Gefechtsübungen des von André S. gegründeten Vereins Uniter dokumentiert. Zu sehen sind bewaffnete Privatleute in Kampfmontur, die unter Anleitung von Hannibal den Häuserkampf proben.

Bereits Anfang des Monats war der Bundestag in einer geheimen Unterrichtung von Verfassungsschutz und Innenministerium gewarnt worden, dass „rechte Gruppierungen die Gunst der Stunde ausnutzen“ könnten. Dies berichtete das Redaktionsnetzwerk Deutschland unter Berufung auf Sicherheitskreise. Demnach hätten „Mitglieder sogenannter Prepper-Gruppen“ in „Schleswig-Holstein, Hamburg, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen“ bereits „Waffen und Munition aus Verstecken, sogenannten Safehouses“ abgeholt. Verstecke wie diese existierten im gesamten Bundesgebiet, sowie darüber hinaus in Österreich und der Schweiz.

Nicht nur Marco G., Franco A. und André S. befinden sich auf freiem Fuß. Laut einem Bericht des Tagesspiegels vom Februar dieses Jahres sind bundesweit 624 Haftbefehle gegen 482 Rechtsextremisten bislang nicht vollstreckt worden. In 104 Fällen handelt es sich um Gewalttaten, darunter 5 Tötungsdelikte. In manchen Fällen, so der Tagesspiegel, seien „terroristische Untergrundaktivitäten wie einst beim NSU zu befürchten“.

Im vergangenen Jahr zählten die Behörden 1596 rechtsextrem motivierte Straftaten (im Jahr zuvor waren es 1451). Im Jahr 2019 wurden allein in Baden-Württemberg zehn Anschläge auf Asylunterkünfte erfasst. Zugleich klärt die Polizei in Südwestdeutschland weniger als jede zweite rechtsextreme Straftat auf. Während die durchschnittliche Aufklärungsquote aller Delikte in der Kriminalstatistik bei über 60 Prozent liegt, betrug sie in dem Bereich Rechtsextremismus in den vergangenen Jahren nur zwischen 39 und 47 Prozent.

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