Mit einem zweitägigen Warnstreik protestieren am Montag und Dienstag weit über 2.000 Amazon-Kolleginnen und Kollegen gegen die unsicheren Arbeitsbedingungen und die enorme Infektionsgefahr in den Verteilerzentren. Sie legten die Arbeit gleichzeitig an sechs Standorten nieder: Bad Hersfeld I und II, Leipzig, Koblenz, Rheinberg und Werne.
In Bad Hersfeld (Hessen) nahmen am Montag über 500 Kolleginnen und Kollegen an einem Autocorso teil. Mindestens ebenso viele beteiligen sich in Leipzig am Streik. In Werne (NRW) haben gestern etwa 400 Arbeiter an einer Protestkundgebung teilgenommen, und rund 450 streiken derzeit in Rheinberg (NRW) und Koblenz. Insgesamt arbeiten bei Amazon in Deutschland an 13 Logistikstandorten 13.000 Festangestellte.
Während die Streikenden von Seiten der Betriebsleitung unter Druck gesetzt werden und die Medien nur wenig berichten, ist die Solidarität in der einfachen Bevölkerung enorm. Denn viele Arbeiter sind mit ähnlich ausbeuterischen und gefährlichen Arbeitsbedingungen konfrontiert.
Bei Amazon spitzte sich die Situation zu, nachdem sich allein in Bad Hersfeld laut Verdi-Gewerkschaftssekretärin Mechthild Middeke „Rund drei Dutzend“ Beschäftigten mit Corona infizierten. Den Kollegen wurde nicht mitgeteilt, in welcher Abteilung wie viele Kollegen den Virus in sich trugen. Weder werden die Covid-19-Fälle bekannt gegeben, noch werden alle Beschäftigten getestet und systematisch Kontakte isoliert.
Damit werden tausende Amazon-Beschäftigte einer enormen Gefahr ausgesetzt. Schon im April wurde bekannt, dass im Verteilzentrum Ham2 Winsen bei Hamburg 68 von 1800 Beschäftigten infiziert waren. Obwohl der Amazon-Konzern Milliarden investiert, um die Abläufe zu optimieren und die Arbeitskräfte effektiver auszubeuten und besser zu überwachen, ist er nicht bereit, für sichere, transparente und gesunde Arbeitsbedingungen zu sorgen.
Nachdem der Konzern so gut wie nichts für den Schutz der Beschäftigten unternommen hat, hat das regionale Gesundheitsamt in Bad Hersfeld das Tragen eines Mund-und-Nasen-Schutzes bei der Arbeit jetzt zwingend vorgeschrieben. Der Arbeitstakt ist jedoch so brutal, dass die Arbeiter beim Masken-Tragen über Atemprobleme klagen, die sich infolge der großen Hitze in den Hallen noch verschlimmern.
Deshalb lautet eine Forderung des Streiks: „Mehr Pausen und die Entschleunigung der Arbeitsprozesse, sowie die bezahlte Freistellung für gesundheitlich besonders belastete Mitarbeiter“. Auch fordern die Kollegen, den Corona-Zuschlag von zwei Euro wieder einzuführen, der ihnen im Mai ersatzlos gestrichen worden war.
Die Ausbeutung bei Amazon ist derart brutal und menschenverachtend, dass die Arbeit schon unter normalen Bedingungen physisch und psychisch krank macht. Die Arbeiter stehen unter einem gewaltigen Druck, die Vorgaben des Unternehmens zu erfüllen. Mit vollbeladenen Einkaufswagen rennen Picker oder Kommissionierer durch die kilometerlangen, mehrstöckigen Hallen, wobei ihnen der Scanner gnadenlos und sekundengenau den Takt vorgibt. Derweil stehen die Packer stundenlang an den Verpackungstischen. Alle arbeiten gegen die Zeit, stehen ständig unter Beobachtung und müssen mit Punkteabzügen rechnen, wenn sie hinter einem Tempo zurückbleiben, das Menschen zu Robotern degradiert.
Die perfektionierte Ausbeutung, die den Amazon-Besitzer und Multimilliardär Jeff Bezos zum reichsten Mann der Welt gemacht hat, wird weltweit in tausenden Versand- und Logistikzentren durchgesetzt. Es sind ideale Bedingungen für die Ausbreitung der Corona-Pandemie. Das hat sich seit Februar schon in Dutzenden Amazon-Betrieben in den USA, in Italien, Spanien und Frankreich erwiesen.
Bezos hatte von den Amazon-Mitarbeitern schon immer verlangt, ihre Gesundheit aufs Spiel zu setzen, um seine Profite zu mehren. Mit dem völlig unzureichenden Infektionsschutz sind nun Gesundheit und Leben der ganzen Familie bedroht. Zudem führen die Hotspots wie in den Verteilerzentren von Amazon direkt in die zweite Welle der Pandemie, die tausende Menschenleben kosten wird.
Deshalb haben auf internationaler Ebene bereits viele Amazon-Belegschaften für einen besseren Corona-Schutz gekämpft. In den Vereinigten Staaten, in Italien, Frankreich und Spanien haben schon hunderte Amazon-Arbeiter spontan die Arbeit verweigert, um sich nicht länger der Corona-Gefahr auszusetzen. Sie haben durch spontane Streiks auch Mitarbeiter verteidigt, die wegen mutiger Proteste entlassen worden waren. Nach New York City, Chicago und Detroit legten auch in Minneapolis Amazon-Arbeiter die Arbeit nieder, um eine Kollegin, die sich gewehrt hatte, vor Entlassung zu schützen. Mindestens in den USA sind bereits Amazon-Arbeiter an Covid-19 gestorben.
Die Streiks bei Amazon sind Teil einer internationalen und rasch wachsenden Streikwelle. Arbeiter unterschiedlicher Länder und Branchen kämpfen für einen besseren Corona-Schutz und gegen massive Angriffe auf Arbeitsplätze und Löhne. Letzte Woche streikten 3.200 Arbeiter der Maquiladoras in Mexiko, wo Teile für die Autoproduktion in den USA hergestellt werden. In den Autowerken in Detroit haben Arbeiter in den letzten Tagen begonnen, Aktionskomitees aufzubauen, die sich von den Gewerkschaften distanzieren und den Kampf um sichere Arbeitsbedingungen in die eigenen Hände nehmen. Zu Arbeitskämpfen kam es auch unter kalifornischen Krankenschwestern und niederländischen Stahlarbeitern.
Der Streik in Deutschland stieß in der gesamten Arbeiterklasse auf große Sympathien. In den Sozialen Medien überschlugen sich Solidaritätsbekundungen. „Amazon macht obszönen Gewinn und beutet dennoch munter Angestellte aus. Ekelkonzern!“ kommentiert ein Twitter-Nutzer, und eine weitere Nutzerin namens Katja K. schreibt: „Riesengewinne in der Coronazeit, Milliarden Umsatz, alle kleinen Online-Händler platt gemacht ... aber die Arbeiter können nicht mal nach Tarif bezahlt werden und schuften sich ab. Ekelhaft ist das.“
Während die Amazon-Arbeiter solch breite Unterstützung erfahren, sind sie in ihrem Kampf nicht nur mit der Unternehmensleitung, sondern auch mit der Gewerkschaft konfrontiert. Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi hat alles daran gesetzt, den Streik bei Amazon international zu isolieren und so ineffektiv wie möglich zu organisieren.
Verdi hatte sich in Bad Hersfeld erstmals eingeschaltet, nachdem dort zum Jahreswechsel 2012/2013 ein spontaner Streik ausgebrochen war, durch den hunderte ausländische Leiharbeiter auf ihre Sklavenbedingungen aufmerksam machten. Im April 2013 führte Verdi dort eine Urabstimmung durch, die eine 98-prozentige Streik-Zustimmung ergab, und organisierte dann einen ersten Warnstreik in Bad Hersfeld und Leipzig.
Seither ruft Verdi immer wieder zu „taktischen Nadelstichen“ und Warnstreiks in jeweils einzelnen Betrieben auf. Das Hauptziel bestand von Anfang an darin, den Arbeitskampf in kontrollierte Bahnen zu lenken, ein Übergreifen auf andere Arbeiterschichten zu verhindern und die Amazon-Direktion von der Nützlichkeit von Verdi als Partner und Co-Manager zu überzeugen.
Die Amazon-Arbeiter können ihre Gesundheit nur verteidigen, wenn sie sich unabhängig von Gewerkschaften international in Aktionskomitees zusammenschließen, um gegen den skrupellosen Weltkonzern zu kämpfen. Ein solches Aktionskomitee würde den Betrieb in Bad Hersfeld und jeden von Corona betroffenen Betrieb sofort schließen, volle Lohnfortzahlung für alle Beschäftigten fordern und die Fortsetzung des Versandhandels entsprechend der Sicherheit und der Bedürfnisse der Mitarbeiter neu organisieren.
Das muss Teil einer breiten Mobilisierung der gesamten Arbeiterklasse gegen den fahrlässigen Umgang mit der Corona-Pandemie sein. „Sie muss sich zu einer globalen klassenbewussten Bewegung der Arbeiterklasse gegen den Kapitalismus und für den Sozialismus entwickeln“, wie es das IKVI kürzlich erklärte.