Immer neue Berichte über rechtsextremistische Terrordrohungen gegen Vertreterinnen der Linkspartei, Künstlerinnen und Journalistinnen lassen umfassende faschistische Netzwerke im Staatsapparat erkennen, die von den höchsten Stellen in Staat und Politik gedeckt werden. Sie sollen die weit verbreitete Opposition gegen die rechte Politik der Großen Koalition einschüchtern.
Nachdem die Frankfurter Anwältin Seda Besay-Yıldız vor zwei Jahren ebenso brutale wie ernstzunehmende Drohbriefe von Rechtsterroristen erhielt, kamen in den vergangenen Wochen viele weitere Fälle an die Öffentlichkeit.
Wie Besay-Yıldız erhielt die Fraktionsvorsitzende der Linkspartei im hessischen Landtag, Janine Wissler, Morddrohungen, die mit „NSU 2.0“ unterzeichnet waren und nicht-öffentliche Informationen über sie enthielten. „NSU 2.0“ bezieht sich auf die Terrororganisation „Nationalsozialistischer Untergrund“, die zwischen 2000 und 2007 mindestens zehn Menschen ermordete.
Die Informationen in den Drohbriefen waren in beiden Fällen zuvor von hessischen Polizeicomputern abgerufen worden. Das gleiche gilt für die Informationen in Drohbriefen gegen die antirassistische Berliner Kabarettistin Idil Baydar. Diese hatte schon ab März 2019 insgesamt acht Morddrohungen erhalten und zur Anzeige gebracht. Aber erst am Montag wurde bekannt, dass auch ihre Daten von Polizeicomputern abgerufen wurden.
Neben Wissler wurden auch weitere Vertreterinnen der Linkspartei bedroht. Die Bundestagsabgeordnete Martina Renner (Die Linke) erhielt im April Morddrohungen, die vom NSU 2.0 unterzeichnet wurden und nicht-öffentliche Informationen enthielten. Renner ist Nebenklägerin im Prozess gegen den Neonazi André M., der zu dieser Zeit gerade begann. M. wird vorgeworfen, über einhundert Drohbriefe und 87 Bombendrohungen versandt zu haben.
Die Berliner Fraktionsvorsitzende der Linkspartei, Anne Helm, erhielt Anfang Juli ebenfalls Terrordrohungen vom „NSU 2.0“ mit nicht-öffentlichen Daten. Ob diese auch von hessischen Polizeicomputern stammen, ist zur Zeit unklar. Helm selbst vermutet eine Spur nach Berlin. Die Drohschreiben „enthielten unter anderem eine Information, die wahrscheinlich durch Ausspähung meines Wohnumfelds erhoben wurde“, erklärte sie gegenüber der Frankfurter Rundschau. „Diese Methode nutzt das Neonazi-Netzwerk, dem die Anschlagsserie hier in Neukölln zugeschrieben wird, schon sehr lange.“ Es liege daher nahe, eine Vernetzung in diese Kreise anzunehmen.
Gegen einen Berliner Polizisten läuft ein Disziplinarverfahren wegen Geheimnisverrats, weil er Informationen über Ermittlungen in einer Chatgruppe geteilt hatte, in der auch mindestens einer der Neuköllner Hauptverdächtigen aktiv war.
Insgesamt zeigt sich, dass es sich nicht um einzelne Beamte, sondern um ein weit verzweigtes Netzwerk handelt. Die Daten von Besay-Yıldız, Baydar und Wissler wurden jeweils von unterschiedlichen Polizeistationen in Frankfurt und Wiesbaden abgerufen. Besay-Yıldız erhielt auch dann noch Drohschreiben, als bereits sechs Tatverdächtige vom Polizeidienst suspendiert worden waren. „Dir [vulgäre Beschimpfung] ist offensichtlich nicht bewusst, was du unseren Polizeikollegen angetan hast!“, hieß es darin.
Es geht auch nicht nur gegen einzelne Abgeordnete. Das Ziel ist ganz offensichtlich, jeden einzuschüchtern, der sich der rechten Politik der Bundesregierung und der rechtsextremen Gefahr entgegenstellt. Am 14. Juli ging ein Schreiben bei mehreren Fraktionen des hessischen Landtags sowie bei der Redaktion der Talkshow Maybrit Illner ein, das Wissler, Renner, Helm, Baydar sowie der taz-Journalistin Hengameh Yaghoobifarah den Tod wünschte und das im gleichen Duktus wie die früheren Drohbriefe gehalten war. Die Täter wollten eine möglichst große Öffentlichkeit erreichen.
Die Mitglieder des rechten Terror-Netzwerks gehen immer aggressiver vor, weil sie sich darauf verlassen, dass sie von den höchsten Stellen gedeckt werden. Im Falle Besay-Yıldız laufen die Ermittlungen schon fast zwei Jahre ohne dass es zu einer Anklage gekommen wäre. Dabei wurde unmittelbar nach den ersten Schreiben die Polizistin festgestellt, von deren Account die Daten über die Anwältin abgerufen worden waren.
Eine Hausdurchsuchung ergab, dass sie Mitglied in einer WhatsApp-Gruppe war, in der fünf weitere rechtsextreme Polizisten den Holocaust verherrlichten, Hitler-Bilder austauschten und strafrechtlich relevante Nazisymbole verschickten. Einer von ihnen war für den höheren Dienst vorgesehen. Bisher wurde keiner der Polizisten angeklagt und nur einer auf eigenen Wunsch entlassen. Die Übrigen sind lediglich vom Dienst suspendiert.
Die Kabarettistin Baydar hatte wegen der Terrordrohungen acht Mal Anzeige erstattet und acht Mal wurde das Verfahren eingestellt. Dabei hatte die Datenabfrage bei der Polizei schon im März 2019 stattgefunden. Sie selbst sei darüber aber nicht informiert worden, sondern habe das erst jetzt durch einen Reporter erfahren, erklärte sie. Bislang hat sich kein Ermittler bei ihr dazu gemeldet. „Ich habe Angst vor der Polizei“, sagte sie gegenüber der Zeit.
Helin Evrim Sommer, Bundestagsabgeordnete der Linkspartei, hatte ebenfalls eine Drohmail des NSU 2.0 erhalten, in der gedroht wurde, es werde ihr ebenso ergehen wie dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU), der vor einem Jahr von einem Neonazi aus nächster Nähe erschossen wurde. Obwohl Sommer bereits früher angegriffen worden war, wurde sie von der Polizei erst in der letzten Woche darüber informiert, dass ihr Name schon 2010 auf der Todesliste eines Neonazis gestanden hatte.
Laut dem Parteivorsitzenden Bernd Riexinger wurde keiner der bedrohten Linkspartei-Abgeordneten Polizeischutz angeboten.
Im Falle Wisslers behauptet die Polizei, dass sie noch nicht habe feststellen können, wer die Daten abgerufen habe. Dabei hat man den Polizisten, mit dessen Anmeldedaten der Abruf gemacht wurde, längst identifiziert. Weil dieser aber erklärte, dass er keine Janine Wissler kenne, wird er nicht als Tatverdächtiger, sondern als Zeuge (!) geführt. Es gab auch keine Hausdurchsuchung. Selbst wenn sich tatsächlich jemand anderes mit den Daten angemeldet haben sollte, dürfte es nicht schwer sein, ihn zu identifizieren, da auch die Zeit der Anmeldung gespeichert wird. Dass es noch keinen Tatverdächtigen gibt, lässt sich nur damit erklären, dass nicht ansatzweise ernsthaft ermittelt wird.
Überhaupt wurde lange versucht, die Abfrage der Daten bei der Polizei zu vertuschen. Der hessische Innenminister Peter Beuth (CDU) warf dem Landeskriminalamt vor, ihn erst in der vergangenen Woche darüber informiert zu haben. Das LKA hatte aber schon am 25. Februar den Abruf identifiziert. Der Landespolizeipräsident Udo Münch war daraufhin zurückgetreten.
Doch wie die Frankfurter Rundschau am Sonntag berichtete, war das Landespolizeipräsidium, das dem Innenministerium angegliedert ist, schon am 5. März vom LKA über den Abruf der Daten in Kenntnis gesetzt. Das geht zumindest aus internen Vermerken vor, die die Zeitung zitiert. Ein ermittelnder Beamter habe „dargestellt, dass von einem Wiesbadener Polizeirevier Frau Janine Wissler von der Partei Die Linke abgefragt wurde“, heißt es darin.
Demzufolge wäre das Innenministerium schon früh über den Datenabruf informiert gewesen und hätte ihn bewusst geheimgehalten und damit seine schützende Hand über die rechtsextremen Terrornetzwerke in der Polizei gehalten.
Ein derartiges Vorgehen läge voll auf der Linie des hessischen Innenministeriums. Als 2006 Halit Yozgat in Kassel vom NSU ermordet wurde, verschwieg der damalige Innenminister und heutige Ministerpräsident Volker Bouffier so lange wie möglich, dass ein V-Mann-Führer des hessischen Verfassungsschutzes, Andreas Temme, am Tatort anwesend war. Als sich die Sache nicht mehr verheimlichen ließ, erteilte er Temme nur eine beschränkte Aussagegenehmigung. Die entsprechenden Akten sind bis heute unter Verschluss und sollen es weitere 30 Jahre lang bleiben.
Temme war als V-Mann-Führer Teil eines umfassenden Netzwerkes von V-Leuten, mit dem Polizei und Verfassungsschutz die Neonazi-Szene durchzogen und finanziert hatten. Allein im Umfeld des NSU waren mindestens zwei Dutzend V-Leute aktiv, die teilweise in persönlichem Kontakt zu den untergetauchten Terroristen standen.
All diese Strukturen blieben nach der Aufdeckung des NSU intakt und wurden von den Sicherheitsbehörden geschützt. Temme etwa wurde ins Regierungspräsidium des CDU-Politikers Walter Lübcke versetzt, in dem er noch arbeitete als dieser von Neonazis ermordet wurde. Der mutmaßliche Mörder Stephan Ernst wiederum stammt aus den Kasseler Neonazi-Kreisen, die Temme als V-Mann-Führer betreut hatte.
Seit dem Mord an Lübcke werden diese Netzwerke zunehmend gegen politische Figuren mobilisiert, die mit Kritik an Rechtsextremismus assoziiert werden. Arbeiter und Jugendliche müssen das als ernste Warnung verstehen. Die massenhaften Terrordrohungen sind Teil einer umfassenden Offensive der Sicherheitsbehörden, gegen jeden vorzugehen, der die Politik des Militarismus und der schreienden sozialen Ungleichheit kritisiert und gegen den Kapitalismus auftritt.