Perspektive

Massive Unterwanderung von Bundeswehr und Polizei durch Neonazi-Netzwerk

In einem ausführlichen Artikel vom 3. Juli dokumentiert die New York Times eine rechtsextreme Verschwörung unter Beteiligung von Angehörigen der Bundeswehr, der Geheimdienste und der Polizei, die einen gewaltsamen Umsturz am „Tag X“ anstrebt. Der Artikel, der auf einjährigen Recherchen basiert, dokumentiert weit verzweigte rechtsextreme Netzwerke innerhalb von Militär und Polizei, die Infiltration des Kommandos Spezialkräfte (KSK) durch Faschisten und den wachsenden Einfluss von Rechtsextremisten wie der Alternative für Deutschland (AfD).

Unter dem Titel „Neonazis unterwandern Militär, Deutschland ist mit Feind im Inneren konfrontiert“ wird beschrieben, wie verdeckte Netzwerke, die Angriffe planen und Waffen horten, seit Jahren von den militärischen Führungskräften geduldet und sogar unterstützt werden. Ein ehemaliger KSK-Kommandeur, General Reinhard Günzel, vergleicht in seinem Buch das KSK mit der Waffen-SS, den nationalsozialistischen Sturmtruppen, die zahlreiche Massenhinrichtungen von Juden verübten.

Im Zuge einer Razzia bei einem KSK-Soldaten im Mai fanden die Ermittler „zwei Kilogramm Plastiksprengstoff, einen Zünder, eine Zündschnur, ein Sturmgewehr vom Typ AK-47, einen Schalldämpfer, zwei Messer, eine Armbrust und Tausende Schuss Munition“, so die Times. Ein ehemaliges KSK-Mitglied mit dem Spitznamen Hannibal betrieb eine Chat-Gruppe, in der es um die Planung von Terroranschlägen ging. Gegen mehrere Mitglieder der Gruppe wird derzeit ermittelt, und gegen ein Mitglied wurde Anklage erhoben. In einem Interview mit der Timesbeschrieb „Hannibal“ seine Truppe als „Kriegsspiel“ gegen „Banden, Islamisten und die Antifa“, die „feindliche Verbände auf unserem Boden“ seien.

Der Artikel der Timeserschien nur wenige Tage, nachdem Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer sich gezwungen gesehen hatte, eine Umstrukturierung der KSK anzukündigen und eine seiner Kompanien aufzulösen, weil es sich zu einer Brutstätte für Rechtsextremisten entwickelt hatte. Angesichts dieses Vorfalls, der veranschaulicht, wie der deutsche Staatsapparat und die Sicherheitskräfte 75 Jahre nach dem Zusammenbruch des Hitler-Faschismus zunehmend von Neonazis dominiert werden, sahen sich die Times und eine Vielzahl von Zeitungen weltweit veranlasst, über eine Realität zu berichten, die sie seit Jahren weitgehend zu ignorieren suchten.

Die Times erinnert an die politischen Verhältnisse in der Weimarer Republik und zeichnet das Bild eines nominell demokratischen Staats, der von allen Seiten, vor allem aber von innen heraus, mit rechtsextremen Verschwörungen konfrontiert ist. Rechtsextreme Netzwerke „horten Waffen, unterhalten sichere Unterkünfte und führen in einigen Fällen Todeslisten politischer Gegner“, stellt die Times fest. Allein innerhalb der KSK sind 48.000 Schuss Munition und 62 Kilogramm Sprengstoff abhandengekommen.

Der Times-Artikel verwies auf Äußerungen des rechtsextremen Terroristen Brendan Tarrant, der in zwei Moscheen im neuseeländischen Christchurch Dutzende von muslimischen Gläubigen erschossen hat. Tarrant sprach von „Hunderttausenden“ Soldaten in Europas Armeen, die faschistische und rechtsnationalistische Ansichten vertreten. Weiter heißt es: „Deutschlands militärischer Abschirmdienst ermittelt jetzt gegen mehr als 600 von insgesamt 184.000 Soldaten wegen Rechtsextremismus. Etwa 20 davon entfallen auf das KSK, wo der Anteil somit fünfmal so hoch ist wie in anderen Einheiten.“

„Allerdings befürchten die deutschen Behörden, dass das Problem weitaus größer sein könnte und dass auch andere Sicherheitsinstitutionen infiltriert worden sind. In den vergangenen 13 Monaten haben rechtsextreme Terroristen einen Politiker ermordet, eine Synagoge angegriffen und neun Einwanderer und Deutsche mit Migrationshintergrund erschossen.“

Das wahre Ausmaß der rechtsextremen Unterwanderung bleibe unklar, so die Times, da auch Teile der Geheimdienste selbst von Rechtsextremisten dominiert würden. Die Zeitung bezieht sich darauf, dass die KSK-Soldaten vor der Razzia im Mai von einem Angehörigen des Militärgeheimdiensts MAD gewarnt wurden. Sie zitiert Stephan Kramer, den Präsidenten des Thüringer Verfassungsschutzes, mit den Worten, man habe es mit einem Feind Inneren zu tun.

Die Autorin des Artikels, Katrin Bennfold, berichtet, dass „Militär- und Geheimdienstbeamte“ und „erklärte Rechtsextreme“ ihr von „landesweiten Netzwerken aktueller und ehemaliger Soldaten und Polizisten mit Verbindungen zu Rechtsextremen“ erzählten. Einige Medien würden sie als eine „Schattenarmee“ bezeichnen und an die Attentate, Putschversuche und Verschwörungen erinnern, mit denen rechtsextreme Militärs während der Weimarer Republik versuchten, die bürgerliche Demokratie zu stürzen.

„In vielen Fällen haben die Soldaten die Netzwerke genutzt, um sich auf den von ihnen erwarteten Zusammenbruch der demokratischen Ordnung Deutschlands vorzubereiten“, fährt die Times fort. „Sie nennen es Tag X. Die Beamten befürchten, dass unter diesem Vorwand Terroranschläge angestiftet oder, schlimmer noch, ein Putsch vorbereitet wird.“

Viele Leser der Times dürfte es überrascht haben, dass in Deutschland die unmittelbare Gefahr eines Militärputsches durch Rechtsextreme droht. Immerhin wird das Land seit der Niederlage des Nationalsozialismus 1945 als eine der führenden Demokratien Europas hochgehalten. Die Realität sieht jedoch so aus, dass die deutsche Bourgeoisie durch dieselben objektiven Widersprüche des Kapitalismus, die sie im Januar 1933 dazu brachten, hinter dem Rücken der Arbeiterklasse die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler zu unterstützen, heute erneut zur Kultivierung rechtsextremer und offen faschistischer Kräfte getrieben wird. Auf der einen Seite steht der deutsche Imperialismus vor der Notwendigkeit, seine wirtschaftlichen und geostrategischen Interessen in der ganzen Welt rücksichtsloser durchzusetzen, weil sich die Spannungen zwischen den Großmächten verschärfen. Auf der anderen Seite sieht er sich einer tief verwurzelten Opposition der arbeitenden Bevölkerung gegen seine Spar- und Kriegspolitik gegenüber.

Die deutschen Trotzkisten der Sozialistischen Gleichheitspartei (SGP) und die World Socialist Web Site haben von Anfang an davor gewarnt, dass der Versuch, eine aggressivere imperialistische Außenpolitik zu entwickeln, zur Rehabilitierung rechtsextremistischer Ansichten und der Förderung pro-nazistischer Kräfte führt. In einer Resolution vom September 2014, die auf einer Sonderkonferenz gegen Krieg verabschiedet wurde, erklärte die SGP: „Die Propaganda der Nachkriegsjahrzehnte – Deutschland habe aus den ungeheuren Verbrechen der Nazis gelernt, sei ‚im Westen angekommen‘, habe zu einer friedlichen Außenpolitik gefunden und sich zu einer stabilen Demokratie entwickelt – entpuppt sich als Mythos. Der deutsche Imperialismus zeigt sich wieder so, wie er historisch entstanden ist, mit all seiner Aggressivität nach innen und nach außen.“

Diese Resolution richtete sich gegen die Stellungnahmen von Bundespräsident Joachim Gauck, Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, die alle auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2014 die Ära der deutschen militärischen Zurückhaltung für beendet erklärt hatten. Deutschland sei zu groß, um die Weltpolitik von der „Seitenlinie“ zu kommentieren, meinte Steinmeier, und rief zu einer entschiedeneren und substanzielleren Intervention der Streitkräfte bei ausländischen Militäreinsätzen auf.

Im selben Monat erklärte Jörg Baberowski, Inhaber des Lehrstuhls für die Geschichte Osteuropas an der Berliner Humboldt-Universität, gegenüber dem Magazin Der Spiegel: „Hitler war kein Psychopath, er war nicht grausam. Er wollte nicht, dass an seinem Tisch über die Judenvernichtung geredet wird.“

Gegen diese grobe Geschichtsfälschung durch Baberowski, der im gleichen Atemzug seine Unterstützung für Ernst Nolte kundtat (den bekanntesten Pro-Nazi-Historiker im Nachkriegsdeutschland), erhob sich weder aus der Wissenschaft noch dem politischen Establishment auch nur eine einzige Stimme. Im Gegenteil, Baberowski und seine Mitdenker wurden von der Leitung der Humboldt-Universität verteidigt, die „mediale Angriffe“ auf ihn für „inakzeptabel“ erklärte. Diese Unterstützung ging über Deutschland hinaus: Die Princeton University gewährte Baberowski ein Forschungsstipendium in Höhe von 300.000 US-Dollar für ein Projekt zu Diktaturen, die der Professor als legitime und sogar populäre „alternative politische Ordnungen“ untersuchen möchte. (Siehe: Warum fördert die Princeton University den rechtsextremen Professor Baberowski?)

Während Baberowskis rechtsextremes Umschreiben der Geschichte von den Medien und der „Wissenschaft“ wohlwollend unterstützt wurde, waren die SGP und ihre Studierendenorganisation einer bösartigen Hetzkampagne in den Medien ausgesetzt. Seit 2018 wird die SGP vom Verfassungsschutz als „linksextremistisch“ eingestuft und entsprechend überwacht. In seiner Begründung argumentierte der Geheimdienst, an dessen Spitze damals der AfD-Sympathisant Hans-Georg Maaßen stand, dass das „Streiten für eine demokratische, egalitäre, sozialistische Gesellschaft“, die „Agitation gegen angeblichen ‚Imperialismus‘ und ‚Militarismus‘“ und das „Denken in Klassenkategorien“ verfassungswidrig, d.h. illegal sei.

Der Grund für diese rabiate Reaktion war, dass die SGP mit ihrer Opposition gegen Baberowski, gegen die Verharmlosung der Naziverbrechen und gegen das Wiederaufleben des deutschen Militarismus die Verschwörung der herrschenden Elite durchkreuzte, die gesamten Politik weit nach rechts zu verschieben. Die neofaschistische AfD ist seit ihrer Gründung 2013 systematisch aufgebaut worden. Nachdem sie bei der Bundestagswahl 2017 nur 12,6 Prozent der Stimmen erhalten hatte und als erste faschistische Partei seit 1945 in den Bundestag eingezogen war, traf sich Bundespräsident Steinmeier mit der AfD-Führung und forderte die anderen Parteien auf, die „Mauern der Unversöhnlichkeit“ um die AfD abzubauen und einen „deutschen Patriotismus“ anzustreben. Einige Monate später einigten sich die Christdemokraten und Sozialdemokraten auf eine Neuauflage der großen Koalition und machten dadurch die AfD zur offiziellen Oppositionspartei im Bundestag.

Seither konnte die AfD große Teile der Politik der Großen Koalition diktieren, insbesondere in den Bereichen Einwanderung und Flüchtlinge. Alle Fraktionen sorgten dafür, dass die Spitze wichtiger parlamentarischer Ausschüsse von der rechtsextremen Partei besetzt werden konnte.

Im Februar haben FDP und CDU in Thüringen den nächsten logischen Schritt in dieser Zusammenarbeit mit der AfD getan. Sie ließen FDP-Politiker Thomas Kemmerich mit den Stimmen der AfD zum Ministerpräsidenten wählen. Die weit verbreitete Empörung der Bevölkerung darüber, dass erstmals nach dem Zweiten Weltkrieg ein Ministerpräsident eines Bundeslandes mit den Stimmen einer faschistischen Partei gewählt worden war, zwang Kemmerich kurz darauf zum Rücktritt. (Siehe: Alarmstufe Rot: Politische Verschwörung ebnet Weg für Wiederkehr des Faschismus)

In diesem reaktionären politischen Klima konnten sich die Aktivitäten faschistischer Terroristen und Putschisten in und um Militär, Polizei und Geheimdienste entfalten.

Die Tatsache, dass sich die Times nun gezwungen sieht, so explizit über die Gefahr rechtsextremer Netzwerke zu berichten, ist bezeichnend für die Krise der bürgerlichen Herrschaft. Hintergrund ist ein Zusammenbruch des Weltkapitalismus, wie es ihn seit den 1930er Jahren nicht mehr gegeben hat. Angesichts eklatanter sozialer Ungleichheit, eines Wiederauflebens interimperialistischer Rivalitäten und der Aushöhlung demokratischer Herrschaftsformen wenden sich die herrschenden Eliten überall autoritären und rechtsextremen Kräften zu, um ihre Interessen gegen die Arbeiterklasse im Inland und ihre Konkurrenten im Ausland zu verteidigen. Wie Trotzki 1929 schrieb, als er die wachsenden Tendenzen zur Diktatur in Europa und die Stärkung faschistischer Kräfte analysierte: „Zu hohe Spannung des internationalen Klassenkampfes führt zum Kurzschluss der Diktatur, die Sicherungen der Demokratie schlagen eine nach der anderen durch.“

In der Unterwanderung des deutschen Militär- und Staatsapparats durch faschistische Kräfte mit Unterstützung des politischen Establishments zeigt sich dieser Prozess besonders anschaulich. Aber auch in anderen führenden kapitalistischen Ländern sind nicht weniger gefährliche Entwicklungen im Gange.

Im Nachbarland Frankreich hat Präsident Emmanuel Macron den Nazi-Kollaborateur Philippe Pétain als Nationalhelden gepriesen und ein brutales militärisches Vorgehen gegen die Gelbwesten angeordnet, das Hunderte von Todesopfern und bleibenden Verletzungen zur Folge hatte.

In den Vereinigten Staaten baut Trump eine Unterstützerbasis bei Rechtsextremen und Faschisten auf – wie er es jüngst durch das Retweeten eines Videos unterstrich, in dem einer seiner Anhänger die Parole „White Power“ ruft. Auf die Massenproteste gegen Polizeibrutalität Anfang Juni reagierte der US-Präsident mit dem Versuch, durch einen Militärputsch ein autoritäres Regime unter seinem persönlichen Kommando zu schaffen.

Auch in Kanada werden rechtsextreme und faschistische Kräfte gefördert, um die Arbeiterklasse einzuschüchtern. Nur einen Tag vor der Veröffentlichung des Exposés der Times über die Rechtsextremen in Deutschland versuchte ein rechtsextremistisch motivierter Armeereservist ein Attentat auf den kanadischen Premierminister Justin Trudeau.

Es wäre in verbrecherischer Weise leichtfertig, die Bedrohung durch die faschistische extreme Rechte zu unterschätzen. Doch anders als in den 1920er und 1930er Jahren hat der Rechtsextremismus in Deutschland und anderswo noch keine Massenanhängerschaft. Von der Masse der Bevölkerung, die die barbarischen Verbrechen der Nazis in ganz Europa und vor allem den Holocaust nicht vergessen hat, werden die AfD und ihre Unterstützer weitgehend verachtet. Die scheinbare Stärke der Rechtsextremen beruht ausschließlich darauf, dass sie mächtige Verbündete innerhalb der herrschenden Elite und des Staatsapparats haben.

Um zu verhindern, dass die rechtsextremen Verschwörungen der herrschenden Eliten in Deutschland und anderen Ländern Erfolg haben, muss der weit verbreitete Hass der Arbeiterklasse auf den Rechtsextremismus in eine bewusste politische Bewegung verwandelt werden, die sich gegen das Wiederaufleben von Faschismus und Militarismus und dessen Ursache, das verrottete kapitalistische Profitsystem richtet. Dazu ist es vor allem nötig, das Internationale Komitee der Vierten Internationale als revolutionäre Führung der internationalen Arbeiterklasse aufzubauen.

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