Wie ein Blitz schlug vor zwei Wochen bei der Belegschaft der WISAG Ground Services Tegel die Nachricht von der Vernichtung von etwa 800 Arbeitsplätzen ein. Das sind mehr als die Hälfte aller Arbeitsplätze bei den Bodendiensten der Flughäfen Tegel und Schönefeld.
Auf der Betriebsversammlung, die am vergangenen Freitag in einem Hangar des Flughafens Tegel stattfand, gab das Unternehmen nun bekannt, dass es in Insolvenz in Eigenverantwortung gegangen sei. Bereits der Juli-Lohn an die Beschäftigten in Tegel werde nur noch im Rahmen der Insolvenz ausgezahlt. 350 Beschäftigte würden entlassen. In den nächsten zwei Monaten bekämen diese noch Lohn, dann sei auf dem Flughafen Tegel für alle Schluss. Nur eine kleine, handverlesene Gruppe von etwa 60 Vorarbeitern und höher qualifizierten Beschäftigten werde nach Schönefeld übernommen.
Die Leiharbeiter, die auch unabhängig vom Insolvenzverfahren ihren Arbeitsplatz verlieren oder bereits verloren haben und deren Zahl wahrscheinlich über 400 liegt, wurden überhaupt nicht erwähnt.
Wie vom Donner gerührt standen alle da. Dieses Vorgehen gegen Arbeiterinnen und Arbeiter, die am Flughafen unter hohem Zeitdruck Schwerstarbeit verrichten – Passagierabfertigung, Gepäckverladung, Vorfeldarbeiten beim Betanken der Flugzeuge, Einweisen der Flugzeuge, Bodentransport usw. –, ist an Bösartigkeit nicht zu übertreffen.
Die sogenannte Insolvenz in Eigenverantwortung ist ein spezielles juristisches Verfahren, das es dem WISAG Konzern erlaubt, den für betriebsbedingte Kündigungen vertraglich vereinbarten Sozialplan in Höhe von 14 Millionen Euro zu umgehen und darüber hinaus die Kündigungsfrist von sieben auf drei Monate zu verkürzen. Die Angriffe auf die Belegschaft werden nicht von einem Insolvenzverwalter, sondern vom Unternehmer in Eigenregie geplant. Sie bekommen am Ende noch einen richterlichen Stempel aufgedrückt, damit alles mit der Autorität von Justiz und Staatsmacht gnadenlos durchgesetzt werden kann.
Die meisten Betroffenen, etwa 75 Prozent, erhalten Löhne der untersten Einkommensgruppen E1 bis E4, was einem Stundenlohn zwischen 11,10 und 13,20 Euro entspricht. Das macht bei Vollzeitbeschäftigung rund 1600 bis höchstens 2000 Euro brutto im Monat aus.
Wer seit 20 oder 30 Jahren bei den Flughafen-Bodendiensten arbeitet, daher etwas mehr verdient und vielleicht noch einen Anspruch auf eine Betriebsrente oder einen besseren Sozialplan hat, verliert ebenfalls alles.
Die Gewerkschaft Verdi hatte sich bereits im Jahr 2018 auf den Stellenabbau im Zuge der Schließung von Tegel eingestellt und für die Altbeschäftigten das Ausscheiden aus dem Betrieb mit einer Abfindung im Rahmen eines Sozialplans vereinbart. Die Abfindungshöhe belief sich nach diesem Vertrag auf bis zu 15 Monatsgehälter. Im Zuge der Insolvenz wird sie jetzt auf maximal 2,5 Monatsgehälter zusammenstrichen. Eines der Hauptziele von WISAG war es, diese Menschen und ihre Ansprüche auf einen Sozialplan und eine Betriebsrente loszuwerden.
Noch schlimmer geht es den Arbeiterinnen oder Arbeitern, die nur in Teilzeit arbeiten und höchstens zwischen 1000 und 1300 Euro (netto) im Monat heimbringen. Nicht wenige von ihnen sind darauf angewiesen, dass sie ihren Lohn beim JobCenter durch Wohngeld oder Hartz-IV aufgestockt bekommen. Sie werden fast kein Arbeitslosengeld erhalten und ganz von Hartz-IV abhängen. Vor allem alleinerziehende Frauen sind davon betroffen.
Der größte Teil der Bodendienstbeschäftigten sind Zeit- und Leiharbeiter, oft aus ost- oder südosteuropäischen Ländern. Sie verdienen meist weniger als 10 Euro die Stunde und müssen davon noch 300 Euro für eine Gemeinschaftsunterkunft berappen.
Die ausländischen Leiharbeiter waren die ersten Opfer des Stellenabbaus. „Diese sind schon längst entlassen worden, bereits zu Beginn der Pandemie,“ berichtete Thomas N. der WSWS, der bei der WISAG Aviation in Berlin beschäftigt ist. „Die Rumänen waren innerhalb einer Stunde weg.“ Auch deutsche Leiharbeiter werden gestützt auf den Tarifvertrag für Zeitarbeiter kurzfristig entlassen.
Doch auch die verbleibenden Arbeiter sind betroffen. Seit März sind sie mit 60 oder 67 Prozent des Gehalts in Kurzarbeit. Hinzu kommt, dass die WISAG den eben erst unterzeichneten Tarifvertrag mit Beginn der Pandemiemaßnahmen schlicht ausgesetzt hat. Er war an sich schon lausig: Ein Haustarifvertrag, der nur 400 Euro Lohnerhöhung verteilt über eine Laufzeit von drei Jahren vorsah.
Die erste Rate in Höhe von 150 Euro war für den vergangenen März vereinbart worden. Thomas N. berichtet: „Mit der Pandemie als Begründung wurde selbst das einfach gestrichen. Der Verdi-Sekretär Enrico Rümker behauptete zur Rechtfertigung uns gegenüber, WISAG werde im nächsten Jahr die Tariferhöhung dafür doppelt zahlen. Das ist doch alles Quatsch!“
Wie Verdi mit WISAG zusammenarbeitet
Als die WISAG vor zwei Wochen die Arbeitsplatzvernichtung ankündigte, gab sich Verdi in einer Pressemitteilung „überrascht“ und forderte zu „Gesprächen“ mit dem Arbeitgeber auf.
Die Überraschung kann so groß nicht gewesen sein. Schließlich sitzen zahlreiche Gewerkschaftssekretäre und Betriebsräte von Verdi – wie z.B. die Geschäftsführerin des Verdi-Bezirks Frankfurt/M. Roswitha Haus – auf wohldotierten Posten im Aufsichtsrat der WISAG-Holding AVECO oder – wie Enrico Rümker, Holger Rößler und Jens Gröger – im Aufsichtsrat der Flughafen Berlin Brandenburg GmbH. Dort werden ebenfalls 400 Beschäftigte entlassen. In Wirklichkeit sind die Sekretäre und Betriebsräte der Gewerkschaft aufs engste verbandelt mit dem Konzern.
So schlug Verdi bereits einen Tag vor der Betriebsversammlung in einer Pressemitteilung die Errichtung einer Transfergesellschaft vor, in der Entlassene für ein Jahr „geparkt“ werden sollen.
Transfer- oder Beschäftigungsgesellschaften wurden von den Gewerkschaften in den 1980er Jahren erfunden, um den damaligen Widerstand von Stahlarbeitern gegen Massenentlassungen zu brechen. Anfang der 1990er Jahren nutzten die Gewerkschaften sie dann, um Arbeitskämpfe gegen die Stilllegung der ehemaligen DDR-Betriebe zu unterdrücken. Sie bieten keinen Schutz vor Arbeitslosigkeit und Altersarmut, sondern dienen als Verschiebebahnhöfe dorthin. Sie haben sich als derart effizient erwiesen, dass ihre Regelung als staatlich geförderte Maßnahme 1998 Aufnahme ins Sozialgesetzbuch fand.
Verdi gibt heute nicht einmal mehr vor, sich den Entlassungen widersetzen zu wollen, sondern unterstützt mit dem Vorschlag einer Transfergesellschaft als flankierende Maßnahme offen die Massenentlassungspläne der WISAG. Ein Grund dafür ist, dass sie fürchtet, selbst eine hohle Protestdemonstration könnte ihrer Kontrolle entgleiten und zum Auslöser eines größeren spontanen Arbeitskampfes werden.
Diese Sorge ist berechtigt. Haben doch die Berliner Flughafenbeschäftigten bereits seit vielen Jahren einer unheiligen Allianz aus rot-rotem und dann rot-rot-grünem Senat und Gewerkschaften immer schlechtere Arbeitsbedingungen, größere Arbeitshetze und niedrigere Löhne zu verdanken.
Ein Meilenstein war 2003 der Austritt des rot-roten Senats aus dem Bundestarifvertrag des öffentlichen Dienstes, der damals auch für das noch im Eigentum der Länder Berlin und Brandenburg befindliche Flughafen-Dienstleistungsunternehmen GlobeGround galt. Das war das grüne Licht für die nun folgende Lohndumpingspirale.
So organisierte Verdi vier Jahre später einen „Absenkungstarifvertrag“. Unter Androhung einer sonst bevorstehenden Insolvenz wurden die Beschäftigten gezwungen, auf ein Fünftel ihres Gehalts zu verzichten. Damit wurde das Unternehmen als Kaufobjekt für den WISAG-Konzern attraktiv gemacht und 2008 vollständig privatisiert. Zur Belohnung für seinen Einsatz wurde der damalige Verdi-Fachgruppenleiter Luftverkehr, Ingo Kronsfoth, Geschäftsführer bei der WISAG.
Jetzt war die Bahn frei für das spezielle WISAG-System des Lohndumpings. Der gesamte Konzern des Frankfurter Sozialdemokraten Claus Wisser funktioniert nach demselben Prinzip: Ausbeutung von Billigstlohnarbeit, brutal – aber fein durchdacht und auf das Sorgfältigste mit den Gewerkschaften Verdi, IG Metall und IG BAU abgestimmt und durchorganisiert. Selbst nach Gewerkschaftsangaben lagen im Jahr 2012 die Löhne im Schnitt um 30 Prozent unter dem Niveau vor der Privatisierung.
Neben den WISAG Ground Services gehören auch die Gebäude- und Raumputzkolonnen der Facility Service GmbH und der Pool von Leiharbeitern (für die Automobilindustrie) der WISAG Industrie Service Holding GmbH zum Geflecht der Tochterunternehmen des WISAG-Konzerns, der insgesamt über 51.000 Menschen beschäftigt. In Zusammenarbeit mit Subunternehmen sorgen sie dafür, dass aus dem Heer von Leiharbeitern alle diejenigen rechtzeitig in ein anderes WISAG-Unternehmen verschoben werden können, die sonst nach zweijähriger Tätigkeit im selben Unternehmen einen gesetzlichen Anspruch auf Festeinstellung erlangen könnten.
Der Ausverkauf des Streiks von 2017
Ein weiterer Meilenstein des Angriffs auf die Bodendienstarbeiter war der Abbruch des massiven Streiks für einen bundesweiten Flächentarifvertrag und Lohnerhöhungen im Jahr 2017 durch Verdi. Fast 99 Prozent der Gewerkschaftsmitglieder hatten für einen unbefristeten Streik gestimmt, doch die Gewerkschaft brach den Streik nach drei Tagen einfach ab, obwohl die Arbeitgeber keinerlei Zugeständnisse gemacht hatten.
Während die Gewerkschaftsführer nach außen hin noch lauthals den Flächentarif als „Kampfziel“ verkündeten, waren sie längst dabei, hinter verschlossenen Türen an einem Flughafen nach dem anderen einen Haustarif mit minimalen Erhöhungen auszumauscheln. So auch in Berlin. Das Verhandlungsergebnis wurde von der Mehrheit der Arbeiter scharf verurteilt und bei der Abstimmung abgelehnt, zumal es nur eine minimale Gehaltserhöhung bedeutete. Die Gewerkschaft focht dies nicht an, sie unterzeichnete den Tarifvertrag trotzdem.
Das Ergebnis sind die heutigen üblen Arbeits- und Lohnbedingungen für die Bediensteten an den Berliner Flughäfen. Mit der Insolvenz soll nun sichergestellt werden, dass am neuen Flughafen BER, der am 31. Oktober in Betrieb gehen soll, die Gewinnmargen für den WISAG-Konzern dank Niedriglöhnen weiter in die Höhe klettern.
Was das für die Familien der entlassenen Festangestellten oder Leiharbeiter bedeutet, kann man sich ausrechnen. Dieser Tage wurden die schockierenden Ergebnisse einer Studie der Bertelsmann-Stiftung bekannt: 21,3 Prozent aller Kinder und Jugendlichen unter 18 wachsen in Deutschland in Armut und prekären Verhältnissen auf, die Hälfte davon in Familien von Hartz-IV-Empfängern. WISAG und ähnliche Konzerne und ihre Helfershelfer in den Gewerkschaften und den politischen Parteien sind die Urheber und Profiteure dieser Verhältnisse!
Auch die nun verkündeten Massenentlassungen sind seit langem vorbereitet worden. Verdi hatte bereits vor zwei Jahren den Tarifvertrag über einen Sozialplan zur Schließung von Tegel abgeschlossen. Die Corona-Pandemie und die für Ende Oktober geplante Schließung des Flughafens Tegel dienen nun als Vorwand, um die Beschäftigten der höheren Einkommensgruppen loszuwerden und die Belegschaft noch übler auszubeuten.
Diese Angriffe sind Bestandteil eines weltweiten Klassenkriegs gegen die Arbeiterinnen und Arbeiter in allen Industrien. In Deutschland nehmen die Stilllegungen, Massenentlassungen und Lohnsenkungen in der Luftfahrt, in der Automobilindustrie, im Maschinenbau, der Touristik und anderen Branchen Ausmaße an, die sogar jene der Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre übertreffen.
Während die Bevölkerung in Arbeitslosigkeit und Armut getrieben wird, erhalten Konzerne, Banken und Spekulanten vom Staat Milliarden. Bei Bildung, Schulen und Infrastruktur werden Milliarden gestrichen und für die Kriegsaufrüstung verwandt. Es ist höchste Zeit, den Kampf gegen diese Angriffe der Kapitalisten und ihrer Regierung aufnehmen!
Die Gewerkschaften stehen auf der Seite der Unternehmen und verteidigen das kapitalistische System. Die Sozialistische Gleichheitspartei tritt daher für den Aufbau betrieblicher Aktionskomitees ein, die die Verteidigung der Arbeitsplätze und Löhne in die eigene Hand nehmen, bundesweit koordinieren und mit dem Kampf der Arbeiter in den anderen Industrie- und Handelszweigen Deutschlands und anderer Länder Europas und international vereinen.
Dieser Kampf muss auf der Grundlage eines sozialistischen Programms geführt werden. Milliardäre und Millionäre wie Claus Wisser und ihre Konzerne, Banken und Immobiliengesellschaften müssen entschädigungslos enteignet, ihre Unternehmen unter die demokratische Kontrolle der Arbeiterklasse gestellt werden. Nur indem die Gesellschaft vom Diktat der Profitinteressen einer winzigen reichen Minderheit befreit und nach den grundlegenden Bedürfnissen der arbeitenden Bevölkerung neu gestaltet wird, können das Recht auf Arbeit und ein angemessenes Einkommen durchgesetzt werden.
Die World Socialist Web Site und die Sozialistische Gleichheitspartei laden alle Arbeiterinnen und Arbeiter des WISAG-Konzerns ein, Kontakt aufzunehmen, an ihren Veranstaltungen teilzunehmen und über diese Politik zu diskutieren.