Seit knapp einer Woche sitzt die 46-jährige Daniela Cavallo dem Gesamtbetriebsrat des Volkswagenkonzerns mit seinen weltweit 670.000 Beschäftigten vor. An der Ausrichtung des Betriebsrats wird das nichts ändern. Cavallo tritt in die Fußstapfen ihres Vorgängers Bernd Osterloh und wird wie dieser die Interessen des Konzerns und seiner Aktionäre vertreten.
Der 64-jährige Osterloh vergoldet sich den Ruhestand mit einem hochbezahlten Dreijahresvertrag als Personalvorstand bei der LKW-Tochter Traton. Er will dort mithelfen, einen „Global Champion“ in der Nutzfahrzeugbranche zu formen, mit einem Jahresgehalt von 2 Millionen Euro.
Die Medien schreiben allesamt, dass Cavallo auf eine neue Kultur beim VW-Konzern und der gesamten Autoindustrie hoffen lasse. Doch auch wenn der Öffentlichkeit die breitbeinigen Auftritte Osterlohs und dessen persönlichen Scheingefechte mit dem VW-Chef Herbert Diess zukünftig erspart bleiben, ändert das nichts an der Ausrichtung des Betriebsrats und der IG Metall.
Cavallo wurde von Osterloh ausgewählt. Er hat sie vor zwei Jahren zu seiner Stellvertreterin gemacht und in die wichtigsten Kreise des Konzerns eingeführt. Zu Treffen mit Mitgliedern der Eigentümerfamilien Porsche und Piëch in Salzburg und Zell am See habe Osterloh sie regelmäßig mitgenommen, berichtet der Spiegel in seiner aktuellen Ausgabe. „Diskret sondierte man Strategien und Personalpläne.“
Jetzt ist Cavallo in allen Betriebsratsgremien – Gesamt- und Konzernbetriebsrat, Europäischer- und Weltkonzernbetriebsrat – einstimmig zu Osterlohs Nachfolgerin gewählt worden. Sie wird auch so schnell wie möglich seine Mandate im Aufsichtsrat und im Präsidium der Volkswagen AG übernehmen.
Man darf daher getrost davon ausgehen, dass mit Cavallo womöglich ein anderer Stil, aber keine andere Politik beim VW-Betriebsrat einzieht. Sie selbst hat in einer gemeinsamen Presseerklärung mit Osterloh betont, sie wolle an „seine Leistungen“ anknüpfen. „Die Herausforderungen bei der Transformation unseres Unternehmens und in unserer Industrie bleiben groß. […] Mit dem Zeitpunkt und Ablauf dieses Wechsels an unserer Spitze beweisen wir Verlässlichkeit: Wir stehen damit für Kontinuität und Berechenbarkeit.“
Cavallo, Osterloh und das gesamte Heer von Betriebsräten und Gewerkschaftsfunktionären sind sich im Ziel einig, VW auf Kosten der Beschäftigten zum „globalen Champion“ zu formen und gegen die internationale Konkurrenz zu stärken.
Die neue Betriebsratschefin hatte nach dem Abitur 1994 eine kaufmännische Ausbildung bei VW begonnen – und gleichzeitig ihre Gewerkschaftskarriere. Bereits als Auszubildende arbeitete sie in der Jugend- und Auszubildendenvertretung. Schnell fiel sie den IGM- und Betriebsratsspitzen auf und wurde entsprechend gefördert.
Mit 27 Jahren wurde sie 2002 Betriebsrätin bei „Auto 5000“ in Hannover. Mit dem Tarifmodell „5000 mal 5000“, das 2001 vom damaligen VW-Personalchef Peter Hartz in Zusammenarbeit mit der IG Metall eingeführt wurde, war 2001 erstmalig ein innerbetrieblicher Niedriglohnsektor geschaffen worden.
Ähnlich wie bei den nach ihm benannten Hartz-Reformen nutzten VW und Gewerkschaft die damals hohe Arbeitslosigkeit, um die Löhne zu senken und schlechtere Arbeitsbedingungen einzuführen. 5000 ehemalige Arbeitslose sollten einen monatlichen Fixlohn von brutto 4500 DM und einen leistungsbezogenen Bonus von 500 DM erhalten.
Nach eigenen Angaben sparte VW mit dem Modell mehr als 20 Prozent der Personalkosten ein. „Hatten die Gewerkschaften bisher vor Dumpinglöhnen gewarnt, schaffen sie nun selbst die Tarifspaltung und bauen einen tariflichen Niedriglohnsektor auf, der eine Spirale abwärts einleitet, die sich immer schneller dreht“, kommentierte die WSWS vor 20 Jahren.
Während ihrer Zeit als freigestellte Betriebsrätin studierte Cavallo berufsbegleitend Betriebswirtschaft. Im Jahr 2013 zog sie in den Gesamtbetriebsrat ein. Die Verhandlungen um den berüchtigten „Zukunftspakt“ führte sie 2016 bereits maßgeblich mit dem damaligen Personalvorstand Karlheinz Blessing. Auch dieser war langjähriger IG-Metall- und zudem SPD-Funktionär.
Jetzt stellt es der Spiegel als Erfolg dar, dass Cavallo darauf beharrte, dass Stellen nur dann wegfallen durften, wenn der dahinterstehende Job nachweislich nicht mehr gebraucht wurde. Blessing, soll an dieser Haltung „fast verzweifelt“ sein. „Das Geschäft mit Bürokratie und Formalien beherrscht sie gut“, zitiert die Zeitschrift einen damals beteiligten Manager, „die kann einen am langen Arm verhungern lassen“.
Diese Darstellung zeigt vor allem, wie abgehoben von den Sorgen und Nöten der Beschäftigten die Verhandlungspartner (und der Spiegel) sind. Der „Zukunftspakt“ von VW, IG Metall und Betriebsrat sah den Abbau von 30.000 Arbeitsplätzen vor, verbunden mit massiven Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen.
Osterloh hat seine Nachfolgerin mit den Worten beschrieben: „Führungsstark, empathisch und so strategisch denkend, dass sich viele noch wundern werden.“ Auf einem so genannten Perspektivdialog zu „Industrie und Klimaschutz am Beispiel der Autoindustrie“, zu dem Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Spitzen von Industrie und Gewerkschaften eingeladen hatte, stellte die neue VW-Betriebsratschefin am 11. Februar ihre Perspektive für die Autoindustrie vor.
Sie trat für einen engen Schulterschluss zwischen Gewerkschaft, Unternehmen und Regierung und für eine Zusammenarbeit der deutschen Autokonzerne im globalen Wettbewerb ein. Man sei aufgrund der politisch festgelegten CO2-Ziele gezwungen, auf Elektromobilität zu setzen, sagte sie und forderte, die Autoindustrie in Deutschland dürfe sich nicht in kleinlichen Konflikten verheddern.
„Wenn die Autoindustrie den Wandel nicht schafft,“ habe das „immense Auswirkungen“ auf ganze Regionen. Es brauche ein enges Zusammenspiel aller relevanten Akteure, sagte Cavallo den versammelten Gewerkschafts-, Industrie- und Regierungsvertretern. Der Standort Deutschland benötige einen „Konsens auf allen Ebenen“, sonst gingen gut bezahlte Industriearbeitsplätze verloren.
Das liegt auf einer Linie mit dem von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) Anfang 2019 vorgestellten Konzept für eine „Nationale Industriestrategie 2030“. Darin heißt es: „Industriepolitische Strategien erleben in vielen Teilen der Welt eine Renaissance, es gibt kaum ein erfolgreiches Land, das zur Bewältigung der Aufgaben ausschließlich und ausnahmslos auf die Kräfte des Marktes setzt.“ Und weiter: „Es gibt ganz offenbar Strategien rascher Expansion mit der klaren Zielrichtung, neue Märkte für die eigene Volkswirtschaft zu erobern und – wo immer möglich – zu monopolisieren.“
Seit Ausbruch der Corona-Krise sind die anfänglichen Vorbehalte der Wirtschaft gegen ein staatliches Eingreifen verstummt. Jetzt werden Steuer-Milliarden eingesetzt, um Massenentlassungen, Infrastrukturprogramme und Schlüsseltechnologien zu finanzieren. Den Gewerkschaften kommt dies entgegen. Seit langem fordern sie von der Regierung für die deutschen Unternehmen Subventionen, Schutzzölle und protektionistische Maßnahmen, um die nationalen Wirtschaftsinteressen zu stützen.
Das Verschmelzen der Gewerkschaften mit Staat und Unternehmen ist charakteristisch für Zeiten der Krise, von Handelskrieg und Krieg. Leo Trotzki, der führende Marxist des 20. Jahrhunderts, schrieb 1940 im Artikel „Die Gewerkschaften in der Epoche des imperialistischen Niedergangs“:
Der Monopolkapitalismus fußt nicht auf Privatinitiative und freier Konkurrenz, sondern auf zentralisiertem Kommando. Die kapitalistischen Cliquen an der Spitze mächtiger Trusts, Syndikate, Bankkonsortien usw. sehen das Wirtschaftsleben von ganz denselben Höhen wie die Staatsgewalt und benötigen bei jedem Schritt deren Mitarbeit. … Für die Gewerkschaften – soweit sie auf reformistischem Boden bleiben, das heißt soweit sie sich dem Privateigentum anpassen – entspringt hieraus die Notwendigkeit, sich auch dem kapitalistischen Staate anzupassen und die Zusammenarbeit mit ihm zu erstreben.
Das richtet sich direkt gegen die Arbeiter. Sie bezahlen dafür mit ihren Löhnen und Arbeitsplätzen; die Politik der „Standortverteidigung“ spaltet sie von ihren Kollegen in anderen Werken und Ländern, die von denselben Konzernen ausgebeutet werden; und der erbitterte Kampf um Märkte und Profite droht in katastrophale Kriege zu münden.
Von Cavallo erwarten Investoren und Eigentümer, dass sie gemeinsam mit VW-Chef Diess diesen Kurs vorantreibt. Sie traf Diess Mitte letzter Woche zum Antrittsbesuch.
Bereits Ende November hatte sie klar gemacht, was sie als ihre Aufgabe sieht. Damals feierte der Betriebsrat 75 Jahre Mitbestimmung und Cavallo hielt die Hauptrede. Der Klimawandel stelle nicht nur den Benzin- und Dieselantrieb infrage, sondern das komplette Kerngeschäft – die individuelle Mobilität. VW-Beschäftigte, besonders die in den Komponentenwerken, erlebten gerade „die Diskussion über ein Enddatum für den Inhalt ihrer täglichen Arbeit“, erklärte sie.
Hunderttausende von Jobs stehen in den kommenden Monaten und Jahren in der Autoindustrie auf der Kippe. Cavallo sieht ihre Aufgabe darin, diesen Umbruch durchzusetzen oder „zu gestalten“, wie sie sagen würde.
Die VW-Arbeiter sind nicht nur mit dem Konzern, seinem Vorstand und den Aktionären konfrontiert, sondern auch mit der IG Metall und ihrem Betriebsrat. Sie müssen sich unabhängig von der Gewerkschaft organisieren und den Kampf gegen Arbeitsplatzabbau, für höhere Löhne, den Schutz der Gesundheit und bessere Arbeitsbedingungen in die eigenen Hände nehmen.
Das Internationale Komitee der Vierten Internationale und die ihm angeschlossenen Sozialistischen Gleichheitsparteien weltweit haben am Ersten Mai zur Gründung der Internationalen Arbeiterallianz der Aktionskomitees (International Workers Alliance of Rank-and-File Committees, IWA-RFC) aufgerufen.
Auch bei VW ist nun der Aufbau eines von der IG Metall unabhängigen Aktionskomitees notwendig. Schließt euch unserer Facebook-Gruppe Netzwerk der Aktionskomitees für sichere Arbeitsplätze an, um diese Gegenoffensive der Arbeiterklasse bewusst zu entwickeln.