Die gegenwärtige Entwicklung bei Volkswagen beinhaltet wichtige Lehren und sollte von allen Arbeitern genau verfolgt werden. Denn in Wolfsburg zeigt sich ein neues Stadium der Verwandlung der Gewerkschaften in arbeiterfeindliche Agenturen des Managements.
Während man die Rolle der Gewerkschaften als Co-Manager überall beobachten kann, erreicht sie bei VW eine neue Qualität. Dort arbeiten Betriebsrat und IG Metall nicht nur eng mit der Konzernleitung zusammen, um Management-Entscheidungen nach unten durchzusetzen, sondern dort wird der Arbeitsplatzabbau von IGM-Funktionären und Betriebsräten entworfen, geplant und gegenüber dem Management begründet. In den Gewerkschaftshäusern und Betriebsratsbüros werden die Strategiepläne gegen die Beschäftigten entwickelt.
Daraus ergibt sich eine wichtige Schlussfolgerung: Arbeitsplätze, Löhne und soziale Errungenschaften können nicht mit, sondern nur gegen die korrupte Bürokratie der Gewerkschaften und Betriebsräte verteidigt werden.
Eine kurze Rückschau der letzten zwei Jahre verdeutlicht die Rolle, die IG Metall und Betriebsrat beim größten Automobilhersteller der Welt mit 620.000 Beschäftigten spielen.
Auf der Pressekonferenz am letzten Freitag traten Konzernchef Matthias Müller, VW-Markenchef Herbert Diess, Personalvorstand Karlheinz Blessing, Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) und Betriebsratschef Bernd Osterloh gemeinsam auf und kündigten den Abbau von 30.000 Arbeitsplätzen verbunden mit massiven Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen an. Gemeinsam erklärten sie: „Der Wandel wird radikaler als alles andere, was wir bislang erlebt haben.“ VW werde die Produktivität in den Fabriken um 25 Prozent erhöhen.
Schon vor zwei Jahren (Oktober 2014) hatte der Betriebsrat einen eigenen Sparvorschlag in Höhe von 5 Milliarden Euro vorgelegt. Insbesondere die Kernmarke VW arbeite in einem Ausmaß unrentabel, das nicht länger hingenommen werden könne, betonte Betriebsratschef Osterloh.
Als der langjährige Aufsichtsratsvorsitzende Ferdinand Karl Piëch am 25. April 2015 von seinem Amt zurücktrat und sich intern der Wirbel um den Abgas-Betrug abzeichnete, übernahm Berthold Huber als ehemaliger IGM-Vorsitzender und jahrelanger stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender der Volkswagen AG seinen Posten.
Kurz danach, im Juli 2015, wurde dann der ehemalige BMW-Manager Herbert Diess in den VW-Vorstand geholt. Der als eiskalter Sanierer geltende Manager sollte die Kernmarke VW rentabel machen. Diess war maßgeblich von Osterloh „eingekauft“ worden, wie der Betriebsratsvorsitzende betonte. In einem Handelsblatt-Interview schwärmte Osterloh damals: „Er wirkt sehr sachlich und entscheidungsfreudig. Ich bin sehr davon angetan, wie er bestimmte Dinge einschätzt. Bei den Themen Komplexität, Einhalten von Prozessen und Kostenbewusstsein haben wir viele Gemeinsamkeiten festgestellt. Er sieht viele Dinge wie der Betriebsrat.“
Noch kurz zuvor hatte Osterloh im Manager Magazin eine „schlankere Konzernstruktur“ gefordert und sich selbst als Nachfolger des damaligen Personalchefs Horst Neumann ins Spiel gebracht, der das Unternehmen Ende 2015 verließ, um seinen Ruhestand zu genießen. Neumann war IGM-Funktionär und arbeitete bis 1994 in der Wirtschaftsabteilung beim Vorstand der IG Metall. Daneben war er Mitglied in mehreren Aufsichtsräten und wurde 2005 als Nachfolger von Peter Hartz Personalchef bei VW. Hartz hatte seinen Posten im Zuge der Sex- und Korruptions-Affäre räumen müssen.
Bis 2007 war Neumann mit der SPD-Politikerin und heutigen Arbeits- und Sozialministerin Andrea Nahles liiert. Mit den Stimmen der IGM und der SPD-Funktionäre, die im VW-Aufsichtsrat die Mehrheit haben, bewilligte der Aufsichtsrat im vergangenen Jahr Neumann eine Altersversorgung in Höhe von 23 Millionen Euro.
Als nun Betriebsratschef Osterloh zum Sprung auf den Sessel des Personalchefs ansetzte, machte im der Diesel-Abgasbetrug einen Strich durch die Rechnung. Das vom Betriebsrat vorgelegte Sparprogramm reichte nun nicht mehr aus. Die drohenden Straf- und Entschädigungszahlungen sowie die Folgen des Einbruchs bei den Verkaufszahlen machten ein ganz anderes, viel rigoroseres Vorgehen gegen die Belegschaften nötig. Der Süddeutschen Zeitung sagte Osterloh vor einem Jahr: „Wenn der Absatz runtergeht, dann haben wir weniger Beschäftigung – das ist doch ein klarer Fall.“
In der IG Metall wurde entschieden, dass Osterloh nicht den mit 7 Millionen Euro dotierten Posten des VW-Personalchefs übernehmen, sondern als Betriebsratschef weitermachen soll. Er wurde gebraucht, um das Restrukturierungsprogramm samt Arbeitsplatzabbau und Lohnsenkungen durchzusetzen und die Belegschaft unter Kontrolle zu halten.
IG Metall, Betriebsräte und SPD hätten ihre Mehrheit im Aufsichtsrat ohne weiteres nutzen können, um die Verantwortlichen des Abgas-Betrugs zur Rechenschaft zu ziehen. Doch sie taten das Gegenteil und sorgten dafür, dass alle Vorstände bis auf den damaligen VW-Chef Martin Winterkorn ihre Posten behielten.
Betriebsrat und IG Metall schrieben in einer gemeinsamen Erklärung vom 20. Oktober 2015: „IG Metall und Betriebsrat werden in den nächsten Wochen gemeinsam ein Konzept entwickeln. Wir werden in einem eigenen Positionspapier den notwendigen Wandel beschreiben und dieses zur Diskussion stellen. Dabei ist uns die Einbeziehung des Managements wichtig.“
Wohlgemerkt: Gewerkschaft und Betriebsrat beziehen das Management mit ein! Nur knapp drei Wochen später hatten sich VW-Chef Müller und Osterloh auf das weitere Vorgehen zur „Investitions- und Auslastungsplanung“ verständigt. Müller betonte, er lege großen Wert auf die Erfahrung der Betriebsräte.
Als erste verloren 1000 Leiharbeiter ihren Job. Die Produktion der VW-Nobelkarosse Phaeton in Dresden wurde eingestellt und in der Verwaltung in Deutschland sollen bis Ende nächsten Jahres 3000 bis 4000 Arbeitsplätze abgebaut werden, jede zehnte Stelle.
Als Anfang des Jahres das Manager Magazin von weit mehr als 10.000 gefährdeten Jobs berichtete, protestierte Osterloh nicht. Auf der Betriebsversammlung im Wolfsburger VW-Stammwerk am 8. März stimmte er die Belegschaften auf „dramatische soziale Folgen“ des Abgasskandals ein.
Das galt nicht für die Aufsichtsräte und Vorstände, die keine „dramatischen sozialen Folgen“ zu befürchten hatten. Trotz Milliardenverlust kassierten die neun Mitglieder des Vorstands für 2015 mehr Geld als im Jahr davor, 63,2 Millionen Euro. Der Aufsichtsrat segnete dies mit seiner „Arbeitnehmer-Mehrheit“ aus Betriebsrat, IG Metall und SPD-geführter Landesregierung ab. Noch mehr Geld, nämlich 243 Millionen Euro, bewilligte der Aufsichtsrat an Pensionszahlungen für ehemalige Vorstandsmitglieder. Wie gesagt: 23,7 Millionen Euro allein für Ex-Personalchef Neumann.
Neumanns Nachfolger wurde Anfang 2016 nicht Osterloh, sondern Karlheinz Blessing. Auch Blessing hatte seine berufliche Karriere im Vorstand der IG Metall als Büroleiter von IGM-Chef Franz Steinkühler begonnen. In der SPD war er unter dem Vorsitzenden Björn Engholm kurze Zeit Bundesgeschäftsführer. Blessing ist ein enger Vertrauter von Ex-IGM-Chef Berthold Huber, der seinen VW-Aufsichtsratsvorsitz erst im Oktober 2015, als alle wichtigen Personalentscheidungen getroffen waren, an den ehemaligen VW-Finanzvorstand Hans Dieter Pötsch abgab.
Die IGM-Funktionäre Blessing und Osterloh arbeiteten in den letzten Monaten federführend den so genannten „Zukunftspakt“ aus, der letzte Woche vorgestellt wurde. Sie schlugen den Arbeitsplatzabbau, die Maßnahmen zur Verschärfung der Arbeitshetze und die offenen und versteckten Lohnsenkungen vor. Und das alles ist nur „der Anfang“, wie die VW-Spitze betont.
Der Ausschluss von „betriebsbedingten“ Kündigungen und der Erhalt aller Standorte – in Deutschland – wird als Erfolg gepriesen und soll dafür sorgen, die Wut und den Ärger der Beschäftigten zu dämpfen. In Wahrheit bedeutet Ausschluss von „betriebsbedingten“ Kündigungen und der Erhalt aller deutschen Standorte nichts anderes, als dass die Arbeiter der einzelnen Standorte genauso gegeneinander ausgespielt werden wie die Stammbeschäftigten gegen die fast 7000 Leiharbeiter.
Um die Arbeitsplätze und Einkommen zu verteidigen, ist es notwendig, mit der korrupten Bürokratie der IG Metall und der Betriebsräte zu brechen. So weit überhaupt gewerkschaftliche Proteste organisiert werden, handelt es sich um Betrugsmanöver mit dem Ziel, Dampf abzulassen.
Arbeiter müssen den Gewerkschafts- und Betriebsratsfunktionären mit der selben Feindschaft wie der Konzernleitung entgegentreten. Dabei ist es wichtig zu verstehen, dass der Grund für die Verwandlung der Gewerkschaften nicht nur die – zweifellos ausgeprägte – Korruption vieler ihrer Funktionäre ist. Die Degeneration der Gewerkschaften und ihre Verwandlung in Werkzeuge der Unternehmen und der Regierung, die gegenwärtig überall auf der Welt stattfindet, hat tiefe objektive Ursachen in den Veränderungen der Weltwirtschaft. Die Globalisierung der Produktion hat jeder nationalstaatlichen Sozial- und Arbeitsmarktpolitik den Boden entzogen.
Konnten die Gewerkschaften in der Vergangenheit Druck auf die Unternehmen ausüben, um zumindest zeitweise Verbesserungen für die Arbeiter zu erreichen, so ist es heute umgekehrt. Die Gewerkschaften und Betriebsräte erpressen die Arbeiter, um Sozialabbau durchzusetzen und damit Wettbewerbsvorteile für die Unternehmen zu erreichen. (Siehe dazu: Marxismus und Gewerkschaften)
Der nationalistischen, pro-kapitalistischen Orientierung der Gewerkschaften muss eine politische Perspektive entgegengesetzt werden, die gegen die kapitalistische Profitwirtschaft gerichtet, das heißt sozialistisch ist und eine internationale Strategie verfolgt. Die Verbündeten der hiesigen Belegschaften sind weder Vorstand, Aufsichtsrat, Betriebsrat oder IG Metall, sondern die Hunderttausende Arbeiter in den 119 Werken in 20 Ländern Europas und in 11 Ländern Amerikas, Asiens und Afrikas.
Gegen die nationalistische Standortpolitik der Gewerkschaften müssen eigene, unabhängige Komitees aufgebaut werden, die den internationalen Zusammenschluss aller Beschäftigten, Stamm- und Leiharbeiter genauso wie der Arbeiter bei den Zulieferern anstreben.
Diese Komitees müssen die Verteidigung der Arbeitsplätze und Arbeiterrechte zum Ausgangspunkt des Kampfs für eine sozialistische Gesellschaft machen: für Arbeiterkontrolle über die Produktion, für die Vergesellschaftung der Autoindustrie, der großen Konzerne und Banken und für die Reorganisation der gesamten Wirtschaft auf Grundlage der gesellschaftlichen Bedürfnisse statt der Profitansprüche des Kapitals.