In der Hauptstadt hat sich eine deutliche Mehrheit für die Enteignung großer Wohnungskonzerne ausgesprochen. 56,4 Prozent stimmten am Sonntag in einem Volksentscheid dafür, nur 39 Prozent dagegen. Der Volksentscheid fand parallel zur Wahl des Bundestages und des Berliner Abgeordnetenhauses statt.
Insgesamt stimmten 1.034.709 Wahlberechtigte mit Ja. Das nötige Quorum von 25 Prozent war schon weit vor Auszählung aller Stimmen erreicht. Besonders deutlich fiel die Abstimmung in Friedrichshain-Kreuzberg aus. Dort stimmten 72 Prozent mit Ja. Ebenso votierten im Bezirk Mitte 64 Prozent und in Neukölln und Lichtenberg jeweils knapp 61 Prozent für eine Enteignung. In nahezu allen Bezirken fand sich eine Mehrheit für die Enteignung der Miethaie. Lediglich in Steglitz-Zehlendorf und Reinickendorf überwogen sehr knapp die Nein-Stimmen.
Die deutliche Entscheidung für die Enteignung großer Wohnungskonzerne ist zu begrüßen. Sie ist Ausdruck der weitverbreiteten Opposition gegen den Mietenwahnsinn in Berlin und anderen Großstädten. Die Mieten in der Hauptstadt haben sich in den letzten zehn Jahren verdoppelt, der Preis für unbebaute Grundstücke hat sich verachtfacht. Gerade in Bezirken wie Kreuzberg-Friedrichshain oder Mitte ist die Verdrängung von Menschen, die sich die horrenden Mieten nicht mehr leisten können, an der Tagesordnung. Gleichzeitig streichen Konzerne wie Deutsche Wohnen, Vonovia oder Akelius traumhafte Gewinne ein.
Wie groß die Wut über die hemmungslose Bereicherung der Miethaie ist, hatte schon die Unterschriftensammlung im Vorfeld des Volksentscheides gezeigt. In kurzer Zeit konnten über 360.000 Unterschriften gesammelt werden, weit mehr als die 175.000, die zur Zulassung notwendig gewesen wären.
Der Volksentscheid verlangt die Vergesellschaftung aller privaten Wohnungsunternehmen mit mehr als 3000 Wohnungen, Genossenschaften ausgenommen. Nach Angabe der Initiatoren geht es um rund 240.000 der 1,5 Millionen Mietwohnungen in der Hauptstadt. Dabei soll eine „Entschädigung deutlich unter Verkehrswert“ ausbezahlt werden, was rechtlich möglich wäre. Die Initiatoren veranschlagten dafür eine Summe von 7,3 bis 13,7 Milliarden Euro.
Während sich die Wähler mit großer Mehrheit für Enteignungen ausgesprochen haben, machten die SPD und die Grünen, die als Sieger aus der Abgeordnetenhauswahl hervorgingen, noch am Wahlabend unmissverständlich klar, dass sie weiterhin die Interessen der Immobilienhaie vertreten.
Franziska Giffey (SPD), die voraussichtlich neue Regierende Bürgermeisterin wird, hatte sich bereits im Wahlkampf sehr scharf gegen den Volksentscheid ausgesprochen. Ihrer Meinung nach trügen Enteignungen nicht zum Bau der benötigten neuen Wohnungen bei. Noch einen Tag vor der Wahl sagte sie: „Ich möchte nicht in einer Stadt leben, die das Signal sendet, hier wird enteignet.“
Diese Position bekräftigte sie auch am Montag nach der Wahl. Wohl wissend, dass das Volksbegehren keinen konkreten Gesetzentwurf zum Gegenstand hat und daher für den Senat rechtlich unverbindlich ist, ließ Giffey keinen Zweifel daran, dass es unter ihrer Führung nicht umgesetzt wird.
Am Montag erklärte sie lediglich, man werde die Umsetzbarkeit des Volksentscheids anhand eines Gesetzentwurfs prüfen. „Wenn das nicht verfassungskonform ist, können wir es auch nicht machen“, fügte sie hinzu.
Ähnlich äußerte sich die Spitzenkandidatin der Grünen, Bettina Jarasch, deren Partei aller Voraussicht nach erneut mit der SPD in Berlin regieren wird. Sie wolle zwar „das Ergebnis des Volksentscheids ernstnehmen“, es gebe aber noch „viele rechtliche und praktische Fragen zu klären“.
Im Sommer hatte Jarasch noch verkündet, sie werde mit Ja stimmen, den Volksentscheid jedoch lediglich als Druckmittel bezeichnet, um die Wohnungskonzerne zu einem freiwilligen Ausbau des gemeinwohlorientierten Wohnsektor zu bewegen. „Die Karte Enteignung wird nur gezogen, wenn eine kooperative Lösung scheitert“, sagte sie damals.
Seither ist sie sie unter massiven Druck der Bundespitze der Grünen geraten und entsprechend zurückgerudert. Als „Alternative“ präsentiert sie unter dem Schlagwort „Mietenschutzschirm“ einen freiwilligen Pakt zwischen Politik und Vermietern für Neubauten und faire Mieten. „Die Wohnungsunternehmen haben das in der Hand“, sagte Jarasch dazu.
Das ist an Zynismus und Verachtung des Wählerwillens kaum zu überbieten. Nach dem Willen der Grünen sollen damit die Verantwortlichen für die Misere, die seit 30 Jahren die Bevölkerung ausplündern, weiterhin die Wohnungspolitik bestimmen und „freiwillig“ für bezahlbaren Wohnraum sorgen. 2004 hatten SPD und Linke zehntausende Wohnungen privaten Immobilienkonzernen zu Schleuderpreisen überlassen. Seither haben sie nichts unternommen um die ständig steigenden Mieten zu bremsen.
Am Freitag vor dem Volksentscheid war dem Branchenriesen Vonovia im dritten Anlauf die Übernahme der Deutsche Wohnen gelungen, die in der Hauptstadt über 110.000 Wohnungen verfügt. Trotz dem überwältigenden Votum für die Enteignung legte die Aktie der Vonovia am Montag über vier Prozent zu und war damit der größte Gewinner im deutschen Börsenindex DAX. Ebenfalls am Sonntag teilte der schwedische Immobilienriese Heimstaden mit, er habe rund 14.000 Wohnungen in der Hauptstadt erworben.
Dies zeigt deutlich, dass sich die Chefetagen der Immobilienkonzerne auf SPD, Grüne und Linke verlassen, die voraussichtlich weiterhin in Berlin regieren werden. Der bisherige rot-rot-grüne Senat hat eng mit den Immobilienhaien zusammengearbeitet. Der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) und der für Wohnen zuständige Senator Sebastian Scheel (Die Linke) haben die Fusionspläne der beiden Immobilienkonzerne unterstützt und die gute Zusammenarbeit mit ihnen betont.
Vonovia-Chef Rolf Buch stellte klar, dass er diese enge Zusammenarbeit gegen die Mieter fortführen will, wenn Giffey an der Spitze des Senats steht. „Vonovia steht bereit, um mit einer neuen Landesregierung und den relevanten gesellschaftlichen Akteuren der Stadt die Herausforderungen auf dem Berliner Wohnungsmarkt kraftvoll anzugehen,“ sagte er.
Enteignungen lösten die Probleme auf dem Berliner Wohnungsmarkt nicht, erklärte der Chef eines Wohnungsunternehmens, das 2019 über 350 Millionen Euro an die Aktionäre ausgeschüttet hat. Das waren 2100 Euro pro Wohnung, die direkt aus den Taschen der Mieter auf die Konten der Aktionäre flossen.
Dem Volksentscheid vom Sonntag gingen mehrere Demonstrationen gegen den Mietenwahnsinn voraus, an denen sich teilweise Zehntausende beteiligten. Gleichzeitig kommt es immer häufiger zu Streiks und Protesten gegen niedrige Löhne, Massenentlassungen und prekäre Arbeitsbedingungen. In Berlin streiken seit mittlerweile drei Wochen Pflegekräfte der landeseigenen Kliniken Charité und Vivantes für mehr Personal und angemessene Löhne.
Wie der Kampf für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen kann auch der Kampf gegen den Mietenwahnsinn nur gegen SPD, Grüne, Linke und die anderen etablierten Parteien erfolgreich geführt werden.
Der Volksentscheid vom Sonntag ist ein erster Schritt, doch er ist bei weitem nicht ausreichend. Selbst seine Verwirklichung würde die drängenden Probleme nicht lösen, sondern sie bestenfalls etwas mildern. Dies liegt daran, dass die Initiatoren selbst größtenteils aus den Reihen oder dem Umfeld der Linken oder der Gewerkschaften kommen. Ihre ganze Strategie ist darauf ausgerichtet, den Senat zu einem Kurswechsel zu bewegen, was offensichtlich nicht möglich ist.
Um wirkliche Enteignungen durchzusetzen und für bezahlbaren und ausreichenden Wohnraum zu sorgen, kann man sich nicht auf die etablierten Parteien und Gewerkschaften stützen, sondern nur auf eine unabhängige Bewegung der Arbeiterklasse, die immer stärker in Bewegung gerät.
Die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP) formulierte diese Strategie im Aufruf „Für die entschädigungslose Enteignung der Miethaie!“ Dort heißt es: „Kein gesellschaftliches Problem kann gelöst werden, ohne die Banken und Konzerne zu enteignen und unter die demokratische Kontrolle der Arbeiterklasse zu stellen. Ihre Gewinne und Vermögen müssen beschlagnahmt und die Billionen, die ihnen im letzten Jahr zur Verfügung gestellt wurden, zurückgeholt werden. Die Weltwirtschaft muss auf der Grundlage eines wissenschaftlichen und rationalen Plans neu organisiert werden.“
Diese Perspektive gewinnt immer mehr an Bedeutung und muss zum Ausgangspunkt für einen Kampf für die Enteignung der Immobilienhaie gemacht werden.