Obwohl das Infektionsgeschehen außer Kontrolle ist und sich die hochansteckende Virusvariante Omikron (B.1.1.529) ausbreitet, weigern sich die Regierungen auf Bundes- und Landesebene, die notwendigen Maßnahmen zur Eindämmung von Covid-19 zu treffen. Sie setzen die „Profite vor Leben“-Politik aggressiv fort, die allein in Deutschland bereits zu mehr als 100.000 Toten geführt hat und eine immer größere Katastrophe heraufbeschwört. Gegenwärtig infizieren sich täglich etwa 60.000 Menschen und mehr als 400 sterben.
Offenbar geht dies der herrschenden Klasse noch nicht weit genug. Nach den Corona-Beratungen von Bund und Ländern am gestrigen Dienstag wurde keine einzige konkrete Maßnahme gegen das Massensterben verkündet. Es gab nicht einmal eine Pressekonferenz. Olaf Scholz (SPD) und die unionsgeführten Länder schlugen lediglich eine allgemeine Impfpflicht vor, die der designierte nächste Bundeskanzler bis Ende Februar umsetzen will.
Gegenüber Bild-TV sprach sich Scholz dezidiert gegen Lockdowns und Schulschließungen aus und betonte: „Es geht aktuell vor allem um diese Maßnahme mit dem Impfen und Boostern.“
Der Fokus der alten und neuen Regierung auf das Impfen als praktisch einziger Maßnahme ist gleich aus mehreren Gründen kriminell. Das Impfen ist eine machtvolle Waffe gegen das Virus, aber nur im Verbund mit allen anderen Schutzmaßnahmen. Infolge der niedrigen Impfquote von 68 Prozent sind in Deutschland etwa 25 Millionen Menschen, darunter alle Kinder unter zwölf Jahren, praktisch ohne jeden Schutz. Einen notwendigen Booster haben erst knapp elf Prozent der Bevölkerung erhalten.
International ist die Situation noch dramatischer. Bei einer Impfquote von 42,7 Prozent ist die große Mehrheit der Weltbevölkerung – etwa 4,5 Milliarden Menschen – nicht vollständig geimpft. Hinzu kommt, dass eine Strategie, die ausschließlich auf das Impfen setzt, neue, noch ansteckendere Viren-Mutationen hervorbringt, was jeden gemachten Impffortschritt potentiell wieder unterminiert.
Am Dienstag warnte der Chef des US-Biotechnologieunternehmens Moderna, Stéphane Bancel, vor einer „erheblichen Abnahme“ der Schutzwirkung der aktuell verfügbaren Impfstoffe gegen Omikron. „Ich glaube, die Wirksamkeit hat auf keinen Fall das gleiche Niveau wie gegen die Delta-Variante“, erklärte er gegenüber der Financial Times. Die große Zahl von Mutationen auf dem Spike-Protein, mit dem das Virus menschliche Zellen infiziert, und die rapide Ausbreitung von B.1.1.529 in Südafrika deuteten darauf hin, dass die aktuellen Impfstoffe modifiziert werden müssten. Dies würde „mehrere Monate dauern“.
Es besteht kein Zweifel daran, dass Omikron bereits in Europa grassiert und sich wie zuvor die Delta-Variante rapide ausbreitet. Niederländische Forscher entdeckten am Dienstag Omikron-Spuren in Proben, die älter sind als alle bisher bekannten Fälle. Nach Belgien, Großbritannien, Deutschland, Dänemark und Tschechien bestätigte gestern auch Frankreich die ersten Fälle. In Deutschland wurden weitere Fälle in Baden-Württemberg (4), Bayern (15) und Sachsen (1) gemeldet.
Trotz dieser dramatischen Entwicklung und den Forderungen von Wissenschaftlern und der großen Mehrheit der Bevölkerung, endlich zu handeln, weigert sich die herrschende Klasse die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen. Auch die Beschlüsse, die möglicherweise auf einer für Donnerstag anberaumten Ministerpräsidentenkonferenz getroffen werden sollen, sind nicht ansatzweise ausreichend. Medienberichten zufolge geht es lediglich um einige zusätzliche Kontaktbeschränkungen für Ungeimpfte, die Ausweitung der 2G-Regel im Einzelhandel und Einschränkungen bei Großveranstaltungen und im Bereich der Gastronomie.
Umfassende Lockdowns – insbesondere für Schulen und nicht lebensnotwendige Betriebe – die notwendig wären, um das Virus signifikant einzudämmen und letztlich sogar zu eliminieren, lehnen alle Bundestagsparteien und die Gewerkschaften vehement ab. „Dass Massenveranstaltungen stattfinden und Schulen geschlossen werden, das geht nicht. Es muss alles dafür getan werden, damit Bildungseinrichtungen offen bleiben“, schrieb die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) am Dienstag auf Twitter.
Gleichzeitig reagierten Vertreter der Ampel-Koalition erbost auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, Ausgangssperren und Schulschließungen als durchaus vereinbar mit dem Grundgesetz zu werten. „Wir hätten uns ein anderes Ergebnis gewünscht“, erklärte der parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion Marco Buschmann, der als zukünftiger Justizminister vorgesehen ist. FDP-Vize Wolfgang Kubicki nannte das Urteil „enttäuschend“.
Die Ampel-Parteien haben erst vor wenigen Tagen die „epidemische Lage von nationaler Tragweite“ beendet und damit die rechtliche Grundlage für einheitliche landesweite Schutzmaßnahmen beseitigt. Zur Rechtfertigung hatten sie immer wieder das Narrativ der extremen Rechten bemüht und Schutzmaßnahmen als angeblich nicht mit dem Grundgesetz vereinbaren Angriff auf demokratische Rechte denunziert.
In Wirklichkeit ist längst klar, welche reaktionären Interessen die mörderische Pandemiepolitik treiben. Die Ampel-Koalitionäre verpflichten sich in ihrem Koalitionsvertrag u.a. darauf, „die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes Deutschland [zu] erhöhen“ und die Schuldenbremse zu reaktivieren. Mit anderen Worten: SPD, Grüne und FDP werden die hunderte Milliarden, die im Rahmen der Corona-Rettungspakete an die großen Konzerne und Banken geflossen sind, im Rahmen eines Generalangriffs auf die Arbeiter wieder aus der Bevölkerung herauspressen.
Ein zweiter Faktor sind die geostrategischen und wirtschaftlichen Interessen des deutschen Imperialismus. Auch in dieser Hinsicht nimmt der Koalitionsvertrag kein Blatt vor den Mund. Er beinhaltet ein ganzes Kapitel mit dem Titel „Deutschlands Verantwortung für Europa und die Welt“, das sich für eine größere deutsche Weltmachtrolle und die massive Aufrüstung der Bundeswehr stark macht.
Man wisse „um die globale Verantwortung, die Deutschland als viertgrößte Volkswirtschaft der Welt“ trägt, und werde „eine Regierung bilden, die deutsche Interessen im Lichte europäischer Interessen definiert“. Es gehe darum, „eigene Handlungsfähigkeit im globalen Kontext herzustellen und in wichtigen strategischen Bereichen, wie Energieversorgung, Gesundheit, Rohstoffimporte und digitale Technologie, weniger abhängig und verwundbar zu sein“.
Dies ist für die herrschende Klasse vor allem eine militärische Frage. Der Vertrag sieht u.a. die Beschaffung von Kampfdrohnen, die massive Erhöhung der Verteidigungsausgaben und neue Kriegseinsätze vor. An einer Stelle heißt es: „Die Bundeswehr muss entsprechend ihres Auftrages und ihrer Aufgaben bestmöglich personell, materiell sowie finanziell verlässlich ausgestattet werden. Die Strukturen der Bundeswehr müssen effektiver und effizienter gestaltet werden mit dem Ziel die Einsatzbereitschaft zu erhöhen“.
Das gilt auch für den Einsatz der Bundeswehr im Innern. Am Bund-Ländertreffen nahm Berichten zufolge auch Generalmajor Carsten Breuer, der Kommandeur des Kommandos Territoriale Aufgaben der Bundeswehr, teil. Der Zwei-Sterne-General, der zahlreiche Auslandseinsätze bestritten hat und das aktuelle Weißbuch federführend erarbeitet hat, wird direkt aus dem Kanzleramt den Corona-Krisenstab der zukünftigen Bundesregierung leiten. Die WSWS warnte nach Breuers Ernennung:
Die Entscheidung, einen aktiven Bundeswehrgeneral mit der Leitung des Corona- Krisenstabs zu beauftragen, lässt nur eine Schlussfolgerung zu: Die Ampel-Koalition betrachtet die Pandemie nicht als medizinisches Problem, sondern als Sicherheitsfrage.
Der Krisenstab soll nicht die Bevölkerung vor dem Virus schützen, sondern die Regierung vor der Bevölkerung. Die zukünftige Regierung bereitet sich auf die Ausrufung des inneren Notstands vor, um den Widerstand gegen eine Politik zu unterdrücken, die unzählige Menschenleben dem Anstieg von Profiten und Aktienkursen opfert und mit der Gesundheit einer ganzen Generation von Kindern und Heranwachsenden Russisch Roulette spielt.
Um Leben zu retten und den Kurs der herrschenden Klasse auf Diktatur und Krieg zu stoppen, muss die Arbeiterklasse eingreifen. Sie muss sich in unabhängigen Aktionskomitees organisieren und die notwendigen Notfallmaßnahmen ergreifen. Nur so kann die Pandemie auf der Grundlage einer globalen Eliminierungsstrategie beendet werden.
Die World Socialist Web Site und die Sozialistischen Gleichheitsparteien kämpfen für die folgenden Maßnahmen, deren Umsetzung notwendigerweise auf eine Konfrontation mit der herrschenden Klasse und dem kapitalistischen System hinausläuft und eine sozialistische Perspektive erfordert:
- Die gesamte nicht-lebensnotwendige Produktion muss sofort eingestellt werden, bis das Coronavirus unter Kontrolle ist. Arbeiter müssen weiterhin ihren Lohn erhalten und – sofern möglich – von zu Hause arbeiten. Sollte das nicht möglich sein, müssen sie eine vollständige Lohnfortzahlung erhalten.
- Kleine und mittlere Unternehmen sowie Dienstleister müssen eine vollständige Erstattung ihrer Verdienstausfälle erhalten, die durch die vorübergehende Stilllegung der nicht-essentiellen Produktion entstehen.
- Schulen müssen umgehend geschlossen und Unterricht in digitaler Form angeboten werden. Es müssen Milliarden bereitgestellt werden, um jedem Kind und jedem Jugendlichen einen modernen Laptop, Hochgeschwindigkeitsinternet sowie eine sichere und komfortable Lernumgebung zu Hause zu ermöglichen.
- Das öffentliche Gesundheitssystem muss massiv ausgebaut und mit zehntausenden neuen Kräften gestärkt werden. Jeder, der sich mit dem Coronavirus infiziert hat oder diesem ausgesetzt ist, muss Zugang zu medizinischer Versorgung haben, um die Symptome zu überwachen und sicher in Quarantäne gehen zu können.
- Es müssen Milliarden bereitgestellt werden, um ein weltweites Impfprogramm einzurichten. Die Verteilung des Impfstoffes muss von Wissenschaftlern und Experten des öffentlichen Gesundheitswesens durchgeführt werden, die dem Auftrag unterstehen, die gesamte Weltbevölkerung zu schützen.
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