Gewerkschaften, Unternehmerverbände und Regierung vereint gegen die Arbeiterklasse

Die Wiederkehr der Konzertierten Aktion

In der Haushaltsdebatte des Bundestags am vergangenen Mittwoch kündigte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) die Einberufung einer Konzertierten Aktion an. Er lade Arbeitgeber und Gewerkschaften zu einer engen Zusammenarbeit mit der Bundesregierung ein, erklärte er. Das sei eine „ungewöhnliche“ Maßnahme, die aber angesichts der hohen Inflation notwendig sei.

Olaf Scholz in der Generaldebatte des Bundestags am 1. Juni [Photo by DBT / Xander Heinl / photothek]

„Wir brauchen eine gezielte Kraftanstrengung in einer ganz außergewöhnlichen Situation. Wir wollen eine konzertierte Aktion gegen den Preisdruck“, so Scholz.

In Wahrheit handelt es sich bei dem Vorschlag des Kanzlers um eine politische Verschwörung gegen die Arbeiterklasse. Angesichts rapider Preissteigerungen, unhaltbarer Zustände in Kliniken und Schulen und Massenentlassungen in vielen Industriebereichen wächst der Widerstand. Darauf reagieren die herrschende Klasse und ihre Institutionen, indem sie enger zusammenrücken.

Die Bundestagsdebatte hat erneut gezeigt, dass alle Parteien – ungeachtet heftiger Wortwechsel – in den grundlegenden Fragen übereinstimmen. Bei der militärischen Aufrüstung, der Durchseuchungspolitik und der Schuldenbremse ziehen sie alle an einem Strang. Nun sollen die Gewerkschaften und die Arbeitgeberverbände auch formal in diese Politik eingebunden werden.

Die Konzertierte Aktion hat die Aufgabe, die gigantischen Summen für die militärische Aufrüstung und die Milliarden-Geschenke an die Superreichen durch Sozial- und Lohnkürzungen der Arbeiterklasse aufzubürden. Ihr Textbuch trägt die Überschrift: „Die Arbeiter sollen zahlen!“

Wie tief die Kluft zwischen der Arbeiterklasse und der Regierung ist, zeigte eine Demonstration, die zur selben Zeit, als der Kanzler sein „Bündnis mit den Sozialpartnern“ ankündigte, in Köln stattfand. Dort demonstrierten mehrere Tausend Beschäftigte der Unikliniken in NRW, die sich seit fünf Wochen im Streik befinden, gegen unerträgliche Arbeitsbedingungen. Alle Demonstrationsteilnehmer, mit denen die WSWS sprach, waren empört, dass die Regierung 100 Milliarden in die militärische Aufrüstung steckt, während die Krankenhäuser, Schulen und anderen sozialen Einrichtungen kaputt gespart werden.

Arbeitgeber und Gewerkschaften begrüßten dagegen den Vorschlag des Kanzlers. Arbeitgeber-Präsident Rainer Dulger sagte: „Wir Arbeitgeber sind uns unserer Verantwortung bewusst. Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften haben in den bisherigen Krisen immer konstruktiv an Lösungen mitgearbeitet. Wir werden es auch dieses Mal tun.“

Die neue DGB-Chefin Yasmin Fahimi erklärte: „Ziel einer konzertierten Aktion muss es sein, die derzeitigen Belastungen für Privathaushalte und Wirtschaft zu mindern sowie eine widerstandsfähigere und nachhaltigere Wirtschaft auszubauen.“

Was darunter zu verstehen ist, zeigt ein Blick auf die Gewerkschaftspraxis.

Roman Zitzelsberger, Bezirksleiter der IG Metall in Baden-Württemberg und Anwärter auf den Chefposten der größten Einzelgewerkschaft des DGB, hatte vor wenigen Tagen erklärt, dass die laufenden und kommenden Tarifverhandlungen nicht dazu da seien, einen Inflationsausgleich zu schaffen. „Exorbitante Inflationsraten sind nicht durch Tarifpolitik auszugleichen,“ sagte Zitzelsberger. Die hohen Teuerungsraten seien das Ergebnis von politischen Entscheidungen und müssten daher von „der Politik“ korrigiert werden.

Scholz lobte die „bisher sehr umsichtige Lohnpolitik“ der Gewerkschaften. Er verwies auf die Tarifabschlüsse in der Chemiebranche, die mit einer einmaligen Sonderzahlung für die Beschäftigten einen „interessanten Weg“ gewählt habe. Laut Scholz helfe dieser Weg den Beschäftigten in Zeiten drohender Kaufkrafteinbußen, gleichzeitig heizten solche Sonderzahlungen anders als allgemein hohe Lohnabschlüsse die Inflation nicht weiter an.

In Wahrheit führt der Weg der Sonderzahlungen geradewegs in die Billiglohnarbeit und Altersarmut. Denn er hält die Tariflöhne und den daraus abgeleiteten Rentenanspruch niedrig. Das gilt nicht nur für künftige, sondern auch für bestehende Renten, deren Erhöhung sich an den Tarifabschlüssen orientiert.

Geschichte der Konzertierten Aktion

Die Zusammenarbeit von Gewerkschaften, Arbeitgebern und Staat habe schon in früheren Zeiten geholfen, „mit einer schwierigen Herausforderung umzugehen“, erklärte Scholz im Bundestag. Tatsächlich hat insbesondere die SPD in Krisenzeiten stets versucht, Gewerkschaften und Unternehmerverbände in ein korporatistisches Model einzubinden, in dem sie noch enger zusammenarbeiten, als dies im Rahmen der gesetzlich geregelten Mitbestimmung ohnehin der Fall ist.

Der Begriff Konzertierte Aktion geht auf das Jahr 1967 zurück. Damals zeigte der Nachkriegsaufschwung deutliche Krisenerscheinungen. In Deutschland hatte sich der Wendepunkt im Klassenkampf bereits 1963 mit einem Metallerstreik in Baden-Württemberg angekündigt, auf den die Unternehmen reagierten, indem sie Hunderttausende Arbeiter aussperrten. Im Ruhrgebiet mobilisierten die Bergarbeiter gegen das Zechensterben.

Der wirtschaftsliberale Bundeskanzler Ludwig Erhard (CDU) erwies sich als unfähig, der Arbeiterklasse ein Sparprogramm („Maß halten!“) zu diktieren. Um die Arbeiterklasse unter Kontrolle zu halten, wurde 1966 die SPD in die Regierung geholt, die unter Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger (CDU), einem früheren NSDAP-Mitglied, eine Große Koalition mit der Union bildete.

Die Große Koalition (v.l. Kurt Georg Kiesinger (CDU), Willy Brandt (SPD), Karl Schiller (SPD)) führte 1967 die Konzertierte Aktion ein

1967 verabschiedete die Große Koalition ein „Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft“, das die Handschrift der SPD trug. Es verpflichtet Bund und Länder, „bei ihren wirtschafts- und finanzpolitischen Maßnahmen die Erfordernisse des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts zu beachten“. Die Maßnahmen seien so zu treffen, heißt es in dem Gesetz, „dass sie im Rahmen der marktwirtschaftlichen Ordnung gleichzeitig zur Stabilität des Preisniveaus, zu einem hohen Beschäftigungsstand und außenwirtschaftlichem Gleichgewicht bei stetigem und angemessenem Wirtschaftswachstum beitragen“.

Das Gesetz bezieht ausdrücklich auch die Gewerkschaften und Unternehmensverbände mit ein. Im Falle der Gefährdung eines der genannten Ziele, heißt es in § 3, stelle „die Bundesregierung Orientierungsdaten für ein gleichzeitiges aufeinander abgestimmtes Verhalten (konzertierte Aktion) der Gebietskörperschaften, Gewerkschaften und Unternehmensverbände zur Erreichung der Ziele“ zur Verfügung.

Das Gesetz ging zwar nicht soweit, die Tarifautonomie der Gewerkschaften völlig abzuschaffen, wie dies beim Korporatismus faschistischer Staaten der Fall ist. Aber indem es die Gewerkschaften darauf verpflichtete, sich an „gesamtwirtschaftlichen“ Zielen – statt am Interesse ihrer Mitglieder – zu orientieren, war es ein großer Schritt in diese Richtung.

Die Gewerkschaften gingen diesen Weg bereitwillig mit. Sie trafen sich von nun an regelmäßig zu Gesprächsrunden mit Vertretern von Regierung, Unternehmerverbänden und Bundesbank und verpflichteten sich zu einer Politik der Lohnzurückhaltung. Der sozialdemokratische Wirtschaftsminister Karl Schiller sprach vom „Tisch der gesellschaftlichen Vernunft“.

Das lief allerdings gründlich schief. Die Welle radikaler Arbeitskämpfe, die 1968 in Frankreich in einem vierwöchigen Generalstreik gipfelte, machte auch vor Deutschland nicht halt. Die Gewerkschaften verloren die Kontrolle über ihre Mitglieder. Im September 1969 entwickelten sich spontane Streiks in der Stahlindustrie, die die Lohnleitlinien, auf die sich die IG Metall verpflichtet hatte, für über acht Millionen Beschäftigte durchbrachen.

1973 kam es zu einer weiteren Welle spontaner Streiks. Unter anderem besetzten 12.000 Arbeiter das Ford-Werk in Köln. Hier half die IGM, den Streik zu brechen und die Streikführer zu entlassen.

Trotzdem mussten die Gewerkschaften, um ihren Einfluss nicht völlig zu verlieren, die Politik der Lohnzurückhaltung aufgeben. 1977 stellten sie auch ihre Mitarbeit in der Konzertierten Aktion formell ein.

Als nach der deutschen Wiedervereinigung in Ostdeutschland innerhalb kürzester Zeit hunderttausende Arbeitsplätze vernichtet wurden, riefen Ex-Wirtschaftsminister Karl Schiller und Ex-Bundeskanzler Helmut Schmidt (beide SPD) mit Unterstützung der Gewerkschaften zu einer „gesamtdeutschen Neuauflage der Konzertierten Aktion“, auf.

Die Neue Arbeiterpresse, Vorgängerin der WSWS in Deutschland, kommentierte damals, die ursprüngliche Konzertierte Aktion habe „die Offensive der Arbeiterklasse durch eine Reihe von Zugeständnissen abgeblockt“. Jetzt wäre die Aufgabe einer Konzertierten Aktion „das Gegenteil: die künftigen Massenentlassungen, Lohnsenkungen und Haushaltskürzungen gegen die Arbeiterklasse durchzusetzen.“

Sie hätte heute die Aufgabe, eine Art „Gemeinsames Oberkommando“ der deutschen Banken und Konzerne für ihre Handelskriege und Kriege um Absatzmärkte, Rohstoffquellen und Einflussgebiete zu bilden. Dabei käme den Gewerkschaftsbürokraten nicht nur die Rolle zu, als Lohnpolizei und „Rationalisierungsexperten“ die Ausbeutung in den Betrieben zu verschärfen und den Burgfrieden zu überwachen. Sie bieten sich vielmehr heute schon als die schlaueren und rücksichtsloseren Manager und Strategen für den Klassenkrieg nach innen und den Wirtschaftskrieg nach außen an. (Neue Arbeiterpresse, 21. Februar 1992)

Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) war nicht abgeneigt, entschied sich aber dann gegen die Wiederbelebung der Konzertierten Aktion. Er wusste, dass er auch ohne formales Bündnis auf die Unterstützung der Gewerkschaften zählen konnte.

Die Konzertierte Aktion wurde erst 1998, nach dem Wahlsieg von SPD und Grünen von der neuen Bundesregierung unter Gerhard Schröder wieder ins Leben gerufen, allerdings unter neuem Namen. Sie nannte sich nun „Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit“. Zwischen Dezember 1998 und März 2003 traf sich das Bündnis neun Mal zu Spitzengesprächen. Neben dem Bundeskanzler, dem Kanzleramtsminister und den zuständigen Fachministern nahmen daran vier Vorsitzende der Wirtschafts- und Arbeitgeberverbände sowie fünf Gewerkschaftsvorsitzende teil.

Auf diesen Treffen wurden die Konzepte ausgearbeitet, die später Eingang in Schröders Agenda 2010 fanden. Insbesondere die Schaffung eines Niedriglohnsektors, die Flexibilisierung von Arbeitszeiten, die Senkung der Lohnnebenkosten (sprich Sozialleistungen) und Steuersenkungen waren zentrale Themen. Vor der Verkündung der Agenda 2010 wurde das Bündnis dann für gescheitert erklärt, doch die Autoren der Agenda – die Kanzleramtsminister Bodo Hombach und Frank-Walter Steinmeier – waren auch im Bündnis federführend gewesen.

Die Geschichte der Konzertierten Aktion macht deutlich, an welche Tradition Bundeskanzler Scholz anknüpft. Heute ist die wirtschaftliche und politische Krise weitaus tiefer als in den 1960er oder 2000er Jahren. Die Konzertierte Aktion ist heute direkt mit der Einschränkung des Streikrechts und diktatorischen Maßnahme verbunden, um die Arbeiterklasse zu zwingen, die Kosten für die größte Aufrüstungsoffensive seit Hitler und die Milliardenprogramme für Konzern und Reiche zu finanzieren.

Die Gewerkschaften haben längst aufgehört, auch nur ansatzweise die Interessen der Arbeiter zu vertreten. Sie halten Lohnsenkung und Sozialabbau für notwendig, um die Konkurrenzfähigkeit auf dem Weltmarkt zu verbessern. Betriebsräte handeln als Betriebspolizei und ersticken jeden Widerstand von Seiten der Arbeiter.

Die Integration der Gewerkschaften in die Regierungsstrukturen und ins Management der Konzerne ist eng mit der Globalisierung verbunden. Die weltweite Integration der Wirtschaft und die transnationalen Produktionsprozesse haben den Gewerkschaften den nationalen Boden entzogen, auf dem sie in der Vergangenheit Druck für begrenzte Sozialreformen ausüben konnten. Die Unterstützung von Aufrüstung und Krieg zur Sicherung von Rohstoffversorgung, Absatzmärkten und Zugang zu billigen Arbeitskräften ist die logische Fortsetzung dieser nationalistischen Politik.

Leo Trotzki, der herausragendste Marxist des 20. Jahrhunderts, hatte bereits 1940 geschrieben:

Es gibt in der Entwicklung, oder besser, in der Degeneration der gegenwärtigen Gewerkschaftsorganisationen der ganzen Welt einen allen gemeinsamen Zug: die Annäherung an die Staatsgewalt und das Verschmelzen mit ihr. …

Der Monopolkapitalismus fußt nicht auf Privatinitiative und freier Konkurrenz, sondern auf zentralisiertem Kommando. Die kapitalistischen Cliquen an der Spitze mächtiger Trusts, Syndikate, Bankkonsortien usw. sehen das Wirtschaftsleben von ganz denselben Höhen wie die Staatsgewalt und benötigen bei jedem Schritt deren Mitarbeit. Ihrerseits finden sich die Gewerkschaften in den wichtigsten Zweigen der Industrie der Möglichkeit beraubt, die Konkurrenz zwischen den verschiedenen Unternehmen auszunützen. Sie haben einem zentralisierten, eng mit der Staatsgewalt verbundenen kapitalistischen Widersacher zu begegnen. Für die Gewerkschaften – soweit sie auf reformistischem Boden bleiben, das heißt soweit sie sich dem Privateigentum anpassen – entspringt hieraus die Notwendigkeit, sich auch dem kapitalistischen Staate anzupassen und die Zusammenarbeit mit ihm zu erstreben. (Leo Trotzki, Die Gewerkschaften in der Epoche des imperialistischen Niedergangs)

Die Arbeiterklasse kann sich den Angriffen auf ihre Rechte und Errungenschaften und der Gefahr eines dritten Weltkriegs nur widersetzen, indem sie unabhängige Aktionskomitees auf aufbaut und für eine sozialistische Politik kämpft, die die gesellschaftlichen Bedürfnisse über die Profitinteressen der Konzerne und die internationale Einheit der Arbeiterklasse über die nationalen Interessen der herrschenden Klasse stellt.

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