Der Pflegestreik an den Unikliniken Nordrhein-Westfalens geht schon in seine fünfte Woche. Zum zentralen Streiktag am Mittwoch, den 1. Juni, kamen mehr als 1.500 Streikende und Unterstützer nach Köln. Der Streiktag war Ausdruck ihrer Entschlossenheit, so lange zu kämpfen, bis sich an ihren unerträglichen Arbeitsbedingungen wirklich etwas ändert.
Die letzten Jahre haben das Fass zum Überlaufen gebracht. In der Corona-Pandemie brachte die „Profite vor Leben“-Politik, die schon zuvor für einen Pflegenotstand sorgte, das Gesundheitssystem nahe an den Kollaps. Seither haben Bund und Länder nicht etwa das Pflegepersonal entlastet, sondern ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr beschlossen.
In Köln schilderten die Pflegekräfte, unter welchen Bedingungen sie seit nunmehr zweieinhalb Jahren praktisch am Limit arbeiten.
Marie, die in der Onkologie der Uniklinik Aachen als Nachtschwester arbeitet, berichtete, dass sie allein für 32 Patienten zuständig sei. „Das ist bei uns leider normal.“ Rebecca aus Köln sagte: „In der Pflege wird zehn, elf oder 14 Tage hintereinander gearbeitet. Bei Operationen lautet die Frage nicht etwa: ‚Ist das nötig?‘, sondern: ‚Bringt das Kohle?‘ Menschen werden entlassen, ohne dass sie gesund sind. Das ist menschenunwürdig (…) Für die Pflege müsste viel, viel mehr Geld da sein!“
Mehrere Stationen der Uniklinik Köln seien „unterbesetzt und unterbezahlt“, berichtete Jannis, ein Physiotherapeut, der im Klinikum viel rumkommt. Dort seien „alle am Rennen, alle unter Strom“. „Die Kollegen sind am Ende“, sagte auch Kirsten, seit 30 Jahren Fachkraft auf einer Intensivstation. „Einige haben während der Corona-Pandemie gekündigt. Sie mussten dauernd am Limit arbeiten; jetzt sind sie weg.“ Die Pflegekräfte arbeiteten „unter maximaler Arbeitsbelastung“, sagte die Krankenschwester, das gehe auf Dauer gar nicht gut.
Am Streiktag stand auf den Plakaten: „Atemlos durch die Schicht, bis die Pflege zusammenbricht“, „Come in and burn out“ oder: „Bitte sterben Sie langsam, wir haben keine Zeit“.
„So wie wir aktuell arbeiten, wird das weder den Patienten noch uns gerecht“, sagte Krankenpfleger Maurizio. „Das geht schon viele Jahre so, aber Corona hat das nochmals für alle deutlich gemacht. Jetzt ist der perfekte Moment, um effektiv was dagegen zu tun.“
Maurizio arbeitet auf einer Station der Gastroenterologie (Innere Medizin). Er berichtete, dass oft Senioren aus den Altenheimen dehydriert und in schlechtem Allgemeinzustand eingeliefert würden. Dies zeigt, dass die Zustände in der Pflege nur die Spitze eines Eisbergs sind. „Es ist wie ein Rattenschwanz“, sagte Maurizio, „auch die Pflege im Altenheim ist überlastet.“ Die Pandemie, so der Pfleger, sei „mit sehr viel Einbußen“ einhergegangen, sowohl in beruflicher wie privater Hinsicht. „Wir arbeiteten im Gefahrenbereich, mussten unsere privaten Kontakte einschränken, haben bis heute mit Tests und Abstrichen zusätzlichen Arbeitsaufwand.“
Viele sagten: „Wir stehen hier für die ganze Gesellschaft.“ Jeder könne schließlich mal krank werden. In der Tat genießt der Pflegestreik in der arbeitenden Bevölkerung große Popularität.
Dabei tun die Medien ihr Möglichstes, um den Streik auszublenden und kleinzureden. Er hält nun schon seit mehr als vier Wochen stand und sorgt an allen sechs Unikliniken Nordrhein-Westfalens – Aachen, Bonn, Düsseldorf, Essen, Köln und Münster – für die Schließung von zwei Dritteln der Operationssäle und für massive Ausfälle. Dennoch berichteten die Medien auch an diesem Streiktag nur äußerst spärlich darüber.
Trotz alledem kamen mehr Menschen als erwartet am Mittwoch nach Köln. Mit den Krankenschwestern und Pflegern demonstrierten auch Kollegen aus der Ambulanz, der Physiotherapie und Massage, dem Labor, der Servicekräfte, aus Kita und Küche, dem Transport und der Logistik, aber auch Unterstützer, die an keiner Uniklinik arbeiten.
Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi hatte offenbar mit weniger Teilnehmern gerechnet. So musste der Kundgebungsort kurzfristig vom Friesenplatz auf den größeren Heumarkt verlegt werden. Dort stammten die interessanteren Beiträge von Rednern, die keine Berufsgewerkschafter sind, während die offiziellen Funktionäre laute Pfeifkonzerte anheizten und immer wieder skandierten: „TV-E – für uns in NRW“.
Mit „TV-E“ ist der Tarifvertrag Entlastung gemeint, auf den Verdi die gesamten Forderungen derzeit konzentriert. „Es geht nicht ums Geld“, sagte auch Verdi- Gewerkschaftssekretär Jan von Hagen am Vormittag dem WDR.
Dabei weiß jeder, der im Gesundheitsbereich arbeitet, dass die sinkenden Löhne neben der steigenden Arbeitslast der Hauptgrund für die Unterbesetzung sind. Um eine wirkliche Entlastung zu bewirken, müsste das Personal mindestens verdoppelt werden, und die Löhne müssten sofort um mindestens 20 Prozent angehoben werden, um allein die Inflation auszugleichen. Diese Forderungen hat die Sozialistische Gleichheitspartei in ihrem Aufruf erhoben, der zur Bildung unabhängiger Aktionskomitees aufruft.
Wie es in dem Aufruf heißt, ist „unter den heutigen Bedingungen der ganze Entlastungstarifvertrag, den Verdi jetzt aushandelt, das Papier nicht wert, auf dem er steht. Er dient ausschließlich dazu, die Wut der Beschäftigten zu unterdrücken und die Kürzungspolitik fortzusetzen.“ Die Gewerkschaft isoliert den Pflegestreik bewusst: Sie hat der Landesregierung fest zugesagt, die Streiks nicht auszuweiten.
Die Konzentration auf den TV Entlastung erlaubt es Verdi, von der Lohnsenkung abzulenken, die die Gewerkschaft im vergangenen Jahr an den Kliniken mitbeschlossen hat. Die Dienstleistungsgewerkschaft hatte damals einen Tarifvertrag der Länder (TV-L) ausgehandelt, der 2,8 Prozent Lohnerhöhungen – aber erst ab Dezember 2022! – vorsieht. Bis dahin herrscht ein ganzes Jahr lang Nullrunde, und das bei der derzeitigen, ständig steigenden Inflation.
Dies alles schürt unter den Streikenden große Unzufriedenheit. In Köln sagte Kirsten, die Intensivkrankenschwester: „Die Verhandlungen finden nicht so statt, wie wir das wollen. Sie sagen immer, es wird verhandelt, aber sie verhandeln gar nicht. Die wollen, dass wir aufhören zu streiken – und das geht gar nicht.“
Azubi Felix sagte: „Verdi führt die Verhandlungen, hält das Ganze aber niedrig.“ Mit Blick auf die Inflation sei der Tarifabschluss vom letzten Jahr „lächerlich und traurig“. Er finde es „ziemlich scheiße, wie das läuft“, sagte Felix, der besonders erwähnte, dass die Rüstung im Zentrum steht.
Für Jannis, den Physiotherapeuten aus Köln, ist der letzte Tarifabschluss angesichts der Inflation „ziemlich pervers“. Aktuell halte Verdi die Lohnfrage aus dem Streik heraus. Dazu Jannis: „Man hat uns im Studium beigebracht, wir sollten uns nicht unter Wert verkaufen. Das müsste immer ein Grundpfeiler sein.“ Als das Gespräch auf das 100-Milliarden-Sondervermögen der Bundeswehr kam, lachte Jannis und sagte: „Hier wird seit Jahren eingespart. Da sterben Menschen. Und dann wird das von Scholz über Nacht in einer Rede zum Thema gemacht und beschlossen.“
Die Krankenschwester Miriam sagte zu dem Sondervermögen: „Es hat uns alle sehr erstaunt, dass dafür Geld da ist, aber für uns nicht und für die Bildung auch nicht.“ Das sei ein Thema, das alle angehe, wie sie findet. „Nicht nur die Pflegekräfte, sondern die ganze Gesellschaft müsste mit uns hier stehen.“
„Es kann einfach nicht sein“, sagte Kilian vom Kölner Uniklinikum, „dass wir eins der reichsten Länder der Erde sind, und in den Krankenhäusern herrschen so schlechte Bedingungen. Das kann doch nicht wahr sein. Die Bundeswehr bekommt 100 Milliarden Euro; für die Pflege interessiert sich niemand. Jeder von uns kann krank werden, kann Krebs bekommen. Wir fordern eine angemessene Pflege für die Patienten, aber auch für uns.“
Kilian nahm zusammen mit Laureen an dem Streiktag teil, und sie ergänzte: „Wir wollen einfach nicht später ausgebrannt sein.“ Beide behandeln schwerstkranke Krebspatienten, wie sie berichteten: „Wir behandeln Leute, die im Sterben liegen. Das ist auch eine psychische Belastung. Wir würden uns wünschen, dass man dafür die nötige Zeit hat, aber das haben wir einfach nicht.“
Auf einem Schild stand: „100 Milliarden für die Bundeswehr – Null für die Pflege“. Dazu sagte Ute, die seit Jahren die Kita der Uniklinik Köln betreut, sie sei richtig froh geworden, dieses Schild zu sehen. „Wie kann das sein, dass da jetzt das ganze Geld für die Bundeswehr zur Verfügung steht, und seit all den Jahren kriegen wir immer zu hören, es sei kein Geld da?! Das macht mich so wütend.“
Es sei das erste Mal in ihrem Leben, dass sie an einem Streik teilnehme, berichtete Ute. „Es muss mal ein Stopp sein in unserer Gesellschaft. Man muss mal einen Punkt setzen. Deshalb gehe ich hier mit.“ Die Arbeit habe sich leider enorm verschlechtert und laufe Gefahr, völlig zur Fließbandarbeit zu verkommen. Ute fand, seit der Corona-Pandemie sei immer deutlicher geworden, dass sich in der ganzen Gesellschaft was ändern müsse.
Auch der Vorschlag der Sozialistischen Gleichheitspartei, Verdi das Verhandlungsmandat zu entziehen und eigene, unabhängige Aktionskomitees aufzubauen, wurde lebhaft diskutiert. So berichtete Felix, der Azubi, dass gerade die Nachricht vom Ausverkauf der Dienstleistungsgewerkschaft im Sozial- und Erziehungsdienst den Streikenden zu denken gebe.
Er sagte: „An unserem ersten Verhandlungstag hörten wir, dass sie sich geeinigt hätten. Das war für uns ein schlechtes Zeichen.“ Vor allem gehe es ihm darum, Krieg und Rüstungsindustrie nicht zu unterstützen, so Felix. Den Vorschlag, unabhängige Aktionskomitees zu gründen, fand er wichtig, und er sagte: „Im Gesundheitsbereich ein eigenes Komitee aufzubauen – das finde ich gut, das schreibe ich mir auf die Fahne.“
Wie die World Socialist Web Site vielfach berichtete, haben Pflegerinnen und Pfleger sich in den USA, in Sri Lanka und vielen anderen Ländern bereits in unabhängigen Aktionskomitees organisiert. Die Beschäftigten der Unikliniken in NRW sollten sich diesen internationalen Kolleginnen und Kollegen anschließen.
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