Bürgergeld ab Januar 2023 – Hartz IV unter neuem Namen

Das neue Bürgergeld – die „größte Sozialreform seit 20 Jahren“ laut Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) – wird mit seinem Inkrafttreten ab 1. Januar 2023 die bittere Armut der derzeit 5,3 Millionen Hartz-IV-Empfänger verschlimmern.

Schon im Koalitionsvertrag, den die Ampelregierung im November letzten Jahres vorstellte, verankerte sie die Ausweitung des Niedriglohnsektors und die Weiterentwicklung aller Instrumente zur Zwangsarbeit in prekären Beschäftigungsverhältnissen.

Bedürftige vor einer Tafel in München

Nun hat sie sich innerhalb von nur drei Tagen mit der CDU/CSU auf eine Verschärfung ihres eigenen Bürgergeld-Entwurfs geeinigt. Gestern stimmte der Vermittlungsausschuss von Bundesrat und Bundestag dem neuen Entwurf zu. Die Abstimmung am Freitag im Bundesrat ist nur noch eine Formalität.

Der neue Entwurf beinhaltet alle wesentlichen Änderungsforderungen der Union.

Die wichtigste ist die vollständige Streichung der sechsmonatigen „Vertrauenszeit“. Diese war von den Unionsparteien und der AfD scharf angegriffen worden. Die „Vertrauenszeit“ bereite den Weg für ein „bedingungsloses Grundeinkommen“, geiferten der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz und seine Gesinnungsgenossen aus CSU und AfD.

In Wirklichkeit hätte die „Vertrauenszeit“ Bürgergeld-Empfänger lediglich in den ersten sechs Monaten vor allzu aggressiven Sanktionen bewahrt. Die Mitglieder der Ampelkoalition hatten in den vergangenen Wochen immer wieder betont, dass auch in der „Vertrauenszeit“ Sanktionen möglich seien.

Außerdem wurden die ursprünglich geplante „Karenzzeit“ von zwei Jahren und die Höhe des „Schonvermögens“ erheblich beschnitten: Leistungsbezieher müssen nun nach einem Jahr in eine kleinere, regelgerechte Wohnung umziehen, und die Höhe ihres „Schonvermögens“ (welches vom Jobcenter nicht auf die Leistungen angerechnet werden darf) verringert sich auf 40.000 Euro (ursprünglich 60.000 Euro) sowie auf 15.000 Euro für jede weitere dem Haushalt zugehörige Person (ursprünglich 30.000 Euro).

„Wir sind im Interesse der Sache aufeinander zugegangen, ohne den Kern des Bürgergeldes preiszugeben“, es sei ein „tragfähiger Kompromiss“, behauptete dreist Katja Mast, Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Bundestagsfraktion. Auch Britta Haßelmann, Fraktionsvorsitzende der Grünen, erklärte, der Kern der Reform bleibe, Menschen nicht in „irgendeine Tätigkeit“, sondern durch Qualifizierung dauerhaft in Beschäftigung zu bringen.

In der gestrigen Generaldebatte im Bundestag lobte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) den neuen Bürgergeld-Entwurf als „einvernehmliche Lösung“, „eine gute übrigens“, die „Wege raus aus der Langzeitarbeitslosigkeit, raus aus Hilfsjobs und hinein in den Arbeitsmarkt“ böte.

Die Geschwindigkeit, mit der die Ampelkoalition den Forderungen der Union nachgekommen ist, unterstreicht, dass es nie in ihrer Absicht lag, die Hartz-IV-Repressionen – die die SPD unter der Schröder-Regierung 2005 selbst eingeführt hatte – mit der Bürgergeld-Reform zu lockern.

SPD und Grüne hatten mit der Agenda 2010 unter der Kanzlerschaft Gerhard Schröders die größte Umverteilung zugunsten der Reichen organisiert. Diese Umverteilung setzen Olaf Scholz und seine Ampelkoalition mit Unterstützung der Linkspartei und der Gewerkschaften fort.

Über den schnellen Verhandlungserfolg hinter verschlossenen Türen zeigte sich am Dienstag selbst CDU-Chef Friedrich Merz überrascht: „Die Koalition war sehr schnell und – zu meiner Überraschung – sehr weitgehend bereit, hier Kompromisse zu machen.“ Auch Alexander Dobrindt, CSU-Landesgruppenchef, zeigte sich erfreut: „Wir haben schwere Systemfehler im Hartz-IV-Update beseitigen können.“

Noch während Merz und Markus Söder (CSU) eine Sozialneid-Debatte lostraten und gegen Arbeitslose und Migranten hetzten, die sich in der geplanten „sozialen Hängematte“ räkeln würden, hatte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) versprochen, den Forderungen der Union entgegenzukommen.

Das Ergebnis ist Hartz IV mit neuem Namen! Mit dem neuen Bürgergeld eröffnet die Bundesregierung in Zusammenarbeit mit den Oppositionsparteien und den Gewerkschaften einen weiteren Generalangriff auf den Lebensstandard der Arbeiterklasse.

Armutsforscher Christoph Butterwegge, der den Reformentwurf als „Reformruine“, die Betroffene als „Bürgerhartz“ verspotten, bezeichnet, prangert an, dass „weit über zwei Drittel der jetzigen Hartz-IV-Bezieher“ von den geringfügigen Erleichterungen für Leistungsempfänger nichts spüren werden, weil diese nur für „Neukunden der Jobcenter“ gelten

Die geplante Erhöhung des Regelsatzes von durchschnittlich 50 Euro für einen erwachsenen Bezugsberechtigten kann angesichts der explodierenden Lebensmittelpreise nicht einmal ansatzweise den tatsächlichen Bedarf decken.

Sanktionierungsmöglichkeit vom ersten Tag des Bürgergeldanspruchs an bedeuten, dass Arbeitslose wie bisher schnellstmöglich in einen schlechten Job gezwungen werden. Die geplante Entfristung des „Sozialen Arbeitsmarktes“ soll ebenfalls die Vermittlung der Arbeitslosen in schlecht bezahlte Beschäftigungsverhältnisse beschleunigen.

Dass „Weiterbildung Vorrang vor Vermittlung“ habe und Sanktionen für das Bürgergeld im Unterschied zu Hartz IV „nicht mehr wesensbestimmend“ seien, wie der rheinland-pfälzische Sozialminister Alexander Schweitzer (SPD) behauptet, ist reine Makulatur.

„Sollte dieser Kompromiss Wirklichkeit werden, dann bleibt Hartz IV Hartz IV,“ konstatierte Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands. „Sanktionen gegen Familien, die ohnehin kaum Geld für Essen und Kleidung haben, sind inakzeptabel,“ kritisiert auch Eric Großhaus von der Kinderrechtsorganisation Save the Children Deutschland.

Die Linkspartei spielt in dieser Bürgergeld-Debatte eine besonders üble Rolle. Dem ursprünglichen Reformentwurf hatte die Linkspartei im Bundestag zugestimmt und auch im Bundesrat vergangenen Freitag dafür geworben.

So erklärte der Chef der thüringischen Staatskanzlei Benjamin-Immanuel Hoff (Die Linke) zur marginalen Erhöhung des Regelsatzes: „Wir als Linke hätten uns da deutlich mehr vorstellen können, als das, was das Bürgergeld bietet.“ Aber „mit dem Bürgergeld entwickeln wir Hartz IV in positiver Richtung weiter“.

Wenn jetzt die Berliner Sozialsenatorin Katja Kipping von der Linkspartei den überarbeiteten Entwurf als „Verschlechterung in allen Punkten“ bezeichnet, kann ihre „Empörung“ nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Linkspartei den Lebensstandard der Arbeiterklasse überall, wo sie in der Landesregierung sitzt, massiv angreift.

Mit dem Haushaltsentwurf 2023, der am Freitag parallel zur Verabschiedung des Bürgergelds durch den Bundesrat im Bundestag verabschiedet wird, werden die Vermögen und Spitzenverdienste der Superreichen weiterhin geschützt. Auch die Profiteure aus Pandemie, Energiekrise und Ukraine-Krieg werden nicht stärker besteuert. Dafür werden die Sozial- und Gesundheitsausgaben gesenkt, oder sie bleiben weit hinter der Inflationsrate zurück. Gleichzeitig wird der Militäretat massiv erhöht.

Mit dem neuen Bürgergeld werden die Kosten für die Milliardengeschenke an die Wirtschafts- und Finanzelite, die wirtschaftlichen Folgen des Nato-Kriegs gegen Russland und die 100 Milliarden für die Aufrüstung der Bundeswehr auf die Arbeiterklasse abgewälzt.

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