[TEIL EINS] [TEIL ZWEI] [TEIL DREI] [TEIL VIER] [TEIL FÜNF]
Dies ist der zweite Teil einer fünfteiligen Artikelserie; der erste Teil ist hier zu finden. Die ganze Serie ist bereits auf der englischsprachigen WSWS erschienen.
Die faschistischen Kräfte, die in der heutigen Ukraine eine so prominente und reaktionäre Rolle spielen, gründen sich politisch und ideologisch auf die Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN). Deren Taten und Erbe verherrlicht heute in Kanada der staatlich geförderte Ukrainian Canadian Congress.
1940 spaltete sich die OUN in zwei Gruppen, die uneins darüber waren, wie sie eine Zusammenarbeit mit Nazi-Deutschland am besten nutzen könnten, um einen ukrainischen Nationalstaat zu errichten. Bei der Verfolgung dieses Ziels und ihrer gegensätzlichen Vorstellungen über einen zukünftigen faschistischen Staat begingen beide Fraktionen schreckliche Verbrechen. Beide unterstützten den Vernichtungskrieg der Nazis gegen die Sowjetunion, dem mehr als 27 Millionen Sowjetbürger zum Opfer fielen, und beide wurden im Holocaust am europäischen Judentum aktive Komplizen.
Die OUN (Melnyk) versuchte, im Rahmen des Nazi- Besatzungsregimes zu arbeiten, und trat für den Aufbau der Division Galizien der Waffen-SS ein. Dieser Organisation gehörte der Großvater der stellvertretenden kanadischen Premierministerin Chrystia Freeland an.
Auch die OUN (Bandera), deren Mitglieder nach dem Zweiten Weltkrieg ebenfalls in großer Zahl Zuflucht im Kanada fanden, integrierte ihre Kräfte systematisch in den Militär- und Repressionsapparat der Nazis im deutsch besetzten Polen und später in der Sowjetunion. Doch die OUN (B) nahm eine „radikalere Haltung“ ein und übererfüllte die ihr von ihren Nazi-Gönnern und Verbündeten übertragen Aufgaben. Als sie im Juni 1941 als Teil der nationalsozialistischen Truppen, die in die UdSSR einmarschierten, in Lemberg einfielen, verkündeten sie die Gründung eines „unabhängigen“ ukrainischen Staates, der, wie sie betonten, ein integraler Bestandteil des von den Nazis geführten „Neuen Europa“ sein würde.
Es kam zu Reibereien. Beide Seiten waren jedoch bestrebt, ihr Bündnis aufrechtzuerhalten, und bis zum Ende des Krieges kollaborierten die von Bandera geführte OUN (B) und ihre Ukrainische Aufständische Armee (UPA) mit den Nazis und der Wehrmacht im Kampf gegen die Rote Armee und sowjetische Partisanen. Sie terrorisierten die Bevölkerung, vernichteten die ukrainischen Juden und töteten Zehntausende von Polen, um ihr Ziel, eine ethnisch „reine“ Ukraine, zu realisieren.
Die OUN und die Ursprünge des ukrainischen Faschismus
Heutige Apologeten der OUN bestehen darauf, dass sie während des Zweiten Weltkriegs in eine unmögliche Situation gebracht worden seien, und dass man ihr höchstens vorwerfen könne, die Nazis und deren Antisemitismus opportunistisch unterstützt zu haben. Diese Behauptungen entbehren jeder historischen Grundlage. Die OUN war von Anfang an eine faschistische Organisation, die sich lange um die Unterstützung der Nazis bemühte, und deren Beteiligung an der Massenvernichtung der ukrainischen Juden politisch gewollt und durch ihre Taten im Jahrzehnt vor dem Kriegsausbruch 1939 vorgezeichnet war.
Die Gründung der OUN 1929 erfolgte durch den Zusammenschluss mehrerer rechtsextremer Organisationen. Eine davon war der Bund zur Befreiung der Ukraine, hervorgegangen aus dem Bund der ukrainischen Faschisten; eine weitere die Ukrainische Militärorganisation (UWO). Sie rekrutierte sich aus Veteranen der ukrainischen nationalistischen Kräfte, die im Bürgerkrieg nach der Oktoberrevolution von 1917 gegen die Bolschewiki gekämpft hatten. Sie stellte einen Großteil der anfänglichen OUN-Führung.
Sozial setzte sich die OUN aus frustrierten und verbitterten Kleinbürgern, enteigneten Großgrundbesitzern und anderen prominenten Figuren zusammen. Ihr politischer Antrieb war ein pathologischer Hass auf die Oktoberrevolution und die Sowjetunion. Ideologisch gehörte sie einer breiteren faschistischen, militaristischen und antiegalitären Strömung an, die aus der beispiellosen Gewalt und den Verwerfungen des Ersten Weltkriegs hervorgegangen war und eine direkte Reaktion auf die russische Revolution und die sozialistischen Bestrebungen der europäischen Arbeiterklasse bildete.
Die OUN und ihre Anhänger allerdings waren in besonderem Maße erzürnt und gekränkt. Aus ihrer Sicht hatte die sozialistische Revolution in Russland und der Ukraine sie um ihr Geburtsrecht betrogen – einen ukrainischen Staat, in dem sie das Sagen haben würden – und in vielen Fällen auch um ihren Besitz und andere Privilegien. Darüber hinaus waren diejenigen, die sie als ihre ethnischen Rivalen betrachteten, nun in einer stärkeren Position. Es gab jetzt eine polnische Republik, die sich auch auf das Territorium erstreckte, das die ukrainischen Nationalisten begehrten, und die ihre ukrainische Minderheit unterdrückte. Und infolge der russischen Revolution genossen die ukrainischen Juden, die lange Zeit das Zielobjekt von Pogromen und der von der zaristischen Regierung unterstützten Schwarzhunderter waren, eine nie dagewesene Freiheit.
Wie die weißrussischen Emigranten hat auch die ukrainische extreme Rechte dazu beigetragen, den Mythos des jüdischen Bolschewismus zu kreieren und zu verbreiten, der die Juden für die Revolution verantwortlich machte und sie als Inkarnation des Antichristen betrachtete. Die Nazis und ihre ukrainischen Verbündeten in der OUN setzten eine explizit faschistische Form des Antisemitismus ein, um zum Völkermord aufzuhetzen: die Behauptung einer jüdisch-bolschewistischen Verschwörung.
Die Oktoberrevolution und die Ukraine
Zwischen 1918 und 1921 gab es mehrere Versuche – allesamt kurzlebig –, in den mehrheitlich ukrainischen Gebieten des ehemaligen Zarenreichs einen kapitalistischen ukrainischen Staat zu errichten. Auch in Galizien wurde dies nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg und dem Zusammenbruch des multiethnischen Österreich-Ungarns versucht.
Die ukrainischen Nationalisten in der historisch von Russland kontrollierten Ostukraine suchten und fanden die Unterstützung des deutschen Imperialismus. Sie verloren jedoch ihre Gönner in Berlin durch den Doppelschlag, der das Kaiserreich zu Fall brachte: die militärische Niederlage gegen die Alliierten und die Arbeiterrevolution vom November 1918.
Die Ukraine wurde daraufhin zu einem wichtigen Schauplatz des Bürgerkriegs, in dem die durch die Oktoberrevolution 1917 eingesetzte revolutionäre Arbeiter- und Bauernregierung zahlreichen konterrevolutionären Kräften gegenüberstand. Dazu gehörten die vom Imperialismus unterstützten Weißen Armeen, die sich auf die russische Grundbesitzer- und Kapitalistenelite stützten, die ukrainischen bürgerlichen Nationalisten und die neu gegründete polnische Republik unter der Führung von Pilsudski.
Die ukrainischen Nationalisten widersetzten sich vehement der sozialen Revolution, die die ukrainischen Arbeiter und Bauern unter der Führung der Bolschewiki durchführten, und suchten Unterstützung bei den Imperialisten. Ihre nationalistischen Armeen führten während des Bürgerkriegs ebenso wie die Weißen Pogrome durch, bei denen sie bis zu 200.000 Juden ermordeten.
Weil sie ein revolutionäres Programm vertraten, das die grundlegenden sozialen und demokratischen Bedürfnisse der Massen ansprach, setzten sich die Bolschewiki unter der Führung von Lenin und Trotzki durch. Die Rote Armee setzte die Enteignung der Großgrundbesitzer durch, die die mehrheitlich bäuerliche Bevölkerung der Ukraine seit Jahrhunderten grausam ausgebeutet hatten.
Die Bolschewiki verstanden auch sehr genau, dass sie die nationalen demokratischen Bestrebungen des ukrainischen Volkes, die lange Zeit vom zaristischen Regime und nun von seinen Nachfolgekandidaten unter der Führung der Weißen mit Füßen getreten wurden, politisch unterstützen mussten. Für die Bolschewiki war dies keine Frage der Zweckmäßigkeit: Sie hatten den Kampf gegen den großrussischen Chauvinismus und für das Selbstbestimmungsrecht der unterdrückten Völker Russlands in den Mittelpunkt ihres Kampfes für die Einheit, politische Unabhängigkeit und Hegemonie der Arbeiterklasse gestellt. Lenin schrieb 1917 Folgendes dazu:
Allein die vorbehaltlose Anerkennung dieses Rechts schafft erst die Möglichkeit, für den freien Bund der Ukrainer und Großrussen, für die freiwillige Vereinigung der beiden Völker zu einem Staat zu agitieren Allein die vorbehaltlose Anerkennung dieses Rechts kann wirklich, unwiderruflich und endgültig mit der verfluchten zaristischen Vergangenheit brechen, die alles getan hat, um die ihrer Sprache, ihrem Wohnsitz, ihrem Charakter und ihrer Geschichte nach so nahe verwandten Völker einander zuentfremden.
Ein von Trotzki im Jahr 1919 verfasstes Dokument unterstreicht die Entschlossenheit der Bolschewiki in dieser Frage. Darin heißt es:
Angesichts der Tatsache, dass die ukrainische Kultur ... jahrhundertelang vom Zarismus und den Ausbeuterklassen Russlands unterdrückt wurde, verpflichtet das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Russlands alle Parteimitglieder, auf jede Weise dazu beizutragen, alle Hindernisse für die freie Entwicklung der ukrainischen Sprache und Kultur zu beseitigen (aus dem Englischen).
Diese sozialistischen und internationalistischen Vorstellungen inspirierten die Gründung der Sowjetunion im Jahr 1922 als freiwilligen Zusammenschluss von Räterepubliken, zu denen auch die Sowjetukraine gehörte.
Die OUN in den 1930er Jahren: Die Entstehung des völkermörderischen ukrainischen Nationalismus
Der Faschismus der OUN war zwar die direkte Gegenreaktion auf das sozialistische, internationalistische Programm der Bolschewiki und ihr Bestreben, die Arbeiterklasse in einem multinationalen sozialistischen Staat zu vereinen; seine ideologische Radikalisierung war aber auch dem Aufkommen und der Machtübernahme faschistischer Bewegungen in weiten Teilen Europas geschuldet.
In den 1930er Jahren hatte die OUN ihren Hauptsitz in Rom, ein Ausdruck ihrer anfänglichen Sympathie für das Mussolini-Regime. Doch nach der Machtübernahme Hitlers 1933 richtete sie sich aus ideologischen und geopolitischen Gründen zunehmend auf das NS-Regime aus. Das traf vor allem für eine jüngere Generation von Führern zu, von denen Stepan Bandera der einflussreichste werden sollte. Führende Mitglieder der OUN arbeiteten mit und für die Geheimdienste Nazideutschlands und des faschistischen Italiens, und die Kader, die an der gezielten Ermordung polnischer und sowjetischer Beamter beteiligt waren, wurden in Italien darauf vorbereitet, wie auch Mitglieder der kroatischen faschistischen Bewegung, der Ustascha, die unter dem Schutz der Nazis im April 1941 den Unabhängigen Staat Kroatien ausriefen.
Die Rolle der OUN als Handlanger der Nazis beim Holocaust und bei der Anwendung völkermörderischer Gewalt gegen andere vermeintliche Feinde der ukrainischen Nation wurde bereits in den 1930er Jahren, im Zuge der Ausformung ihrer Ideologie und ihres Diskurses, sichtbar. Die OUN-Ideologen diskutierten in ihren Schriften und auf ihren Kongressen Pläne zum Massenmord und arbeiteten sie aus.
Eines dieser Dokumente, das auf mehreren OUN-Kongressen und anderen OUN-Versammlungen ausgearbeitet wurde, trug den Titel „Die Kriegsdoktrin der ukrainischen Nationalisten“.
„Unser Aufstand“, so hieß es darin, „will nicht nur die politische Ordnung verändern. Er soll die Ukraine von dem fremden und feindlichen Element und von unserem nichtswürdigen Element säubern. ... Je mehr fremde Elemente im Verlauf des Aufstands getötet werden, desto leichter wird es sein, den ukrainischen Staat wieder aufzubauen, und desto stärker wird er sein.“
Im Weiteren wurde die Massenvernichtung von Juden befürwortet, wobei eine Zahl von einer „halben Million“ in den Raum gestellt wurde; „denn je mehr Juden während des Aufstands getötet werden, desto besser für den ukrainischen Staat“.
Die schändliche Politik der OUN – ihr giftiges Gebräu aus ukrainischem Nationalismus, glühendem Antibolschewismus und virulentem Antisemitismus – konnte in der mehrheitlich von Ukrainern bewohnten Region des damaligen Südostpolens dennoch zunehmend Unterstützung gewinnen, indem sie die Enttäuschung, Verwirrung und Wut über die Taten der stalinistischen Sowjetbürokratie ausnutzte. Die Bürokratie, die der Arbeiterklasse die politische Macht entrissen hatte, lehnte das Programm des sozialistischen Internationalismus ab und ließ die schlimmsten Traditionen des großrussischen Chauvinismus wieder aufleben. Weiter hatte die plötzliche und brutale Umsetzung der Zwangskollektivierung durch das Stalin-Regime in den frühen 1930er Jahren verheerende Auswirkungen auf die Sowjetukraine.
Über diese Entwicklungen schrieb Trotzki im Jahr 1939:
Nach der Auffassung der alten bolschewistischen Partei sollte die Sowjetukraine eine mächtige Achse werden, um die herum sich die anderen Teile des ukrainischen Volkes vereinigen würden. Unbestreitbar übte die Sowjetukraine in der ersten Periode ihrer Existenz auch in nationaler Hinsicht eine mächtige Anziehungskraft aus und feuerte die Arbeiter, Bauern und die revolutionäre Intelligenz der durch Polen versklavten Westukraine zum Kampfe an. Aber in den Jahren der thermidorianischen Reaktion erfuhr die Position der Sowjetukraine und damit die ukrainische Frage als Ganzes eine einschneidende Änderung. Je größer die erweckten Hoffnungen waren, desto gewaltiger war nun die Enttäuschung. Die Bürokratie erdrosselte und plünderte auch in Großrussland das Volk. Aber in der Ukraine wurde die Sache bei Weitem verschlimmert durch die Zerschlagung der nationalen Hoffnungen. Nirgendwo nehmen Freiheitsbeschränkungen, Säuberungen, Repressalien und überhaupt alle Formen des bürokratischen Gangstertums solche Ausmaße an als in der Ukraine im Kampfe gegen das mächtige, tief eingewurzelte Sehnen der ukrainischen Massen nach größerer Freiheit und Unabhängigkeit. Für die totalitäre Bürokratie wurde die Sowjetukraine die administrative Abteilung einer ökonomischen Einheit und eine militärische Basis der UdSSR.
… Die Haltung des Kreml gegenüber den Teilen der Ukraine, die sich jetzt außerhalb der Grenzen der UdSSR befinden, ist heute die gleiche wie die gegenüber allen unterdrückten Nationalitäten, allen Kolonien und Halbkolonien, d.h. der Kreml betrachtet sie als Wechselgeld in seinen internationalen Kombinationen mit den imperialistischen Regierungen.
Trotzki ging dann auf die katastrophalen Auswirkungen ein, die die verbrecherische Politik der stalinistischen Bürokratie auf die ukrainischen Arbeiter und Bauern jenseits der Grenzen der Sowjetukraine hatte.
Von dem früheren Vertrauen und der Sympathie der westukrainischen Massen für den Kreml bleibt keine Spur mehr übrig. Nach der letzten mörderischen „Säuberung“ in der Ukraine wünscht Im Westen niemand mehr, ein Teil der Kreml-Satrapie zu werden, die weiter den Namen Sowjetukraine trägt. Dir Arbeiter- und Bauernmassen in der westlichen Ukraine, der Bukowina und der Karpato-Ukraine befinden sich in einem Zustand völliger Verwirrung: Wohin sollen sie sich wenden? was fordern? In dieser Situation gerät natürlich die Führung in die Hände der reaktionärsten ukrainischen Cliquen, die ihren „Nationalismus“ durch den Versuch ausdrücken, das ukrainische Volk an den einen oder anderen Imperialismus zu verkaufen gegen das Versprechen einer fiktiven Unabhängigkeit. Auf dieser tragischen Verwirrung begründet Hitler seine Politik in der ukrainischen Frage.
Die erste Phase des Zweiten Weltkriegs in Osteuropa und die Spaltung in der OUN
Nur wenige Monate, nachdem Trotzki diese Worte geschrieben hatte, gipfelten Stalins konterrevolutionäre Manöver mit den imperialistischen Mächten im Hitler-Stalin-Pakt. Dieser Pakt war wohl sein zynischstes und verwerflichstes Manöver überhaupt. Er hatte direkte Folgen für die ukrainischen Massen und stärkte die reaktionären Kräfte auf der ganzen Welt.
Am 1. September 1939, neun Tage nach der Unterzeichnung des Hitler-Stalin-Pakts, überfiel Nazi-Deutschland Polen und löste damit den Zweiten Weltkrieg aus. OUN-Kader in Polen, vor allem die Bandera-Fraktion, unterstützten die Nazi-Invasoren, indem sie Sabotageakte gegen die polnischen Streitkräfte verübten. Außerdem führten sie ethnisch motivierte Angriffe gegen polnische Zivilisten, bei denen einer Schätzung zufolge 3.000 Menschen getötet wurden. Sogar John Armstrong, ein amerikanischer Politikwissenschaftler, der den ukrainischen Faschisten half, ihre Bilanz zu schönen, und ihnen das Etikett „integrale Nationalisten“ anheftete, räumte ein, dass die OUN von Beginn des Krieges an eine „treue Hilfstruppe der Deutschen“ war.
Als Stalin, im Einklang mit den geheimen Protokollen seines Pakts mit Hitler, der Roten Armee befahl, in Ostpolen einzumarschieren, flohen die OUN-Kämpfer in den von den Nazis besetzten Teil Polens. Krakau wurde bald zum Zentrum der ukrainischen rechtsextremen Aktivitäten. Das lag daran, dass die Stadt der Sitz des Generalgouvernements für die besetzten polnischen Gebiete war, des Teils des besetzten Polens, der nicht an das Dritte Reich angegliedert wurde. Krakau war das Verwaltungszentrum für die polnisch-ukrainischen Grenzgebiete, die jetzt unter der Herrschaft der Nazis standen.
Die konservativere Fraktion der OUN, die Andrij Melnyk die Treue hielt, bildete ein Ukrainisches Zentralkomitee (UTsK), dem es gelang, für das Generalgouvernement tätig zu werden. Es diente ihm als Bindeglied, um mit der ukrainischen Bevölkerung Kontakte zu pflegen und Kontrolle über sie auszuüben. Die NS-Behörden sahen die lokale Bevölkerung durch das Prisma ihrer rassistischen Ideologie und Hierarchie. Sie erkannten aber auch, wie nützlich ihnen die UTsK dabei sein konnte, ethnische Spannungen auszunutzen und zu schüren, damit Polen und Ukrainer „niemals zusammenkommen“ – wie es Hans Frank ausdrückte, ein Veteran des Münchner Hitlerputsches 1923, den Hitler als Leiter des Generalgouvernements eingesetzt hatte.
Unter der Leitung von Wolodymyr Kubijowytsch, einem bis dahin unbekannten ukrainischen Geografen, war die UTsK offiziell eine „soziale Wohlfahrtsorganisation“, da die Nazis alle nicht-nazistischen politischen Organisationen auflösten. Tatsächlich aber war die UTsK zutiefst politisch, und ihre Führer sahen in der Machtübernahme der Nazis die Chance, ihren Einfluss zu vergrößern und sich an ihren ethnischen und politischen „Feinden“ zu rächen.
Die Melnyk-Fraktion forderte die OUN-Mitglieder auf, sich in den Militär- und Sicherheitsapparat des NS-Regimes zu integrieren. Ihr Fokus lag aber darauf, innerhalb der politischen und administrativen Strukturen zu arbeiten, die das von den Nazis besetzte Generalgouvernement eingerichtet hatte. Die Kräfte um Bandera, die jetzt aus polnischen Gefängnissen freikamen, konzentrierten sich dagegen darauf, im Repressions- und militärischen Apparat der Nazis Fuß zu fassen.
Schon bald nach der Unterwerfung Polens rekrutierten die Nazis 120 Mitglieder der OUN und ließen sie in einer Gestapo-Polizeischule in Zakopane von zwei deutschen Offizieren ausbilden. Der Befehlshaber der Ukrainer war Mykola Lebed, der spätere Chef des grausamen Sicherheitsdienstes SB der OUN (B). Nach dem Krieg sollte Lebed zum lebenslangen Mitarbeiter der CIA werden. Später wurde einer von Banderas engsten Mitarbeitern, Roman Schuchewytsch, der führende ukrainische Offizier des Bataillons Nachtigall, eines von zwei Bataillonen, die größtenteils aus Bandera-Anhängern bestanden, und die der deutsche militärische Geheimdienst aufgestellt hatte. Der spätere Kommandeur der ukrainischen Aufstandsarmee, Roman Schuchewytsch, und das Bataillon Nachtigall, das er mit anführte, waren zwischen Juni und Juli 1941 an dem Massaker an Tausenden von Juden in der Westukraine beteiligt.
Meinungsverschiedenheiten darüber, wie man die Unterstützung der Nazis am besten gewinnen und nutzen konnte, um das Ziel eines ukrainischen Staates und einer ethnisch reinen „Ukraine für Ukrainer“ zu realisieren, führten im Februar 1940 zu einer formellen Spaltung. Die rivalisierenden Gruppierungen nannten sich OUN (M) und OUN (B), nach ihrem jeweiligen Anführer, die sich beide als Führer gebärdeten.
Hitlers Cheerleader und Komplizen: Die Bilanz des Ukrainischen Zentralkomitees der OUN und Krakivski Visti
Bis Dezember 1939 waren die Nazi-Besatzer Polens mit der Unterstützung durch das UTsK so zufrieden, dass sie ihm erlaubten, einen Verlag zu gründen. Dazu nutzte das UTsK eine Druckmaschine, die der Krakauer jüdischen Zeitung Nowy Dzennik gestohlen worden war. Deren Eigentümer wurden später im Todeslager Belzec ermordet.
Das UTsK gründete umgehend seine eigene Zeitung, Krakivski Visti (Krakauer Nachrichten). Sie war die einzige ukrainischsprachige Zeitung, die vom Generalgouvernement genehmigt wurde, und allem Anschein nach die einflussreichste ukrainische Zeitung im von den Nazis beherrschten Europa. Erst Ende März 1945 zwang sie der nahende Zusammenbruch des Dritten Reichs, ihr Erscheinen einzustellen.
Krakivski Visti erschien erstmals am 7. Januar 1940, dem Tag des orthodoxen Weihnachtsfestes, ab November 1940 als Tageszeitung. Michael Chomiak, der Großvater mütterlicherseits der aktuellen stellvertretenden kanadischen Premierministerin Chrystia Freeland, war, bis auf die ersten Ausgaben, ihr Chefredakteur; seinen Vorgänger hatten die deutschen Besatzungsbehörden abgesetzt, weil er ihnen nicht willfährig genug war.
Chomiak wurde für seine nazifreundliche Propaganda reichlich belohnt und profitierte persönlich von der Enteignung der polnischen Juden. Er erhielt eine Luxuswohnung im Pugetów-Palast in der Starowiślna 15, die die Nazis dem „Juden Dr. Finkelstein“ einschließlich der Möbel gestohlen hatten. Chomiak beschrieb letztere diskret als „an mich weitergegeben“, als er in eine zweite gestohlene Wohnung zog. Am 19. September 1940 schickte Freelands Großvater einen Brief an die Treuhandstelle – eine deutsche Räuberbehörde mit dem offiziellen Auftrag, Juden ihr Eigentum zu entziehen – und forderte die Erstattung der 190 Zloty, die er für die „Entlausung“ dieser zweiten Wohnung ausgegeben hatte. Nur drei Tage zuvor waren alle beschlagnahmten jüdischen Grundstücke im Generalgouvernement offiziell unter die Zuständigkeit der Haupttreuhandstelle Ost gekommen. Es scheint, dass Chomiak einer der Hauptprofiteure der Beute des Holocausts in Krakau war.
Unter seiner und der Leitung des UTsK pries Krakivski Visti die Vorzüge der Nazi-Herrschaft und der Zusammenarbeit von Nazis und Ukrainern an. Regelmäßig druckte sie Artikel aus der deutschen Nazi-Presse ab, auch aus dem offiziellen Nazi-Organ Völkischer Beobachter. Krakivski Visti rief den Beginn des Vernichtungskrieges gegen die Sowjetunion im Juni 1941 als „den am meisten gerechtfertigten Krieg der Geschichte“ aus und warb später für die Gründung einer rein ukrainischen Division der Waffen-SS.
Von den ersten Ausgaben an hetzte Krakivski Visti gegen Juden, veröffentlichte gehässige antisemitische Hetzschriften und Karikaturen und forderte die Beschlagnahmung jüdischen Eigentums.
Weitere Beweise für die willfährige Kollaboration der ukrainischen Faschisten mit den Nazis und ihre Versuche, von der Verfolgung, Enteignung und anschließenden Vernichtung der Juden in Polen und der Ukraine zu profitieren, sind auf Tausenden von Seiten der UTsK-Korrespondenz mit den deutschen Behörden dokumentiert.
In der ersten Ausgabe von Krakivski Visti lesen wir, wie General Hans Frank persönlich die neuen Lebensbedingungen der Ukrainer unter der Nazi-Herrschaft beschreibt:
Befreit von dem Zwang der ungeheuerlichen Politik eurer intellektuellen, herrschenden Klasse, tut alles für euer Wohl, indem ihr die allgemeine Pflicht zur Arbeit unter dem mächtigen Schutz Großdeutschlands erfüllt. Unter einer gerechten Herrschaft wird jeder seinen Lebensunterhalt verdienen. Für politische Aufwiegler, wirtschaftliche Hyänen und jüdische Geldverleiher wird es jedoch keinen Platz in dem Raum unter deutscher Vorherrschaft geben (aus dem Englischen).
Auf der Seite gegenüber ist ein faschistisches Propagandafoto zu sehen, auf dem Ukrainer in „Nationaltracht'“ Frank Brot und Salz überreichen, eine traditionelle Geste der Gastfreundschaft. Dieses Bild veranschaulicht mehr als jedes andere die Beziehung des UTsK zum NS-Staat und die der ukrainischen Nationalisten zum Imperialismus im Allgemeinen.
Krakivski Visti betonte häufig die Parallelen zwischen den deutschen und ukrainischen Nationalisten und ihre gemeinsamen Ziele. Die Zeitung forderte die Ukrainer auf, von der angeblichen nationalen Wiedergeburt Deutschlands unter Hitler zu lernen und Deutschland als Verbündeten und Beschützer zu betrachten, wenn es darum ging, den „Feinden“ der ukrainischen Nation – den Russo-Bolschewiki, Polen und Juden – tödliche Schläge zu versetzen.
Auf die Frage, „Worum geht es beim Krieg im Westen?“ erteilten Chomiak und die ukrainischen Faschisten der OUN (M) folgende Antwort:
Der Krieg im Westen war das Ergebnis der gleichen Aufwiegelei und Zwietracht, welche die der Welt 1918 aufgezwungene Sowjetregierung hervorbrachte und auf ewig an der Macht halten wollte. Auch wir Ukrainer waren ihre Opfer und dienten ihr als Experimentiermasse. ... Deutschland kämpfte gegen dieses System der organisierten Gewalt an, und auch wir Ukrainer kämpften unter ungewöhnlich schwierigen Umständen. Daher rührt die spontane und aufrichtige gegenseitige Sympathie zwischen denen, die den Kampf gegen das fortführen, was nicht richtig war und nicht richtig sein konnte: gegen die in Versailles organisierte Willkür, für das eigene Überleben. Wir beobachteten mit Sympathie, wie der deutsche Sieg in Zusammenarbeit mit den wehrfähigen Völkern Schritt für Schritt die Fesseln sprengte, als das deutsche Volk in seinem ureigensten Heimatland die Souveränität erlangte ...
Am 24. April 1940 würdigte Krakivski Visti Adolf Hitler anlässlich seines Geburtstags mit einem glühenden Porträt, das ihn als „große Gestalt des 20. Jahrhunderts“ darstellte.
Auch bei dieser Gelegenheit wurde die Verbindung zwischen Hitlers militärischer Rückeroberung von Gebieten, die Deutschland im Ersten Weltkrieg verloren hatte, und der Vereinigung aller ethnischen Deutschen in einem einzigen Nationalstaat als Vorbild für ukrainische Nationalisten angepriesen:
Er erweckte das nationale Gemeinschaftsgefühl aller in der Welt lebenden Deutschen zu neuem Leben und vereinte sie hinter einer einheitlichen nationalen Idee und Organisation. ... Er streifte die Fesseln des berüchtigten Versailler Vertrags ab, stärkte die deutschen Streitkräfte zu Lande, zu Wasser und in der Luft in noch nie dagewesenem Ausmaß und eroberte allmählich, aber mit eiserner Konsequenz und Standhaftigkeit alle einst verlorenen Länder und Provinzen zurück: Porurja, Österreich, das Sudetenland und dann die Tschechoslowakei ...
Aufhetzung gegen Juden und Plünderungen
In seiner sechsten Ausgabe vom 25. Januar 1940 berichtete Krakivski Visti auf der Titelseite über eine Kampagne der Nazi-Behörden gegen Spekulation. Der Bericht trug den Titel „Todesstrafe für Spekulanten“ und war von einer bösartigen antisemitischen Karikatur illustriert.
Diese Kampagne diente als Vorwand, um das Vermögen von Juden in Krakau zu beschlagnahmen, damit die Treuhandstelle (die dem Herausgeber von Krakivski Visti später seine prunkvolle Wohnung zur Verfügung stellte) es übernehmen konnte. Von Januar bis März 1940 zwangen die Nazi-Behörden die Juden in Krakau, ihr gesamtes Eigentum und Vermögen registrieren zu lassen. Die Krakivski Visti veröffentlichte die antisemitische Karikatur auf dem Höhepunkt dieser Kampagne in Krakau. Viele Tausend Menschen werden sie gesehen haben. Die Bildunterschrift verdeutlicht die Verbindung zwischen der Antispekulationspropaganda der Nazis und ihrer Kampagne, Juden aus dem Wirtschaftsleben zu verdrängen: „Nein, ihr Herren Spekulanten ... unter meinem Dach werdet ihr kein Geld verdienen.“
In der gleichen Ausgabe finden wir einen Bericht über die neu gegründete Ukrainische Genossenschaftsbank. Wir erfahren:
Während der polnisch-jüdischen Herrschaft mussten die Ukrainer auf Schritt und Tritt mit großen Hindernissen kämpfen, die schier unüberwindbar waren und unser Leben in allen Bereichen, insbesondere im wirtschaftlichen, völlig überschatteten. ... Überall, in rein ukrainischen Vierteln, sahen wir nur einen Juden, einen Polen, einen Juden und noch einmal einen Juden. Die Juden beherrschten in unseren Dörfern und Städten das Wirtschaftsleben vollständig und beuteten die ukrainischen Armen auf schreckliche Weise aus. ... Es gab wichtige Veränderungen. ... Im fürstlichen Garten von Sanok ... [sind die Ladenschilder] auf Ukrainisch, Deutsch und Polnisch. Allerdings sehen wir leider immer noch viele fünfarmige Sterne von Zion und die Aufschrift ‚Jüdisches Geschäft‘. Im Stadtzentrum sehen wir auch ein neues Schild mit der Aufschrift ‚Ukrainische Genossenschaftsbank‘.
Das von der OUN (M) geführte Ukrainische Zentralkomitee und sein Organ, Krakivski Visti, zeigten großes Interesse an der Förderung der ukrainischen „Genossenschaftsbewegung“, die auf dem Boden von Grundstücken florierte, welche von den Nazibehörden durch die Treuhandstelle enteignet und an raffgierige ukrainische Kleinbürger weiterverteilt wurden. Viele dieser Unternehmen inserierten in der Krakivski Visti.
Während die Nazis die Krise des deutschen Kapitalismus durch militärische Eroberungen zu überwinden suchten, trachteten die ukrainischen Faschisten danach, sich selbst zu bereichern und die historische Schwäche des ukrainischen Bürgertums und Kleinbürgertums durch die von den Nazis praktizierte rassistisch-ethnische Ausplünderung zu kompensieren. So wie sie hofften, sich einen politischen Raum zu schaffen, indem sie dem Dritten Reich dienten, versuchte die OUN, den ukrainischen Kapitalismus zu stärken, indem sie mit den Nazis kollaborierte und einen Anteil an der Beute zu ergattern suchte, die diese ihren ethnischen Rivalen abnahmen.
Die Ausgabe Nr. 35 der Krakivski Visti vom 4. Mai 1940 verkündete in feierlichem Ton: „Ukrainische Privatkaufleute haben die besten Geschäfte auf dem ehemaligen jüdischen Markt übernommen.“
Die antijüdische Hetze von Krakivski Visti bediente sich sowohl traditioneller antisemitischer Tropen als auch des neueren und eindeutig faschistischen Begriffs des „jüdisch-bolschewistischen Schädlings“. Zu Ostern 1940 teilte Krakivski Visti ihren Lesern mit, „Christus ist auferstanden“, und dass die Juden für seine Kreuzigung verantwortlich seien. Damit stachelte die Zeitung auf eine Weise zu Pogromen an, wie sie im Mittelalter üblich war. Im Jahr 1943, als Krakivski Visti für die Gründung der „Division Galizien“ der Waffen-SS warb, veröffentlichte sie zahlreiche Tiraden gegen die Juden, von denen viele die Lüge der jüdisch-bolschewistischen Verschwörung unterstützten. Darunter war auch ein Artikel der Schriftstellerin und späteren Kanada-Emigrantin Olena Kyssilewska. Unter dem Titel „Who Ruined the Hutsul Region?“ (Wer hat die Huzulenregion ruiniert?) geht es angeblich um den südöstlichsten Teil der Karpaten. Die Untertitel des Artikels sind eine Anklageschrift: „Wie Juden den huzulischen Reichtum zerstörten ... Wie Juden den Huzulen aus seinem Haus vertrieben ... Wie Juden die Teppichherstellung zerstörten ... Juden und die Ausbreitung des Bolschewismus ...“ Laut Kyssilewska war jedoch noch nicht alles verloren. Ihre antisemitische Tirade, die sie inmitten des Holocausts schrieb, schloss sie mit der Feststellung, dass „die Juden jetzt aus den Karpaten verschwunden sind“.
Auf den Seiten der Krakivski Visti verbreiteten die ukrainischen Faschisten auch einen zügellosen antirussischen und antipolnischen Ethno-Chauvinismus.
Sie begrüßten die Ausweitung des Mandats der Treuhandstelle auf die Beschlagnahme polnischer Unternehmen und Grundstücke. Der ehemalige Vizekonsul der Vereinigten Staaten in Polen wies in einem auf seinen eigenen Beobachtungen fußenden Geheimdienstbericht vom November 1941auf die privilegierte Stellung hin, die sich einige Ukrainer durch ihre Zusammenarbeit mit den NS-Behörden im deutsch besetzten Polen sichern konnten:
Das ukrainische Element in Polen bildet eine privilegierte Klasse ... und kann Lebensmittel aus deutschen Geschäften mit Karten beziehen, die mit denen von Reichsdeutschen und Volksdeutschen identisch sind. Sie sind in deutschen Büros in Krakau, Warschau und in den Provinzbezirken beschäftigt. Sehr viele von ihnen sind Treuhänder (Beamte, die zur Verwaltung ernannt werden) ... Industrie- und Handelsunternehmen, die man von den Juden beschlagnahmte.
In einer unmissverständlichen Anspielung auf Krakivski Visti fügte der US-Diplomat hinzu: „Die ukrainische Presse in Polen lobt lautstark Hitler und die Nazis.“ Er wies auch auf die große Anzahl von Ukrainern hin, die im Sicherheitsapparat der Nazis beschäftigt waren – Stellen und Positionen, die sie häufig auf Anweisung der ukrainischen Faschisten annahmen. „Es ist bekannt, dass Ukrainer den Großteil des Gefängnispersonals der meisten Gefängnisse im südlichen Teil des Generalgouvernements stellen. Sie gehen mit den Polen noch härter um als die Deutschen. Sie werden in speziellen Polizeischulen ausgebildet ...“
Krakivski Visti veröffentlichte 1943-1944 eine Reihe von Artikeln, in denen die „antinationalen“ Auswirkungen von Mischehen zwischen Ukrainern und Polen beklagt wurden. Ihre ukrainischen faschistischen Gesinnungsgenossen und erbitterten Konkurrenten in Banderas UPA lieferten zur gleichen Zeit ihre eigene schreckliche „Lösung“ für das „latynnyky“-Problem. Bei ihren ethnischen Säuberungsaktionen gegen Polen verlangten sie von den Ukrainern, ihre polnischen Ehefrauen zu töten.
Der Überfall der Nazis auf die Sowjetunion im Juni 1941 bot den ukrainischen Faschisten neue Möglichkeiten, von der Verfolgung, Enteignung und Zerstörung der jüdischen Bevölkerung Polens und der Ukraine zu profitieren.
In den Wochen unmittelbar nach Beginn der Operation Barbarossa legte der Leiter der von der OUN (M) dominierten UTsK und Herausgeber von Krakivski Visti, Wolodymyr Kubijowytsch, dem Hitler-Regime Dokumente vor, in denen er Pläne für die Zwangsumsiedlung von Juden und Polen aus Galizien und die Schaffung einer ethnischen „Ukrainischen Volksgemeinschaft“ nach dem Vorbild der Nazis darlegte.
Die deutschen Behörden nahmen die Forderungen des UTsK zur Kenntnis und kommentierten:
Um das ukrainische Siedlungsgebiet im Generalgouvernement zu erhalten, fordern die Ukrainer, dass die Grenzen des ukrainischen Gebiets festgelegt werden, in das keine polnischen und jüdischen Evakuierten gebracht werden sollen. Darüber hinaus fordern sie, dass polnische und jüdische Elemente aus diesen Gebieten entfernt werden ...
Ukrainer sollten als von Polen und Juden verschieden gelten und somit rechtlich gesondert behandelt werden, und zwar durch eine eigene Kennkarte. Dieser Maßnahme stimmten die Nazibehörden bereitwillig zu.
Am 29. August 1941 schrieb Kubijowytsch an Hans Frank und stellte weitere Forderungen hinsichtlich der Beschlagnahme von jüdischem Land:
In Anbetracht der Tatsache, dass das gesamte jüdische Eigentum ursprünglich zum größten Teil dem ukrainischen Volk gehörte und nur durch den rücksichtslosen Gesetzesbruch der Juden und ihre Ausbeutung von Mitgliedern des ukrainischen Volkes in jüdischen Besitz übergegangen ist, halten wir es für ein Gebot der Gerechtigkeit, dem ukrainischen Volk einen beträchtlichen Teil des beschlagnahmten jüdischen Eigentums zurückzugeben, um es für moralische und materielle Schäden zu entschädigen. Insbesondere sollten alle jüdischen Besitztümer an ukrainische Bauern übergeben werden.
Ein Bericht des Generalgouvernements aus dem Jahr 1941 beschreibt den „Erfolg“ der ukrainischen Genossenschaften, die in den ehemals von jüdischen Betrieben genutzten Räumen gegründet wurden. Auf Seite 3 des Dokuments, „Was die Ukrainer im Generalgouvernement vom ukrainischen Genossenschaftswesen erwarten“, heißt es:
Die Verdrängung des Judentums aus dem Handel sowohl in den Städten als auch in den Dörfern hat dem ukrainischen Volk die Möglichkeit gegeben, die fehlenden Handelsstrukturen durch Handelskooperativen zu ersetzen. In dieser Hinsicht hat das ukrainische Genossenschaftswesen schon vor dem Krieg in Ostgalizien große Erfolge erzielt, weil es durch nationale Solidarität das Judentum erst aus dem Handel und dann in großem Umfang aus der Industrie verdrängen konnte.
Nicht erwähnt wird in diesem Bericht, dass die „Juden aus der Industrie“ in die Ghettos und Konzentrationslager und später in die Gaskammern oder vor die Erschießungskommandos „verdrängt“ wurden. Die ukrainischen Faschisten unterstützten die Vertreibung und in großem Maß auch das Töten. Aus dem beschlagnahmten jüdischen Eigentum wurden diese „ukrainischen Genossenschaften“; ihre Zahl wuchs von 200 im Jahr 1939 auf mehr als 900 im Jahr 1941. Wie sehr die Politik des UTsK die Beschlagnahme und Ausbeutung von gestohlenem polnischem und jüdischem Eigentum erleichterte, muss von Historikern erst noch vollständig erforscht werden. Auch ohne eine tiefergehende historische Untersuchung ist klar, dass man für ein Verständnis der Rolle, die Krakivski Visti gespielt hat, berücksichtigen muss, dass ihr Herausgeber alle diese Unternehmen unterstützte.
* * *
Im ersten Teil dieser Artikelserie haben wir aufgezeigt, wie sich im Jahr 2017, als Freelands politische Abstammung öffentlich bekannt wurde, das politische Establishment und die bürgerlichen Medien hinter die stellvertretende kanadische Premierministerin stellten. Sie verteidigten Freeland mit der Behauptung, sie sei zum Zielobjekt einer „russischen Desinformationskampagne“ geworden.
Im Bemühen, Freeland zu verteidigen, spielten die Medien die Bedeutung der Taten ihres Großvaters als prominenter Nazi-Kollaborateur herunter. Sie kramten zwei wissenschaftliche Artikel hervor, die vor Jahrzehnten von Chomiaks Schwiegersohn, einem Historiker, (in einem Fall mit Freelands Unterstützung) verfasst worden waren, und behaupteten, dass Krakivski Visti, von zwei bedauerlichen Fällen abgesehen, nicht gegen die Juden gehetzt habe.
Diesen entlastenden Argumenten zufolge ereignete sich der erste dieser Vorfälle im Juli 1941. Auslöser war die Entdeckung von mehreren Tausend Gefangenen, die von Agenten des NKWD, der Geheimpolizei des stalinistischen Regimes, auf der Flucht vor dem ersten Angriff der Operation Barbarossa ermordet worden waren. Dieses Verbrechen nutzen die Nazis und ihre Verbündeten, um die bereits im Gange befindliche massenhafte Gewalt gegen Juden weiter anzustacheln, zu rechtfertigen und auszuweiten. In der Ausgabe der Krakivski Visti vom 8. Juli 1941 hieß es über das NKVD-Massaker: „Wir machen dafür die jüdischen Machthaber im Kreml verantwortlich, deren Verbrechen gegen die ganze Welt eine angemessene Vergeltung finden werden.“
Das angeblich zweite und letzte Beispiel für eine antisemitische Hetzkampagne von Krakivski Visti war eine Artikelreihe, die 1943 im Auftrag eines Nazi-Presseoffiziers veröffentlicht wurden. Dazu gehört auch der bereits erwähnte Artikel von Kyssilewska „Who Ruined the Hutsul Region?“
In Anbetracht der bisher präsentierten Informationen – die nur ein teilweises und vorläufiges Bild bieten – scheint es kaum notwendig, auf die offensichtlich falsche Behauptung näher einzugehen, dass Krakivski Visti von seiner Redaktion in Krakau aus – gerade mal etwa 60 Kilometer von den Gaskammern von Auschwitz entfernt – „nur“ zweimal zum Judenhass aufgestachelt habe!
Die beiden Artikel aus den 1990er Jahren, auf die sich diese Behauptung stützt, hatte jedoch der bekannte Historiker John-Paul Himka verfasst. Himka, der zufällig auch Freelands Onkel ist, würde bestimmt einräumen, dass sich seine Ansichten über die ukrainischen Faschisten seit Mitte der 1990er Jahre, als die historische Forschung über ihre Taten und den Holocaust in der Ukraine noch in den Kinderschuhen steckte, erheblich verändert hätten. Himka hat selbst viel getan, um die schrecklichen Verbrechen von Stepan Bandera, seiner OUN (B) und der UPA aufzudecken, unter anderem in seinem kürzlich veröffentlichten Buch Ukrainian Nationalists and the Holocaust: OUN and UPA’s Participation in the Destruction of Ukrainian Jewry, 1941-44.
Wir werden aus dieser Arbeit in Teil 3 zitieren, wenn wir die Handlungen der ukrainischen Faschisten während des Vernichtungskrieges gegen die UdSSR untersuchen. Im Laufe des letzten Vierteljahrhunderts musste sich Himka mit Teilen seiner eigenen wissenschaftlichen Arbeiten auseinandersetzen, in denen die Banderisten als Kämpfer für die nationale Befreiung dargestellt wurden. „Ich kenne die Legende gut“, schrieb er 2010 in einer Polemik, „denn ich war an ihrer Verbreitung beteiligt.“
Es spricht nicht für Himka, dass er dem Versuch, die Rolle der Krakivski Visti herunterzuspielen, nicht entgegengetreten ist und damit zugelassen hat, dass Chomiaks Enkelin Freeland in einem positiven Licht erscheinen kann. Sie verehrt heute Chomiak öffentlich und bedient sich regelmäßig der UPA-Symbole und -Rituale. Himka mag politisch limitiert und moralischer Verfehlungen schuldig sein, doch das erklärt nicht ansatzweise die Feindseligkeit des kanadischen Establishments gegenüber jeder ernsthaften Untersuchung von Freelands politischer Herkunft, und es ist auch nicht der Grund dafür. Es erklärt auch nicht das Schweigen des kanadischen Establishments zu den Taten der OUN-Faschisten, die von dem staatlich geförderten UCC und den heutigen ukrainischen rechtsextremen Kräften verherrlicht werden. Mit diesen Kräften hat der kanadische Imperialismus zusammengearbeitet, um den Krieg in der Ukraine vorzubereiten, anzustiften und zu führen.
Unsere Untersuchung zeigt, dass die Enteignung, Vertreibung und völlige Vernichtung der bedeutenden jüdischen Minderheit in der Ukraine ein wichtiges Element der Ideologie und des Programms beider Flügel der ukrainischen faschistischen OUN war. Und es war ein wichtiger Bestandteil ihres Plans, im Bündnis mit dem deutschen Imperialismus unter Nazi-Führung einen mächtigen ukrainischen Nationalstaat und eine kapitalistische herrschende Elite zu schaffen.
Fortsetzung folgt
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