Wachsende Opposition gegen den Tarifabschluss der IG Metall

Am Dienstag stimmte die Große Tarifkommission der baden-württembergischen IG Metall dem Pilotabschluss zu, obwohl damit trotz galoppierender Inflation zum dritten Mal in Folge eine Reallohnsenkung für die Metall- und Elektroindustrie vereinbart wurde.

Obwohl in der Tarifkommission nur gestandene Bürokraten zugelassen sind und die einfachen Mitglieder nie zu den Lohnkürzungen befragt wurden, dauerte die Debatte mehrere Stunden und hatte Bezirksleiter Roman Zitzelsberger Mühe, den miserablen Abschluss zu verteidigen. Denn die Funktionäre sind mit einer überwältigenden Ablehnung an der Basis konfrontiert.

Demonstration von Metallarbeitern in Stuttgart-Feuerbach, 14.11.2022 [Photo by Julian Rettig]

Vor allem kritisieren viele Arbeiter, dass die große Kampfbereitschaft, die sich in den Warnstreiks gezeigt hatte, an denen fast 900.000 Beschäftigte teilnahmen, nicht genutzt wurde, um den Druck auf die Unternehmerverbände zu erhöhen und ein besseres Ergebnis zu erreichen. Statt den Streik auszuweiten, eine Urabstimmung einzuleiten und einen Vollstreik vorzubereiten, hat die IG Metall die Streikbewegung im entscheiden Moment abgewürgt und unterdrückt.

Selten zuvor wurde die IG Metall so deutlich als das wahrgenommen, was sie ist: ein bürokratischer Apparat zur Unterdrückung von Arbeitskämpfen und zur Durchsetzung massiver Reallohnsenkungen und sozialen Verschlechterungen im Interesse der Konzerne und der Regierung.

Weil die Mitglieder der Tarifkommission einen Aufstand der Basis fürchteten und deshalb Kritik an dem Abschluss formulierten, hatte Zitzelsberger die Sitzung, die normalerweise wenige Tage nach dem Abschluss stattfindet, um fast zwei Wochen verschoben. Die Zeit nutzte er, um den Apparat auf Linie und in Stellung zu bringen. Zudem wurden alle Bevollmächtigten und Bezirksleiter der anderen Tarifbezirke mobilisiert, um eine Zustimmung und Übernahme für ihren Bezirk anzukündigen. So sollte die Einigkeit der Gewerkschaftsbürokratie gegen die Arbeiter beschworen werden.

In einem internen IGM-Podcast namens „Metalldetektor“ berichtete Zitzelsberger, dass ihn der Betriebsratsvorsitzende von Mercedes Untertürkheim, Michael Häberle – selbst Mitglied der Großen Tarifkommission –, schon unmittelbar nach dem Abschluss gewarnt habe: „Bei uns brennt die Hütte, die Leute sind überhaupt nicht mit dem Verhandlungsergebnis einverstanden.“

Drei Tage später fand die Vollversammlung der IG-Metall-Vertrauensleute im Mercedes-Stammwerk in Stuttgart-Untertürkheim zur Bewertung des Verhandlungsergebnisses statt. Häberle hatte mit Zitzelsberger abgesprochen, dass er selbst an der VL-Versammlung teilnimmt, um als verantwortlicher Bezirksleiter und Verhandlungsführer der Kritik entgegenzutreten und den Abschluss zu verteidigen.

Arbeiter berichteten später, die Atmosphäre auf der Versammlung sei von Anfang an sehr angespannt gewesen. Zitzelsberger habe versucht, den Abschluss schön zu reden, und behauptet, die Reallohnsenkung müsse auch als Angebot an die Unternehmer gesehen werden, in schwierigen Zeiten der Umgestaltung und Transformation, die vor allem auch in einigen Zulieferbetrieben existenzbedrohend sei, eng und partnerschaftlich zusammenzuarbeiten. Darüber hinaus gebe es ja auch wieder eine tabellarische Erhöhung, auch wenn sie noch nicht ausreiche. Außerdem habe er auch sehr viele positive Rückmeldungen erhalten, in denen betont worden sei, dass die steuerfreie Zulage von 3000 Euro von vielen begrüßt werde.

Als Zitzelsberger sagte: „Natürlich hätten wir auch weiter streiken können“, wurde er durch heftige Zwischenrufe unterbrochen: „Genau! - Warum habt ihr das nicht getan?“

Vertrauensleute machten darauf aufmerksam, dass der Abschluss von einfachen Arbeitern in den Abteilungen nur Wut und Kopfschütteln auslöse. Die Reallohnsenkung sei angesichts der massiven und anhaltenden Preissteigerungen einfach zu groß. Dazu komme, dass viele Ausnahmen und Schlupflöcher vereinbart worden seien und viele Einzelheiten nicht bekannt seien.

Trotz der Anwesenheit von Zitzelsberger stimmten die Vertrauensleute mehrheitlich gegen den Abschluss und forderten ihre Delegierten dazu auf, in der Tarifkommission das Verhandlungsergebnis abzulehnen.

Zwei Tage später stimmten auch die Vertrauensleute bei Porsche in Stuttgart-Zuffenhausen gegen das Verhandlungsergebnis und forderten mehrheitlich Ablehnung.

Mit solchen Abstimmungen holen die Gewerkschaften lediglich ein Stimmungsbild ein. Sie sind für die Delegierten nicht bindend, was die Annahme des Ausverkaufs am Dienstag unterstrich.

WSWS-Reporter sprachen letzte Woche während des Schichtwechsels mit Arbeitern bei Mercedes in Stuttgart, Mettingen und Sindelfingen. Die Ablehnung der IG Metall war allgegenwärtig. Viele Arbeiter waren erst zu einem Gespräch bereit, als klar war, dass die WSWS-Reporter nicht die IG Metall unterstützen. Fast einstimmig bezeichneten die Arbeiter das Verhandlungsergebnis als einen Angriff auf die Mitglieder der IG Metall.

WSWS-Reporter diskutiert mit Mercedes-Arbeiter in Sindelfingen

Ein Arbeiter betonte, er zahle jeden Monat seinen Mitgliedsbeitrag, aber bei den Verhandlungen werde er und alle einfachen Mitglieder nicht ernst genommen und noch nicht einmal richtig informiert. Mehrere sagten, sie sähen keinen Sinn mehr darin, weiterhin Gewerkschaftsmitglied zu bleiben und die Bürokraten „mit unserem Geld durchzufüttern“. Die Warnstreiks seien nur widerwillig organisiert worden. Die Beschäftigten wollten kämpfen und seien zu einem unbefristeten Streik bereit gewesen, aber für die IG Metall sei das keine Option gewesen.

Johann M. sagte, die IG Metall arbeite Hand in Hand mit dem Arbeitgeberverband. Er habe genau verfolgt, wie der Arbeitgeberverband immer betont habe, er wolle keine prozentuale Erhöhung akzeptieren. Als dann schnell und ganz überraschend von einer Einigung und einer Lohnerhöhung von 8,5 Prozent gesprochen wurde, sei ihm klar gewesen: „Hier stimmt etwas nicht. Das ist ein Betrug.“ Am nächsten Tag seien sich alle Arbeiter seiner Abteilung einig gewesen, dass das, was passiert war, ein totaler Schwindel gegen die Arbeiter war.

Richie H. sagte, Mercedes beschäftige Tausende von Leiharbeitern. Er arbeitet seit drei Jahren als Leiharbeiter in Mettingen. Die IG-Metall ignoriere die Leiharbeiter komplett. Er wisse nicht, ob er überhaupt etwas von dieser Vereinbarung habe. Die Festangestellten im Werk seien freundlich und schüttelten den Kopf, wenn sie seinen Stundenlohn erfahren. Er habe mit mehreren von ihnen gesprochen. Sie seien alle verärgert und sagten, dass bei den derzeitigen Preissteigerungen selbst 15 Prozent nicht genug sind.

Joship sagte, er halte es für notwendig, „dass wir uns gegen diese Vereinbarung zur Wehr setzen“. Am Montag, einen Tag nach der Vereinbarung, seien alle wütend gewesen. Jeder konnte sehen, „es geht hier nicht um Lohnerhöhung sondern um Lohnsenkung. Wenn wir uns nicht dagegen wehren, wird sich das wiederholen.“ Jetzt sei es notwendig, dass in den Betrieben eine Urabstimmung durchgeführt werde.

Burak sagte, dass er seit acht Jahren in der Fabrik arbeitet. „Die Vereinbarung ist ein Verrat. Wir bekommen eine Lohnerhöhung, die keine ist und nicht im geringsten dazu beiträgt, unsere Probleme zu lösen. Wenn man die Millionen für die Vorstandsmitglieder und die Hunderttausende für die Abteilungsleiter und andere Führungskräfte bedenkt, ist das, was wir durch den angeblichen Kampf bekommen haben, wirklich mickrig. Ich denke, so geht es Arbeitern überall auf der Welt. Das derzeitige System muss geändert werden. Einige wenige erhöhen immer ihr Einkommen und die Mehrheit verliert immer mehr. So kann es nicht weiter gehen. Das muss gestoppt werden.“

Der Abschluss unterstreicht, dass die IG Metall nicht die Interessen der Arbeiter, sondern die der Konzerne vertritt. Ihre Funktionäre sitzen in den Aufsichtsräten und entscheiden dort über Konzernstrategien und Kürzungspläne. Ihre Betriebsräte sorgen dafür, dass sich in den Betrieben kein Widerstand regt. Ihre Spitzenfunktionäre arbeiten im Rahmen der Konzertierten Aktion aufs Engste mit der Bundesregierung und den Wirtschaftsverbänden zusammen.

Die enorme Wut unter den Beschäftigten muss deshalb einen bewussten Ausdruck finden. Die Verteidigung der Reallöhne, Arbeitsplätze und anderer sozialer Errungenschaften ist nur gegen die Bürokratie möglich, die mit beiden Füßen im feindlichen Lager steht. Die Sozialistische Gleichheitspartei tritt deshalb für den Aufbau unabhängiger Aktionskomitees ein, die diese Aufgabe in die Hand nehmen.

Wir rufen die Beschäftigten der Metall- und Elektroindustrie auf: Akzeptiert den Tarifabschluss nicht! Verlangt eine Urabstimmung, in der die Arbeiter selbst darüber entscheiden! Entzieht den Gewerkschaftsbürokraten das Verhandlungsmandat, baut Aktionskomitees auf und bereitet wirkliche Kampfmaßnahmen vor!

Meldet Euch per Whatsapp-Nachricht bei folgender Nummer: +491633378340 oder registriert Euch hier unten für den Aufbau von Aktionskomitees.

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