Liebe Kolleginnen und Kollegen,
mit der gestrigen Bekanntgabe des Ergebnisses der Urabstimmung hat Verdi die Reallohnsenkungen, die die Post AG gefordert hatte, durchgesetzt.
In einer Verdi-Mitteilung heißt es „61,7 Prozent der Befragten“ habe sich für die Annahme des Tarifergebnisses ausgesprochen. Das ist in höchstem Maße unglaubwürdig. Jeder hier weiß, wie verbreitet die ablehnende Haltung war. Im Aktionskomitee berichtete ein Kollege, dass in seinem Zustellungsstützpunkt alle Beschäftigten, auch die Vertrauensleute und sogar die freigestellte Betriebsrätin für Ablehnung und Streik gestimmt haben.
Von anderen Stützpunkten wurde berichtet, dass bei ihnen keine Abstimmung stattfand und niemand von der Abstimmungsorganisation aufgetreten ist. Fest steht, dass die zweite Urabstimmung im Unterschied zur ersten, sehr schlecht organisiert war.
Auf Anfrage beim Pressesprecher des Bundesvorstands, wie hoch die Beteiligung war, hieß es, darüber lägen keine Informationen vor. Auch Presseanfragen dazu wurden nicht beantwortet. Wie kann das sein? Die Prozentzahl lässt sich ja nur errechnen, wenn aus den Stützpunkten die absoluten Stimmen übermittelt wurden, aus denen sich leicht die Abstimmungsbeteiligung errechnen lässt.
Die Frage der Abstimmungsbeteiligung ist entscheidend. Wenn man annimmt, dass nur etwa 50 Prozent der Stimmberechtigten abgestimmt haben, entsteht ein ganz anderes Bild. Dann hätten sich rund 31.000 Beschäftigte für das Angebot ausgesprochen, das sind rund 30 Prozent der Verdi-Mitglieder und nicht einmal 20 Prozent aller 160.000 Postbeschäftigten.
Angesichts der Tatsache, dass der Verdi-Vorstand und die Verhandlungskommission, die von hochbezahlten Aufsichtsratsmitgliedern geleitet wird, sich über die eindeutige Streikentscheidung der ersten Urabstimmung hinweggesetzt und einen Streik verhindert haben, muss das zweite Abstimmungsergebnis überprüft werden.
Als Aktionskomitee fordern wir, dass alle Einzelheiten der Abstimmung offen gelegt werden. Wer war Mitglied des Ausschusses, der die Abstimmung organisiert hat? Wer hat diesen Ausschuss geleitet? Wann wurde wo abgestimmt? Wie hoch war die Beteiligung? Wir rufen alle Kolleginnen und Kollegen, die wichtige Angaben zum Ablauf der Abstimmung machen können, auf, sich beim Aktionskomitee zu melden. Wir wollen prüfen, ob wir die Abstimmung anfechten.
Dass die Tarifkommission keine Minute verstreichen ließ, um das Angebot schnell anzunehmen und die Tarifrunde für beendet zu erklären, ist nicht überraschend. Sie ist Bestandteil des Apparats und seiner üblen Manöver.
Die gesamte zweite Urabstimmung war ein einziger Betrug. Wir hatten das erste Angebot der Post abgelehnt und mit 86 Prozent für Streik gestimmt. Verdi hat sich über dieses Mitgliedervotum hinweggesetzt und mit dem Postvorstand das gleiche Angebot neu verpackt und erneut zur Annahme vorgelegt.
Das wurde dann mit Verdrehungen, Halbwahrheiten und Lügen über das zweite Angebot zu vertuschen versucht. Die Behauptung, das zweite Angebot sei um 25 Prozent besser als das erste, war und ist eine dreiste Lüge. Wie zuvor die Post rechnet auch Verdi die steuerfreien Einmalzahlungen einfach in die Lohnerhöhungen ein. Es ist aber keine Lohnerhöhung, sondern eine Einmalzahlung, um die Nullrunde in diesem Jahr durchzusetzen.
Verdi sagt, die Erhöhung von monatlich 340 Euro entspräche „in den unteren drei Entgeltgruppen, in denen fast 90 Prozent der Beschäftigten eingruppiert sind, einer Erhöhung von 16,1 bis elf Prozent“. Sie vergessen zu erwähnen, dass sie einer Laufzeit von 24 Monaten zugestimmt haben. Auf ein Jahr berechnet wären es 5,5 % bis acht Prozent! Wir hatten ursprünglich 15 Prozent gefordert! Zudem kommt diese Erhöhung erst zum Mai nächsten Jahres, wenn die Inflation noch größere Teile unserer Reallöhne aufgefressen haben wird.
Obwohl also bei beiden Angeboten die Höhe der Inflationsausgleichszahlungen, die Nullrunde für 2023 und die tabellenwirksame Erhöhung von 340 Euro gleichgeblieben sind, versuchte die Verdi-Führung diejenigen, die durch die Preissteigerungen weder ein noch aus wissen und Schulden angehäuft haben, mit der Einmalzahlung von 1020 Euro im April zu ködern. Doch das Geld wird uns dann in den folgenden Monaten entsprechend gestrichen, weil die Höhe der Einmalzahlung exakt gleich geblieben ist.
Verdi wollte in dieser Tarifrunde zwei Dinge erreichen: Erstens die seit Jahren anhaltende Senkung der Reallöhne fortsetzen und zweitens einen Streik verhindern.
Sie haben das bereits im Herbst des letzten Jahres vorbereitet. Die Konzertierte Aktion, zu der SPD-Kanzler Olaf Scholz Wirtschafts- und Gewerkschaftsvertreter eingeladen hatte, darunter auch Verdi-Chef Frank Werneke, hatte beraten, wie die Milliarden für die militärische Aufrüstung genauso wie die Rekordprofite der Konzerne in Zeiten der Inflation aufgebracht werden können. Sie waren sich alle einig, dass die Löhne deshalb nicht steigen dürfen.
Regierung, Wirtschaft und Gewerkschaften haben dann die 3000 Euro steuer- und abgabefreien Inflationsausgleichszahlungen genau für diesen Zweck verabredet. Damit konnten Gewerkschaften und Arbeitgeber unter der Inflationsrate liegende Tarifabschlüsse schönrechnen und Reallohnsenkungen durchsetzen.
So ist es dann in der Auto-, Stahl- und Chemieindustrie gekommen, jetzt hier bei uns, morgen soll es im öffentlichen Dienst wiederholt werden. Dort akzeptiert Verdi das Schlichtungsverfahren, um eine Urabstimmung über einen Streik abzublocken. Auch hier versucht Verdi die Kampfbereitschaft der 2,5 Millionen Beschäftigten abzuwürgen und Reallohnsenkungen im Interesse des Staates – Bund und Kommunen – durchzusetzen.
„Die Tarifrunde ist beendet“, jubelte die Verdi-Führung um Andrea Kocsis gleich am Freitag. Verdi erklärt unseren Kampf für beendet, doch er hat gerade erst begonnen. Die Tatsache, dass in dieser Tarifauseinandersetzung die enge Zusammenarbeit und regelrechte Verschwörung von Regierung, Unternehmen und Gewerkschaft gegen uns derart deutlich sichtbar wurde, zeigt nur, wie wichtig unsere Arbeit als Aktionskomitee ist. Wir bauen die Gegenbewegung auf, indem wir Verbindung zu den Kolleginnen und Kollegen im öffentlichen Dienst, aber auch in den Industriebetrieben aufbauen. Und zwar nicht nur hier, sondern international.
Wir stehen in engem Kontakt zu den kämpfenden Arbeitern in Frankreich und Großbritannien. Auf unserer ersten Online-Versammlung vergangene Woche berichtete ein Sprecher aus Paris über die Streiks und Straßenkämpfe in Frankreich. Dort ist es Präsident Emanuel Macron, der die Demokratie mit Füßen tritt und sich über die Opposition der Bevölkerung hinwegsetzt. Und genauso wie die Bundesregierung sich auf die Gewerkschaften stützt, versuchen auch die französischen Gewerkschaften mit dem „Präsident der Reichen“ in Verhandlungen zu treten, um die wachsende Mobilisierung zu stoppen.
Ein Kollege aus England berichtete auf dem selben Online-Treffen über den Kampf der Post-Beschäftigten in Großbritannien. Dort rebellieren unsere Post-Kollegen gegen ein Abkommen der Gewerkschaft Communication Workers Union (CWU) mit der britischen Post (Royal Mail). Auch hier hat die Gewerkschaft zwei Streikbeschlüsse ignoriert.
Doch die Arbeiter sind stärker als die Apparate. Es wächst eine mächtige internationale Bewegung heran, die den Lohnsenkungen im Interesse der Reichen und des Militarismus wirklich entgegentreten kann. Wir müssen unsere Arbeit als Aktionskomitee deshalb jetzt stark aufbauen und international vernetzen. Wenn wir unsere Interessen wirksam vertreten wollen, müssen wir in allen Stützpunkten, Verteilzentren und Büros unabhängige Aktionskomitees aufbauen, um die Kontrolle des Verdi-Apparats zu durchbrechen.
Um die weiteren Schritte unserer Arbeit zu diskutieren, nehmt an unserem nächsten öffentlichen Online-Treffen am kommen Montag um 19 Uhr teil. Der Link zu dem Treffen wird rechtzeitig unter www.wsws.org/post veröffentlicht. Ihr könnt anonym daran teilnehmen. Meldet euch außerdem beim Aktionskomitee per Whatsapp-Nachricht an die Mobilnummer +491633378340 oder registriert euch gleich hier über das folgende Formular.