Auf der Betriebsversammlung im Wolfsburger Volkswagen-Werk am Mittwoch hat die Gesamtbetriebsratsvorsitzende Daniela Cavallo die massenhafte Vernichtung von Arbeitsplätzen und die Lohnsenkungen, die sie und die IG Metall vereinbart haben, gegen Kritik aus der Belegschaft verteidigt.
Die Betriebsversammlung war einen Monat vorgezogen worden, weil es in der Belegschaft rumort. Nach und nach wird klarer, dass die IG Metall und Cavallo die 120.000 VW-Arbeiterinnen und Arbeiter verraten und verkauft haben. Anders als behauptet ist nach der Vernichtung von 35.000 Arbeitsplätzen und der Senkung der Reallöhne um bis zu 20 Prozent kein Standort, kein Arbeitsplatz und kein Lohn sicher.
Alles ist in der Schwebe und überhaupt nicht „gesichert“. Das wurde vor und während der Betriebsversammlung klar. Noch vor der Betriebsversammlung hatte Cavallo erklärt, es sei offen, wie das Arbeitsplatzmassaker ohne betriebsbedingte Kündigungen gelingen solle. „Die 35.000 Arbeitsplätze, die das Unternehmen bis 2030 abbauen will, werden nicht wie von Zauberhand verschwinden“, sagte Cavallo. Nur mit etwas mehr Altersteilzeit werde das nicht gelingen.
Aber wie es gelingen soll, erklärte sie nicht. Denn das wird sie kontinuierlich mit der Konzernspitze ausarbeiten. So malte VW-Markenchef Thomas Schäfer die Zukunft des Wolfsburger Werks in den rosigsten Farben aus, nur um schließlich festzustellen: Der elektrische T-Roc und der elektrische Golf-Nachfolger, die ab Ende des Jahrzehnts in Wolfsburg gebaut werden sollen, kommen nur, wenn das Werk die zwischen Betriebsrat und Vorstand vereinbarten Einsparziele erreicht.
Genau das regelt der so genannte „Zukunftstarifvertrag“ vom 20. Dezember letzten Jahres, den Gewerkschaft und Betriebsrat als „Weihnachtswunder von Hannover“ bejubelt hatten. In Paragraf 7 heißt es in der „Revisionsklausel“, dass der Konzern jederzeit den Abbau weiterer Arbeitsplätze und weitere Lohnsenkungen verlangen kann, wenn das Werk die angestrebte Profitmarge nicht erreicht.
Vertreter der World Socialist Website und der Sozialistischen Gleichheitspartei verteilten vor der Betriebsversammlung Tausende Flugblätter mit der Forderung, die Belegschaft über den Vertrag abstimmen zu lassen. Dessen Text ist der Belegschaft bis heute nicht vorgelegt worden. Viele Arbeiter, mit denen wir sprachen, forderten aber genau das. „Wann wird der Vertrag endlich offengelegt? Wir haben ein Recht darauf.“
Vor 20.000 Beschäftigten ging Cavallo auf die Revisionsklausel ein und spielte sie herunter. Sie habe nicht die Bedeutung, wie das kolportiert werde. Gemeint war offenbar die WSWS. Sie verteidigte den Ausverkauf der Belegschaft. Arbeiter berichteten, die Stimmung sei sehr angespannt gewesen, meist habe Totenstille geherrscht.
Cavallo behauptete, sie und die IG Metall hätten inmitten der Krise in der gesamten Autobranche ein Ergebnis erreicht, „um das uns ganz viele Belegschaften hierzulande beneiden“. Dies sei eine gute Ausgangslage für die Zukunft des VW-Konzerns.
Arbeiter sahen das anders. „Mich ärgert es, dass die Versammlung so friedlich ablief“, sagte ein Kollege. Das „spiegelt nicht die Realität wieder“. Die IG Metall habe erklärt, „warum sie Zugeständnisse machen ‚musste‘ und gleichzeitig den Schulterschluss geübt mit dem Unternehmen“.
„Das ist ein Sterben auf Raten“, folgerte einer, ein anderer: „Wir wurden beschissen.“
Ein junger Auszubildender machte sich Sorgen um seine Zukunft und überlegte, den Betrieb zu wechseln. Im Gespräch kritisierte er die soziale Ungleichheit: „Die, die schon viel Geld haben, stopfen sich immer mehr die Taschen voll, während wir, die arbeiten gehen, immer weniger haben. Das kann doch nicht sein.“ Dass hohe Summen in die militärische Aufrüstung fließen, lehnt er ab.
Ein älterer VW-Produktionsarbeiter schilderte seine Erfahrungen beim Konzern: „Ich bin Wolfsburger. Mein Vater hat noch den Aufstieg bei VW mitgemacht, ich nur noch den Niedergang.“ Er sei zu VW gegangen, um einen festen und sicheren Arbeitsplatz zu haben. Zeitweise sei er auch Vertrauensmann gewesen, aber habe es dann nicht mehr mit seinem Gewissen vereinbaren können, den Kollegen wichtige Informationen vorenthalten zu müssen.
Jetzt erlebe er täglich, wie bei VW der Druck von oben nach unten weitergereicht werde. Mit weniger Personal müssten sie heute mehr schaffen. Er habe von Kollegen gehört, dass Arbeiter in Gesprächen mit dem Management gezwungen würden, ihre „Fehler“ schriftlich einzugestehen, was wiederum als Druckmittel gegen sie eingesetzt werde.
Er selbst ist zunehmend wütend und wie viele, die eigentlich noch zehn Jahre vor dem Renteneintritt stehen, resigniert: „Noch ein paar Jahre, dann bin ich hier weg. Schon jetzt habe ich mich körperlich kaputt gemacht. Die jungen Leute tun mir leid. Sie wissen noch gar nicht, was ihnen blüht. Meinem Sohn habe ich jedenfalls eingeschärft, nicht bei VW zu arbeiten.“
Noch immer werde in den Medien die Lüge verbreitet, den VW-Arbeitern gehe es doch sehr gut. Er spüre hingegen die zunehmende soziale Krise. Einen eigenen Volkswagen könne er sich gar nicht leisten, geschweige denn ein E-Auto. Ob er seine kleine Wohnung angesichts der gestiegenen Ausgaben und Preise noch halten könne, wisse er nicht. Wenn er nach der Arbeit nach Hause komme, könne er oft nicht abschalten und einschlafen, weil ihm die Sorgen durch den Kopf gingen.
Eine Arbeiterin war besonders bestürzt, dass nun ausgerechnet die behinderten und beeinträchtigten Kolleginnen und Kollegen ihren Arbeitsplatz verlieren. VW wird in Wolfsburg die operative Werklogistik mit rund 1000 Beschäftigten an den privaten Dienstleister DC World verkaufen. Dort sind vor allem leistungsgeminderte und kranke Beschäftigte über das Projekt Work2Work eingestellt.
Eine Kollegin, die in diesem Bereich arbeitet, erinnerte daran, dass „dieser ganze Mist“ mit dem Dieselskandal 2014 begann, „den die da oben verbockt haben; Winterkorn und wie sie alle hießen“. „Und wir, die unterste Riege, wir können am wenigsten dafür, sind aber die, die am meisten leiden. Die Mitarbeiter in der Produktion werden immer älter“ und dadurch immer kranker.
Viele äußerten sich kritisch über Betriebsrat und Gewerkschaft. „Sie haben das vor Weihnachten schnell abgewickelt, damit es schick aussieht, aber die Details sind gar nicht ausgehandelt“, erklärte ein Arbeiter. Daniela Cavallo sei doch aufgestiegen und gekauft.
„Das die vorher schon alles in trockenen Tüchern hatten, das war ja klar“, sagte die Arbeiterin aus dem Work2Work-Projekt. „Wer schon lang genug in diesem Unternehmen arbeitet, weiß, dass das alles schon abgekartet war.“
Fast alle, die mit uns sprachen, halten es für dringend notwendig, dass sich Widerstand formiert. „Das müsste jetzt eigentlich schnell gehen“, sagte einer der Kollegen. Doch bei ihm und auch bei anderen besteht die Frage: Wie? Viele verlassen die IG Metall, weil diese nichts mehr voranbringe. Ein Kollege bestätigte das: „Ich bin zwar noch in der Gewerkschaft, aber überlege mir jetzt auszutreten.“
Cavallo hat auf der Betriebsversammlung einmal mehr bestätigt, dass sie auf Seiten des Konzerns steht. Der Kritik, mit einem härteren Arbeitskampf hätte ein besseres Ergebnis erzielt werden können, widersprach sie. Dadurch hätten sich die Fronten nur weiter verhärtet, was zu wohl noch drastischeren Einschränkungen geführt hätte. „Die Folge daraus wiederum wäre ein gelähmter Konzern gewesen, der in endlosen Konflikten versinkt.“
Deutlicher kann man nicht sagen, dass für den Betriebsrat die Handlungsfähigkeit des Konzerns oberste Priorität hat und die Interessen des Konzerns über denen der Belegschaft und der eigenen Mitglieder stehen.
Vielen VW-Beschäftigten wird bewusst, dass sie nicht einfach vor Aufgaben stehen, die mit mehr gewerkschaftlicher Militanz gelöst werden können, sondern dass sie vor politischen Aufgaben stehen. Dass die Angriffe auf sie mit den politischen Entwicklungen zusammenhängen. Den Abschluss am 20. Dezember „haben sie nur gemacht, damit wir jetzt im Januar und Februar nicht streiken, weil die Wahlen anstehen“, sagte eine Arbeiterin. „Sie wollen immer noch der SPD, den Grünen, der FDP den Arsch retten. Sind wir doch mal ehrlich.“
Gleichzeitig wird der Nationalismus der AfD von vielen abgelehnt. Sie wissen, dass sie weltweit mit 670.000 Beschäftigten im VW-Konzern eine Macht sein können. Viele Kollegen stimmen in der Diskussion zu, dass die globale Produktion eine internationale Vereinigung der Arbeiter erfordere.
Die SGP-Mitglieder diskutierten mit den VW-Arbeiterinnen und -Arbeitern darüber, wie SPD, Linkspartei und Gewerkschaften in den letzten Jahrzehnten ernsthaften Widerstand in den Betrieben unterdrückt haben und warum deshalb von den Gewerkschaften unabhängige Aktionskomitees und eine revolutionäre Arbeiterpartei notwendig sind.
Wenn Cavallo erkläre, dass die aktuelle wirtschaftliche Entwicklung – sprich: der Kapitalismus – es unmöglich mache, Arbeitsplätze und Löhne zu verteidigen, lasse das nur eine Schlussfolgerung zu: Der Kapitalismus ist bankrott und muss abgeschafft werden. Er muss durch ein System ersetzt werden, das die Interessen von Arbeiterinnen und Arbeitern höher stellt als die Gewinninteressen der Konzerne und Reichen, durch den Sozialismus.
Wir rufen dazu auf, sich wie andere Beschäftigte, über WhatsApp an die +491633378340 für die aktive Teilnahme am Aufbau der Aktionskomitees zu melden – in Wolfsburg und in den anderen von Abbau und Schließung betroffenen Werken.