Verbindung zwischen rechtem Bundeswehrnetzwerk und NSU-Opfer Michèle Kiesewetter

Von Woche zu Woche wird das Ausmaß des rechtsextremen Netzwerks in Geheimdiensten, Bundeswehr, Polizei und staatlichen Behörden deutlicher.

Vor allem die Berliner taz hat ausführlich über das rechtsextreme Bundeswehr-Terrornetzwerk rund um Franco A. und den Verein „Uniter“ recherchiert. Dabei sind die Autoren auch auf Verbindungen zur Polizistin Michèle Kiesewetter gestoßen, die am 25. April 2007 ermordet wurde, mutmaßlich als zehntes Opfer des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU).

Im November 2018 hatten der Focus und die taz erstmals über ein Terrornetzwerk aus Soldaten, Polizisten und Geheimdienstlern berichtet, das die Ermordung politischer Gegner und einen faschistischen Umsturz für einen „Tag X“ plane. Zu diesem Zweck sei eine Infrastruktur aus „Safe Houses“, geheimen Chatgruppen, Vorratslagern und Waffendepots in Deutschland, Österreich und der Schweiz errichtet worden. Getrieben von „Hass auf die Linken“ seien geheime Pläne entwickelt worden, um „Politiker aus dem linken Milieu festzunehmen und auf festgelegten Plätzen zu töten“.

Das Netzwerk stütze sich personell und organisatorisch auf den Verein ehemaliger Elitesoldaten „Uniter“ und das Kommando Spezialkräfte (KSK), die Eliteeinheit der Bundeswehr. Es unterhalte symbiotische Beziehungen zu anderen Teilen des Staatsapparats, insbesondere zu Elementen des Militärgeheimdiensts MAD, Mitgliedern des Verfassungsschutzes, aber auch zu Reservisten, Polizisten, Richtern und anderen Staatsbeamten.

Das KSK war Mitte der 1990er Jahre errichtet worden, als sich Deutschland wieder auf internationale Kriegseinsätze vorbereitete. Die 1100 Mann starke Elitetruppe macht keine Gefangenen. In Afghanistan war sie am Massaker von Kundus beteiligt.

Im KSK tummeln sich offensichtlich viele Rechtsradikale. Oberstleutnant Daniel K., der laut Deutsche Welle maßgeblich an der Gründung und am Aufbau der KSK beteiligt war, ist mittlerweile suspendiert worden. Er soll in Telefongesprächen erklärt haben, der Staat habe die Lage aufgrund des Zuzugs von Flüchtlingen nicht mehr im Griff, deshalb müsse „die Armee die Dinge nun selbst in die Hand nehmen“.

Der Verein „Uniter“, der ehemalige Elitesoldaten organisiert, wurde 2012 vom KSK-Soldaten André S., genannt Hannibal, gegründet. Der taz zufolge war der Uniter-Gründer über einen längeren Zeitraum auch Quelle und Auskunftsperson des deutschen Militärgeheimdienstes MAD.

Mindestens zweimal soll auch der rechtsextreme Bundeswehrsoldat Franco A. an Treffen in Baden-Württemberg teilgenommen haben, die Hannibal organisiert hatte. Franco A. geriet 2017 in die Schlagzeilen, weil er sich parallel zu seiner Tätigkeit als Bundeswehroffizier als syrischer Flüchtling hatte registrieren lassen. Zusammen mit zwei weiteren Komplizen – Maximilian T. und Mathias F. – plante er offenbar Anschläge auf hochrangige Politiker und Persönlichkeiten, die er dann Flüchtlingen in die Schuhe schieben wollte.

„Uniter“ bildet derzeit unter anderem Rechtsextreme in einer eigenen Kampfeinheit namens „Defense Corps“ aus. Im Sommer 2018 hatte „Uniter“ ein Training im baden-württembergischen Mosbach veranstaltet. Hannibal schulte dort Männer im Umgang mit Waffen „in Gefechtssituationen“. Laut Zeugenaussagen kam das Training einer paramilitärischen Ausbildung gleich.

„Uniter“ bietet seine Dienste auch im Ausland an. So hat sich der Verein im Februar 2019 anerboten, Polizisten und Soldaten des rechtsextremen philippinischen Präsidenten Rodrigo Duterte militärtaktisch zu trainieren.

Auch nach Österreich pflegt „Uniter“ enge Verbindungen. Wie Der Standard am 15. März berichtete, war der Verein bis vor wenigen Wochen Mitglied eines Pseudo-Ritterordens namens Lazarus Union, der auf einer alten Burg bei Wien seinen Sitz hat.

Vizepräsident der Lazarus Union ist laut Vereinsregister „Uniter“-Gründer André S.. Die Lazarus Union besitzt einen Sonderberaterstatus bei den Vereinten Nationen und ist laut einer Pressemitteilung des Schweizer Ablegers von „Uniter“ im Zusammenhang mit UN-Mandaten international tätig.

André S. sei vor zwei Wochen zudem mit Namensschild auf der Waffenmesse Enforcetek in Nürnberg aufgetaucht, berichtet Der Standard – und zwar am Stand einer österreichischen Firma, der High Profile Protection GmbH aus Kärnten. Diese wiederum verlinke unter dem Namen „Tacticalbros“ auf Facebook immer wieder auf „Uniter“. „Tacticalbros“ bietet Waffen sowie „Ausbildungen“ und Trainings an, etwa „für Scharfschützen und Spotter“. Laut Beschreibung handelt es sich bei den „Ausbildern“ um Veteranen von Spezialeinheiten und der Nato.

Inzwischen hat die taz eine unmittelbare Verbindung zwischen „Uniter“ und dem baden-württembergischen Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) sowie eine indirekte Verbindung zum NSU entdeckt. Denn als André S. „Uniter“ im Mai 2016 in Stuttgart neu gründete, war auch ein Mann namens Ringo M. beteiligt. Ringo M. war damals Polizist und laut taz seit 2015 Mitarbeiter des baden-württembergischen Verfassungsschutzes.

Zehn Jahre früher, 2005, war Ringo M. Mitglied der damals neu geschaffenen Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit BFE 523 der Bereitschaftspolizei in Böblingen geworden. In dieser 50-köpfigen Sondereinheit, die 2014 wieder aufgelöst wurde, tummelten sich offensichtlich viele Rechtsradikale. Es habe Kollegen gegeben, zitiert die taz einen Polizisten, „die die Musik rechtsradikaler Bands hörten, das seien überwiegend Kollegen aus dem Osten gewesen“.

Zwei Mitglieder der BFE waren Mitglied des deutschen Ablegers des Ku-Klux-Klan, den der V-Mann des Verfassungsschutzes Thomas Richter mitbegründet hatte. Richter hatte sich unter dem Decknamen „Corelli“ jahrelang im Umfeld der NSU-Terroristen bewegt, bevor er 2014 unter mysteriösen Umständen starb.

Chef der BFE 523 war damals Polizeihauptkommissar Thomas B., ein ausgebildeter Scharfschütze. Heute berät er gemeinsam mit einem ehemaligen SEK-Polizisten Firmen, die Mitarbeiter in unsichere Staaten schicken wollen, etwa nach Libyen. Die beiden hatten schon vor vielen Jahren in Libyen unter Muammar al-Gaddafi Soldaten im Nahkampf ausgebildet.

Mitglied der BFE 523 war damals auch Michèle Kiesewetter. Die junge Polizistin wurde am 25. April 2007 angeblich vom NSU in Heilbronn erschossen. Das Motiv und die genauen Tatumstände bleiben allerdings bis heute unklar.

Bekannt ist, dass die NSU-Morde unter den Augen der Geheimdienste stattfanden, im direkten Umfeld des NSU mehrere Dutzend Verfassungsschutz-Leute aktiv waren und selbst der Verdacht nicht ausgeschlossen werden kann, dass auch ein NSU-Mitglied für einen Geheimdienst arbeitete. Die taz schreibt zwar, sie habe bisher „keine Verbindung zwischen Hannibals Schattennetzwerk und den NSU-Tätern“ gefunden. Der thüringische Untersuchungsausschuss zum NSU hat Ringo M. im April aber zu einer Sitzung vorgeladen.

Die Verbindungen des rechtsextremen Netzwerks reichen bis in den Bundestag hinein. Der AfD-Abgeordnete Martin Hess, der für seine Partei im Innenausschuss sitzt, war früher Ausbilder der BFE 523. Und der AfD-Abgeordneten Jan Nolte, der im Verteidigungsausschuss sitzt, beschäftigt Maximilian T., den Komplizen von Franco A., als persönlichen Referenten.

Laut Recherchen der Zeit beschäftigt die Bundestagsfraktion der AfD mindestens 27 Aktivisten und Anhänger rechtsradikaler Organisationen. Die Zeit spricht von einem „Nazi-Netzwerk im Deutschen Bundestag“.

Die Geheimdienste decken die Rechtsextremen, indem sie Ignoranz vortäuschen oder Auskünfte verweigern. So erhielten die Abgeordneten des Verteidigungsausschusses, die Ende Januar von den Geheimdiensten Auskünfte zu „Uniter“ erfragten, keine Informationen. Die Vertreterin des BND behauptete, der Auslandsgeheimdienst habe keine Erkenntnisse über eine Organisation, die international paramilitärische Trainings anbietet. Weder der MAD noch das Bundesamt für Verfassungsschutz wussten angeblich, was das „Defense Corps“ von „Uniter“ sei.

Recherchen der taz haben jedoch ergeben, dass der Verfassungsschutz in Baden-Württemberg mindestens einen Informanten im Verein „Uniter“ hat. Der MAD-Kontaktmann von Franco A. ist zudem angeklagt, weil er diesen 2017 vor einer Razzia im Stützpunkt der KSK in Calw gewarnt haben soll.

In der deutschen Geschichte sind die Verstrickungen des Staatsapparates mit rechtsextremen Terrorgruppen gut dokumentiert. In der Weimarer Republik hatte es zahlreiche Gruppen gegeben, die hunderte, vorwiegend linke politische Gegner ermordeten. Die bekannteste war die Organisation Consul, auch „Schwarze Reichswehr“ genannt.

Nach dem Zweiten Weltkrieg bauten dann die US-Geheimdienste mithilfe alter Nazis „Stay-Behind-Truppen“ auf, die im Falle eines Überfalls der Sowjetunion ebenfalls linke und sozialdemokratische Politiker ermorden sollten. Anfang der 1950er Jahre wurden diese Truppen dem BND unter seinem Chef Reinhard Gehlen zugeordnet, der unter den Nazis für die Spionage im Ost zuständig gewesen war. Die geheime Truppe soll erst im Herbst 1991 aufgelöst worden sein.

Nun leben diese alten Strukturen wieder auf. Der Grund ist einerseits der Drang Deutschlands, weltweit wieder als militärische Großmacht aufzutreten. Andererseits reagieren die Herrschenden auf die wachsende Opposition gegen Militarismus und Krieg, gegen soziale Ungleichheit und den Aufbau eines Polizeistaats, indem sie Rechtsextreme und Faschisten fördern.

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