Trotz Schulstreiks und Protesten: Schulen und Kitas bleiben offen

Am Mittwoch, den 25. November hat der Corona-Gipfel der Bundeskanzlerin mit den 16 Regierungschefs der Länder eins gezeigt: Die Regierungen halten Betriebe, Schulen und Kitas weiter offen und setzen damit die tödliche Durchseuchungspolitik fort. 

Offene Schulen und Betriebe bedeuten auch überfüllte öffentliche Verkehrsmittel

Zwar werden die Kontaktbeschränkungen für die Hotellerie, das Gastgewerbe und die kulturellen und Freizeiteinrichtungen bis zum 20. Dezember verlängert, und im privaten Bereich dürfen sich nur noch fünf Personen aus zwei Haushalten treffen. Aber in den Bildungseinrichtungen gibt es keine verbindlichen Beschlüsse.

Angekündigte Maßnahmen, wie die einheitliche Regelung über Wechselunterricht, Luftfilter und systematische Kontaktverfolgung an den Schulen, bleiben, wenn überhaupt, den Ländern überlassen, und sie tragen den Charakter von „Empfehlungen“. Sie beziehen sich zudem nur auf sehr hohe Inzidenzzahlen von 200 Infizierten pro 100.000 Einwohner und auf die höheren Jahrgänge ab der 8. Klasse.

Die Regierungen folgen nach wie vor der falschen und längst widerlegten Prämisse, dass jüngere Kinder weniger ansteckend seien. Dies machte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) am Donnerstagmorgen deutlich, als sie im Bundestag in ihrer Regierungserklärung wiederholte, dass Kinder bis zu 14 Jahren bei den Kontakten nicht mitgezählt werden müssten, „weil sie auch für das Infektionsgeschehen nicht so relevant sind, das ist die Erkenntnis“. Das ist eine platte Lüge, was sie als promovierte Physikerin natürlich weiß.

Auch Merkels ursprünglicher Vorschlag, im Fernverkehr während des gesamten Winters nur Plätze am Fenster anzubieten, um den Abstand zwischen den Passagieren zu vergrößern, bleibt im Bereich einer Empfehlung an die Deutsche Bahn AG (die dem Bund gehört). Die Einschränkung, dass sich im Einzelhandel pro 20 Quadratmeter nur noch ein Kunde aufhalten darf, soll mit großzügigen Sonntagsöffnungen bis Weihnachten kompensiert werden. Über Weihnachten bis zum 1. Januar wollen die Regierungschefs alle Maßnahmen lockern und private Feiern bis zu zehn Personen aus verschiedenen Haushalten erlauben. Auch die Silvesterknallerei soll möglich sein.

Bereits am Tag dieser Beschlüsse, die das Infektionsgeschehen weiter antreiben werden, haben die Todesfälle einen traurigen Höchststand erreicht: Nicht weniger als 410 Menschen waren in 24 Stunden an Sars-CoV-2 gestorben. Das ist achteinhalb Mal so viel wie noch am 2. November, als 49 Menschen starben. Die bisher höchste Zahl lag in Deutschland Mitte April bei 315 Verstorbenen. Auch am Donnerstag wurden weitere 389 Todesfälle gemeldet.

Auch die Neuinfektionen sind mit fast 19.000 am Mittwoch und über 22.000 am Donnerstag nach wir vor auf einem hohen Stand, und die Dunkelziffer ist sehr hoch, denn es wird wenig getestet. Die Gesamtzahl erreicht in dieser Woche erstmals eine Million Coronavirus-Fälle und über 15.000 Tote. Der Sieben-Tages-Durchschnitt beträgt täglich 18.500 Neuinfektionen. Weltweit hat die Zahl der registrierten Infektionen 60 Millionen überschritten, und bisher sind mehr als 1,4 Millionen Menschen an der grausamen Lungenkrankheit gestorben.

Drei Faktoren haben die Regierungen von Bund und Ländern veranlasst, ihren „Lockdown-light“ zu verlängern – ohne indessen wirklich konsequente Maßnahmen zu verhängen: In den Alten- und Pflegeheimen führen immer neue Ausbrüche zu verzweifelten Situationen mit Dutzenden Toten. Mindestens jede zehnte Einrichtung ist von Corona betroffen, und die Hälfte aller Toten stammt aus diesem Bereich. Zweitens sind die Intensivstationen am Limit, die Betten sind mehr und mehr komplett belegt und die Mediziner schlagen Alarm. Beides ist die Folge des rücksichtslosen Offenhaltens von Betrieben, Schulen und Kitas sowie Verkehrsbetrieben.

Der dritte Faktor ist der wachsende Widerstand an den Schulen und Berufsschulen, mit dem die Regierungen konfrontiert sind: An immer mehr Einrichtungen werden Jugendliche aktiv, und die Lehrkräfte und Eltern stehen zunehmend auf ihrer Seite. In den letzten drei Tagen gab es Protestaktionen und Demonstrationen in Mönchengladbach, Düsseldorf, Essen, Frankfurt und Bremerhaven. Die Jugendlichen fordern nichts weniger als einen sicheren Unterricht, bei dem sie weder das Leben ihrer Familienangehörigen noch ihr eigenes täglich aufs Spiel setzen müssen.

Entsprechend sind die Reaktionen auf den Coronagipfel in den sozialen Medien, wo viele Schüler, Eltern und Lehrer ihrer Wut freien Lauf lassen. Einen „Schlag ins Gesicht für den Infektionsschutz in Schulen“, nennt KinderdocNina die Beschlüsse der Regierungspolitiker. Nicole schreibt: „Es ist ein Skandal, was hier passiert! Irgendwann kommt es an die Öffentlichkeit, und sie werden bezahlen – die Kranken und Toten haben dann nur nix davon.“

Marjorie schreibt: „Kein Verzeihen, kein Vergessen. Die Politik hat uns heute ins Gesicht gespuckt.“ Die Lehrerin Miss Teached stellt ein Video ihrer Schüler ins Netz, das die breit propagierten Regierungsspots karikiert und die Verzweiflung der Schüler deutlich macht.

„Ich wünsche euch, dass ihr erntet, was ihr sät!“ schreibt Kiouki, die eine traurige Nachricht meldet: Sie habe „gerade vom Tod des Paten meines Sohnes erfahren. Montag nur Fieber, gestern Tod. KEINE VORERKRANKUNG! Und ihr KM’s [Kulturminister] und MP’s [Ministerpräsidenten] wollt allen Ernstes Präsenzpflicht ohne Schutz!“ In der Kommentarleiste des Lehrerportals News4teachers.de schreibt ein Lehrer: „Bei uns ist gerade ein 45jähriger Vater eines Grundschulkindes am Coronavirus verstorben. Schlimm.“

Immer größer wird die Kluft zwischen der arbeitenden Bevölkerung und den Politikern aller Parteien. Letztere halten stur daran fest, dass jüngere Kinder „keine Pandemietreiber“ seien. Das hat Ties Rabe (SPD), der Schulsenator von Hamburg, am Dienstag in den Tagesthemen mit seiner Bemerkung, „dass Schule ein Stück weit überschätzt wird in Bezug auf die Gefahren“, erneut wiederholt. Es sei „bemerkenswert“, dass sich „die mit Abstand meisten Schülerinnen und Schüler nicht in der Schule, sondern außerhalb“ infizierten. Für den Hybridunterricht müssten die Schüler „einen hohen Preis bezahlen“, so Rabe.

Auch die Lehrergewerkschaft GEW hatte ihren Forderungen an die Kanzlerrunde diese längst widerlegte Mär zugrunde gelegt und gefordert: „Ab der 5. Klasse 1,50m Abstand. Dafür müssen Klassen geteilt werden.“ Aber was ist mit der 4. Klasse und den jüngeren Kindern? Was mit den Kitas? Auch die GEW zielt mit ihren Forderungen darauf ab, die Schulen und Kitas offen zu halten.

Alle Bildungseinrichtungen sind für das Infektionsgeschehen von größter Bedeutung. Dies hat das Robert-Koch-Institut wiederholt betont, und die Universitäten Oxford und Wien haben in großen Studien nachgewiesen, dass die Schließung der Schulen auf dem Höhepunkt der ersten Welle die mit Abstand wirksamste Maßnahme zur Pandemie-Bekämpfung war.

Auch der Charité-Virologe Christian Drosten machte dies in seinem jüngsten NDR-Corona-Update klar, als er sagte: „Wie wir wissen, ist die Biologie bei Kindern dieselbe wie bei Erwachsenen. Wenn wir nichts machen, dann breitet sich das Virus in den Schulen explosionsartig aus.“

Nach den Zahlen des RKI haben sich bisher fast 28.000 Kinder und 13.000 Pädagogen infiziert, und drei Schüler und elf Lehrkräfte haben den Kampf gegen das Virus verloren. Viele Fälle werden vertuscht, wie zahlreiche Schüler berichten. Mehrere Landkreise sehen sich gezwungen, die Einrichtungen komplett zu schließen, weil die Infektionszahlen derart explodiert sind, wie zuletzt das thüringische Hildburghausen, wo die 7-Tages-Inzidenz pro 100.000 Einwohner auf über 500 angestiegen ist.

Selbst die Wissenschaftsakademie Leopoldina hat am 16. November in einer Erklärung zu den Schulen eingeräumt: „Der Schwellenwert von 50 Infektionen pro 100.000 Einwohner in den letzten sieben Tagen ist deutlich überschritten, besonders deutlich bei den 10- bis 19-Jährigen. Selbst die Inzidenz der Grundschülerinnen und Grundschüler ist mit einem Wert von 88,8 in Kalenderwoche 45 überaus hoch. Dabei ist eine hohe Dunkelziffer zu beachten, d.h., de facto dürften die Inzidenzen deutlich höher sein.“ Und die Akademie, die normalerweise als regierungsnah bekannt ist, kommt zum Schluss: „Schülerinnen und Schüler sind ein wesentlicher Teil des Infektionsgeschehens.“

Aber die Regierungschefs von Bund und Ländern sind nicht der Gesundheit und dem Leben der arbeitenden Bevölkerung verpflichtet, sondern den Aktienkursen und Gewinnen der Unternehmen. Schulen und Kitas sollen als Verwahranstalt offenbleiben, damit die Eltern weiterarbeiten und auch die nicht-existentiellen Betriebe im Interesse der Profitwirtschaft weiterlaufen können. Am Mittwoch wurden nur die Weihnachtsferien um wenige Tage verlängert – eine Maßnahme, die auch dem Weihnachtsgeschäft zugutekommt. Schüler, Lehrer und Eltern und die ganze arbeitende Bevölkerung stehen einer geschlossenen Phalanx von Politikern aller Parteien gegenüber, zu denen auch die Gewerkschaften zählen.

Erst vor wenigen Tagen hatte dieselbe Regierung auf ihrem Autogipfel beschlossen, weitere fünf Milliarden Euro für E-Autos und LKW-Abwrackprämien aufzubringen. Sie hatte neun weitere Milliarden für die Rettung der Lufthansa beschlossen, von den großen, hunderte Milliarden schweren Corona-Hilfspaketen für Wirtschaft und Banken im Frühjahr und der ständigen Aufrüstung des Militärs ganz zu schweigen. Aber für sichere, gesunde und gute Schulen und Kitas weigern sich die Regierungspolitiker, die notwendigen Milliarden in die Hand zu nehmen.

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