Die vergangene Woche war in Deutschland mit offiziell 175.314 Infektionen und über 4300 Toten (3050 in der Vorwoche) die mit Abstand schlimmste Woche in der Covid-19-Pandemie. Europaweit überschritt die Zahl der Todesopfer gestern die katastrophale Marke von einer halben Million. Nachdem in den letzten Wochen Berichte über tödliche Massenausbrüche in Altenheimen die Schlagzeilen dominiert hatten, zeigt die „Profite vor Leben“-Politik der letzten Monate nun auch an den Kliniken immer deutlicher ihre mörderischen Folgen.
Die Pforzheimer Zeitung berichtet von einer Klinik in Tettnang am Bodensee, die am 10. Dezember einen Aufnahmestopp erlassen hatte, weil das Virus bei insgesamt 34 Menschen festgestellt worden war. Drei infizierte Patienten mussten damals wegen starker Symptome in das 13 Kilometer entfernte Friedrichshafen verbracht werden. Mittlerweile sind 84 Mitarbeiter und 26 Patienten infiziert – nur fünf der verbliebenen Patienten wurden negativ getestet.
Im Klinikum Wangen im Allgäu (Landkreis Ravensburg), das derzeit 18 Covid-Patienten behandelt, sind 28 Mitarbeiter – darunter acht Ärzte – infiziert und befinden sich in Quarantäne. Die Klinik behandelt neben Covid-19-Fällen nur noch Notfälle und führt Entbindungen durch – obwohl das Virus auch für Schwangere besonders tödlich ist. Die Klinik von Pfullendorf (Kreis Sigmaringen) meldet drei infizierte Mitarbeiter und hat ebenfalls einen Aufnahmestopp verhängt.
In Sachsen ist der Mangel an Intensivbetten für Covid-19-Patienten unterdessen „deutlich größer als offiziell gemeldet“, berichtet der MDR. Während das DIVI-Intensivregister für die Landkreise Bautzen, Dresden, Sächsische Schweiz Osterzgebirge, Görlitz und Meißen 50 freie Intensivbetten ausweist, stehen laut den Bettenlisten der Krankenhausleitstelle in Wirklichkeit lediglich rund 20 zur Verfügung – also weniger als die Hälfte. Ein Grund dafür, so das Klinikum Görlitz, sei „krankes oder in Quarantäne befindliches Personal, wodurch freie Betten nicht belegt werden können“.
Laut einem Bericht der dpa müssen auf Grund der hohen Todeszahlen mittlerweile auch in Zittau in Ostsachsen Leichen zwischengelagert werden. Die Toten werden „im Bereich des Hochwasserstützpunkts“ gelagert und erst „bei Freigabe zur Einäscherung“ ins Krematorium gebracht, habe die Stadt Zittau am Dienstagabend mitgeteilt. Im hessischen Hanau war bereits in der vergangenen Woche ein Kühlcontainer für Corona-Tote auf dem Hauptfriedhof der Stadt in Betrieb genommen worden, um die Leichen aus den völlig überlasteten Krankenhäusern zu lagern.
Neben den von der Pandemie überwältigten Corona-Brennpunkten in Sachsen gibt es mittlerweile auch in Bayern, Thüringen und Brandenburg jeweils Landkreise mit 7-Tage-Inzidenzen zwischen 500 und 680 Fällen pro 100.000 Einwohner. In Bayern sind bereits in acht Städten und Landkreisen aus dem ganzen Landesgebiet alle Intensivbetten belegt.
Da der verheerende Mangel an Personal dort die Situation weiter verschärft, suchen die Landkreise der Metropolregion Nürnberg/Fürth/Erlangen in einem „Hilferuf“ an die Bevölkerung nun nach Hilfskräften, die das Personal in den Krankenhäusern entlasten sollen. Wie der Münchner Merkur berichtet, ist die „Übersterblichkeit durch Corona“ in Bayern so groß, dass „die Bevölkerung erstmals seit langer Zeit schrumpft“. Je nach Region seien die Todeszahlen im Schnitt zwischen sechs und 18 Prozent höher als in den Jahren von 2016 bis 2019.
Auch Mecklenburg-Vorpommern, das als Bundesland mit niedriger Bevölkerungsdichte bislang nicht im Zentrum der Pandemie stand, rechnet offenbar mit einem baldigen Zusammenbruch des Gesundheitssystems. Wie der NDR berichtet, werden dort derzeit fünf Rehakliniken zu Hilfskliniken umgewandelt, an denen Patienten mit abklingenden Covid-19-Symptomen und anderen Krankheiten versorgt werden sollen.
Am Wochenende löste der Tod eines 38-jährigen Lehrers einer Gesamtschule im Berliner Arbeiterstadtteil Kreuzberg eine Welle der Wut und Fassungslosigkeit aus. Die World Socialist Web Site hat darüber berichtet. Soydan A., der laut Tagesspiegel zuvor bei bester Gesundheit war, kämpfte über einen Zeitraum von 32 Tagen gegen die tödliche Krankheit, der er schließlich erlag. Er war einer von tausenden Pädagogen, die infolge des erzwungenen unsicheren Präsenzunterrichts mit dem Virus infiziert wurden.
Allein den offiziellen Zahlen des Bildungsministeriums von Berlin zufolge sind 370 Mitarbeiter von allgemeinbildenden Schulen in der Hauptstadt Corona-positiv, außerdem 988 Schüler. Aus der Statistik des Robert-Koch-Instituts (RKI) geht hervor, dass in der vergangenen Woche drei Covid-erkrankte Pädagogen gestorben sind.
In Nordrhein-Westfalen haben Berechnungen ergeben, dass der 7-Tages-Inzidenzwert unter Lehrern im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung im Oktober und November regelrecht explodiert ist: Von 183 in der Kalenderwoche 44 (NRW-weiter Durchschnitt: 162) über 280 in KW 45 (Durchschnitt: 175), bis auf 368 in KW 46 (Durchschnitt: 171) und schließlich 361 in KW 47 (Durchschnitt: 159). Laut diesen offiziellen Zahlen der Landesschulbehörden waren Lehrer im November einer mehr als doppelt so hohen Ansteckungsgefahr ausgesetzt als die Gesamtbevölkerung.
Trotzdem wird die vollständige Öffnung der Schulen nach dem Ende der Weihnachtsferien und des offiziellen „Lockdown“ am 10. Januar hinter dem Rücken der Bevölkerung bereits intensiv vorbereitet. „Innerhalb der Kultusministerkonferenz“ sei man sich „einig“, dass „der persönliche Kontakt zwischen Lehrkraft und Schüler durch nichts zu ersetzen“ sei, zitiert der Spiegel Brandenburgs Kultusministerin Britta Ernst, die ab Januar den Vorsitz der Konferenz übernehmen soll. Insbesondere „die SPD-Länder“, so das Nachrichtenmagazin, wollen ab dem 10. Januar „ihre Schulen wieder öffnen oder haben sie gar nicht erst geschlossen“.
Diese mörderische Politik trifft in der Bevölkerung auf überwältigende Ablehnung. So hat eine Erhebung des Deutschland-Trends der ARD hat erneut ergeben, dass 85 Prozent der Wahlberechtigten die geltenden Eindämmungsmaßnahmen für „angemessen“ oder „nicht weitgehend genug“ halten. Obwohl jedes zweite Elternteil über „starke Belastungen“ klagt, befürworten zwei Drittel der Befragten die Schließung der Schulen bzw. die Aussetzung der Präsenzpflicht.
Angesichts dieser massiven Opposition greifen Kultusminister und Landesregierungen in ihren Bestrebungen, schnellstmöglich zum Präsenzunterricht zurückzukehren, immer offener auf pseudowissenschaftliche Propaganda und Lügen zurück. So gab Hamburgs Schulsenator Ties Rabe Ende November „zusammen mit der Kultusministerkonferenz (KMK) eine neue Studie“ über das Infektionsgeschehen an Schulen in Auftrag, die „auf Basis der Hamburger Schuldaten“ durchgeführt werden solle.
Wie das ARD-Magazin Panorama am Donnerstag berichtete, solle sich „die Hamburger Schulbehörde“ bei der Studie auch „um die Vorbereitung kümmern“. Dazu, so Rabe, habe man „unsere Hamburger Daten alle aufgearbeitet“ – allerdings ohne irgendeine Beteiligung epidemiologischer oder virologischer Experten.
Der SPD-Politiker Ties Rabe ist in der Frage der Schulöffnungen als Hardliner bekannt, dessen Behörden Corona-Infektionen an Schulen seit der ersten Stunde systematisch vertuscht haben. Gestützt auf die gezinkten Zahlen seiner Behörde hatte Rabe zuletzt die Ergebnisse einer internen „Zahlenauswertung“ präsentiert, der zufolge sich 80 Prozent der infizierten Schüler „vermutlich gar nicht in der Schule infiziert“ hätten.
„Der Sündenfall der deutschen Bildungspolitik in der Pandemie hat in dem Moment begonnen, als Erkenntnisse der Wissenschaft geleugnet, ignoriert oder umgedeutet wurden“, sagt der Bildungsjournalist Andrej Priboschek, Herausgeber des Online-Magazins News4Teachers, im Gespräch mit der World Socialist Web Site. „Gerade von Bildungsministern wird das Gerede von nicht-infektiösen Kindern immer wieder befeuert.“
Priboschek hatte vor einigen Wochen einen offenen Brief an die Ministerpräsidenten verfasst, in dem er die Politik des unsicheren Schulbetriebs in scharfen Worten verurteilte. „Ich habe diesen Brief auch deshalb verfasst, weil ich als selbstständiger Journalist und Familienvater selbst unmittelbar von dieser Politik betroffen bin. Wenn ich an Covid-19 erkranke und für zwei Wochen oder gar Monate krank werde, hätte das verheerende Folgen.“
„Wenn inmitten der Pandemie plötzlich die Bildungsgerechtigkeit ins Feld geführt wird“, so Priboschek, sei dies „grobe Heuchelei – darum hat sich in den vergangenen Jahrzehnten kein Mensch gekümmert. Dass sozial schwache Familien viel stärker von Corona bedroht sind, weil sie in engeren Verhältnissen leben und darauf angewiesen sind, die öffentlichen Verkehrsmittel zu nutzen, wird einfach ignoriert. In Wirklichkeit schickt man diese Menschen ins Feuer – das trifft besonders auf die SPD-geführten Landesregierungen zu.“
„Man muss auch sagen, dass zu Todesfällen an Schulen und Kitas nicht viele Informationen veröffentlicht werden“, so der News4Teachers-Herausgeber. Notwendig sei in diesem Zusammenhang auch eine „Kritik an meinen Kolleginnen und Kollegen in der Medienlandschaft“: „Außer uns und euch [WSWS] gibt es kein einziges Medium, das die Schulpolitik kritisiert oder auch nur versucht, die Faktenlage systematisch darzustellen.“
Im November hatte die Bezirksregierung Münster an alle Schulen ein „Handout“ verschickt, das die Schulleitungen dazu anhält, Informationen über etwaige Ausbrüche zu vertuschen und das Infektionsrisiko an Schulen zu beschönigen. In dem Schreiben heißt es unter anderem: „Machen Sie möglichst gar keine identifizierenden Angaben zu Verdachts- oder Infektionsfällen!“ Die Öffentlichkeit, so die Bezirksregierung, wolle „nicht hören, dass Sie Zweifel haben – sondern, dass Ihre Schule ein sicherer Ort ist!“
Bereits im September hatte die Kultusministerkonferenz beim Bundesumweltamt eine „Handreichung für alle Schulen“ in Auftrag gegeben. Sie kam zu dem Schluss, dass „regelmäßiges Lüften“ im Winter „einen wichtigen Einfluss auf die Verminderung der Viruslast“ habe und der „Einsatz von mobilen Luftreinigungsgeräten in Schulräumen“ daher „grundsätzlich nicht nötig“ sei. Die damalige KMK-Vorsitzende Stefanie Hubig (SPD) verwandte anschließend dieses Auftragsgutachten, um den Präsenzunterricht im Regelbetrieb zu rechtfertigen und den Einbau von Luftfiltern gegenüber protestierenden Eltern zurückzuweisen.
Am Freitag veröffentlichten führende Wissenschaftler in der medizinischen Fachzeitschrift The Lancet einen gemeinsamen Appell für „einen gesamteuropäischen Einsatz für eine schnelle und dauerhafte Reduktion der SARS-CoV-2-Infektionen“. Zu den Verfassern zählen Viola Priesemann, Melanie Brinkmann, Sandra Ciesek und 17 weitere Forscher aus ganz Europa.
Das in zwölf Sprachen publizierte Papier fordert für den ganzen Kontinent „ein gemeinsames Ziel von maximal zehn Covid-19-Fällen pro eine Million Einwohner und Tag“. Das entspricht einer Sieben-Tage-Inzidenz von sieben Fällen pro 100.000 Einwohnern oder maximal 830 täglichen Neuinfektionen in Deutschland. Nur so lasse sich die Ausbreitung des Virus nachhaltig eindämmen, erklären die Verfasser.
„Das Virus respektiert keine Grenzen“, begründete Initiatorin Priesemann (Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation Göttingen) die Forderung in einer Presseerklärung. „Nicht zuletzt um einen Ping-Pong-Effekt [der Fallzahlen] zu vermeiden“, müssten „alle europäischen Länder die Fallzahlen gleichzeitig und so schnell wie möglich senken“. Dazu seien „durchgreifende Interventionen wie Lockdowns“ nötig. Es gehe nicht darum, „über einzelne Maßnahmen wie etwa Schulschließungen oder Einschränkungen im Arbeitsumfeld, im privaten Bereich oder im öffentlichen Verkehr [zu] diskutieren, sondern alle Maßnahmen um[zu]setzen“, so Priesemann.
Mehr als 300 weitere Wissenschaftler haben das Papier unterzeichnet. Zu den deutschen Unterzeichnern des Positionspapiers zählen Max-Planck-Präsident Martin Stratmann, der RKI-Präsident Lothar Wieler, die Virologen Sandra Ciesek und Christian Drosten, Michael Meyer-Hermann vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung, sowie Gerald Haug, Präsident der Deutschen Nationalakademie und die Präsidenten mehrerer Forschungsorganisationen.
Die Umsetzung dieser Maßnahmen erfordert das unabhängige Eingreifen der Arbeiterklasse auf der Grundlage eines internationalen sozialistischen Programms. Die europäischen Regierungen haben bereits hunderttausende Menschenleben für die Interessen des deutschen und europäischen Kapitalismus geopfert und sind gewillt, diesen Kurs auch im neuen Jahr fortzusetzen. Dies muss unter allen Umständen verhindert werden.
Die Sozialistische Gleichheitspartei und ihre Schwesterparteien im Internationalen Komitee der Vierten Internationale rufen Arbeiter und Jugendliche auf, sich in unabhängigen Aktionskomitees zu organisieren und Streiks für die sofortige Schließung aller nicht lebensnotwendigen Betriebe und Schulen vorzubereiten. Unsere Forderungen lauten: Schließt die Schulen und Kitas und bereitet sichere Bildung vor! Milliardeninvestitionen in sichere und gute Bildung! Voller Lohnersatz für Eltern, die ihre Kinder betreuen müssen!
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