Wachsender Protest gegen tödlichen Regelbetrieb an den Schulen

Die Entscheidung der Politik, Schulen, Kitas und Betriebe unter unsicheren Bedingungen offen zu halten, kostet jeden Tag allein in Deutschland das Leben von hunderten Menschen, die eines völlig vermeidbaren und qualvollen Todes sterben. Am Mittwoch erreichte diese Ziffer mit 512 Toten einen neuen Höchststand – am Tag zuvor waren es 487. Weitere 17.000 bis 19.000 Menschen infizieren sich derzeit täglich und erkranken zum Teil schwer.

Trotzdem halten Bund und Länder an ihrem Kurs fest und sprachen sie am Mittwoch erneut gegen die Schließung der Schulen und der nicht lebensnotwendigen Produktion aus. Damit setzen sie die tödliche Durchseuchungspolitik fort und weitere zehntausende Menschenleben aufs Spiel. Die Test-Positivenquote ist in den vergangenen Wochen stark angestiegen und liegt bei 9,3 Prozent – fast doppelt so hoch wie der von der WHO angegebene Schwellwert von 5 Prozent, ab dem die Pandemie außer Kontrolle zu geraten droht.

„Wir sehen, dass die Gesundheitsämter zunehmend erschöpft sind“, sagte Professor Lothar Wieler, Präsident des Robert-Koch-Instituts (RKI), am Mittwoch auf einer Pressekonferenz. „Sie schaffen es zum Beispiel nicht mehr zu ermitteln, wo sich die Betroffenen angesteckt haben. Wir sehen immer mehr Ausbrüche in Alten- und Pflegeheimen.“ In einigen Regionen, so Wieler, seien die Krankenhäuser erneut an der Belastungsgrenze. Die Zahl der schweren Verläufe und Todesfälle steige „von Woche zu Woche“. Aufgrund der Zeitverzögerung zwischen Infektion und Tod sei noch „mit vielen weiteren“ zu rechnen.

Auch der Charité-Virologe Christian Drosten bekräftigte am Mittwoch auf Twitter mit Blick auf die Zahlen des RKI-Berichts, dass es sich dabei u.a. aufgrund von „Untertestung“ um „Mindestmaße“ handele und daher „mit Nachmeldungen zu rechnen“ sei. Um bei der Darstellung der Inzidenzzahlen die am schwersten betroffenen Landkreise markieren zu können, hat das RKI in seinem Tagesbericht mittlerweile zum dritten Mal eine neue, noch höhere Kategorie einführen müssen.

Die Tatsache, dass der November der bislang mit Abstand tödlichste Monat der Pandemie war, stellt eine vernichtende Anklage gegen das kriminell inadäquate Regierungshandeln dar, das ausschließlich darauf ausgerichtet ist, die Unternehmensbilanzen deutscher Konzerne zu schützen, die Finanzmärkte zu stabilisieren und den Weihnachtskonsum nicht zu gefährden.

Eine Schlüsselrolle in diesem Kalkül spielen die Schulen und Kitas – nicht als sichere Stätten der Bildung und freien Entfaltung, sondern als „Verwahrungsanstalten“ von Kindern und Jugendlichen, die ihren arbeitenden und produzierenden Eltern nicht in die Quere kommen sollen.

Wieler räumte mit Blick auf die Schulen ein, dass dort „natürlich“ ebenfalls ein „Infektionsgeschehen“ stattfinde und fügte hinzu: „Wir nehmen immer mehr Ausbrüche im Schulsetting wahr. Wir haben insgesamt bis [Mittwoch] 636 Ausbrüche in Schulen übermittelt bekommen. In den letzten vier Wochen waren das 64 Ausbrüche pro Woche.“

Um „Oma und Opa“ zu schützen rief der RKI-Präsident dazu auf, die Corona-Regeln (Maske, Abstand, Lüften) zu befolgen und warnte die Bevölkerung vor den verheerenden Folgen einer mangelhaften „Compliance“. Die Verantwortung der Regierung erwähnte er mit keinem Wort.

Weitere Schulstreiks und Proteste gegen Präsenzunterricht in Bochum und Frankfurt

Doch Schüler, Eltern und Lehrer wissen nur zu gut, dass die individuelle Einhaltung der Hygieneregeln nicht genügt, um in vollgestopften Schulen und Kitas vor dem ansteckenden Virus in Sicherheit zu sein. Während Kinder und Jugendliche mit Schlafsäcken, Wärmflaschen und Regenschirmen zum Unterricht kommen, um angesichts der offenen Fenster und Minusgrade nicht zu frieren oder angeschneit zu werden, formieren sich im ganzen Land Proteste und Schulstreiks für sichere Bildung.

Wie der WDR berichtet, streikten am Mittwoch Schüler der Schiller-Schule in Bochum gegen den erzwungenen Präsenzunterricht inmitten der Pandemie, „um die eigene Gesundheit und die ihrer Familien zu schützen“. Laut Angaben der Schulleitung bleibt die Hälfte der Schüler dem Präsenzunterricht fern, in der Oberstufe seien „maximal fünf Prozent“ der Schüler anwesend gewesen. Schülersprecher Abdelbari Shniba erklärte gegenüber dem Sender: „Der Ärger über die aktuelle Corona-Schulpolitik ist natürlich groß. Das hängt vor allem damit zusammen, dass es oberste Priorität dieser Landesregierung ist, Präsenzunterricht mit allen Mitteln durchzusetzen.“ Er betonte, „dass wir nicht per se Unterricht, sondern Präsenzunterricht bestreiken“.

Presseberichten zufolge machte die Bezirksregierung Arnsberg in ihrer Rolle als Schulaufsichtsbehörde in einer „sachlichen Diskussion“ mit den Schülern „deutlich, dass es keinen Spielraum für Ausnahmeregelungen jenseits der landesweit gültigen Vorgaben“ gebe. Schulleitungen könnten Distanzunterricht nur dann „in Rücksprache mit der zuständigen Schulaufsichtsbehörde“ einrichten, wenn der Präsenzunterricht „durch Corona-bedingt fehlende Personalkapazitäten (…) nicht mehr sichergestellt werden kann“ – mit anderen Worten nur dann, wenn bereits massenhaft Lehrerinnen und Lehrer Opfer der Pandemie geworden sind.

In Frankfurt streikten bereits am Montag hunderte Schüler für sichere Bildung und ein Wechselmodell für den Schulunterricht. Dreihundert Schüler nahmen um 11 Uhr vormittags an einer Demonstration teil, zu welcher der StadtschülerInnenrat (SSR) Frankfurt am Main aufgerufen hatte. Wie die Hessenschau berichtete, fordern die Schüler die Bereitstellung von zusätzlichen Bussen und Bahnen für die Stoßzeiten und eine Verschärfung der Hygieneregeln an den Schulen. „Der Regelunterricht in vollen Klassenzimmern ist eine Gefahr für die Schülerinnen und Schüler, die Lehrkräfte und deren Familien“, erklärte SSR-Vorstandsmitglied Hannes Kaulfersch.

Die Schulstreiks in Bochum, Frankfurt und anderen Städten stehen in einer Reihe mit massiven Protesten und Schulbesetzungen, die in den vergangenen Wochen und Monaten in Frankreich, Polen und Griechenland stattgefunden haben. Sie sind Bestandteil einer im Entstehen begriffenen internationalen Massenbewegung von Schülern und Arbeitern gegen die Durchseuchungs- und Austeritätspolitik der europäischen Regierungen, die nicht gewillt sind, auch nur die geringfügigsten Investitionen in den Gesundheitsschutz der Bevölkerung vorzunehmen.

Wut unter Lehrern

Auch unter Lehrern wächst der Widerstand. In einem viralen Videostatement auf Instagram stellt der Lehrer und Autor Bob Blume fest: „Eigentlich braucht man gar keinen Kafka mehr zu lesen – man muss nur in die neueste Verordnung reingucken.“ Dies zeige sich besonders eindringlich in der Weigerung der Landesregierungen, die Schulen zu schließen oder sicher auszustatten: „Wenn uns der Inzidenzwert zu hoch ist, dann setzen wir den Grenzwert einfach hoch!“ Er habe „sämtliche Klassenarbeiten vorziehen müssen“, sodass „die Schülerinnen und Schüler jetzt drei Klassenarbeiten in der Woche schreiben müssen“ und mit Prüfungen regelrecht „zugebombt“ würden.

Unterdessen fehle es an „Ressourcen für die Schulleitungen, die bis in den Abend in der Schule sitzen“. Wenn er die Zustände öffentlich anprangere, so Blume, interessiere das unter den Politikern „keine Sau“. Deren Haltung gegenüber der Pandemie und den Schulen fasst er mit den Worten zusammen: „Die Schüler sind einfach egal. Die Lehrer sind egal, die Schulleitungen sind egal – es ist ihnen einfach völlig egal.“

Auch Andrej Priboschek, Herausgeber des Bildungsmagazins News4Teachers, geißelt in einem offenen Brief an die Ministerpräsidenten der Bundesländer die Arroganz und Untätigkeit der Regierungspolitiker in scharfen Worten.

Angesichts des verlogenen Eingeständnisses des bayrischen Ministerpräsidenten Markus Söder, „dass täglich in Deutschland praktisch ein Flugzeug abstürzt“, so Priboschek, „stellt sich die Frage, warum Sie sich um die Flugsicherung (um im Bild zu bleiben) nicht kümmern. Im Gegenteil: Sie tun alles, um den Flugverkehr als Massenbetrieb uneingeschränkt aufrecht zu erhalten. Schlimmer noch: Sie treiben die Menschen sogar in die Flugzeuge hinein.“

Anstatt an Schulen für Sicherheit zu sorgen oder sie zu schließen, hätten die Regierungspolitiker vereinbart, „dass Schulen in den Wechselunterricht gehen könnten, wenn der Inzidenzwert vor Ort bei über 200 liegt – aber auch dann nur vereinzelt und wenn’s der jeweiligen Landesregierung gerade in den Kram passt.“ Und dies trotz der vom RKI zur Kenntnis genommenen „Hunderten von Ausbrüchen in Bildungseinrichtungen“. Die Empfehlungen des Instituts habe man auf der Ministerpräsidentenkonferenz „einfach in die Tonne getreten“.

Das Ergebnis dieser Entscheidung sei, dass „die Flugzeuge (…) auch weiterhin Tag für Tag vom Himmel fallen, während in Kitagruppen und Schulklassen tagtäglich rund 13 Millionen Kinder, Jugendliche und ihre Erzieher und Lehrer praktisch ungeschützt zusammengebracht werden, im Fall der Schulen aufgrund der Schulpflicht sogar verpflichtend.“ Unterdessen übe man sich in Vertuschung und achte „peinlichst genau darauf, dass keine Daten, die einen validen Überblick geben könnten, in die Öffentlichkeit gelangen“.

Der News4Teachers-Herausgeber widerspricht auch der Lüge, dass die Offenhaltung der Schulen irgendetwas mit Bildungsgerechtigkeit zu tun hätte: „Seit Jahrzehnten (…) wissen wir, dass gut und gerne 20 Prozent der Schüler – eben die aus armen Familien – abgehängt sind. (…) Und was haben Sie in den vergangenen 20 Jahren für diese Kinder getan? Nichts.“ Es gebe „keine schulübergreifenden Konzepte“ für Fernunterricht, keine angepassten Lehr- und Prüfungspläne, „keine digitale Ausstattung“ und kein zusätzliches Lehrpersonal, um den Schülern eine freiwillige Wiederholung des „verkorksten Schuljahres“ zu gewährleisten.

Stattdessen „müssen Millionen von Kindern und Hundertausende von Lehrern Tag für Tag bei Temperaturen im einstelligen Bereich unter Bedingungen in Schulen sitzen, die Sie sich und Ihren Mitarbeitern in den Staatskanzleien und Ministerien niemals zumuten würden. Der Bund spendiert seinen Spitzenbeamten für Dienstreisen ein zweites Ticket für Flugzeug und Bahn, damit die niemanden während des Flugs oder der Fahrt neben sich sitzen haben. Landesverwaltungen haben Landtage und Ministerien mit mobilen Luftfiltern ausgestattet. Sie selbst konferieren per Videoschalte und sitzen in den Landtagen hinter Plexiglas-Wänden. Aber die Kitas und Schulen müssen weitermachen, als gäbe es keine Pandemie.“

Mit ihrer „Unehrlichkeit gegenüber den Familien, den Erziehern und Lehrern“, folgert Priboschek, seien die deutschen Ministerpräsidenten seien „keinen Deut besser“ als der US-Präsident und notorische Lügner Donald Trump, dessen Regierung für den Tod von Hunderttausenden verantwortlich ist.

Um die mörderische „Profite vor Leben“-Politik zu stoppen, müssen Schüler, Lehrer, Erzieher und Eltern ihre Sicherheit in die eigenen Hände nehmen und brauchen eine sozialistische Perspektive. Einen wichtigen Schritt auf diesem Weg markierte ein Vernetzungstreffen am vergangenen Freitag, zu dem die International Youth and Students for Social Equality (IYSSE) eingeladen hatten. Von der Versammlung wurde mit überwältigender Mehrheit eine politische Resolution angenommen, die dazu aufruft, Aktionskomitees zu gründen, um Streiks für sichere Bildung vorzubereiten.

Die Resolution betont, dass „der Widerstand an den Schulen mit den Kämpfen der Arbeiter für sichere Betriebe und zur Verteidigung ihrer Arbeitsplätze verbunden werden [muss]. Er muss Teil einer breiten Mobilisierung für einen Generalstreik sein, der die Bedürfnisse und die Gesundheit der Menschen gegen die Profitlogik durchsetzt.“ Statt Milliarden an die Konzerne zu überweisen, müssten drei zentrale Forderungen durchgesetzt werden: Schließt die Schulen und Kitas und bereitet sichere Bildung vor! Milliardeninvestitionen in sichere und gute Bildung! Voller Lohnersatz für Eltern, die ihre Kinder betreuen müssen!

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