„Die Pflege geht schon ewig am Stock und nun haben viele einfach keine Kraft mehr“

Altenpfleger berichten über dramatische Erfahrungen während der Pandemie

Seit Beginn der Covid-19-Pandemie standen Alten- und Pflegeheime in erschreckender Weise im Zentrum eines regelrechten Massensterbens. Von den über 106.000 Menschen, die im Verlauf der letzten zwei Jahre allein in Deutschland offiziell an Corona gestorben sind, waren 88.769 über 70 Jahre alt.

In Bayern ist laut Presseberichten vom Mai dieses Jahres nahezu jeder zweite Coronatote in einem Pflegeheim gestorben. In Hessen und Berlin lag dieser Anteil auf dem Höhepunkt der zweiten Welle sogar bei 73 Prozent. Aktuell liegen die Inzidenzen unter Kindern und Jugendlichen am höchsten, aber das Virus grassiert nach wie vor auch unter den Älteren.

Das Robert-Koch-Institut (RKI) gibt an, dass allein in der vergangenen Woche in „Alten- und Pflegeheimen“ Corona-Ausbrüche mit insgesamt 1164 Fällen stattgefunden haben. In den letzten Wochen gab es immer wieder Ausbrüche mit tödlichen Folgen. Erst vor wenigen Tagen starben 28 Bewohner eines Pflegeheims in Rudolstadt in Thüringen an Corona.

Eine Pflegeheimbewohnerin erhält eine Corona-Impfung, Köln, 27. Dezember 2020 (AP Photo/Martin Meissner)

Die World Socialist Web Site sprach im Rahmen des Global Workers‘ Inquest zur Corona-Pandemie mit Pflegerinnen und Pflegern in Alten- und Pflegeheimen. Sie berichten von ihren dramatischen Erfahrungen während der Pandemie, jahrzehntelangen Sparmaßnahmen und brutaler Profitmaximierung auf dem Rücken der Pfleger und Pflegebedürftigen.

Christine ist Altenpflegerin und Lehrerin für Pflegeberufe in Bayern. Im Dezember 2020 war sie im Seniorenheim Naabtalpark Burglengenfeld eingesetzt, dessen Betreiber ein großer bundesweit vertretener Pflegedienst ist.

„Ich arbeite seit 1991 in der Pflege. Im letzten Jahr war ich dann in einem Altenheim, als die Pandemie dort ausgebrochen ist. Ich bin ja einiges gewohnt – aber das hat alles übertroffen. Das Gesundheitsamt hat das gesamte Personal heimgeschickt, da alle positiv waren. Ich sollte dann, weil ich negativ war, allein für 40 Pflegebedürftige sorgen. Die Tage davor kam kein Notdienst, erst auf mehrmaliges Telefonieren kam dann endlich jemand.

Als ich mich dann beim Gesundheitsamt geweigert habe, die Verantwortung zu übernehmen, kam erst nach ewigem Hin und Her ein Aufruf auf Facebook, dass Pflegekräfte zur Unterstützung kommen sollten. Dann kam die Bundeswehr.

Es gab im Heim zwar Masken, aber das wurde nicht besonders ernst genommen und mit der Hygiene war es auch nicht weit her. Zumal unter den Pflegebedürftigen einige schwere Behinderungen haben – da ist es noch schwieriger. Sie wurden erst in der ersten Dezemberwoche getestet. Das hätte schon viel eher passieren sollen, ist aber verbummelt worden, weil man das seitens der Pflegedienstleistung ja so locker genommen hat. Die Heimleitung war zu dieser Zeit krankgeschrieben wegen ‚Burn-out‘.

Die Pflegedienstleitung wurde auch heimgeschickt. Das Landratsamt wollte, dass ich als einzige Person für die 40 Leute verantwortlich bin. Ich habe gesagt, wenn mir keiner hilft, gehe ich ins Nervenkrankenhaus – und ich war wirklich fast so weit. In vielen Einrichtungen geht es so zu, das sollte viel mehr an die Öffentlichkeit kommen.“

Dem Betreiber wurde aufgrund des Ausbruchs zunächst die Lizenz entzogen, doch zwei Monate später nach angeblich „engmaschigen Kontrollen“ der Behörden wieder erteilt.

„Ich war irgendwann nicht mehr in der Lage zu arbeiten und musste dann in eine psychosomatische Reha. Jetzt arbeite ich in einem Sanitätshaus und mache nebenbei Pflegeberatungen und Einzelbetreuungen bei Demenzkranken.

Ich würde so gern wieder mit den Leuten arbeiten, aber diese ganzen Umstände machen dich mürbe und fertig. Ich habe auch Depressionen deswegen. Das gute Personal bricht zusammen – diejenigen, die weiter sauber arbeiten, werden kaputt gemacht, bis es nicht mehr geht.

Im Vergleich zu früher hat sich alles zu hundert Prozent verschlechtert. Pflege soll am besten am PC durchgeführt werden – und das aber von halben Analphabeten. Ich habe schon mehrmals an die Heimaufsicht geschrieben, ohne Erfolg. Dann sehe ich, dass die Einrichtung Bestnoten hat. Das macht mich nur noch wütend und traurig.

Der medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK), der die Noten gibt, hat die Situation in meinen Augen immer weiter verschlechtert. Er prüft nur die Dokumentation, alles andere ist ihm egal. Man tut also dem MDK Genüge und dokumentiert alles doppelt und dreifach – die tatsächliche Pflege am Patienten kommt zu kurz.

Es ist ein Fass ohne Boden: Gesetze, die ohne Hirn gemacht wurden oder von Schreibtischtätern, die von der Praxis keine Ahnung haben. Die Pflegeheime, Kliniken und Krankenhäuser sollen und dürfen nicht privatisiert sein. Denn dann ist der alte Mensch nur eine Geldeinnahmequelle.“

Kazu (41), der seit acht Jahren als Altenpfleger in einer neurologischen Rehaklinik arbeitet, berichtet:

„Die Pflege geht schon ewig am Stock und nun haben viele einfach keine Kraft mehr. Viele wechseln in andere Berufe oder gehen in Zeitarbeit. Ersatz gibt es nicht. Und weil kein Nachwuchs kommt, gibt es in allen Bereichen immer weniger Pflegepersonal. Von meinen Kollegen sind viele bereits weg oder haben keine Lust mehr, so wie ich. Es hat sich verschärft und ist jetzt noch schlimmer als vor Covid.

Da wir kein Akut-Krankenhaus sind, haben wir nur Patienten im ‚Zustand nach Covid‘. Das ist wirklich eine Scheiß-Krankheit. Meist bleiben Atemwegserkrankungen und die Patienten haben auch noch mehrere Monate danach damit zu tun. Unsere Patienten haben meist große Probleme mit Luftnot und meistens gibt es eine Krankheitsvorgeschichte. Ein Patient ist sogar verstorben. Ein anderer, der beruflich Arzt gewesen ist, hat zu mir gesagt: ‚Das wünsche ich niemandem!‘

Die Ausbildung war zu meiner Zeit schon fies. Denn unterbesetzt lässt es sich schlecht um Azubis kümmern. In meiner damaligen Klasse waren erst 30 Leute und nach der Probezeit noch genau fünfzehn. Es wird viel verlangt.

Wir sind wütend, weil es immer nur ums Geld geht. Patienten gibt es nicht mehr, sondern nur noch ‚Zahler‘. Wie groß die Erschöpfung ist, sieht man an den Krankenständen. Es gibt Statistiken, die zeigen, dass die meisten Krankmeldungen in der Pflege stattfinden. Weil kein Ende dieser Situation in Aussicht ist, kommt Verzweiflung auf. Deshalb hören viele auf. Ich selbst würde mich als ‚kurz vor dem Burnout‘ beschreiben. Der Beruf macht keinen Spaß mehr.“

Marco ist Heilerziehungspfleger und arbeitet in Bayern in einem Heim für Menschen mit Behinderungen. Er sagt:

„Als Pfleger in einem Wohnheim kann ich sagen, dass die Bedingungen schon in den Jahren vor Corona immerzu schlechter wurden. Ältere Kollegen berichten mir, dass sie sich nahezu täglich angemessen Zeit für jeden einzelnen Bewohner nehmen konnten: Mit den Menschen reden, ihnen zuhören und Ruhe ausstrahlen. Zeitdruck durch Personalmangel, hohen Bürokratieaufwand und einen lächerlichen Personalschlüssel machen das nun fast unmöglich.

Die Coronakrise hat all die Probleme in der Pflege verschärft. In den Krankenhäusern noch viel mehr als in den Wohnheimen. Eine Impfpflicht würde jedoch beide Bereiche durch eine niedrigere Hospitalisierungsrate und ein allgemein reduziertes Ansteckungsrisiko entlasten und ist aus meiner Sicht notwendig. Zusätzlich erforderlich ist eine angemessene Entlohnung, ein adäquater – d.h. den Menschen würdiger – Personalschlüssel und eine angemessene Würdigung des Berufs: Nicht nur Applaus.

Ich denke aber auch, dass eine Impfpflicht nicht der einzige Schritt aus der Pandemie sein kann. Ich bin großer Verfechter der ‚1G-Regel‘: Damit meine ich, dass man nur getestet in Restaurants, zur Arbeit, in den ÖPNV usw. gehen darf. Und zwar mit einem PCR-Test getestet in einem angemessenen zeitlichen Abstand. Die Tests müssen selbstverständlich kostenlos sein. Die Kapazitäten dafür sind vorhanden, die Kosten im Verhältnis zum Ausmaß der Pandemie akzeptabel. Nur so sehe ich einen Ausweg aus der aktuellen Situation.“

Betrachtet man die offizielle Politik, „scheint sich nichts zu verbessern“, schlussfolgert Marco: „Wir Pflegenden müssen selbst aktiv werden.“

Die World Socialist Web Site wird weitere Berichte und Interviews mit Betroffenen über die katastrophalen Auswirkungen der Pandemie und die Konsequenzen der offiziellen „Profite vor Leben“-Politik veröffentlichen. Registriert euch für das Global Workers' Inquest, um uns über eure Erfahrungen zu informieren und den Kampf für die weltweite Eliminierung von SARS-CoV-2 aufzunehmen.

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