Volkswagen nach Abschluss der Planungsrunde: Was erwartet die Arbeiter?

2022 wird für Arbeiter des Volkswagen-Konzerns ein entscheidendes Jahr. Neben den Folgen der mörderischen Corona-Politik der Bundesregierung, die ihre Gesundheit und ihr Leben bedroht, müssen sich die Arbeiter des größten deutschen Autokonzerns auf Angriffe auf ihre Arbeitsplätze und Arbeitsbedingungen gefasst machen, wie es sie seit Jahrzehnten nicht gegeben hat.

„Wir werden Wolfsburg in zehn Jahren nicht wiedererkennen,“ sagte der Chef des Gesamtkonzerns Herbert Diess am 9. Dezember auf einer Pressekonferenz, nachdem sich Vorstand, Betriebsrat und Anteilseigner auf Pläne für einen umfassenden Umbau des Konzerns bis 2026 verständigt hatten. Das muss als Drohung verstanden werden.

VW-Stammwerk in Wolfsburg

Dem Abschluss der Planungsrunde waren öffentliche Auseinandersetzungen zwischen Diess und dem Gesamtbetriebsrat unter seiner neuen Vorsitzenden Daniela Cavallo vorausgegangen. Zeitweise war davon die Rede, dass Diess seinen Posten räumen müsse. Der Betriebsrat hatte sich vor allem daran gestört, dass von Diess beauftragte Szenarien über den Abbau von 30.000 Arbeitsplätzen in die Öffentlichkeit gelangt waren und die Belegschaft alarmiert hatten.

Nun haben Betriebsrat und Vorstand die Reihen wieder geschlossen. Diess darf bleiben, wenn auch mit leicht reduzierten Kompetenzen. Und die Entlassungspläne sind nicht vom Tisch. Sie werden jetzt nur „positiv“ dargestellt. Statt vom Abbau von Arbeitsplätzen, Lohnkürzungen und schlechteren Arbeitsbedingungen ist von Investitionen, Transformation und Wettbewerbsfähigkeit die Rede. Was das für die Arbeiter bedeutet, wird verschwiegen.

„Ich bin jetzt sehr viel zuversichtlicher, dass wir die Transformation und den Wettbewerb schaffen,“ erklärte Diess. „Und dass wir den neuen Wettbewerb sehen, dafür haben wir gesorgt.“ Diess betont seit Monaten, dass der Konkurrent Tesla nur zehn Stunden braucht, um ein Auto zu produzieren – und damit drei Mal weniger als VW.

Jeder kann sich selbst ausrechnen, was dies für VW bedeutet. Die 89 Milliarden Euro Investitionen, die bis 2026 in die Elektromobilität und Digitalisierung fließen sollen, werden zehntausende Arbeitsplätze überflüssig machen. Je weniger Arbeiter, desto geringere Personalkosten und höhere Gewinne, Dividenden und Aktienkurse. Das ist es, was Diess, IG Metall und Betriebsrat unter „Wettbewerbsfähigkeit“ verstehen.

Die Angriffe auf die Arbeiter werden unmittelbar im neuen Jahr beginnen. Da sind zunächst die Auswirkungen des weltweiten Chipmangels. Wie alle Autohersteller verwendet der VW-Konzern die knappen Halbleiter dort, wo sie die höchste Rendite versprechen. Das sind vor allem die Premiummarken Porsche und Audi. Das Nachsehen haben die Beschäftigten der Volumenmarken wie VW, Skoda und Seat. Diese drei Marken haben von Juli bis September Verluste eingefahren. Der Gesamtkonzern macht dennoch Gewinne, insbesondere weil Porsche und Audi so profitabel sind.

Die Gesamtbetriebsratsvorsitzende Cavallo erklärte zu den Auswirkungen des Chipmangels, hier liege „das Schlimmste noch vor uns“. Die Produktion in Wolfsburg sei mit weniger als 400.000 gefertigten Autos so niedrig wie seit Ende der 50er Jahre nicht mehr – und damit nur halb so hoch wie geplant. In einer Sonderausgabe der Betriebsratszeitung Mitbestimmen! hat sie die Arbeiter bereits auf mögliche Kürzungen vorbereitet. „Die kommenden Monate werden hart.“

Die Belegschaft dürfe die Auswirkungen des Halbleitermangels „nicht einseitig“ tragen, schreibt sie. Im Klartext, die Arbeiter sollen sie mittragen. Aber wie? Darüber verliert die Betriebsratschefin kein Wort. Die Arbeiter machen sich derweil Sorgen, denn sie wissen, dass Management und Betriebsrat darüber sprechen, ob der Konzern das Kurzarbeitergeld im nächsten Jahr erneut auf 100 Prozent aufstockt oder ob sie mit Lohneinbußen rechnen müssen.

Die Auswirkungen des Umstiegs auf Elektromobilität werden aber die Folgen des Chipmangels weit in den Schatten stellen. Im Mittelpunkt der Sonderausgabe der Betriebsratszeitung stehen die Investitionen, die der Aufsichtsrat am 9. Dezember bis 2026 beschlossen hat. Detailliert schildern die einzelnen Standortbetriebsräte, wie viele Millionen und Milliarden Euro in welchen Bereichen der einzelnen Werke investiert werden. Insgesamt sind es 159 Milliarden Euro, von denen mehr als die Hälfte in die Elektromobilität und Digitalisierung fließen.

Während Betriebsrat und Konzernvorstand von Investitionen schwärmen, die die Wettbewerbsfähigkeit sichern sollen, sagen sie absolut nichts über die Auswirkungen auf die Arbeitsplätze. Der Betriebsrat betrachtet den Konzern genauso wie der Vorstand vom Standpunkt der Profitabilität.

Cavallo, die im Anschluss an die Planungsrunde gemeinsam mit Diess die Zahlen verkündete, sagte nicht, welche Auswirkungen die Reduzierung der Produktionsdauer für ein Auto um zwei Drittel auf die Zahl der Beschäftigten haben werde. Stattdessen werden die Arbeiter der verschiedenen Standorte nach altbewährter Manier gegeneinander ausgespielt.

Der Belegschaft des Wolfsburger Stammwerks wird versprochen, ab 2023 Produktionsarbeiten beim E-Modell ID.3 von Zwickau zu übernehmen, um dann 2024 in die Vollproduktion zu starten. Betriebsrat und Unternehmen arbeiten gerade an einem „Standortpaket“, mit dem das Werk – genauer gesagt: die Belegschaft – beweisen muss, dass die Produktion des ID.3 in Wolfsburg wirtschaftlich ist. 2026 soll dann das neue E-Modell des Trinity-Projekts vom Band laufen.

Auch eine Verschärfung der Arbeitshetze ist geplant: „Die bisherigen Fahrweisen haben keinen Bestand, und die Schichtmodelle sollen auch für die Stammbelegschaft neu sortiert werden“, so Cavallo. Dazu gehe der Betriebsrat nun in Gespräche.

Vor allem in Wolfsburg dürften die nun versprochenen Elektromodelle, die weniger Fertigungstiefe benötigen und mit modernsten Robotern hergestellt werden, in den Augen von Vorstand und Betriebsrat Arbeitsplätze entbehrlich machen.

Die globalen Autokonzerne, deren Zahl dank zahlreicher Fusionen immer geringer wird, tragen auf dem Rücken der Autoarbeiter einen gnadenlosen Verdrängungswettbewerb aus. VW hält – wie alle anderen Hersteller auch – trotz sinkender Verkaufszahlen an seinen Renditezielen fest und hat sie für die kommenden Jahre sogar erhöht. Aktienkurs und Dividende sollen steigen.

Schon jetzt mussten über 1000 Leiharbeiter gehen, die als erste ihre Jobs verlieren. Zu den mehr als 900 Arbeitern aus Wolfsburg, Braunschweig und Salzgitter sind noch fast 150 aus Emden dazugekommen.

Der globale Wettbewerb ist brutal. Auf dem wichtigen US-Markt hat Tesla bei den Elektroautos einen Marktanteil von fast 70 Prozent. In China konkurriert VW nicht nur mit den Modellen von Tesla, sondern auch mit denen der asiatischen und chinesischen Hersteller.

China ist für VW der wichtigste Markt, der Konzern verkauft dort mehr als 40 Prozent aller Autos. Bislang überwiesen die chinesischen VW-Joint Ventures dem Konzern jährlich 3 Milliarden Euro an Gewinn. Nun brechen die Absatzzahlen ein, in diesem Jahr bereits um 8 Prozent. Im November schrumpften in China die Auslieferungen um 38 Prozent.

Die Arbeitsbedingungen bei Tesla und den chinesischen Herstellern sind der Maßstab, an dem sich VW und die anderen Autoproduzenten orientieren. Dieser schonungslose Konkurrenzkampf wird Auswirkungen haben, die über den Verlust der von Diess im September ins Spiel gebrachten 30.000 Arbeitsplätze weit hinausgehen – bei allen Marken des Konzerns.

Der Aufsichtsrat hat am 9. Dezember nicht nur die zukünftigen Investitionen beschlossen, sondern auch Diess von seinen Chinaaufgaben entbunden. Der bisherige VW-Kernmarken-Chef Ralf Brandstätter soll Mitte 2022 nach Peking übersiedeln und zugleich in den Konzernvorstand einziehen. Diess soll sich gemeinsam mit dem Betriebsrat auf den Umstieg in die Elektromobilität konzentrieren.

Betriebsrat, IG Metall, Vorstand und Anteilseigner – zu denen auch das Land Niedersachen vertreten durch Ministerpräsident Stefan Weill (SPD) gehört – ziehen jetzt wieder an einem Strang. Der Betriebsrat hat erreicht, was er wollte. Arbeitsplatzabbau, Lohnkürzungen und schlechtere Arbeitsbedingungen werden vom Vorstand gemeinsam mit ihm erarbeitet und umgesetzt werden. Das alles soll so geräuschlos wie möglich ablaufen. Das war die einzige Differenz, die sie mit Diess hatten.

Die Arbeiter erfahren nichts über die Absprachen zwischen Betriebsrat und VW-Management. Ihnen werden wichtige Inhalte und Entwicklungen vorenthalten. Ähnlich wie in den USA gehen die Gewerkschaften und ihre betrieblichen Vertreter dazu über, überhaupt nichts mehr über ihre Absprachen mitzuteilen, die sie hinter verschlossenen Türen mit den Konzernvorständen treffen. Es werden nur noch sich selbst beweihräuchernde Pressemitteilungen – oder Betriebsratszeitungen – herausgegeben, die den Gehalt von Werbebotschaften haben. In den USA bezeichnen die Gewerkschaften dies als „Highlights“ von Verträgen und Absprachen.

VW-Arbeiter müssen von ihren Betriebsräten die Offenlegung aller Details der Planungsrunde sowie der Jobabbau-Szenarien fordern, die Diess hat erstellen lassen. Was steht im Kleingedruckten? Wie viele Arbeitsplätze werden „transformiert“, sprich vernichtet?

Das können sie allerdings nur durchsetzen, wenn sie sich unabhängig von Betriebsrat und Gewerkschaft in Aktionskomitees zusammenschließen, die sich standort- und konzernübergreifend vernetzen. Wir rufen Autoarbeiter von VW und allen anderen Herstellern auf, sich in solchen Aktionskomitees zusammenzuschließen, und mit uns Kontakt aufzunehmen. Tretet unserer Facebookgruppe Netzwerk der Aktionskomitees für sichere Arbeitsplätze bei.

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