Autoindustrie: Die Tesla-Giga-Factory in Brandenburg und der weltweite Verdrängungswettbewerb

Die Umstellung auf Elektromobilität beschleunigt die Restrukturierung der internationalen Autoindustrie, die in einem erbitterten Kampf zwischen den Global Playern auf dem Rücken der Arbeiter ausgetragen wird.

Alle großen Autohersteller arbeiten unter Hochdruck daran, ihre Produktion auf Elektrofahrzeuge umzustellen. Jaguar will schon 2025 ein rein elektrischer Automobilhersteller sein, Volvo und Ford wollen fünf Jahre später nur noch Elektroautos verkaufen. General Motors folgt 2035, Honda 2040.

Baustelle der Tesla-Fabrik in Grünheide (Bild: Ralf Roletschek / CC BY-SA 1.0)

Die weltgrößten Konzerne wie Toyota, Stellantis und die deutschen Hersteller haben noch keine genauen Termine genannt, sind aber dabei, ihre Produktion umzustellen. Stellantis beabsichtigt, alle neuen Modelle seiner 14 Marken (u. a. Peugeot, Citroën, Opel, Fiat, Chrysler) bis 2025 als E-Autos anzubieten. Mercedes-Benz will die Produktion von Verbrennerfahrzeugen bis 2030 um bis zu 70 Prozent reduzieren, BMW hat vor, im gleichen Jahr mindestens jedes zweite Auto mit vollelektrischem Antrieb zu bauen. VW spricht darüber, den Anteil an E-Fahrzeugen am Gesamtabsatz schon 2030 auf 55 Prozent zu erhöhen.

Analysten des Marktforschungsinstituts IHS (Information Handling Services) rechnen allein in Europa (Absatz 2019: 16 Millionen Fahrzeuge) innerhalb der nächsten zehn Jahre mit einem mindestens 50-prozentigen Anteil von reinen Elektroautos. Auf den beiden anderen großen Weltmärkten China (26 Millionen Fahrzeuge) und USA (17 Millionen) geht es nur unwesentlich zögerlicher voran.

Da die Produktion von Elektroautos weniger Komponenten bedarf und alle Konzerne bemüht sind, die Kosten zu senken, sind weltweit Millionen Arbeitsplätze gefährdet. Allein in Deutschland stehen schon in den nächsten vier bis fünf Jahren rund 180.000 Arbeitsplätze zur Disposition, wie das Ifo-Institut analysierte.

Die Autohersteller werden in diesem mörderischen internationalen Konkurrenzkampf jeweils von ihren Regierungen unterstützt – politisch und finanziell. Die konkurrierenden kapitalistischen Mächte fördern die Entwicklung ihrer eigenen weltweiten „Champions“, um in der nächsten Phase die Automobilindustrie zu dominieren.

Am heutigen Freitag verabschiedet der Bundesrat ein von Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) initiiertes Gesetz zum Autonomen Fahren. Das weltweit erste Gesetz dieser Art soll es ermöglichen, dem von Elon Musk geführten Tesla-Konzern die Marktführerschaft bei technischen Assistenzsystemen streitig zu machen.

Tesla hatte bislang das Tempo vorgegeben und war technologisch – vor allem in der Batterieproduktion und der Software – weit voraus. Inzwischen ist Musks Konzern stark unter Druck geraten. Die Corona-Pandemie hat hier als Katalysator gewirkt.

Tesla und Musk sind Teil der Spekulationsorgie an der Wall Street und den internationalen Aktienbörsen. So machten Teslas Bestände der Kryptowährung Bitcoin im ersten Quartal 2021 101 Millionen Dollar oder 23 Prozent des Konzerngewinns aus.

Die Verbindung von Finanzspekulation und Tech-Industrie hat Musk zum derzeit drittreichsten Mann der Welt gemacht, mit einem Nettovermögen von etwa 147 Milliarden Dollar. Dieser Reichtum lässt ihn in den Vereinigten Staaten faktisch über dem Gesetz stehen. So konnte er sich im Mai 2020 der uneingeschränkten Unterstützung des damaligen US-Präsidenten Donald Trump sowie des gesamten politischen Establishments sicher sein, als er sich den Corona-Anordnungen der Gesundheitsbehörden widersetzte, seine Tesla-Fabrik im kalifornischen Fremont wiedereröffnete, und tausende Menschenleben gefährdete.

Während Tesla plant, in diesem Jahr seine weltweiten Auslieferungen um rund 50 Prozent auf 750.000 Elektroautos zu steigern, verliert die Marke weltweit Marktanteile. Der Betriebsstart einer neuen Autofabrik in Austin, Texas, soll das Wachstum dieses Jahr beschleunigen. Zudem soll noch in diesem Jahr mit der Produktion des elektrischen Schwerlastwagens Tesla Semi begonnen werden.

Im brandenburgischen Grünheide bei Berlin baut Tesla gerade seine Autofabrik Gigafactory 4. Zunächst 12.000, in der Endstufe bis zu 40.000 Arbeiter sollen hier schließlich eine halbe Million Fahrzeuge jährlich produzieren, zunächst das Tesla Model Y, dann das Tesla Model 3.

Mit der Fabrik in Grünheide in unmittelbarer Nähe zu Berlin will Tesla den europäischen Markt bedienen. Außerhalb Berlins gelegen, kann sich Tesla auf die gut ausgebildeten, aber günstigen Fachkräfte aus Ostdeutschland und dem nahen Polen stützen. Mit der Nähe zu Berlin kann Tesla auf die dortige Start-Up-Szene zurückgreifen, bzw. die Ingenieure und IT-Experten, die es benötigt und daher im Gegensatz zu den Produktionsarbeitern gut bezahlt, von den anderen Automobilherstellern abwerben.

Zudem nutzt Musk die föderale Struktur in Deutschland aus. Die Fabrik liegt bei Berlin, aber in Brandenburg. Die dortige, von Dietmar Woidke (SPD) geführte Landesregierung aus SPD, CDU und Grünen hat dem Tesla-Chef geradezu den roten Teppich ausgerollt.

Der vergünstigte Kauf des über 300 Hektar großen Grundstücks (zum Drittel des Marktpreises), die laxe Handhabung der Baugenehmigungsverfahren, die Missachtung der Umweltvorschriften usw. sollen gewährleisten, dass noch in diesem Jahr die Produktion beginnt.

Tesla kann für den weitgehend abgeschlossenen Bau des riesigen Werks bis heute keine abschließende Genehmigung vorlegen. Der Bau erfolgt bislang auf der Grundlage von Teilgenehmigungen, die nur erteilt werden, wenn eine Vollgenehmigung im Bereich des Wahrscheinlichen liegt. Erst letzte Woche hat Tesla die 14. Teilgenehmigung erhalten. Dass Tesla die Fabrik vollständig zurückbaut, inklusive Aufforstung des Waldes, falls die Gesamtgenehmigung ausbleiben sollte, glaubt kein Mensch. Hier werden vollendete Tatsachen geschaffen.

Ursprünglich sollten schon im Juli die ersten Fahrzeuge vom Band rollen. Nun hat Tesla angekündigt, dass auch eine Batteriezellfabrik auf das Gelände soll. Multimilliardär Musk hatte dafür bereits eine Milliardenförderung von EU, Bund und Land zugesagt bekommen. Die Eröffnung der Produktion wird nun erst gegen Ende des Jahres starten. Die Serienproduktion sei für Ende Januar 2022 geplant.

Während die Politik ihrerseits alles unternimmt, um eine gigantische Autofabrik – unweit des Berliner Flughafens – innerhalb von 24 Monaten in Betrieb zu nehmen, fürchten die großen deutschen Hersteller Tesla zwar als Konkurrenten. Doch gleichzeitig wollen sie den amerikanischen Elektroautohersteller als Hebel einsetzen, um Löhne und Arbeitsbedingungen in Deutschland aufzubrechen.

Denn der sagenhafte Anstieg der Tesla-Aktienwerte ist nur zum Teil auf Spekulationen zurückzuführen. Ein anderer Grund für den zeitweisen Höhenflug der Tesla-Aktie ist die brutale Ausbeutung der Belegschaft. In den USA zahlt Tesla so schlecht, dass viele Arbeiter sich von ihren Löhnen nicht einmal Wohnungen leisten können. Viele schlafen in ihren Autos und Wohnmobilen auf dem Firmenparkplatz oder gleich auf Sofas in der Fabrik.

In den Fabriken selbst herrscht ein rigides Regiment. Die Sicherheit und das Leben der Arbeiter werden der Produktion geopfert.

Volkswagen-Chef Herbert Diess bewundert an Musk genau diese Skrupellosigkeit. Der VW-Konzern strebt an, die Produktionszeit genauso wie Musk auf zehn Stunden je Auto zu reduzieren. Aktuell benötigt VW für sein E-Auto ID.3, das im sächsischen Zwickau hergestellt wird, schätzungsweise 20 Stunden. „Damit können wir mit Tesla mithalten und werden bei den Produktionskosten sogar noch besser liegen“, erklärte Diess nach Informationen des Handelsblatts auf einer Online-Veranstaltung vor 15.000 VW-Managern im Dezember letzten Jahres.

Die IG Metall will in diesem Prozess nicht beiseite stehen und bereitet sich ihrerseits darauf vor, Musk und Tesla ihre Dienste anzubieten. Tesla hat angekündigt, den IG-Metall-Tarifvertrag nicht übernehmen zu wollen. Weit liegen die jeweiligen Löhne allerdings nicht voneinander entfernt. Die Arbeiter bei Tesla in Grünheide sollen in der untersten Stufe 2700 Euro Bruttomonatslohn erhalten. Mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung soll das Monatsgehalt bei 3500 Euro brutto liegen.

Die IG Metall versucht intensiv, einen Fuß in die Gigafactory in Brandenburg zu bekommen. Sie hat eigens für Tesla ein „Erschließungsprojekt“ mit Geschäftsstelle vor Ort und seit Anfang Mai auch eigener IGM-Tesla-Website gestartet, um die künftigen Tesla-Arbeiter anzusprechen.

Doch die IG Metall vertritt nicht die Interessen der zukünftigen Tesla-Belegschaft. Die Gewerkschaft dient sich vielmehr als Betriebspolizei an. Ohne die IG Metall – so ihre Argumentation – drohten unkontrollierte Arbeitskämpfe. Daher sei die Einbeziehung der Gewerkschaft über die Mitbestimmung notwendig.

Die IG Metall ist der Meinung, dass Arbeitsbedingungen, wie sie Tesla sowie die gesamte Autobranche planen, auf Dauer ohne sie nicht durchzusetzen sind. Als Vorbild dient Amazon, wo bereits verheerende Zustände herrschen und die Gewerkschaft Verdi ihre Dienste anbietet.

Die anderen Autokonzerne unterstützen die IG Metall bei ihrer Kampagne. Die Präsidentin des Verbands der Automobilindustrie (VDA), Hildegard Müller, hätte nichts dagegen, wenn Tesla Mitglied im Verband würde.

„Mit meiner Erfahrung in anderen Branchen möchte ich betonen, wie wichtig die Sozialpartnerschaft ist“, sagte Müller dem Berliner Tagesspiegel im Februar. „Denn in Zeiten solcher grundlegenden Transformationen haben Unternehmen und Beschäftigte das gleiche Ziel. Ich sehe die Gewerkschaften auch als Partner in der Diskussion um die Verbesserung des Standortes Deutschland.“

Auch das Bundeswirtschaftsministerium „würde es begrüßen, wenn auch Tesla die Vorteile des Sozialpartnermodells erkennt“.

Die zukünftigen Tesla-Arbeiter in Grünheide benötigen für die Wahrnehmung ihrer Interessen nicht die IG Metall, im Gegenteil. Arbeitsplätze, Löhne und Arbeitsbedingungen sind nur in Opposition zu ihr zu verteidigen und zu erkämpfen. Deshalb hat das Internationale Komitee der Vierten Internationale auf seiner diesjährigen Online-Kundgebung zum Ersten Mai den Anstoß zur Gründung der Internationalen Arbeiterallianz der Aktionskomitees gegeben.

Schließt euch der Facebook-Gruppe Netzwerk der Aktionskomitees für sichere Arbeitsplätze an, um von der IG Metall unabhängige Aktionskomitees bei Tesla und in allen Autofabriken aufzubauen.

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